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Autor Thema: Neersand  (Gelesen 23177 mal)

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Daanje Firunkis

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Neersand
« Antwort #15 am: 16.09.2010, 22:00:08 »
Daanje ist mehr als erfreut, endlich den Wellenreiter zu betreten und dort wieder freundlich, wie schon zuvor, begrüßt zu werden. Er kommt allerdings etwas spät und es ist ihm beinahe unangenehm, noch zu fragen: "Guten Abend, meine Dame und mein Herr. Ich komme spät, doch spricht noch etwas dagegen, eine kleine Mahlzeit zu mir zu nehmen, bevor ich mich zu Bett begebe." Daanje lacht kurz. "Ich möchte ungern meine Zimmernachbarn mit meinem Magenknurren wecken."

Zwar zieht sich Daanje einen Stuhl hervor, um sich zu setzen, doch der Höflichkeit halber bleibt er noch stehen und lächelt dem Ehepaar ter Walsen freundlich zu. "Ah, und bevor ich es ganz vergesse, Ihr kennt Euch sicher in der Stadt aus. Habt Ihr zufällig auch einmal im Efferd-Tempel eine Gabe hinterlassen?"
"Der Born fließt seit 1000 Jahren hinaus bei Festum in das Meer. Er trug so viel, so viele Tränen hinaus und gab sie nicht mehr her." - Der Born von Ragnar Schwefel

Xiam

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Neersand
« Antwort #16 am: 17.09.2010, 10:17:39 »
"Sicherlich könnt ihr noch etwas zu essen bekommen, mein Junge", lacht ihn die Wirtsfrau an. "Einen heißen Eintopf? Oder nur etwas Brot und Käse? Setz dich, Junge".
Jaakon hält mit dem polieren des Tresens inne. „Natürlich haben wir schon einmal etwas an den Tempel gespendet. Sehr oft sogar. Als wir noch den Walsach hinauf und herunter gesegelt sind mussten wir doch den Herrn Efferd gnädig stimmen.“
Jaakon lacht laut und herzhaft und du erkennst an seinem Gesichtsausdruck, dass er wohl gerade in Gedanken einer Reise in die Vergangenheit unternimmt.
„Ja, das waren noch Zeiten. Jetzt ist unser Sohn der Kapitän der Wellenreiter und natürlich opfern wir immer noch regelmäßig. Und unsere Gebete gelten jetzt natürlich in erster Linie Panek."
Dann blickt Jaakon dich wieder an und lächelt. "Aber warum fragt ihr?"

Daanje Firunkis

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Neersand
« Antwort #17 am: 17.09.2010, 13:14:32 »
Über die Antwort ist Daanje mehr als nur erfreut, so setzt er sich hin und lauscht geduldig den Ausführungen seiner Gastgeber, bevor er antwortet: "Eine Schale Eintopf, dazu etwas Brot und ein Stück Käse und wenn es keine Umstände macht, auch einen guten Schluck Wein dazu, damit wäre ich vollauf zufrieden." Er legt seine Sachen, die ihn beim Essen nur stören würden, auf den Stuhl neben ihm und wirkt plötzlich, entgegen seines sonstigen Gesichtsausdruckes, sehr nachdenklich. "Nun ja, es wäre doch ziemlicher Frevel, dem Herrn Efferd die Sachen wieder weg zunehmen, nicht wahr? Im Regelfall würde das doch göttliche Konsequenzen nach sich ziehen, oder? Wisst Ihr, ob es schon einmal vorgekommen ist, dass jemand seine Spende zurück haben wollte? Oder dass von den Gaben gestohlen wurde? Ich nehme an, dass die Spenden oft auch kostspielig und wertvoll sind. Es liegt daher nur nahe, dass es Menschen gibt, die sich dem Herrn Efferd nicht verpflichtet fühlen, wie sie sollten, und von den Spenden stehlen. Würdet ihr nicht sagen?"

