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Autor Thema: Casus Belli  (Gelesen 83193 mal)

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Menthir

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Casus Belli
« Antwort #225 am: 16.02.2012, 12:51:25 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 08:51 Uhr - Frau Borggrefes Haus, Unter Arrest

Die Soldaten dankten Alfred für seine Fürsorge und sagten ihm zu, für ihn die betreffenden Besorgungen und Vorbereitungen zu leisten, und auch Emil tat dies. Alfreds kleinen, chemischen Mittelchen erwiesen sich als Segen in diesem Moment für die unbedarfteren oder angeschlagenen Personen in seinem Dunstkreis. Alkoholbedingter Kopfschmerz, körperliche Gebrechen, gab es denn noch irgendwas, was die Chemie nicht zu heilen im imstande war? Diese Frage mochte man sich allen Ernstes stellen und man fand für gewöhnlich schnell Antworten. Zum einen waren dort geistige Schädigungen, welche noch nicht vollends geheilt werden konnte und die Chemie barg ihre eigenen Gefahren. Was heute noch ein Segen sein mochte, konnte grobe gesundheitliche Nachteile am nächsten Tag bringen, wenn man aus Versehen das falsche Präparat verabreichte oder man könnte die Chemie auch für furchtbare Dinge nutzen, für wahrlich furchtbare Dinge. Wissenschaft ließ sich von manchen mit Tugend in Zusammenhang bringen. Jeder wissenschaftlicher Erfolg konnte ein menschlichen Segen sein, wie eine weise genutzte Tugend ein Segen für einen oder mehrere Menschen war, doch beides konnte überstrapaziert, ausgebeutet und korrumpiert werden. Aus zu viel Tugend konnte Sünde oder Leid erwachsen und dasselbe galt für die Wissenschaft. Manche gingen soweit, dass sie Wissenschaft und Tugend für untrennbar hielten, während andere, wie Himly schon sagte, glaubten, dass die Wissenschaft frei davon sei[1]. Es blieb eine schwierige Frage, die man alleine in Emils Augen zu lesen konnte, als er trotz ehrlicher Dankbarkeit mit viel Widerwillen die von Alfred gemixten Mittelchen zu sich nahm. Wie auch Alfred kam Emil aus einer Hause, in dem die Gefahr solcher Experimente deutlich gegenwärtiger war als in einem gewöhnlichen Kieler  Durchschnittshaus. Die Faszination war groß, aber die Gefahr bekannt. Er schluckte beide Mittelchen schließlich runter, um gegen die restliche Schwäche und die Kälte anzukommen.

Emil richtete sich in seinem Bett auf, ließ die Decke jedoch trotz des Thermoregulators über den Beinen. Er blickte in seinen Schoß. „Ich weiß es ehrlich nicht, Alfred. Ich…erinnere mich an die Schüsse auf die Solros. Auf einmal war dieses Schiff hinter uns. Wir dachten erst, es würde mit uns einlaufen, auch wenn es merkwürdig aussah. Mit Eisen verstärkt…nein, aus Eisen war es, und da war dieser Schotte an Bord, der verdammt viel darüber wusste. Er erzählte uns, was für ein Monstrum dieses Schiff war und wir hörten ihm gebannt zu. Es sei das erste komplett Schiffs aus Eisen der Dänen war, stark wie 700 Pferde und es schaffte angeblich mit diesem Motor bei jedem Wetter um die 11 Knoten[2]. Ja, er erklärte uns, dass es in Glasgow[3] gebaut wurde, und er deswegen kannte. Es trotz des Eisens drei Masten und starke Segel hatte, um Kraftstoff zu sparen und den Wind bei gutem Wind nutzen zu können. Er war gerade dabei, uns zu erklären, dass sie vier wahnsinnige 60-Pfund-Kanonen an Bord hatte. Er hatte uns von allen technischen Daten erzählt und so waren wir ins Gespräch gekommen. Ich erinnere sie noch alle. Länge: 57 Meter; Breiteste Stelle: elf Meter; Tiefgang: dreieinhalb Meter, die Dampfmaschine mit einer Leistung von 520 Kilowatt, die absolute Reichweite des Schiffes von 1150 nautischen Meilen bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 8 Knoten[4]. Ja, ich erinnere mich sogar noch an den Ingenieur, der dieses Schiffs entworfen haben soll. Cowper Phipps Coles[5]! Er war gerade dabei, von den Kanonen zu erzählen, als sie zündeten. Dann ging alles drunter und drüber. Ich spürte einen Schmerz, dann wurde alles rot um mich herum, dann schwarz. Und jetzt…jetzt sitze ich vor dir.“ Emil wirkte aufrichtig und schien insofern verzweifelt, dass er sich versuchte mit Gewalt an irgendetwas dazwischen zu erinnern. Alfred kannte dieses Verhalten seines Bruders zu gut. Wenn er unsicher war, warf sich sein Bruder in das einzige, was ihm neben der Familie geistige Sicherheit gab. Er klammerte sich an technische Daten und die Mathematik, da diese Dinge faktisch waren und Grundkonstanten des menschlichen Lebens war, gerade in der Mathematik. Ein definierter Zahlenbereich oder eine Zahl mochte in unterschiedlichen Kulturen und Sprachen unterschiedlich bezeichnet werden, aber das was hinter der Zahl 2 beispielsweise stand war eine alles durchdringende Wahrheit. Bezeichnungen, Wortklaubereien, Streit, nichts änderte etwas daran, dass eine 2 im Wesen eine 2 blieb, ganz anders als Begriffe wie Schuld, Unschuld oder alle Spielarten der Moral. Es gab Emil Sicherheit, auch wenn es nur ein schmaler Strohhalm in dieser Situation war[6]. Emil schien nicht wirklich beruhigt.

Alfreds jüngerer Bruder hatte aufmerksam zugehört und als Alfred schließlich seine Ausführungen beendet hatte, die Emil mit einem Nicken oder einem schockierten Blick kommentierte, sackte er zusammen und ließ sich wieder ins Bett fallen. Wortlos rannen ein paar Tränen über seine Augen und bevor er etwas sagen konnte, klopfte es bereits an der Tür. „Herr Nobel. Ihr Frühstück und die anderen Besorgungen.“ Röschmann überreichte Alfred die Besorgungen, welche er alle erledigen konnte, einschließlich des kleinen Traktates von Albert Hänel[7]. Er lächelte freundlich mit seinem skelettartigen Kopf und bedankte sich noch einmal für das schmerzlindernde Mittelchen und betonte, wie hilfreich es an diesem Morgen gewesen sei. All das tat er in seiner typisch nuscheligen Sprache, eher er dann wieder seines Weges zog.

Gemeinsam frühstückten Emil und Alfred. Auf einem einfachen Holztablett lag eine Zeitung und Hänels Traktat in einer etwas verblätterten und sehr einfachen Druckausgabe. Darauf lagen zwei Teller und zwei Messer. Etwas Käse, der einen starken Geruch entfaltete[8] und ein kleines Gläschen mit einer dunklen Geleemasse, welche marmeladenähnlich war. Auf dem Gläschen stand Fliederbeergelee[9] in eine feinen Handschrift geschrieben darauf. Eine metallene Kanne mit einem dampfenden Saft fand sich auch darauf. Es roch ähnlich wie das Gelee. Dazu gab es relativ geschmackloses Graubrot. Jemand hatte sich dennoch Mühe mit dem Frühstück gemacht, denn ein starker Käse brauchte kein geschmackvolles, kräftiges Brot und das säuerliche, wenig süße Fliederbeergelee ergänzte den mild-würzigen Käse sehr gut. Das dampfende Getränk wärmte zusätzlich, auch wenn es Emil augenscheinlich ein wenig zu sauer war und er vom beistehenden Zuckerpott reichlich Gebrauch machte.

