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Autor Thema: Casus Belli  (Gelesen 86637 mal)

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Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #300 am: 02.09.2012, 21:09:51 »
Erschrocken hielt Alfred die Luft an, als Samuel und Conrad ihre Schießeisen zückten. Es dauerte einen Moment, bis sich die Blicke der drei Männer trafen, und der des Schweden war stirngerunzelt und ratlos. Unschlüssig öffnete Alfred den Mund, kam jedoch nicht dazu, schloss ihn jedoch wieder, ohne zu sprechen. Als er wieder den Blick nach draußen warf, war die Kutsche weitergefahren und der Italiener nicht mehr zu sehen.

"Daniele Nocerino, wenn ich richtig verstehe", sprach Alfred schließlich, und rutschte sichtlich auf der Bank zurecht. "Einer der Söldner, der mit Lavalle zusammen arbeitet. Ich hatte bereits die Ehre, auf eine gewisse Art und Weise."

Fragend warf nun auch Alfred Professor Himly einen Blick zu. Es war erst ein Tag vergangen, als der schwedische Jungunternehmer holsteinischen Alarm hatte auslösen lassen, um auf Bitten des Italieners den Hafen zu räumen. Den Kontakt hatte der Professor hergestellt. Nun erst fiel Alfred auf, dass er es versäumt hatte, den Dozenten danach zu fragen, wie es zu dieser ungewöhnlichen Bekanntschaft kam. Alfred seufzte tief, und dachte verbissen nach.

"Ihre Einschätzung ist gar nicht verkehrt, Herr Weissdorn. Der Mann könnte uns in der Tat gefährlich werden. Er arbeitet mit den Erpressern zusammen, die hinter dem Vertrag her sind. Selbst wenn wir bereits einen Vorsprung haben sollten, und die Söldner erst aufbrechen müssten, sind wir in der Kutsche kein uneinholbares Ziel."

Missmutig rieb sich Alfred die Stirn. Er hätte nicht erwartet, dass ihre Reise zum Herzog so früh schon mit Hindernissen gespickt werden würde. Der Hals wurde dem Schweden trocken, als er daran dachte, dass Conrad den gewaltbereiten Söldnern nur unter dem Tod seines Kameraden entgehen konnte. Doch während der Schwede sich die Augen rieb, fiel ihm das kalte Stück Metall an seinem kleinen Finger wieder auf. Himly hatte ihm den Ring gegeben, und Nocerino besaß auch noch einen.

"Herr Himly,", wandte sich Alfred hoffnungsvoll an den Professor, zog den Ring von seinem Finger und hielt ihn dem Chemiker fragend hin, "können Sie ihn kontaktieren?"
But I have learned to study Nature’s book
And comprehend its pages, and extract
From their deep love a solace for my grief.

 - A Riddle, 1851

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #301 am: 02.09.2012, 22:22:14 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 15:01 Uhr - Am Hafen

Der junge Italiener verschwand zwischen den windschiefen Häusern der ehemaligen Hansestadt. War es ratsam gewesen, den jungen Italiener fliehen zu lassen und ihn nicht sofort nach seinem faux pas zu stellen? Das Dröhnen der Glocken machte die Unterredung schwer und so war die Chance schließlich vertan. Alfred erkannte in den Augen Himlys, dass er auch nicht über einen Angriff nachgedacht hatte, diesem wahrscheinlich sogar kritisch gegenüberstand. Vielleicht war er aber auch zu sehr in Gedanken darüber gewesen, dass er mit eben diesem Nocerino zusammenarbeiten musste, um an Alfred Nobel überhaupt ranzukommen. Wer um die besondere Position Nocerinos in diesem eiligen, durch den zeitlichen Druck kaum zu durchschaubaren Geflecht kannte, war sich dessen bewusst, dass die Grenzen der Loyalität und der parteilichen Zugehörigkeit gedehnt und verzerrt waren. Sie waren verschwommen und in vielen Punkten unerkenntlich geworden. Das betraf nicht nur Nocerino, sondern auch einen der bisher treusten Verbündeten, Carl von Lütjenburg. Es wurde vor Preußens Einmischung gewarnt und im Falle einer Einmischung, wäre der Leutnant dann nicht kronloyal, wie man es von ihm verlangte?

