Allerdings verstehe ich immer noch nicht so ganz die vermeintliche Schuldigkeit von Alfred und Emil. Das ist vielleicht aber auch meinem persönlichen Rechtsverständnis geschuldet. Emil wurde gezwungen den Vertrag zu transportieren, woran ja auch niemand zu zweifeln scheint. Das einzige was man den beiden vorwerfen kann ist, dass sie den Vertrag nicht sofort den Behörden übergeben haben, allerdings ist dies auch hier weniger aus schädlicher Absicht, sondern vielmehr aus der unüberblickbaren Situation entstanden. Klar kann ich verstehen, dass man, wenn man pedantisch ist, daraus schon einen juristischen Strick drehen kann, aber prinzipiell ist dies doch eine Lapalie oder? Und dazu gleich eine Frage: Könnte sich diese Lapalie bei einer "einsichtigen Handlungsweise" von Seiten der Nobels nicht für die Preußen in Wohlgefallen auflösen? Der Herzog hat doch bald sowieso keine Handhabe? Und wenn ja, könnte Carl dies anbieten oder würde er da seine (nicht vorhandenen) Befugnisse überschreiten?
Die Schuldigkeit Alfreds und Emils verstehe ich (und mein Charakter ebenso) mittlerweile als ein Trickmittel des Herzogs, um die Nobelbrüder nach Emkendorf zu befördern, ohne dass die beiden bei den Preußen landen. Der Herzog selbst gab diese Absicht zu, jedoch bleibt natürlich fragwürdig, ob er prinzipiell bereit war, den Haftbefehl zurückzuziehen, oder für den Fall, dass Alfred sich unkooperativ zeigen würde, an ihm festzuhalten:
[Herzog Friedrich zu Alfred Nobel in seiner Begrüßung:]
"Verzeihen Sie mir auch den Haftbefehl. Ich konnte Ihn nicht zurückziehen, sondern musste verhindern, dass die Preußen Sie für ihre Kriegsspielchen in die Finger bekommen." Das erste Mal schaute er kurz zu von Stiehle. "Sie wissen doch, der Passus mit dem PGP[1]. Die einzige Chance, dass Sie nicht als Gefangener des Deutschen Bundes unter Preußens Willkür enden, war ein Haftbefehl meinerseits in freundlicher Kooperation. Gerne hätte ich die Sache mit Ihnen unter vier oder sechs Augen diskutiert, aber Herr von Lütjenburg hat sich Ihrer ja bemächtigt; glücklicherweise für die Kieler Freunde und nicht für Preußen. Ich hoffe, dass Ihnen der Gefängnisaufenthalt in Kiel nicht schlecht in Erinnerung bleiben wird."
Trotzdem hat Alfred die Formalität des Haftbefehls für sich und seine eigenen Zwecke ausgenutzt. Ich erinnere an seine erste Begegnung mit dem Braunschweiger und seine Reaktion auf den Befehl:
[Alfred Nobel zu dem schwarzen Braunschweiger nach Verkündung des Haftbefehls:]
"[...] ich will mich der Anklage fügen, jedenfalls so weit, bis die Unschuld meines Bruders und meiner Person geklärt ist. [...] Ich verzichte auf Widerstand, verweigere aber jegliche Aussage über meinen Bruder, meine Person oder meinen Besitz, ehe mir nicht ein Advokat gestellt wird. Ich füge mich dem Holsteinischen Gesetz."
An dieser Stelle ist für Alfred das wichtigste Ziel, Zeit zu gewinnen um die Angelegenheit zu verstehen und zu verhindern, dass er und der Vertrag voreilig beim Herzog landen. Eine Flucht scheint unmöglich bis schwierig, zum einen, da Alfred die körperlichen Fähigkeiten dazu fehlen, und zum zweiten, da der Haftbefehl für diesen Fall einen besonderen Umgang sieht:
[Der Braunschweiger verlies den Haftbefehl (Auszug):]
Alle drei Personen sind dringenst zu verhaften und zu internieren. Bei Fluchtversuchen ist Gewalt nur im Rahmen der groben Unversehrtheit zu billigen."
Um trotzdem nicht zum Herzog befördert zu werden, benutzt Alfred an dieser Stelle ein Mittel, von dem er glaubt, welchem der schwarze Braunschweiger nichts entgegenzusetzen hat: Er versucht es auf dem 'legalen' Weg. Der Haftbefehl sieht nicht vor, an welchem Ort die Nobels in Haft zu sein haben und nicht, wer die Verhaftung zu vollstrecken hat. Insofern nutzt Alfred die Möglichkeit, den Forderungen des Braunschweigers insofern formell nachzugehen - das heißt, verhaftet zu werden - und trotzdem die unterschwelligen Absichten des Braunschweigers bzw. Herzogs - die Nobels und den Vertrag nach Emkendorf zu schaffen - zu vereiteln. Ein Schlupfloch in der Auslegung des rechtlichen Haftbefehls. Deswegen auch die Kapitulation gegenüber Carl und nicht dem Braunschweiger.