Die Stärkung kam Emil zu Gute und er nutzte die gefräßige Zeit des Schweigens, um sich Gedanken über das zu machen, was Alfred ihm offenbart hatte. „Ich wurde erpresst…“, presste er schließlich peinlich berührt zwischen den Lippen hervor, dass Alfred es kaum hören konnte. Vorsichtig goss er sich vom warmen Fliederbeersaft ein und kippte wieder vier Löffel Zucker in das säuerliche Getränk. „Sie kamen kurz vor unserem Aufbruch. Eine Französin, sie stellte sich als Erica Lavalle vor. Eine sehr anmutige Frau mit glänzend roten Haaren, vielleicht ein bisschen freizügig. Sie sprach fließend russisch und zeigte Interesse an einer Zusammenarbeit. Ich vereinbarte ein Treffen mit ihr. Ich…ging alleine. Vater hat immer dich für alles in Rat gezogen, aber nie mich. Ich wollte nur zeigen, dass ich nützlich sein kann, Alfred!“ Emil blickte Alfred mit traurigem Blick an. „Ich habe euch nicht Bescheid gesagt und so ging ich alleine. Wir trafen uns in einem Haus nahe des Smolny-Klosters[10]. Sie sagte, dass sie einst dort gewesen wäre und sie gerne in der Nähe des Gewohnten bei Verhandlungen sein wollte. Ich hatte zugesagt. Das Gespräch…es war eine kleine, kalte Wohnung. Sie wirkte schmutzig und nur halbherzig bewohnt. Die Tapeten fielen langsam aufgrund der Feuchtigkeit herab, sie fühlte mich unwohl. Sie versuchte mich zu beruhigen, da ich mein Unwohlsein schwerlich verbergen konnte. Ich blieb, obwohl alles in mir schrie, diesen Ort zu verlassen.“
Er hielt seine Nerven beisammen und trank einen weiteren Schluck.
„Sie hielt mich interessiert. Sie wusste viel von Technik und gab mir dadurch das Gefühl, dass ich der richtige Ansprechpartner sei. Sie wollte sich unsere Dienste sicher, und dass sie ein interessantes Projekt in Frankreich für uns hätte und dass sie interessante Daten von Giovanni Luppis[11] hätte, irgendwas über seine Torpedos[12]. Es interessierte mich brennend, ich blieb.
Und während wir Belanglosigkeiten austauschten und ich versuchte, das Eis zu brechen, überwältigten mich zwei Hünen. Ich weiß nicht, wie sie so an mich rankamen…Das Gespräch, es war nun ein anderes. Ein völlig anderes! Diese Erica, sie schlug mir mit der flachen Hand ins Gesicht und bedrohte mich. Sie schrie mich an, warum Alfred Nobel nicht erschienen sei, sondern nur ich, der nichts wert sei…“
Emil blickte wieder in seinen Schoß und wagte es nicht seinen Bruder anzuschauen. Augenscheinlich fühlte er sich sichtlich schwach.
„Dann meinte sie, dass sie dann wohl das „Beste“ daraus machen müssten. Sie drückten mir einen Vertrag in die Hand. Ich wusste nicht, was ich damit sollte. Sie sagten, dass ich ihn zu einem Mann bringen sollte, der in Schleswig residiere. Wenn ich das nicht täte…drohten sie Vater und dich zu töten, Alfred. Ich konnte nicht anders! Ich verbarg den Vertrag und versuchte mich normal zu benehmen. Ich wollte ihn hier nur nach Kiel bringen und dann sofort nach Schleswig aufbrechen. Der Adressat heißt Christian Julius de Meza[13], er würde den Vertrag in Empfang nehmen.“ Verzweiflung trat in die Augen des jungen Mannes. „Wenn der Vertrag de Meza nicht erreicht…werden sie uns töten wollen, Alfred! Uns und Vater!“
Jetzt weinte der junge Mann wieder.
 1. Wirkliche Wissenschaftsethik entwickelt sich im universitären Umfeld jedoch erst ab den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Unterschwellig gegenwärtig ist sie natürlich gerade in der Industrialisierung je nach sozialer, imperialer oder ökonomischer Schule.
 2. Knoten (Einheit)
 3. Glasgow
 4. Gemeint ist hier die Rolf Krake.
 5. Captain Cowper Phipps Coles
 6. Emils Gedankenwelt ist ein undefinierter Vorgriff auf den mathematischen Realismus nach Kurt Gödel und Paul Erdős und ein Rückgriff auf den klassischen Realismus nach Platon - Er besagt, dass mathematische Gegenstände (Zahlen, geometrische Figuren, Strukturen) und Gesetze keine Konzepte sind, die im Kopf des Mathematikers entstehen, sondern es wird ihnen eine vom menschlichen Denken unabhängige Existenz zugesprochen. Mathematik wird folglich nicht erfunden, sondern entdeckt. So wird dem objektiven, also interpersonellen Charakter der Mathematik philosophisch Rechnung getragen.
 7. Hier nochmal der Link: Albert Hänel - Aus Schleswig-Holstein an das Preußische Haus der Abgeordneten. Von einem bisherigen Mitgliede der deutschen Fortschrittspartei in Preußen und jetzigen Schleswig-Holsteiner
 8. Tilsiter
 9. Schwarze Holunder
 10. Smolny-Kloster
 11. Giovanni Luppis
 12. Torpedo
 13. Christian Julius de Meza
« Letzte Änderung: 16.02.2012, 13:06:09 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #226 am: 16.02.2012, 15:13:44 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 09:30 Uhr - Christian-Albrechts-Universität - Büro von Gustav Karsten

Gustav Karsten[1], der deutschlandweit bekannte Professor der Mineralogie und Physik, lief durch sein Büro. Weite ausholende Schritte, welche die Nervosität offenbarten, welche eigentlich seinem neuen Mitarbeiter anzumerken sein sollte. Er kraulte sich den Bart, glättete seine langen Haare, zupfte an seiner Brille, blickte von seinem Fenster aus auf die Förde, die seit diesem Morgen wieder bevölkert war. Die Vollsperrung des Hafens war aufgehoben wurden, auch auf Druck der Reeder und auf den Druck von Professor Karsten. Diese Vielzahl an Ereignissen ließ den Professor unruhig sein, denn er war Politiker und zudem Direktor des Eichwesens nördlich der Elbe. Seine Verbindungen in die Politik und gerade in preußische Gefilde waren bekannt und nun hatte er einen neuen Dozenten geworben, aus dem städtischen Herzen Preußens. Er hatte gleich versucht zu zwei Dozenten werben und die Physik zu vergrößern, neben Samuel Weissdorn hatte er ein großes Interesse an dem überaus begabten Absolventen Leo August Pochhammer[2] gehabt.
Das machte ihn vielleicht auch zurecht nervös, denn obzwar die Dänen ihm nur einen neuen Dozenten zuließen, kam dieser noch immer aus Berlin und er würde gleich seine Antrittsvorlesung geben.
"Haben Sie alles vorbereitet, Herr Weissdorn? Haben Sie alle Papiere, alle Gedanken und alle Nerven beieinander?", fragte der nach draußen schauende Professor in seinen Rücken. "Wir haben heute einen sehr wichtigen Tag. Da sollten wir nichts, aber absolut nichts dem Zufall überlassen. Das Auditorium ist geeicht, wenn Sie es so ausdrücken wollen, Herr Weissdorn, und ich wäre sehr beruhigt, wenn Sie das zu nützen wüssten."
Der Professor kam selbst aus Berlin und hatte noch immer einen guten Draht dorthin, das war vielen ein Dorn im Auge. Deshalb hatte der Professor nur ausgewählte Studenten und Dozenten zur Eintrittsvorlesung eingeladen und dies damit begründet, dass nur ein begrenzt großer Hörsaal zur Verfügung stünde. Alle anderen wurden sollten über das Wochenende renoviert oder es sollten dort kleinere Schäden behoben werden, doch ein Großteil der benötigten Materialien, die dafür angeschafft wurden, blieben verschollen, die Arbeiter tauchten nicht auf oder es gab bürokratische Verfahrensbehinderungen. Professor Karsten war berühmt dafür, die mechanismen der Bürokratie zu beherrschen und er hatte in der Chemie und der Jurisprudenz mächtige Verbündete, die Professoren Carl Himly und Albert Hänel. Zusammen waren sie sowas, wie das subtile Schreckgespenst dänischer Verwaltungsversuche. Aber man durfte sich nicht täuschen, viele Studenten und Jungdoktoren kannten den Kampf der 48er gar nicht mehr oder strebten diesem entgegen oder verstanden ihn schlichtweg nicht, oder was viel schlimmer war: sie waren prodänisch. Der Professor hoffte, dass er in Weissdorn eine gute Wahl getroffen hatte, doch die letztendliche Ungewissheit darüber, sie ließ ihn zusätzlich an Nervosität gewinnen.