Himly griff nach seinem Ring und rieb daran. Er hatte den Kontakt über den Ring eingedämmt, wahrscheinlich konnte der Professor diesen Kanal auch wieder öffnen. Er bestätigte dies mit einem müden Nicken, als wäre sein Geist etwas abwesend. Er trug die Sorge, dass Nocerino und seine Männer ihnen Steine in den Weg legen würden. Nur eine Wegengung, eine eingeschneite Weggabelung und der Scharfschütze, welcher schon fast jedem gezeigt hatte, wie süß ein Überleben war, brauchte nur in Seelenruhe die Kutsche unter Beschuss nehmen. Wie wahrscheinlich war dann ein Überleben? Wie wahrscheinlich waren die Träume von einer schleswig-holsteinischen Unabhängigkeit? "Ich könnte das tun, doch was beabsichtigen Sie damit, Herr Nobel?", fragte Carl Himly schließlich, während er aus dem Fenster schaute, die Kutsche nahm etwas Fahrt auf.

Mommsen und Karsten blickten Himly nun interessiert an und es war schon am Naserümpfen Mommsens zu sehen, dass er sich seinen Teil dachte und den auch auszusprechen gedachte. "Herr Nobel hat recht. Wir sind eine fahrende Zielscheibe. Man wird uns schnell einholen, wenn man uns wirklich aufhalten will. Vielleicht war der Teil unseres Planes etwas überstürzt." Er kniff seine eng zusammenliegenden Augen zusammen und rieb sich angestrengt hinter seiner kleinen Brille. Es wurde deutlich, dass auch oder gerade der alte, manchmal biederer, manchmal sehr gestrenge Mommsen sehr müde war. Er setzte gerade an, als Karsten ihn unterbrach. "Sie werden uns nicht in der Nähe von Kiel angreifen. Es wird gefährlicher je näher wir Emkendorf kommen. Vielleicht sollten wir im Schutz der anbrechenden Dunkelheit die Kutsche verlassen und sie mit den Soldaten weiterreiten lassen. Vielleicht greifen sie dann trotzdem die Kutsche an, während wir abseits der Wege nach Emkendorf reisen?" Karstens Gesichtsausdruck bekam etwas triumphierendes, als er Samuel zunickte. "Herr Weissdorn ist ein Meister des Verschleierns solcher Tatsachen, wenn Sie alle seiner Vorlesung aufmerksam gefolgt sind."
Ob Samuel Weissdorn nun wollte oder nicht, scheinbar erwarteten die Professoren, dass der Doktor die Lösung parat hatte.
« Letzte Änderung: 02.09.2012, 22:32:03 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Samuel Weissdorn

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Casus Belli
« Antwort #302 am: 07.09.2012, 22:17:22 »
Samuel sah dem Nocerino einen Moment nach, bevor er seufzend seine Waffe wegsteckte. Die Männer in dieser Runde waren nicht besonders entschlussfreudig. Zugegeben, er hatte selbst noch nie einen Menschen getötet, und obwohl er den Schein der Kaltblütigkeit erweckt hatte, grauste ihm bei dem Gedanken an das, was er beinahe getan hatte. Aber der Gedanke, dass sie alle hinterrücks von Attentätern ermordert würden, grauste ihm noch viel mehr. Manchmal musste eben getan werden, was getan werden musste...

Auf Himlys Worte hin nickte Samuel. "Etwas überstürzt, ja. Sagen Sie, besteht die Möglichkeit, dass Nocerino oder seine Hintermänner mit den Preußen in Kontakt stehen?" Er fragte sich, was sein kleines Schauspiel mit dem preußischen General wohl für Auswirkungen gehabt hatte. Und ob Nocerino seine Illusion gerade platzen ließ, oder seine Anstrengungen in Kiel nun sogar für zusätzliche Verwirrung sorgen könnten.

"Nun, wäre ich unser Verfolger, würde ich wohl etwas in dieser Art von uns erwarten."

Er sah zu den Soldaten. Musterte sie, um Körpergröße und Figur abzuschätzen, und sah dann zu Alfred Nobel. "Wie wahrscheinlich ist es, dass unsere Verfolger Kontakte auf der Strecke haben? Spione und ähnliches. Leute, bei denen sie sich Informationen einholen, wenn sie auf der Suche nach uns sind."

Er dachte einen Augenblick nach. "Und noch eine Frage. Gibt es in der nächsten Zeit einen Militärstützpunkt, bei dem wir uns Unterstützung holen können?"