An dieser Stelle muss ich gestehen, dass ich Carl für mich insgeheim auch als holsteinischen Soldaten verstanden habe und nicht als preußischen. Das war ein Fehler im Plan des Spielers, welchen der Spielleiter zum Glück ausgebügelt hat. Der Spielleiter hat die Finte zum Glück in meinem Sinne interpretiert und durch das Anrücken van Widdendorps erfolgreich durchführen lassen.
Viel mehr hat mich in der damaligen Situation die dramatische Reaktion Carls verwundert: Warum hast Du es für notwendig angesehen, Entrüstung und Ärger vorzuspielen? Nicht, dass es der Situation geschadet hätte - ich habe die Reaktion nur nicht verstanden. Im rechtlichen Rahmen der Formulierungen im Haftbefehl hätte es vermutlich genügt, wenn Carl Alfred zu van Widdendorp abgeliefert hätte (was ja auch, wie erwähnt, durch des Spielleiters Hilfe geschehen ist.)
In der jetzigen Situation geht Alfred jedenfalls auf eine ähnliche Art und Weise mit der Situation um: Er nutzt den Haftbefehl aus, um seine Ziele zu erreichen und seine Handlungen zu legitimieren. Das Ziel ist in diesem Fall die Überreichung des Vertrages an den Herzog, damit dieser sein Glück versuchen und den Vertrag mit der eventuellen Hilfe de Mezas vervollständigen kann.
[2] Das formuliert er jedoch natürlich nicht laut, denn in diesem Fall sind von Stiehle und Carl diejenigen, denen er die Finte stellen will, und von denen er glaubt, dass sie nicht (mehr?) die selben Ziele verfolgen.
Alfreds Gedanke ist dabei folgender: Wenn Alfred sowie Carl und von Stiehle anerkennen, dass Alfred ein Gefangener des Herzogs ist, dann ist es nur natürlich, wenn Alfred Nobel alles versucht, seine Freiheit zu gewährleisten und seine Unschuld zu beweisen. Um die Anerkennung der Situation durch von Stiehle zu vereinfachen spricht Alfred dabei konkret nicht von einem Schleswig-Holsteinischen Staat, da er weiß dass zumindest von Stiehle diesen in seiner jetzigen Form nicht anerkennt:
"Ich finde mich als Gefangener des holsteinischen Staates vor, Euer Durchlaucht," sprach Alfred Nobel mit fester Stimme [...].[/b]"
Zugegeben, diese Formulierung ist nicht wesentlich besser, aber immerhin ein gewisses Zugeständnis sowohl Friedrich und von Stiehle gegenüber. Die Notwendigkeit, den Vertrag dem Herzog zu überreichen - etwas, wovon Alfred glaubt, was von Stiehle (und Carl?) missfallen könnte - legitimiert Alfred daher ebenso durch den Haftbefehl.
Beide Situationen - A. Das Entwischen aus den Klauen des Braunschweigers und B. Das Überreichen des Vertrages an Friedrich bei Anwesenheit Preußens - können nur dann funktionieren, wenn die Antagonisten (Im Fall A. der Braunschweiger, in Fall B. Von Stiehle & Carl) die rechtmäßige Unanfechtbarkeit Alfreds Handlungen anerkennen, unabhängig davon, welche persönlichen Wünsche oder Absichten sie verfolgen.
So viel erst Mal. Natürlich ist diese Situation B. anders als Situation A., da hier Alfred nun einen seiner Mitspieler einem Dilemma gegenüberstellt, während es in der Situation A. "nur" ein NPC war, wodurch die Situation A. mit einem Würfelwurf hat gelöst werden können. Dir steht es natürlich frei, Finster, mit der Situation umzugehen wie Du es wünschst.
Jedenfalls hast Du aus meiner Perspektive nun noch mal die Gelegenheit Dir auszusuchen, ob Du Carl in Alfreds Erinnerung als Antagonist oder als Freund bleiben lassen willst. :)
Und ich denke, meine Motivation hier kurz zusammenzufassen gibt dem Spielleiter auch noch mal die Gelegenheit, genauer auf die Absichten Alfreds in der Reaktionen seiner (N)PCs einzugehen. :)