"Schauen Sie sich die Förde an. Endlich fahren wieder Schiffe und verhindern zumindest kurzfristig, dass eine Fahrrinne frei bleibt. Stellen Sie sich das vor, da versucht ein einfacher Soldat einem Meeresforscher zu erzählen, dass eine geringe Menge Schadstoffe reichen würde, um eine ganze Förde, ein dauernd in Bewegung seiender Wasserkreislauf, zu einem gefährlichen Gebiet zu machen und im Dialog beruft er sich dann auf das Lametta auf seiner Schulter. Autoritätsargumente[3], mein lieber Herr Weissdorn, sparen Sie sich diese bitte. Sie wissen schon, dieses «Wasser kommt nur in flüssiger Form vor und das ist deswegen richtig, weil ich einen Doktor vor meinem Nachnamen trage.» Dieses Beispiel mag trivial klingen, aber Sie werden in Ihrer kurzen und doch so beeindruckenden Laufbahn genau diese Erfahrung gemacht haben, dass frevelhafte Wissenverschachteler so tun, als würde ihr Rang ihr Unwissen korrigieren. Kennen Sie den Eramus von Rotterdam[4] und sein moriae encomium[5]? Ein wirklich großartiges Buch und es zeigt uns, dass die Wissenschaftler, Theologen und Politiker im 15. und 16. Jahrhundert nicht anders waren als sie heute auch sind. Das Ziel kann es also nicht sein, mein lieber Herr Weissdorn, ein Wissenschaftler zu sein, sondern sich als solcher von der grob, unschlachten Masse abzuheben, sowohl in der Qualität als auch im Schaffen. Ihre ungewöhnliche Vita ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.", bemerkte der Professor und befühlte damit die Verfassung seines neuen Schützlings, in dem er ihm einen wohlgemeinten Rat mit auf dem Weg gab. "Ich sage ja auch nicht allein: ich bin Meeresforscher, deswegen ist dies mit der Förde Schwachfug. Ich lege auch die Beweise dafür vor, weil intelligente Menschen machen sich nichts aus Autoritätsargumenten."
Samuel hatte schon gehört, dass Gustav Karsten ein Mensch war, der sich viel und gerne rechtfertigte. Das brachte politische Partizipation wohl mit sich und zudem war er einer der Nachfolger des großen Kieler Ehrenbürgers Christoph Heinrich Pfaff[6], welcher aus einer großen Forscherfamilie kam, das Apothekenwesen reformiert hatte und auch sonst noch immer präsent in Kieler Forschungsleben war, obwohl er seit inzwischen elf Jahre begraben lag. Jeder verglich Karsten mit Pfaff, obwohl sie unterschiedliche Bereiche in der Physik absteckten und unterschiedliche Charaktere waren. Karsten kam nachdem Pfaff 1845 sein Lehramt aufgab als Zwischenkandidat und übernahm dann 1847 dann die Geschäfte komplett, sechszehn Jahre der Rechtfertigungspflicht im wissenschaftlichen, politischen und organisatorischen Sinne hatten tiefe Furchen im Charakter Karsten entstehen lassen, die ihn für manche sympathisch, für viele aber auch unausstehlich machte.

"Ich hoffe zudem, dass Sie sich schon ein bisschen in das beschauliche Kiel eingelebt haben. Sie sehen ja, es ist wirklich pittoresk[7] während des Winters, wenn man die Kälte zu ertragen weiß. Normalerweise ist es hier im Winter aber angenehmer als in Berlin, das kann ich Ihnen versichern. Wahrscheinlich wird dieses Wetter nur zwei, drei Tage anhalten und dann sehen wir wieder Milde. Aber dann bricht das politische Unwetter wieder los. Lesen Sie jeden Tag fleißig Zeitung? Heute ist es soweit. Man entscheidet im Bund über die Bundesexekution, das bedeutet, da der dänische König auf Fürst im deutschen Bund ist, kann er bezüglich Holsteins wie ein deutscher Fürst behandelt werden und nicht wie ein dänischer König, zumindest rechtlich. Und so kann er dazu gebracht werden, wie ein Hund zu spuren, wieder nur rechtlich. Aber das wäre ein wichtiges Zeichen, ich würde es fast schon als politisches Fanal[8] bezeichnen. Sie sehen, heute ist ein bedeutender Tag. Ein Tag, der vielleicht über Krieg oder Frieden entscheidet. Ja, lassen Sie mich das zitieren, was mein alter Geschichtslehrer in seiner ersten Stunde mit uns sagte, als wir den Klassenraum betraten. «Meine Herren, Sie lernen nicht nur Geschichte, Sie erleben Geschichte.» Sprüche, die einen für das Leben prägen. Was halten sie von den politischen Verwerfungen? Sie werden diese...Sache sicherlich beobachtet habe, als Sie sich für Kiel entschieden, nicht wahr?"
Der Professor drehte sich wieder um und setzte sich auf seinen Stuhl und nahm einen Bleistift, mit dem er zu hantieren begann, gespannt wartete er auf eine Antwort, während die Sekretärin schon warmenen Hagebuttentee brachte und Samuel und Gustav eingoss und jeweils zwei Kekse dazulegte. Mit einem Nicken entließ Karsten die Sekretärin und widmete sich wieder Samuel. Dieser konnte sehen, dass dem Professor kalt war, was aufgrund der niedrigen Temperatur nicht verwunderlich war. Der kleine Ofen, der in diesem tristen Raum, der Schreibtisch, drei Stühlen und einem ächzenden, wandlangen Bücherregal zu bestehen schien, der einzige Akzent war, konnte kaum etwas daran ändern, auch wenn die Temperatur in Karstens Büro verglichen mit der im Hörsaal schon als tropisch bezeichnet werden konnte. Der kleine, dünne Professor nahm vorsichtig einen Schluck vom heißen Tee.
 1. Gustav Karsten
 2. Leo August Pochhammer
 3. argumentum ad verecundiam
 4. Erasmus von Rotterdam
 5. Lob der Torheit
 6. Christoph Heinrich Pfaff
 7. malerisch
 8. Fanal
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Conrad Rosenstock

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Casus Belli
« Antwort #227 am: 16.02.2012, 20:01:41 »
Conrad selbst hält auch von Söldnern nichts und die Kritik von Carl hatte schon etwas. Erst musste Mr. Munro erklären, wem seine Loyalität nun tatsächlich galt. Conrad selbst hält sich erst einmal zurück. Er schaute gespannt zwischen Carl und Mr. Munro hin und her.

Samuel Weissdorn

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Casus Belli
« Antwort #228 am: 16.02.2012, 20:49:36 »
Es schien tatsächlich eher, als wäre Samuel der Direktor und Karsten der neue Dozent: Während sein neuer Arbeitgeber nervös auf und ab lief, saß Samuel ruhig und selbstbewusst im Stuhl und hörte sich die Worte des Wissenschaftlers an. "Autorität", erklärte er, "entsteht aus drei Quellen: Der Wahrheit, der Hilflosigkeit oder aus sozialer Vereinbarung."