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #303 am: 27.09.2012, 12:46:57 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 15:03 Uhr - Am Hafen

Himly kratzte sich seine markante Nase und blickte weiter aus der Kutsche. Es sah nach weiterem Schneefall aus, der Winter würde Holstein und wahrscheinlich auch Schleswig diesen Dezember im Griff haben. Das machte die Reise nach Emkendorf beileibe nicht einfacher und würde ihnen eine Menge abfordern, egal ob sie auf der Kutsche blieben oder gar alleine durch Felder und Flur reisen wollten. Mommsen schloss sich dem betretenden Schweigen und dem durchs Fenster Starren an und es dauerte einen Augenblick, ehe Carl Himly, der alte Kriegsheld, sich zu einer Antwort durchrang. Er massierte die Schläfen und sein Atem kondensierte dank der Kälte sofort. Die Kutsche hatte auf den festen Wegen etwas Fahrt aufgenommen, sodass mehrere Häusern und verwaiste Marktstände an ihnen vorbeizogen.
„Die Möglichkeit besteht immer, Herr Weissdorn.“, hieß die zuerst wenig sagende Antworte Himlys. „Das liegt in der Natur der Politik, von der Rochau immer schwärmte. Seit jener Zeit schwindet zusehends die Prinzipientreue der Politik und wird manchmal einem erbarmungslosen Opportunismus unterworfen. Sie dürfen also davon ausgehen, dass die Söldner in Kontakt mit Preußen getreten sind oder gar von den Preußen kontaktiert wurden. Das macht es mir jedoch schwer, den Ausgang dieser Verhandlungen zu antizipieren. Gehen wir davon aus, dass die Preußen ein Interesse daran haben, dass der Vertrag verschwindet, könnten sie sich zumindest Wege offen gehalten haben, den Vertrag einfach zu kaufen. Die Söldner könnten einfach daran interessiert sein, dass Vertragswerk dem Meistbietenden angedeihen zu lassen und auf die Art mit Preußen in Kontakt gekommen sein. Nach den Geschichten, die wir ausgetauscht haben, scheinen sie die Söldner in Danzig zumindest nicht bemerkt zu haben oder sie wollten sie gar nicht bemerken. Ich kann das Verhalten aber nicht ernsthaft einschätzen, aber ich werde damit rechnen, dass auch Preußen mehr als eine passive Rolle spielt, gerade nach den letzten Nachrichten aus Frankfurt[1].“

Mommsen blickte nur auch zu Weissdorn, hob mahnend den Zeigefinger. Eine Geste, welche bei Theodor Mommsen das Klopfen auf die Schulter ersetzte. „Sorgen Sie sich da nicht so sehr, Herr Weissdorn. Sie haben einen Wissensvorsprung und es fällt Ihnen in der Art leicht, unser Handeln zu antizipieren, auch aus der Sicht des Feindes. Der Feind hat diese Information nur, wenn es einen Verräter in unseren Reihen gibt. Glauben Sie denn ernsthaft, dass der Feind erwartet, dass alte Männer einen langen Weg per pedes bei diesem Hundswetter und dieser Hundskälte nach Emkendorf zurücklegen werden?“ Mommsen rümpfte die Nase und putzte seine zwickerartige Brille. „Demnach wird es schon nicht so wahrscheinlich sein, dass der Feind viele Kontaktpunkte hat. Zwar wird dieser Italiener seine Gruppe vorwarnen, aber wären unsere Feinde so zahlreich, dass sie allenthalben Spionen und dergleichen einsetzen könnten, hätten Sie uns schon lange überrannt oder die zuständigen Behörden unterlaufen. Dies kann immer angehen, aber wir sollten uns mehr mit unseren Aufgaben, denn mit unserer Paranoia beschäftigen. Herr Rosenstock und der Herzog hätten dann wahrscheinlich auch den Angriff der Söldner auf Emkendorf nur leidlich oder gar nicht überlebt. Ich glaube also schon, dass unsere Feinde sich auf uns einstellen werden, aber ich glaube auch, dass sie ganz eigene Probleme haben, vor allem logistischer Art.“