Daanje fährt sich über das Kinn. "Ihr opfert also für Euren Sohn Panek. Gibt es eigentlich bestimmte Tage oder Zeiten, zu denen gespendet wird? Oder kann jeder jederzeit seine Sachen in den Tempel bringen?" Daanje sieht, von seiner eigenen Plauderei überrascht, auf. "Ah, verzeiht. Meine Herrin wünscht nur, dass ich gegebenenfalls für sie eine Spenden im Tempel hinterlasse und es würde ihr sehr missfallen, wenn diese Spende nicht ankäme, weil irgendjemand sie stehlen würde."
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Xiam

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Neersand
« Antwort #18 am: 18.09.2010, 15:23:17 »
Der Wirt schenkt dir aus einer bauchigen, irdenen Flasche einen rubinroten Wein ein, der allerdings für deinen Gerschmack etwas trocken ist. Nunja, es ist wahrscheinlich nicht so einfach, jetzt wo dieser Landstrich durch die schwarzen Lande vom Rest der Welt abgetrennt ist, guten Wein zu bekommen. Wein muss ins Bornland schließlich importiert werden, denn in diesen klimatischen Gefilden wächst er leider nicht.
"Den Herren Efferd bestehlen? Nun, das würden - wenn überhaupt - wohl nur die ruchlosesten Gesellen tun. Ich wüsste nicht, dass dies in einer Stadt wie Neersand, in der das Wohlergehen fast aller so sehr vom Efferds Gaben und Wohlgesonnenheit abhängt, überhaupt schonmal jemand gewagt hätte. Man muss Efferd schließlich nicht einmal besonders nahe stehen, um sich auszumalen, dass man sich hier in seiner Hand befindet, ob man nun Fluss- oder Seeschiffer, Fischer oder Bauer ist."
Jaakon unterbricht sich kurz, als seine Frau Paane mit einem Teller dampfenden Eintopfs heran tritt um diesen vor dir auf den Tisch zu stellen und dir mit den Worten "Iss, mein Junge, solange sie heiß ist" einen guten Appetit wünscht.
Der Eintopf duftet kösztlich. Paane hat nicht an Fleischstückchen gespart und obenauf schwimmen dicke, glasige Fettaugen.
"Was wolltet ihr denn spenden, etwas wertvolles? Ich denke, das meiste, was da in den Tempelräumen an Opfergaben herum steht, ist ziemlich wertloser Plunder. Der Geweihte Koj sagt auch immer, es käme nicht auf den eigentlichen Wert der Opfergabe an, sondern darauf, es mit Liebe zum Herren der Winde und Wellen im Herzen zu spenden. Aber es gibt bestimmt auch wertvolle Gaben, dam mögt ihr recht haben."
"Jaakon, nun lass den Jungen doch auch mal essen und langweile ihn nicht mit deinen Geschichten!", ruft in diesem Moment die Wirtsfrau aus der Küche in die Schankstube.

Daanje Firunkis

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Neersand
« Antwort #19 am: 18.09.2010, 17:25:57 »
Daanje ertrinkt bald in dem wohligen Gefühl, dass der zwar etwas trockene, aber dennoch schmakhafte Wein und der Eintopf in ihm auslösen. Trotzdem lässt er sich nicht davon abbringen, Jaakon aufmerksam zuzuhören. An sich gibt es also kaum wertvolle Opfergaben, das überrascht ihn. Wer würde eine wertlose Rüstung stehlen? Ob vielleicht doch ein adliger Bursche eine gute Rüstung gestiftet hatte und diese nun wieder haben wollte? Zum Erscheinungsbild des einen Kerles würde es zumindest passen. Nicht auszuschließen, dass der andere ein Diener von ihm gewesen war.

"Keine Sorge, werte Frau, ich finde es nicht langweilig, ganz im Gegenteil. Im Übrigen ist der Eintopf wirklich vorzüglich! Ich wünschte, unser Koch hätte eure Begabung, meine Dame!" Dann wendet er sich wieder mit ernstem Gesicht an Paanes Mann. "Nun, ich denke, meine Herrin wird entscheiden, wie wertvoll die Gabe ist, wenn sie sicher sein kann, dass sie nicht gestohlen wird. Aber Ihr habt mir ja versichert, dass das wahrscheinlich nur sehr selten vorkommt und dass der Herr Efferd denjenigen wohl ausreichend strafen würde. Ich denke, das werde ich ihr auch so berichten. Aber..." Daanje schluckt einen Löffel Eintopf genüsslich hinunter. "Eine Frage noch, habt Ihr schon mal einen jungen, gut gekleideten Mann mit langen schwarzen Haaren gesehen? Ich weiß, die Beschreibung ist nun nicht gerade detailliert, aber vielleicht war er in Begleitung eines großen stämmigen Kerls mit kurz geschorenem Haar. Ich glaube, der gut gekleidete Mann könnte durchaus aus besseren Kreisen kommen. Ein einfacher Handwerker jedenfalls ist er nicht."
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Xiam