Er lächelte, eher um sein Gegenüber zu beruhigen, als aus Amüsement. "Da die Studenten kaum gefesselt und geknebelt sein werden, kann man Hilflosigkeit wohl ausschließen. Soziale Vereinbarung benötigt das Einverständnis beider Seiten, so wie bei einem Priester, der im Tausch für Autorität ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit vermittelt. Doch der Grund für die Studenten, die Vorlesung zu besuchen, sollte der Hunger nach Wissen und Wahrheit sein. Würde ich mich also auf irgendetwas anderes als auf Erkenntnis berufen, würde ich zwangsläufig scheitern - oder ein Pfaffe im Gewand eines Wissenschaftlers werden, was für mich persönlich dem Scheitern gleichbedeutend wäre."

Samuel ließ seine Worte ein wenig im Raum stehen, bevor er weiter sprach. "Aus eben diesem Grunde habe ich auch keine Mitschrift. In vielen Köpfen steckt der Irrglaube: Was geschrieben steht, muss wahr sein! Brächte ich Papier in die Vorlesung, würde ich den Eifer des Hinterfragens bremsen. Alles, was ich benötige, ist ein durchdachtes Thema und das Wissen in meinem Kopf, der Rest ist logische Fortführung."

Mit einem Blick aus dem Fenster nickte er Karsten beruhigend zu. "Ich habe die meisten Winter meines Lebens ohne den Schutz von vier Wänden verbracht, insofern ist dies mehr Wärme, als ich zu dieser Jahreszeit gewohnt bin. Machen Sie sich um mich keine Sorgen - ich passe mich den Notwendigkeiten an, wie sie kommen, ob in einer Vorlesung, bezogen auf das Wetter oder auf die Politik. In letzterem verfolge ich die Geschehnisse natürlich, doch haben sie bisher wenig Einfluss auf mein Handeln. Was auf der politischen Bühne geschieht, ist ein Schauspiel von solcher Komplexität, dass sich durch einen begrenzten menschlichen Geist kein sicheres Ergebnis ableiten lässt, nur Wahrscheinlichkeiten. Doch was nützt mir die geringere Wahrscheinlichkeit eines Krieges an einem anderen Ort, wenn ich dort von einem Halunken nächtens überfallen werde? Welche Dinge uns erwarten, lässt sich niemals genau sagen, und so gehe ich stets den Weg, den ich für den Richtigen halte, auch wenn die Umstände ungünstig wirken."

"Wenn Sie meine Meinung hören wollen, so sage ich: Ein Krieg ist sehr wahrscheinlich. Wir sind inmitten eines Labors mit brodelnden Flüssigkeiten, von denen einige äußerst explosiv sind. Es sind die Fähigkeiten der politischen Chemiker, und ihre Schnelligkeit im Handeln, die über Glück und Unglück entscheiden werden. Oh, und natürlich ihr Wille. Den einen oder anderen wird es geben, der sich auf die Explosionen freut."

Samuel beobachtete Karstens Reaktionen ein wenig, während er sprach. Allzu viel Aufmerksamkeit schenkte er ihm nicht, da er sich recht sicher war, den richtigen Ton getroffen zu haben - aber vielleicht konnte er dennoch ein paar wichtige Rückschlüsse ziehen.[1]
 1. Sense Motive: 15
« Letzte Änderung: 16.02.2012, 21:15:47 von Samuel Weissdorn »

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #229 am: 17.02.2012, 21:21:11 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 09:35 Uhr - Christian-Albrechts-Universität - Büro von Gustav Karsten

Es war nur noch eine Dreiviertelstunde, dann würde Samuel Weissdorn seine erste Vorlesung halten. Was würden die Studenten davon halten? Was würden die Dozenten davon halten? Spielte es eine Rolle, was altgediente Professoren wie Carl Himly oder Gustav Karsten davon hielten, solange die Vorlesung selbst keine bodenlose Frechheit oder ein Affront war?
Gustav legte den Bleistift nieder und blickte zu Samuel, wobei der rechte Fuß weiter nervös auf dem Boden tippelte. Es war nicht so, dass Samuels stoische Ruhe den Professor zu mehr Unruhe veranlasste, aber er kontrastierte den Professor doch bezeichnend.
"Autorität ist ein sehr komplexes Thema, mein lieber Herr Weissdorn, aber grundsätzlich vermag ich Ihnen recht zu geben. Sie brauchen eine gewisse Natürlichkeit, um sich die Autorität zu wahren, die Sie benötigen. Eine beflissene Lockerheit, gerade da der Wissenschaftskritiker vor dem Herrn im Raum sein wird. Ich möchte Sie nicht nervös machen, aber Sie kennen den Ruf von Carl Himly sicherlich?" Gustav strich sich mit der linken Hand durch den Bart und tippelte mit den Fingern der rechten Hand rhythmisch auf dem hölzernen Schreibtisch, während er sich den neuen Dozenten besah.
"Da benötigen Sie wahrlich ein durchdachtes Thema und das Wissen und eine gewisse Rhetorik, wenn Sie nicht mit Papier glänzen können. Papier ist den meisten Menschen nämlich heilig. Sie sehen es im Rahmen der menschlichen Entwickung und im Speziellen in der wissenschaftlichen Entwicklung. Von der oralen Tradierung zur schriftlichen und bleibenden Weitergabe von Wissen. Ihre aufgezeichneten Vorlesungen lassen sich nicht nur so archivieren, sie können sogar schneller und eher Vorlage Ihres nächstes Hauptwerkes sein. Aber wenn Ihnen der spontane Impuls wichtiger ist, dann kann ich das respektieren. Sich dann nicht vom Moment davongleiten zu lassen, wie ein Ikarus[1] der Aeronautik[2], ist eine formidable Kunst, mein lieber Herr Weissdorn."
Gustav Karsten zeigte ein nüchternes Lächeln und Samuel spürte, dass der Professor ihm gegenüber nicht missgünstig, aber auch nicht wirklich wohlwollend war. Dieses Gespräch war kein lockeres Gespräch, aber ebenso wenig ein stocksteifes, auch wenn der Professor so wirkte. Seine Nervosität war eine durchaus untergründig Strenge und so langsam konnte Samuel dies in den Worten des Professors erkennen.
"Das Schicksal eines Albrecht Ludwig Berblinger[3], dem Flugpionier, soll ja keiner teilen. Als Held gefeiert und dann eben ein Ikarus seines Faches geworden. Aber ich habe da einiges Vertrauen in Ihre Person, dass Sie nicht solch ein Schicksal für sich erwählen."

Der Professor stand wieder auf und blickte aus dem Fenster, ließ sich ein paar Sekunden Zeit, ehe er weiter antwortete. Kurz kaute er an einem Fingernagel, ehe er wieder auf die teilgefrorene Förde schaute. "Haben Sie, mein lieber Herr Weissdorn, jemals «Der Einzige und sein Eigentum[4]» von Max Stirner gelesen? Dieses Werk ist unglaublich schwer zu bekommen, da es im Vormärz[5] verboten wurde. Aber Ihre Worte erinnern mich an dieses Werk. Sollten Sie es nicht kennen, werde ich Ihnen die Abschrift eines Kapitels schicken lassen, sobald Sie sich eingelebt haben. Es ist wirklich interessant."
Der Professor drehte sich wieder um und setzte sich wieder hin, einen ruhenden Pol hatte dieser Mann mit seiner kleinen Brille scheinbar nicht, an der er unablässig zupfte.