Es war schwer zu sagen, ob Mommsen allen Reisenden nur Mut machen wollte oder speziell sich selbst. Es herrschte wieder eine Minute des Schweigens, bevor Himly die letzte Frage Weissdorns beantwortete und das frierende Schweigen der Männer durchbrach.
„Der nächste Militärstützpunkt ist dänisch, nämlich Friedrichsort[2] nördlich von hier. Der nächste holsteinische Stützpunkt würde uns abverlangen, dass nach Süden, nach Molfsee[3], reisen. Dort wird gerade ein Winterbiwak abgehalten und wir könnten vielleicht noch mehr Soldaten rekrutieren. Ich weiß nur nicht, ob man das so gerne sehen würde und wie leicht dieses Unternehmen wäre.“
Emil Nobel blickte derweil aus dem Fenster, aber er wirkte lebendiger, als er ehedem noch gewesen war. „In Friedrichsort und an anderen Orten an der Kieler Förde begannen mehrere wichtige Karrieren in der Schleswig-Holsteinischen Erhebung oder es waren die ersten Ausrufezeichen prominenter Männer, welche sich in den Naturwissenschaften und der Technik auskennen. Das gilt nicht nur für Sie, Herr Himly, sondern auch der preußische Leutnant, Werner Siemens[4], verdiente sich dort seine Sporen. Sie alle und mein Bruder sind Männer des Geistes und des Erfindungsgeistes. Ich sage, vertrauen wir auf unsere Auffassungsgabe und unseren Ideenreichtum und verzichten wir auf viele Männer. Je martialischer unser Auftreten ist, desto wütender werden wir die anderen Länder und vor allem den Herzog nur machen.“, gab der junge Bruder Alfreds zu Bedenken. Auch hier war es schwer zu sagen, ob die Ereignisse der letzte Tage, gerade der menschenlebenintensive Angriff auf die Solros, nicht Emils Urteil bestimmten. Die Kutschenräder rumpelten über Pflastersteine und die ersten, größeren Flocken fielen wir aus den tiefen, weißen Wolken.
 1. Er verweist damit auf die Ankündigung der Bundesexekution
 2. Friedrichsort
 3. Molfsee
 4. Werner Siemens
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Samuel Weissdorn

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Casus Belli
« Antwort #304 am: 30.09.2012, 12:13:47 »
Überrascht zog Samuel die Augenbrauen hoch. "Sie antizipieren zu viel, meine Herren. Ich bin lediglich dabei, Informationen über die Rahmenbedingungen und die Ressourcen zu sammeln. Das Erstellen eines Plans folgt erst im nächsten Schritt."

Er kratzte sich kurz nachdenklich am Kinn, und sah dabei wieder aus dem Fenster. "Und in dieser Hinsicht ist der Mangel an feindlichen Spionen sogar fast schade, da sie für uns ebenfalls eine Ressource darstellen können."

Bevor er sich dem Schmieden eines Plans zuwandte, sah er noch kurz zu Mommsen. "Was die alten Männer angeht... nun, alte Männer, von denen man weiß, dass sie bereits früher mit Leidenschaft für ihre Sache gekämpft haben, und die nun vielleicht ihre Chance gekommen sehen... ich an der Stelle des Feindes würde es unbedingt erwarten."

Dann schien er einen Entschluss zu treffen, und nickte, als hätte er soeben eine nie gestellte Frage beantwortet. "Vor dem Hintergrund unserer leider recht begrenzten Möglichkeiten schlage ich folgendes vor. Einer der Soldaten da draußen ähnelt in seiner Statur dem Herrn Nobel. Mit dem, was ich noch an Material dabei habe, welches eigentlich für meinen Unterricht angedacht war, sollte es mir möglich sein, ihn als Herrn Alfred Nobel zu verkleiden. Wenn wir durch Friedrichsort kommen, steigt er aus der Kutsche und sucht sich einen scheinbar sicheren Ort. Scheinbar, weil es den Eindruck erwecken muss, als wolle er sich verstecken, es aber offensichtlich genug sein muss, damit er eben doch beobachtet werden kann. Dort legt er seine Verkleidung ab, geht anschließend zum Postamt und lässt dort einen Brief aufsetzen. In diesem Brief wird - natürlich in etwas kryptischer Sprache - stehen, dass die Irreführung funktioniert hat, der Feind glaubt, dass wir nach Emkendorf unterwegs sind und der Vertrag in Wahrheit sicher auf der Reise nach London ist. Vielleicht bekommen weder die Attentäter noch die Preußen etwas davon mit, dann wäre es umsonst. Aber die Chance besteht, und dann.."

Er stockte, und sah mit einem leicht nervösen Lächeln zu Alfred Nobel. "Dann würde sich eine Beobachtung bestätigen, die ein preußischer General in Kiel gemacht hat, nämlich dass ein gewisser Herr Alfred Nobel eilig nach London aufgebrochen ist." Samuel räusperte sich verlegen, bevor er weitersprach. "Wenn der Plan gelingt, werden unsere Feinde ihre Ressourcen auf die Suche nach dem Vertrag in London verlagern. Mißlingt er, haben wir einen Soldaten weniger im Kampf, was, wie ich hoffe, nicht für Sieg oder Untergang entscheidend werden sollte."