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Neersand
« Antwort #20 am: 19.09.2010, 15:04:27 »
Der Wirt schaut dich einen Moment an, als versuche er in deinem Gesicht zu lesen, warum du ihm diese ganzen Fragen stellst. Dann legt sich seine Stirn in Falten.
"Paane, kannst du dich noch an diese Leute erinnern, die vor einigen Wochen mal hier waren und um ein Haar Streit angefangen hätten, wenn nicht Jeron und Tervalla sie sofort vor die Tür gesetzt hätten?"
"An dem Abend, wo es so doll geschneit hat? Das muss aber schon über zwei Monate her sein", antwortet die Wirtsfrau, als sie wieder an deinen Tisch tritt. "Wieso fragst du?"
"Unser junger Gast fragte nach einem Mann mit langem schwarzen Haar, auffällig gut gekleidet, in Begleitung eines grobschlächtigen Kerls. Ich erinnere mich noch an so einen Geck, der zwar feine Kleidung auf dem Leib aber dafür überhaupt kein feines Benehmen hatte. Die waren nur einmal hier. Ich meine, da wäre auch so ein Hühne dabei gewesen. Ich hab den feinen Herren aber auch schon vorher ab und an in der Stadt gesehen, hinterher auch... am Markt, in der Nähe des Hafens. Passt von seinem Äußeren gar nicht zu dem Gesindel dort, dafür aber von seinem Benehmen."
"Tja, ich weiß nicht, wen du  meinst. Aber ich hab das in der Küche damals auch nicht richtig mitbekommen."
"Wie auch immer", sagt der Wirt wieder zu dir gewandt, "keine Ahnung, ob das die sind, die ihr meint. Solches Gesindel treibt sich eher im 'Edlen Schiffer' herum", fügt er noch mit einem Augenrollen hinzu.
« Letzte Änderung: 19.09.2010, 15:05:49 von Xiam »

Daanje Firunkis

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Neersand
« Antwort #21 am: 19.09.2010, 16:37:50 »
"Im 'Edlen Schiffer' ja? Das ist interessant." Daanje bemerkt den kritischen Blick des Wirtes und denkt sich rasch eine neue Lüge aus. Er will dem Wirt nicht unbedingt auf die Nase binden, dass der Efferd-Tempel vielleicht bestohlen wurde. Er hat irgendwie das Gefühl, es besser für sich zu behalten, um auch keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, wobei sich ein Bild zusammen fügt. "Zumindest passt die Beschreibung von dem Benehmen des Mannes sehr zu meinem Eindruck. Ich bin ihm vorhin begegnet und er hat mich rüde angerempelt, ohne sich danach zu entschuldigen."

Daanje schlürft seinen Eintopf weiter, sieht dann Jaakon mit einem freundlichen Blick an und meint: "Habt vielen Dank für Eure Hilfe und für die gute Speise und den hervorragenden Wein. Ich werde Euer Lokal gerne weiter empfehlen, wobei ich glaube, dass Ihr bei dieser Art von Bewirtung wohl reichlich Gäste Euer Eigen nennen dürft. Es schmeckt wirklich vorzüglich. Sagt, kann man bei Euch zufällig auch Zimmer reservieren? Wenn meine Herrin sich entscheidet, einmal her zu kommen, würde ich das gerne tun. Sie wäre sicher sehr erfreut, hier eine schöne Unterkunft zu finden."

Während sich Daanje mit dem Wirt unterhält, ziehen sich seine Gedanken über den Vorfall ein wenig in sein Unterbewusstsein zurück und er beginnt, den Abend einfach angenehm verstreichen zu lassen. Nach seinem Essen und der Unterhaltung mit dem Wirt zieht er sich auf sein Zimmer zurück und schreibt dort noch einen ersten Brief an seine Herrin, den er morgen einem Boten mitgeben wird, bevor er sich ins Bett legt und recht bald einschläft.
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Xiam

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Neersand
« Antwort #22 am: 20.09.2010, 10:45:13 »
"Vielen Dank für das Lob und empfehlt uns gerne weiter", strahlt der Wirt, "auch wenn für so hohe Gäste vielleicht eher das Hotel Residenz angemessen wäre. Wir haben ja ein eher bescheidenes Haus."