"Ja, Sie haben zweifelsohne recht. Ein Krieg ist so furchtbar wahrscheinlich, ein Durchkommen der Bundesexekution ist gleichbedeutend mit einer stillen Kriegserklärung an Dänemark und es gibt massig Menschen, die sich auf diesen Knall freuen. Fragen Sie den Professor Hänel danach, der kann Ihnen ein Lied davon singen. Das müssen wir in Betracht ziehen und deswegen ein freundliches Wort der Warnung, mein lieber Herr Weissdorn. Sie haben offiziell einen dänischen Dienstherren, da Christian IX. der Herzog von Holstein ist, auch wenn Sie sicher wissen, dass sich in Schleswig-Holstein ein eigener Herzog ausgerufen hat und vom Deutschen Bund grundsätzlich anerkannt wird. Da Sie sich selbst als überlebensgestähltes Quecksilber bezeichnen, als amorphes Geisteswesen mit einem freien und starken Willen, mögen Sie bitte in Betracht ziehen, dass eine unflätige Äußerung gegen das dänische Haus genauso kritisch sein kann, wie zu liberale Worte einem Preußen gegenüber. Wie versprochen, das Auditorium ist geeicht, aber wir wollen es ja nicht übertrieben. Vor allem gilt dieser Hinweis auch für die spätere Zeit. Unserer Geist ist nämlich leider nicht so frei, wie wir gern hätten. Aber mit Ihrer Metapher des politischen Chemikers haben Sie das sehr gut gefasst, mein lieber Herr Weissdorn. Und dieses Fach muss man doch dieser Tage beherrschen, denn obwohl man sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen will, gerade bei diesem kalten Wetter, gilt eine der wenigen Weisheiten, die ich je von einem Literaten gelernt habe. Wie sagte der alte Dante[6] doch so gern. «Der heißeste Platz der Hölle ist für jene bestimmt, die in Zeiten der Krise neutral bleiben.»"
Interessiert blickte der Professor zu Samuel, der zusehends in ein politisches Thema gezogen wurde. Der Professor schien ihn ausquetschen oder auf Glatteis führen zu wollen. Die Nervosität des Mannes konnte nicht darüber wegtäuschen, ganz im Gegenteil, beides stand im engen Zusammenhang.
 1. Ikarus
 2. Aeronautik
 3. Albrecht Berblinger
 4. Der Einzige und sein Eigentum ist das Hauptwerk von Max Stirner
 5. Vormärz
 6. Dante Aligheri
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Samuel Weissdorn

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Casus Belli
« Antwort #230 am: 17.02.2012, 21:54:47 »
Erneut zeigte Samuel sein beruhigendes Lächeln. "Von Herrn Himly habe ich selbstredend gehört, und freue mich auf seine Anwesenheit. Ich stelle mich jedem Kritiker und hoffe, dass Herrn Himlys Anwesenheit das kritische Denken der Studenten zusätzlich anreizt. Vieles in meinen Arbeiten fusst auf bewiesenen naturwissenschaftlichen Tatsachen. Was noch Theorie ist, mag entweder bewiesen oder falsifiziert werden, in beiden Fällen ist die Konsequenz ein wissenschaftlicher Fortschritt, den ich als solchen nur willkommen heißen kann. Und verstehen Sie mich nicht falsch: Papier ist auch mir heilig, ohne solches hätte ich in dieser kurzen Zeit niemals so viel über diese unsere Welt lernen können, wie gut meine menschlich anwesenden Lehrer auch gewesen sein mögen. Und ich habe für mich auch durchaus Dinge zu Papier gebracht, als ich die Vorlesung vorbereitete. Doch in der Vorlesung möchte ich, dass die Studenten ihre eigenen Erkenntnisse zu Papier bringen, anstatt nur aufzuschreiben, was ich ihnen vorsage. Nur dann ist garantiert, dass sie verstehen, was sie aufgeschrieben haben, wenn sie ein Jahr später noch einmal einen Blick darauf werfen."

Als Karsten das Werk Stirners erwähnte, zeigte sich sofort Neugier und eine gewisse Begeisterung in seinem Blick. "Über Stirner habe ich mit meinem Doktorvater gesprochen, aber es gelang mir bisher leider nicht, sein Werk in die Hände zu bekommen. Über eine Abschrift würde ich mich sehr freuen. Habt schon jetzt vielen Dank für das Angebot."

Mit den weiteren, auf die Politik gerichteten Worten, seines Gegenübers, zeigte Samuel zum ersten Mal eine etwas deutlichere Reaktion, die jedoch eher für eine intensivere Auseinandersetzung als für Unruhe sprach. Er stand aus seinem Stuhl auf und schritt auf und ab. "Die Erklärung, von der ihr sprecht, wird meiner Ansicht nach zweifelsohne kommen. Sicher ist in der Politik sehr wenig, und es mag noch Überraschungen geben, aber eben das: Ich wäre überrascht, wenn sie nicht käme. Ob das gleich am ersten Tag zum Krieg führt, oder die Sache noch eine Weile schwelt, wird sich zeigen. In letzterem Fall bestehen vielleicht noch Chancen, großes Leid zu verhindern. Wenn nicht, bedeutet es wohl den Tod von Tausenden."

Es war zu sehen, dass dieser Gedanke schwer auf Samuels Brust lastete. Die Verschwendung menschlichen Lebens, menschlichen Geistes, war ihm zuwider. Er blickte aus dem Fenster und schüttelte den Kopf. "Und doch, den Kopf einzuziehen und die Dinge hinzunehmen kann auch nicht der richtige Weg sein. Hätten unsere Vorväter dies stets getan, würden wir heute in Ketten liegen, wer auch immer unsere Herren wären. Wenn Sie meine Arbeit gelesen haben, Herr Karsten, dann wissen Sie, dass ich mir über die richtige Art und den richtigen Zeitpunkt der Kommunikation und der daraus folgenden Kettenreaktionen im menschlichen Gefüge bewusst bin. Sie können sich sicher sein, dass ich nicht zu jenen gehöre, die eine Explosion herbeiführen wollen, doch wenn es brennt, werde ich vor dem Feuer nicht davon laufen. Auch wenn ich vielleicht wenig Erinnerung an meine Kindheit habe, ist diese Stadt meine Heimat, und ich kam aus gutem Grund hierher zurück."

Samuel blieb stehen, und dachte ein wenig über seine Worte nach. "Siehe da. Wer hätte gedacht, dass ich so entschlossen eine Position einnehme. Aber es gefällt mir, sehen wir einmal, was sich daraus entwickelt."

"Um noch einmal auf Ihr Bild des Ikarus zu kommen. Mein Ziel ist, die Leidenschaft der Studenten zu wecken, den Himmel zu erreichen, doch dabei ihren Verstand ebenso zu wecken, damit sie keinen Absturz erleben. Eben deshalb kann meine Vorlesung nicht einem vorgeschriebenen Pfad folgen, sondern muss auf die anwesenden Personen ausgelegt sein. Dies ist für mich der einzig gangbare Weg der Wissensvermittlung, von vollkommen schriftlichen Werken einmal abgesehen."

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #231 am: 19.02.2012, 13:54:59 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 09:40 Uhr - Christian-Albrechts-Universität - Büro von Gustav Karsten

Der Mineraloge nickte zufrieden und beruhigte sich nun etwas, er ging nun etwas langsamer durch das Zimmer, aber immer wieder zu Förde blickend, als würde er etwas Bestimmtes erwarten. Vielleicht wartete er auf die Ankunft eines Schiffes, doch es war keins zu sehen, welches sich dem Kieler Hafen näherte, so Samuel es von seiner Position aus beobachten konnte. Er richtete sich seine Brille und atmete durch, ging zum Ofen und wärmte sich die Hände, die er vorsichtig dabei rieb.
"Nun denn, das ist sehr erfreulich. Wirklich sehr erfreulich, mein lieber Herr Weissdorn. Da Sie sich den Auswirkungen ihrer Worte bewusst sind, werden Sie Ihre Worte auch weise wählen. Das beruhigt mich in diesen Tagen wirklich außerordentlich."

Gustav Karsten verfiel in ein unangenehmes Schweigen, auch wenn seine Worte zweifelsohne ernst gemeint waren. Es lastete irgendwas auf ihm, was ihm die Kälte in die Glieder fahren ließ und wie ein überdimensionierter Amboss auf seinem Kreuz liegen. Seine Lippen setzten irgendwelche Worte an, er hatte sie bereits geformt und das beginnende Schwingen seines Kehlkopfes entwich in einem wortlosen Ton, der in ein Räuspern überging und dann verklang. Er besann sich darauf zu schweigen und nichts zu sagen, stattdessen drehte der Professor dem Doktor den Rücken zu und blickte wieder zur Förde hinunter[1].
Er versuchte wieder an den Resten des Gesprächs anzuknüpfen.
"Wenn Sie Ihre Vorlesung an die anwesenden Personen auslegen, haben Sie sich eine Liste beschafft, wer unter anderem Ihr Kolleg besuchen wird? Jetzt nicht Person für Person, aber schon von der Masse der Zuhörer?"
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"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Donald Munro

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Casus Belli
« Antwort #232 am: 20.02.2012, 13:27:52 »
Donald hörte die Worte des deutschen Adligen. Hielt er ihn bisher für einen Verbündeten, so brachten dessen Worte die Vorurteile gegen diese Bevölkerungsschicht wieder hervor - aufgeblasen und arrogant. Höchstwahrscheinlich bewunderte er auch noch den hinterhältigen Geheimdienstmann, der es wunderbar verstand, Zweitracht in die Herzen zu säen. Er spürte das Drängen der Bestie in ihm, doch er widerstand, ihr freien Lauf zu lassen.

"Söldnermoral", ein spöttisches Lächeln umspielt Donalds Lippen. "Nun, wenigstens gestehn Sie mir Moral zu, Herr von Lütjenburg. Glauben Sie wirklich, ich würde helfen, die Attentäter zu bekämpfen und gegen einen meiner Landsmänner kämpfen, wenn ich zu den Attentätern gehören würde? Verstehe einer die Gedanken eines Deutschen. Nur glaube ich nicht, dass der Anschlag auf Betreibens meines Auftraggebers erfolgte. Durch Verrat ist mir die Möglichkleit genommen worden, meinen Schutz gegenüber meinem Clienten nicht wirksam werden zu lassen - durch Verrat in der Organisation. Es ist für mich eine persönliche Sache geworden, den Verräter zu stellen und die einzige Möglichkeit ist es, ungestört mit meinem Landsmann zu reden, denn in ihrer Gegenwart wird er nicht reden; und schon garnicht in seiner."

Sein Kopf deutete kurz in Richtung des Braunschweigers.

"Ich traue ihm nicht soweit, wie ich ihn werfen könnte. Sicherlich, er ist gut. Ohne Zweifel. Er ist informiert  und ein Meister der Intrige. Und sie hängen ihm an den Lippen, wie die Bienen am Honig."

Conrad Rosenstock

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Casus Belli
« Antwort #233 am: 20.02.2012, 14:05:13 »
Die Sache wurde Conrad letztlich doch zu bunt und er ergriff noch vor Carl das Wort gegenüber Mr. Munro.

"Aber was ist Mr. Munro, wenn sie der Verräter sind in der Organisation? Nicht, dass Sie sich spontan entscheiden, dass Sie doch auf Seiten ihres Landsmann wechseln wollen nach einem Gespräch mit ihm zum Beispiel. Ich weiß, dass es Ihnen nicht leicht fallen wird, aber bekennen Sie sich entweder zu Herzog Friedrich oder tragen Sie die Konsequenzen, wenn Sie das nicht tun. Sie müssen eines bedenken: Herzog Friedrich wird wohl bald ein mächtiger Mann werden, wozu brauchen Sie eigentlich dann noch John Baker, wenn Sie auch ihn als neuen Auftraggeber haben könnten? Nebenbei ist es sehr schade, dass Sie denken, dass Ihr Landsmann in unserer Anwesenheit nicht reden wird. Das glaube ich nicht, aber dazu später mehr.

Sie reden sich außerdem gerade etwas um Kopf und Kragen, Mr. Munro, indem Sie Misstrauen gegen den Herrn Braunschweiger schüren wollen. Der Herr Braunschweiger hat nicht meine uneingeschränkte Sympathie, aber eines glaube ich nicht, dass er nämlich Herzog Friedrich irgendeinen Quatsch erzählen würde oder ihn gar anlügen würde. Es gibt auch keinen vernünftigen Grund, warum er in dieser Angelegenheit lügen sollte. Ich halte ihn Herzog Friedrich gegenüber außerdem für loyal. Doch ihre Loyalität könnte schwanken und steht längst noch nicht fest. Also sagen Sie nun schon: Wie werden Sie sich Herzog Friedrich gegenüber entscheiden."

Carl von Lütjenburg

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Casus Belli
« Antwort #234 am: 20.02.2012, 19:57:43 »
Carl vernahm die Worte Munros ungläubig und kopfschüttelnd. Was dachte sich dieser Mann eigentlich? Verkannte er den Ernst der Lage oder war er einfach nur ein begnadeter Schauspieler?

"Nehmen Sie sich die Worte Conrads zu Herzen, Schotte und erfreuen Sie sich an deren Freundlichkeit. Langsam aber sicher sorgen Sie dafür, dass es mir nicht mehr möglich sein wird ihnen selbige entgegen zu bringen." Carl stand immer noch neben dem Herzog am Fenster, aber seine Haltung hatte sich deutlich verändert. Blutbesudelt, aber aufrecht und stolz dastehend mit zorniger Miene, wirkte er beinahe wie ein rachsüchtiger Geist, der sich gerade erst vom Schlachtfeld erhoben hatte.

"Halten sie uns eigentlich für bescheuert? Das Attentat galt nicht dem Herzog, das hat Conrad ja hinreichend belegt. Es galt den Gebrüdern Nobel, die - wie sie ja sicher wissen - nicht anwesend waren. Sollten sie sich nun ihren Waffenbrüdern in einem ungewissen Kampf anschließen, der sie nicht einmal ans Ziel bringt? Oder geben sie lieber weiterhin vor vermeintlich mit uns im Bunde zu sein, da Sie genau wissen, dass wir sie früher oder später zu den Nobels führen werden? Ich denke eher Letzteres scheint Ihresgleichen ähnlicher zu sein.

Und erzählen Sie mir nichts von ihren Landsmännern, Sie Stammeskrieger Sie. Man bezahlt Sie gegen wen auch immer zu kämpfen, ob Schotte, Italiener oder Türke - Hauptsache die Münze klingt im Beutel."


Carls Ärger war beinahe stofflich, so wie sehr dichter Nebel. Dennoch blieb er dort wo er stand und wich weder vor noch zurück. Dieser Mann übte den ehrlosesten Beruf aus, den der junge Offizier sich denken konnte und dennoch wagte er in der Position eines Angeklagten dem Braunschweiger eine Unterstellung nach der anderen unterzuschieben.

"Der Herr Major hat eine eigenwillige Art, die uns bis zum jetzigen Zeitpunkt davor bewahrt hatte allzu schnell Freundschaft zu schließen. Aber dennoch ist er ein Mann von Ehre und nicht zuletzt deutscher Offizier, vergessen Sie das nicht!. Er ist über ihre unbelegten Anschuldigungen vollkommen erhaben und dennoch rate ich Ihnen von nun an darauf zu achten, welche Worte sie aus ihrem ungewaschenen Mund entweichen lassen. Sie wissen ja sicherlich wo sie sich befinden und selbst ein kulturloser Wilder wie Sie sollte wohl begreifen, dass Sie hier kaum mehr als geduldet sind und sich entsprechend verhalten sollten. Jemanden wie sie, Herr Munro, würden wir nicht einmal unsere Straßen kehren lassen."

Carl sog hörbar Luft durch seine zusammengebissenen Zähne ein. Während seiner Tirade hatte er kaum atmen müssen, war er es doch gewohnt in einem Atemzug Befehle zu erteilen und Rekruten kurz und klein zu kommandieren. Nun da er sich langsam beruhigte, hoffte er, dass seine Worte Donald eine Warnung sein könnten. Der Schotte verkannte nicht nur die Situation, er verkannte auch seine eigene Position. Wenn er so weiter machte würde man ihn zumindest wegsperren oder mehr. Es wäre bedauerlich, wenn dies geschehen sollte, obwohl der Söldner unschuldig war und sich aus Dummheit oder falschem Stolz nicht auf ihre Fragen einlassen wollte.