Am nächsten morgen wird Daanje durch den Hahn geweckt, als die Sonne ihre ersten Strahlen durch die tief hängende Wolkendecke schickt. Auf dem Nachttisch findet er eine Schüssel vor und in einem Krug daneben Wasser, mit dem er sich kurz waschen kann. Als er erfrischt in den Schankraum herunter kommt, ist die Wirtin gerade dabei, die Fensterläden zu öffnen.

"Guten morgen, mein Junge. Darf es ein Stück Brot mit Honig zum Frühstück sein? Ich habe außerdem heißen Kräutertee bereit."

Daanje Firunkis

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Neersand
« Antwort #23 am: 21.09.2010, 00:35:04 »
Daanje kommt gähnend im Schankraum an und wird rot, als die Wirtin ihn sogleich dabei überrascht. Entschuldigend meint er: "Auch Euch einen guten Morgen, liebe Frau, ich nehme gern von dem mir angebotenen." Als er sich an einen Tisch gesetzt hat, streckt er sich ausgiebig und erinnert sich an die vor ihm liegenden Aufgaben. Eigentlich sollte er heute einiges für seine Herrin erledigen, aber das wird wohl warten müssen. Zuerst will er zum Efferd-Tempel, um dort dem Bewahrer noch einmal Bericht zu erstatten und sollte es sich ergeben, wird er wohl mal im 'Edlen Schiffer' vorbei schauen und gucken, ob er dort nicht etwas über diesen komischen Kerl heraus finden kann, der wohl nicht nur gestern Nacht Unruhe gestiftet hat. Aber zuerst will er kurz sein Frühstück genießen und den Tag nicht sofort wieder mit Stress beginnen. Er mag ja gewissenhaft sein, aber man muss es ja auch nicht übertreiben.
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Xiam

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Neersand
« Antwort #24 am: 21.09.2010, 10:24:27 »
Das Brot ist frisch und der Honig süß. Der Tee schmeckt kräftig nach Wildkräutern und wirkt tatsächlich etwas belebend, so dass die müden Geister sogleich aus Daanjes Kopf vertrieben werden.

Langsam kommt Leben in die kleine Stadt am Walsach. Draußen rumpelt gerade ein Karren vorbei, auf dem wahrscheinlich Waren für den Markt heran gebracht werden.
"Der Markt ist natürlich nicht so groß, wie in Festum, und warscheinlich gibt es auch nicht so ein großes Angebot. Ehrlich gesagt, seit dem Krieg und seitdem die Schwarzen Lande zwischen uns und dem Rest der Welt liegen, ist es selten geworden, dass wir hier exotische Waren aus den südlichen Landen erhalten. Und wenn, dann sind sie teuer", erklärt ihm die Wirtin beim Abräumen.
« Letzte Änderung: 21.09.2010, 10:26:17 von Xiam »

Daanje Firunkis

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Neersand
« Antwort #25 am: 21.09.2010, 12:14:39 »
Daanje genießt sein Frühstück, das von der Qualität her nahtlos an das gestrige Abendbrot anschließt, und lauscht schließlich den Worten der Wirtin, denen er nur zustimmen kann. Zwar ist seine Herrin immer schon gegen südliche Waren gewesen und so ist die Verpflegung zuhause immer relativ einfach geblieben, aber Daanje weiß um die Komplikationen. "Nachvollziehbar, wenn die Händler nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das ihrer Bediensteten und der Wachen, die sie noch dazu bezahlen müssen, aufs Spiel setzen. Mir wäre das auch einiges an Aufschlag wert."

Daanje fährt sich über das inzwischen stoppelig gewordene Kinn. "Na, wenn ich heute die Zeit finde, schaue ich aber trotzdem mal auf dem Markt vorbei, wenn Ihr ihn denn schon ansprecht. Vielleicht lässt sich ja das ein oder andere an Waren für meine Herrin auftreiben." Daanje lässt sich beim Plausch mit der Wirtin noch ein wenig Zeit und übergibt ihr dann fünf weitere Kreuzer für das Essen und die freundliche Bewirtung, bevor er ihr einen Handkuss gibt und sich mit einem freundlichen Lachen auf den Weg zum Efferd-Tempel macht.
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Xiam

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Neersand
« Antwort #26 am: 21.09.2010, 15:35:12 »
Du hast dich wieder am Efferd-Tempel eingefunden. Von seinem Grundriss her ähnelt das Gebäude den umliegenden  Lagerhallen. Es handelt sich um einen langgestreckten Holzbau, doch man hat ihm ebenfalls hölzerne Anbauten hinzugefügt, die vage an Bug, Masten und Heck eines Schiffes erinnern, das Kurs auf den Fluss und den Strudel - dem namensgebendem Neer - genommen hat. Von innen hast du ihn gestern Nacht bereits gesehen. Jetzt im Tageslicht ist die Atmosphäre freundlicher und weniger geheimnisvoll, aber noch immer fühlt man sich wie unter der Wasseroberfläche – wie an Bord eines Schiffes, das nahe der Küste versunken ist.