Donald Munro

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Casus Belli
« Antwort #235 am: 20.02.2012, 23:37:18 »
"Man bezahlt mich nicht, um zu irgendjemanden zu meucheln. Solche Aufträge übernehme ich nicht. Ich werde als Leibwächter bezahlt - Leibwächter für die Brüder Nobel."

Mehr  sagte Donald nicht mehr.

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #236 am: 21.02.2012, 19:48:08 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 11:58 Uhr - Gut Emkendorf

Der Herzog blickte jetzt alarmiert drein, und ging einen Schritt auf den Schwarzen Braunschweiger zu. Er hielt sich mit einer Hand am selben Flügel fest, den Carl von Lütjenburg mit seinem Schlag erzittern ließ, ohne einen bösen Blick oder strenge Worte seitens den Herzogs zu hören. Der Herzog lehnte sich gegen den Flügel und atmete schwer aus, während Carl mit Inbrunst und preußischer Strenge auf den schottischen Söldner einsprach, der seinerseits die Schuld von sich schob und sie dem von ihn so benannten Meister der Intrige in die Schuhe schob. Conrad versuchte auch auf ihn einzureden, wieder eine inbrünstige, flammende Zurechtweisung des preußischen Offiziers, doch der Schotte reagierte lakonisch. Dieses Lakonische trieb dem Herzog den Grimm in die Augen. Der Herzog fühlte sich vielleicht verhöhnt von diesem Schotten, denn er richtete jetzt seinen Körper auf, als würde er jeden Moment lospöbeln wollen, doch der Schwarze Braunschweiger spürte die Situation und sprang in die Bresche, ehe der Herzog sich vergaß und damit jede Form der Haltung vergaß.

"Herr Munro, Ihre Worte mögen Sie selbst zufriedenstellen, aber ich habe Ihnen bei unserem ersten Treffen gesagt, dass Sie ihre Worte nicht mit solcher Einfalt wählen sollten. Ich habe Ihnen die Metapher eines kastrierten Katers angedeihen lassen. Dass war im guten Glauben, dass Ihre Laune aufgrund einer langen Reise und stumpfen Umgangs in schlechten Manieren resultierte. Aber ich habe mich geirrt." Der Braunschweiger stellte sich in fünf Schritt Entfernung vom Schotten aus dem Clan Munro auf, blickte auf dessen Gestalt und dann in dessen Gesicht. "Ich habe mich geirrt, weil Sie sich ganz schön viel herausnehmen. Worauf stützen Sie Ihre Behauptung, dass ich ein Meister der Intrige sei? Warum haben Sie es nötig, meine Ehre anzugreifen, wenn die Ihre in Frage gestellt wird? Ich habe Sie vor diesem Moment gewarnt."
Der Braunschweiger zeigte auf die Schwester und sprach weiter, ohne den Blick vom Schotten zu nehmen. "Die ehrenwerte Schwester ist sogar Zeugin dieses Momentes gewesen. Sie könnte Ihr Fehlverhalten bezeugen und wenn Sie glauben, aufgrunddessen mich nun bloßstellen wollen zu müssen, sollten Sie sehr vorsichtig sein! Da ich Ihren Unwillen sehe, sich ausreichend erklären zu wollen, gebe ich Ihnen jetzt genau fünf Minuten Ihre Unschuld zu beweisen. Wie Sie das anstellen, das ist mir gleich, solange Sie zu keiner Waffe greifen. Sollten Sie diesem Befehl nicht nachkommen, werde ich Sie als politischer Gefangener internieren lassen."

Der Herzog nutzte die Chance, um etwas durchzuatmen und zupfte seinen Kragen zurecht und ließ die Daumen hinter dem Revers. "Nun", sprach er gefasster als er es vor eine Minute noch getan hätte, "ich kann wohl kaum den Worten der beiden Offiziere und des Herrn Rosenstock hinzufügen. Zwar habe ich erlaubt, die Etikette nicht auf die Goldwaage zu legen. Aber jemanden der Zwietracht zu beschuldigen und jene damit selbst zu säen, das ist das Niederste, was ich seit langer, langer Zeit in einem Gespräch zwischen Männern erlebt habe! Erklären Sie sich ordentlich, Herr Munro. Denn solange Zweifel an Ihrem Gewissen und Ihrer Ehrbarkeit bestehen, werde ich Sie nicht mit einem Mann konspirieren lassen, der offenkundig meinen Tod gewollt hat!"

Der Haldane blickte nun auch und blickte Donald mit traurigen Augen an[1]. "Bullocks, lad! You know, how those games are played nowadays. Baker always said himself, that we are the most anachronistic joke in warfare. It is not about the fightin' anymore, it is about dirty games played by dirty rats in parliaments and castles. You were tricked, lad. Baker's an asshole and you were just another sacrificial lamb for his plans."
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Samuel Weissdorn

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Casus Belli
« Antwort #237 am: 21.02.2012, 20:56:19 »
Samuel zögerte sichtlich mit seiner Antwort. Dass der Professor ihm nicht das gesagt hatte, was ihm eigentlich auf der Brust lag, war offensichtlich. Aber vielleicht war im Augenblick einfach nicht der richtige Zeitpunkt. Gute Vorbereitung war wie immer der Schlüssel zum Erfolg...

"Eine Liste würde mir nicht helfen. Um bei der Metapher der Chemie zu bleiben, die im Grunde gar nicht so metaphorisch ist, nimmt man das Gebiet der Körperchemie mit hinein: Ich muss nicht nur wissen, mit welchen Elementen ich arbeite, sondern auch, in welchem Zustand sie sind, ob sie sich gerade mit anderen Elementen verbunden haben, und so fort. Ich ziehe es daher vor, aus der Situation heraus zu agieren."

Dann blieb er stehen, und sah den Mineralogen direkt an. "Um noch einmal auf unser anderes Thema zu sprechen zu kommen. Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass ich nicht einfach nur ein Dozent bin, sondern durch meine Vergangenheit Erfahrungen habe, die sonst vermutlich keine Lehrkraft mit sich bringt. Sollten diese Erfahrungen von Nutzen sein, um für unsere Heimat einzustehen..."

Die Erfahrungen des Samuel Weissdorn, ein ganzes Leben, das ihn von anderen Dozenten unterschied. Ja, das war etwas, das man nicht außer Acht lassen sollte.

Er ließ den Satz unbeendet, dann blickte er zur Tür. "Wenn Sie sonst nichts mehr haben, mache ich mich auf den Weg zur Vorlesung. Wir wollen die Studenten ja nicht warten lassen, jedenfalls nicht zu lange. Ansonsten... sprechen Sie mich einfach an, wenn Sie mich brauchen."

Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #238 am: 04.03.2012, 16:02:16 »
Mit entsetzter Miene blieb dem älteren der beiden Brüder nicht mehr übrig als fassungslos aus dem Fenster zu starren. Es war also doch Erpressung im Spiel, doch es war nicht Alfred, dem die Forderung galten - auch wenn sie das ursprünglich vielleicht hätten tun sollen. Emil war der Erpresste, und der Preis ein hoher.

"Es ist alles gut Emil, es wird alles gut,", sprach Alfred seinem Bruder zu und griff nach dessen Hand. Doch die Stimme des Chemikers klang nicht so überzeugt wie er es gerne hätte. Alfred konnte Emil wenig vormachen, es waren beschwichtigende Worte, die sie beide von ihrer Mutter kannten. Der analytische Zweifler in den Köpfen der Brüder sorgte dafür, dass beide den Worten Alfreds nicht unmittelbar glauben schenken konnten.