Koj, der Geweihte von gestern Nacht, erwartet dich schon. Er führt dich nach einem freundlichen Morgengruß zu dem Tempelvorsteher Jesidoro de Sylphur. Der Bewahrer von Wind und Wogen ist jung für einen Mann in seinem Amt, Anfang dreißig vielleicht. Das lange schwarze Haar hat er zu einem schlichten Zopf zusammengenommen. Viel mehr siehst du zunächst auch nicht von ihm, denn er steht an der heiligen Delphinstatue, Stirn und Handflächen fest auf den Stein gepresst. Nach geraumer Zeit erst dreht er  sich zu dir und Koj um. Sein gebräuntes Gesicht – glänzend von dem Wasser, das stetig an der Statue hinunterrinnt –
wirkt wie der Horizont auf hoher See: zunächst nur ein paar kleine, aber bedrohliche Wolken weit entfernt, die immer rascher heranziehen, bis dann der wütende Sturm losbricht. Jesidoro sagt: "Efferd ist ewig, und dies ist Sein Haus. Und nun hat jemand Feuer hineingetragen!"

Daanje Firunkis

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Neersand
« Antwort #27 am: 22.09.2010, 06:26:32 »
"Das ist wohl wahr, Bewahrer de Sylphur", antwortet Daanje ruhig und besieht sich den Mann genau, den er vor sich hat. "Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Daanje Firunkis, Botenreiter der Herrin Laikis. Ich bin gestern durch Zufall Zeuge geworden, wie das Feuer aus Eurem Tempel wieder hinaus getragen wurde. Ich berichtete gestern bereits Posan von Neersand und dem verehrten Geweihten Walsareff von meinen Beobachtungen." Daanje geht ein wenig auf und ab, während er das, was er weiß, noch einmal kundtut. "Ein gut gekleideter junger Mann mit schwarzen Haaren verließ in Begleitung eines groß gewachsenen, stämmigen Kerls mit kurzgeschorenem Haar den Tempel des Herrn Efferd durch den Hintereingang. Sie trugen eine Rüstung und einen Helm, und leider auch eine Fackel, bei sich. Ich sprach die beiden an, als ich sie sah, doch sie flüchteten vor mir. Ich warf von außen, ohne den Tempel zu betreten, einen Blick in den Tempel, konnte aber nichts erkennen und dann hat mich der Leiter der hiesigen Kriegerakademie auch schon dazu aufgefordert, mich zu Eurem Geweihten zu begeben."

Daanje bleibt in der Nähe der Delphinstatue stehen, streckt die Hand flüchtig aus, berührt aber die Statue nicht und wendet sich stattdessen wieder dem Bewahrer zu. "Nun", er nimmt die Hände auf den Rücken. "Mir sind die Namen der Männer nicht bekannt, aber der Wirt meiner hervorragenden Unterkunft erzählte mir am gestrigen Abend, dass er bereits mit einem solchen Mann in Kontakt gekommen ist. Er war sich nicht sicher, ob es sich wirklich um selbigen gehandelt hat, aber von meiner Beschreibung und dem Benehmen des Mannes her, wäre es denkbar. Anscheinend treibt dieser Mann sich öfter am Hafen herum und könnte sich wohl in dem Gasthaus zum 'Edlen Schiffer' aufhalten."

Wieder geht Daanje auf und ab und bleibt schließlich, auf den Zehenspitzen wippend, stehen. "Ich habe zwei Theorien. Denkbar ist, dass der Mann selbst eine Rüstung dem Herrn Efferd gespendet hat. Dafür spricht, dass er sich am Hafen öfter aufhält, eventuell eine Art Seemann ist und den Segen Efferds benötigt, wie es aber hier in der Stadt Gang und Gebe zu sein scheint. Der Mann hängt aber vielleicht doch sehr an dieser Rüstung und wollte sie zurück holen. In diesem Falle würde sich der Herr Efferd mit Sicherheit selbst um den Frevler kümmern." Daanje bleibt endlich ruhig stehen und setzt so seine Rede fort. "Meine zweite Theorie erscheint mir aber beinahe näher an der Wahrheit zu sein. So nehme ich an, dass die Gesuchten bei einer Opfergabe dabei waren oder aber durch Zufall mitbekamen, wie jemand eine wertvolle Rüstung gespendet hat. Wenn die beiden Herren zu dem Gesindel gehören, mit dem sie sich scheinbar abgeben, ist es gut möglich, dass sie die Möglichkeit ergreifen wollten, um an Geld zu kommen. Zugegebenermaßen muss ich jedoch anmerken, dass auch diese Theorie einen Haken hat. Warum gerade diese Rüstung? Warum nicht noch mehr mitnehmen? Warum sich überhaupt die Mühe machen, in den Tempel einzubrechen? Taschendiebstahl zahlt sich vermutlich mehr aus und man weiß ja auch nie, was für Geschäfte unter der Hand getätigt werden, nicht wahr?"

Daanje kann einfach nicht ruhig stehen und beginnt wieder zu laufen. Wahrscheinlich ist es der Druck und die Peitsche seiner Herrin, die ihm immer im Nacken sitzen. "Vielleicht könnt Ihr ein paar dieser Fragen beantwortet, Bewahrer de Sylphur. Zum Beispiel würde es mich interessieren, ob es womöglich einen Herren oder eine Dame gab, die vor kurzem eine wertvolle Rüstung gespendet hat. Außerdem fände ich es wichtig, was mit den Opfergaben nach der Spende passiert. Sie ewig hier aufzubewahren, ist wahrscheinlich irgendwann nicht mehr sehr platzsparend. Und, was ich noch entscheidender finde, ist der Tempel aufwändig gesichert? Haben diese beiden Männer womöglich sogar eine speziell gesicherte Tür am Hintereingang überwinden müssen? Wenn ja, sind sie gut ausgerüstet und vermutlich nicht gänzlich neu bei der Sache."
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Xiam

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Neersand
« Antwort #28 am: 22.09.2010, 09:13:22 »
"Entschuldigt", sagt der Bewahrer zu dir auf deine Fragen, "dass ich eure Fragen nicht sofort beantworte. Koj wird euch gleich auf alles Rede und Antwort stehen. Doch zuerst muss etwas anderes getan werden."

Du lässt deinen  Blick durch den Tempel schweifen. Die scheinbare Unordnung, in der die Opfergaben im gesamten Tempel verteilt sind – an Wänden, auf dem Boden, in Netzen von der Decke oder Stützbalken baumelnd –, hat bei genauerem Hinsehen sehr wohl ein System. Alle Gegenstände an dieser Stelle sind in irgendeiner Form der Herrin Rondra nahe – ob das nun Waffen sind, die ein Krieger aus Dankbarkeit für seine Rettung aus einem Sturm gestiftet hat, Rüstungen, die aus einem sinkenden oder gestrandeten Schiff geborgen wurden, oder kleine Löwinnenstatuetten, aus Treibholz geschnitzt.

Jesidoro führt dich zum Altar des Tempels: dem flachen Becken, in dem die Delphinstatue steht, an die er sich vorhin gelehnt hatte. Der Stein glänzt, weil stetig Wasser an ihm herabrinnt. Der Bewahrer reicht dir ein perlmuttfarbes, schimmerndes Muschelhorn und spricht: "Wollt ihr es mit Efferds Gabe füllen?"
Dann wendet sich sein entrückter Blick zu der Statue.

Daanje Firunkis

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Neersand
« Antwort #29 am: 23.09.2010, 00:37:21 »
Daanje versteht, dass es keine Frage, sondern vielmehr eine Aufforderung ist. Zwar würde er jetzt lieber über die Diebe reden, anstatt Efferd zu huldigen, aber es ist wohl nötig und vielleicht ist es gar nicht schlecht, wenn er den Gott auf seiner Seite weiß. Er nimmt Jesidoro das Muschelhorn aus der Hand, deutet eine kurze Verbeugung dem Bewahrer gegenüber an und fühlt das Horn mit Wasser. Er ist ruhig, weil er das Gefühl hat, ansonsten eine Zeremonie zu stören. Wenn er etwas dabei hätte, was er entbehren könnte, würde er es spenden, doch im Moment braucht er all seine Ausrüstung, zumal er nicht weiß, was womöglich später noch im 'Edlen Schiffer' auf ihn zukommt. Und so wartet er ab, was der Bewahrer nun tun würde.
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