"De Meza ist General des dänischen Königshauses. Dein Adressat ist kein unwichtiger Mann in den Ländern Schleswig und Holstein. Ich frage mich, ob er das Dokument erwartet", spricht Alfred seine ersten Gedanken aus und klärt seinen Bruder auf, ohne dabei dessen Hand los zu lassen. Alfred schweigt kurz, als er überlegt, den Blick weiterhin leer nach draußen gerichtet beginnt der Chemiker nachdenklich zu nicken.

"Du erinnerst, was Vater sagte, als Ludvig und Robert die Firma übernehmen mussten? 'Was geschehen ist, lässt sich nicht ändern. Was vor uns liegt, durchaus.' Du machst Dir keine Vorwürfe, du lernst daraus. Mademoiselle Lavalle ist eine zwielichtige Person, ich habe schon von ihr gehört. Ich vermute, dass sie am Diebstahl einiger Erfindungen beteiligt sein könnte, ich habe jedenfalls gelesen, dass sie versucht hat, in Kronstadt einzusteigen. Eine schwierige Person."

Alfred wechselte den Blick zu Emil und sah in ernst an. Weder Vorwurf noch Rüge spiegelte sich in Alfreds Augen wider, doch durchaus ein gewisser Nachdruck, die Sache zu begreifen und als geschehen wahrzunehmen.

"Wir reden nicht über das 'hätte' und 'könnte', Emil. Was geschehen ist, führt zu Konsequenzen. Wir werden gemeinsam darüber nachdenken, welche wir daraus ziehen können. Wir werden vorsichtig sein, und wir werden dafür sorgen, dass wir heil aus der Angelegenheit entkommen."

Diese Worte wiederum klangen überzeugt und bekräftigend, wie die Worte des Nobelschen Vaters.

"Du sagst, sie drohten mit meines und Vaters Leben. Haben sie von Mutter, Ludvig oder Robert gesprochen? Unseren Brüdern gehört nun die Fabrik in Sankt Petersburg, ich bin überrascht, dass sie uns und unser junges Unternehmen als Ziel ausgesucht haben."

Alfred ließ von der Hand seines Bruders ab, stand auf und seufzte tief, während er überlegte und nach der Uhr in seiner Westentasche griff. Bald würden sie zur Universität und dem Treffen mit Himly aufbrechen, bis dahin sollten die Nobels eine Vorstellung davon entwickelt haben, wie sie in dieser Sache umzugehen haben.

"Ich habe den Vertrag versteckt," sprach Alfred, und sah Emil an. "Die Frage steht, was wir mit ihm tun. Wir treffen uns in einigen Stunden mit Professor Himly und einigen seiner vertrauten Kollegen. Wir halten politischen Sprengstoff in den Händen, Emil. Ich will zusehen, ob wir ihn nicht entschärfen können, ohne irgendjemanden damit in die Luft zu sprengen - doch dazu brauchen wir die Meinung von Männern, die sich in dieser Angelegenheit besser auskennen als zwei Schweden aus Russland."

Wieder nickte Alfred, trat an den Sekretär und begann, seine Laborutensilien zu reinigen und abzubauen.

"Doch eine Sache ist noch schleierhaft", begann er seinen letzten Gedanken. "Wer war es denn schließlich, der die Solros angegriffen hat? Ist der schwarze Dannebrog die Flagge dänischer Seperatisten? Wenn ich davon ausgehe, dass Lavalle auch für die Dänen arbeitet, dann stellt sich mir die Frage, ob sich der Befehlshaber der Krake bewusst war, dass er mit seinem Angriff eine dänische Absicht sabotiert hat."
« Letzte Änderung: 08.03.2012, 16:08:07 von Alfred Nobel »
But I have learned to study Nature’s book
And comprehend its pages, and extract
From their deep love a solace for my grief.

 - A Riddle, 1851

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #239 am: 10.03.2012, 23:58:16 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 12:00 Uhr - Gut Emkendorf

Donald wollte weiterhin nicht antworten, doch niemand konnte nach den Ereignissen genau sagen, was es nun wirklich war, was den Munro Schweigen ließ. War es die berühmte und so oft berüchtige Sturheit und Störrigkeit eines schottischen Highlanders oder versteckte der rothaarige Schotte seine Niedertracht nur hinter den Angewohnheiten der Highlandsclans? Der Haldane hatte ihn schwer zugesetzt mit seinen Worten und auch wenn seitens des Haldane Berechnung dabei sein sollte, die Worte lösten in dem Herzog etwas aus. Entschieden nickte er.
"Braunschweiger! Ich habe genug von diesem Mummenschanz, den Baker und seine Mannen betreiben. Verhaften Sie auch Donald Munro. Ich lasse mir diese Art der Insubordination nicht mehr gefallen." Der Herzog hob seinen Zeigefinger und fuchtelte damit drohend von Munro. "Sie können auf meinem Titel, meine erblichen Würde und auf allen Attributen, die mir zugesprochen werden, rumtrampeln, Herr Munro! Aber wenn Sie persönlich werden und mich und meine Gäste für dumm verkaufen wollen und diese auch noch gröbstens durch Ihr Auftreten beleidigen, dann ist der Bottich mehr als voll!"

Der Braunschweiger trat auf den rothaarigen Söldner zu und setzte ihn wie den Haldane auch in Fesseln, wobei er die unbequeme Fesselung des Haldanesöldners kopierte. "Ich nehme Sie hiermit in Beugehaft. Aufgrund Ihrer söldnerischen Aktivität und des mangelnden Nachweis einer staatlichen Beschäftigung, werden Sie nicht wie ein politischer Gefangener behandelt werden können. Damit sind Ihre Ansprüche auf eine offizielle Verteidigung solange nicht geltend, bis Sie uns genügend Auskunft gegeben haben oder die Obrigkeit es für richtig empfindet."
Der Braunschweiger setzt bei diesen sehr formalen Worte ein sehr süffisantes Lächeln auf, während der Herzog die anderen Gäste anschaute.
"Entschuldigen Sie dies bitte. Ich konnte mit so einem flegelhaften Benehmen beim besten Willen nicht im Vorfeld rechnen. Ich habe verwahlloste Landstreicher mit besserem Benehmen kennengelernt!" Er atmete tief durch, um sich von dieser Beleidigung etwas zu erholen. "Ich glaube, dass die Wunden zu frisch sind, als dass wir noch etwas herausfinden werden im Moment. Ich schlage also vor, dass ich Ihre Reise nach Kiel vorbereiten lasse und Sie möglichst bald aufbrechen. Ich werde Herrn von Lütjenburg die Befragung des Schotten bei Gelegenheit überantworten, damit Sie sich über die Ergebnisse und deren Richtigkeit keine Sorgen zu machen brauchen. Die Ergebnisse werde ich dann möglichst zeitnah nach Kiel senden. Ist das in Ordnung für Sie?"

Der Braunschweiger zog die Fesseln bei Donald noch ein letztes Mal fester, sodass der Schotte das Gesicht vor Schmerzen etwas verziehen musste. Dann zog er seinen Anzug straff und blickte die Schwester an. "Das mit dem Heilmittel müssten wir lösen, aber da Sie mit Ihrer Loyalitätsbekundung genauso so langsam sind, wie der Schotte, muss ich mir rausnehmen, Sie noch etwas hinzuhalten. Wenn Sie in den Altenstift zurückkehren, werden Sie dort auf einen Freund von mir treffen. Er wird alles weitere bezüglich des Heilmittels gegen die Wundmale übernehmen. Ich schätze, dass Sie und mein guter Freund sich blendend verstehen werden, Schwester." Mit einem höhnischen Lächeln nahm der Braunschweiger die beiden Gefangenen an den Fesselungen und führte sie wie geprügelte Hunde aus dem Musikzimmer.

"Haben Sie noch Fragen oder muss noch etwas geklärt werden?", fragte der Herzog noch einmal. In seinem Blick sah man, dass selbst er manchmal am Benehmen des Braunschweigers zweifelte, denn man sah ein leichtes Kopfschütteln.
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

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