Carl von Lütjenburg

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Casus Belli
« Antwort #305 am: 08.05.2013, 20:48:03 »
Niedergeschlagenheit ergriff Carls Herz während der Herzog sprach. Warum bloß konnte er nicht hören, was die ganze Welt aus voller Kehle heraus rief? Der Wunsch nach einem geeinten deutschen Staat hallte aus jedem Winkel der alten Reichsgebiete, doch des Herzogs Wünsche stellten sich so offen gegen die einzige Macht, die den Deutschen Größe und Ehre verleihen konnte, welche ihnen seit ewigen Zeiten vorenthalten wurden: Preußen.
Der junge Holsteiner, der sich so sehr in Preußen verliebt hatte begriff, dass das Überschreiten der herzoglichen Türschwelle der Überquerung des Rubikons gleichkäme. Es gäbe kein zurück mehr, der Würfel wäre geworfen. Doch im gleichen Atemzug wurde ihm auch klar, dass es keine andere Möglichkeit für ihn gab. So sehr der Herzog von seiner Einstellung überzeugt war, so war es auch Carl seinerseits. Er wollte diese Schwelle überschreiten, an der Seite Major von Stiehles, im Dienste Preußens. Einen Schritt in Richtung eines einigen Vaterlandes, weg vom diplomatischen Reigen und den undurchsichtigen Geheimniskrämern der letzten Tage.

Carl wandte sich zur Tür, hielt aber inne. Ohne sich um zudrehen sagte er ruhig: "Wer einmal auf Preußens Fahne schwört, hat nichts mehr was ihm selber gehört. Die Pflicht ist in Preußen das höchste Gut, sie ist in jedes Mannes Herzen und entwächst diesem allumfassend. Auch wenn dies viele Menschen nicht verstehen, ist es doch etwas das uns vor anderen auszeichnet."

Während er sprach streckte er seinen Körper durch beinahe als wolle er Haltung annehmen. Wieviel Schleswig-Holstein war noch in diesem Soldaten, dessen jugendlicher Stolz beinahe fühlbar war? Gemessenen Schrittes verließ er mit von Stiehle das Zimmer, drehte sich jedoch, um die Tür zu schließen.

"Ich bedanke mich, für Ihre Gastfreundschaft und die mir zu Teil gewordene Pflege. Leider sind wir über das Opfern von Menschenleben schon längst hinaus. Ich bitte sie nicht zu vergessen, dass es kein Däne und kein Schleswiger, noch ein Holsteiner war, der sein Leben für Sie lies, Herzog. Karl Schreiber war Deutscher." Carl sagte dies in aufrichtigem, gemessenem Tonfall, ohne Häme oder Spott. Danach schloss er leise die Türe.
Carls Entschluss auf Gut Emkendorf zu bleiben, entstand aus dem Wunsche das der Tod seines Freundes nicht umsonst gewesen sein mochte. Wenn Carl nun seinerseits diese verzwickte Geschichte mit dem geheimen Vertrag aufdecken konnte, dann nur weil er hier gewartet hatte und so Major von Stiehle treffen konnte.

Dann sah er von Stiehle an. Der Major war zum Ende des Gesprächs hin sehr ruhig geworden, was wohl in ihm vorging? "Ich teile ihre Missgunst, was die Diplomatie angeht, habe aber im Gegensatz zu Ihnen, Herr Major, zusätzlich keine vorhandene Befähigung im Umgang mit derselben. Was liegt nun vor uns?"

Conrad Rosenstock

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Casus Belli
« Antwort #306 am: 09.05.2013, 17:44:09 »
Conrad war die ganze Zeit recht schweigsam gewesen. Er überließ den großen Männern hauptsächlich das Reden und die Entscheidungen, zumindest im Moment. Dieser Nocerino sollte wohl nicht weiter verfolgt werden, schloss der Student konkludent und das tat Conrad dann auch nicht. Hoffentlich würde er nicht derjenige sein, der später für ihren Untergang verantwortlich sein würde durch seine jeweiligen Taten.

Conrad nutzte Zeiten der Stille, um sich seine Überlegungen zu machen. Der Herzog würde seine Machtposition bestimmt nicht so leicht aufgeben. Der Geschichtsstudent überlegte sich schon einen brauchbaren Kompromiß zwischen der Professorenschaft und dem Herzog. Hoffentlich würde das klappen, was er vorhatte.

Doch Herrn Weissdorn hörte er auf jeden Fall aufmerksam zu. Es lohnte sich durchaus seinen Worten genau zu folgen. Schließlich sagte Conrad dann in die Runde: "Herr Weissdorn hat vollkommen recht. Sein Plan ist durchaus einen Versuch wert. Ich muss schon sagen, dass Herr Weissdorn für unsere Mission einige gute Qualitäten mitbringt. Und ich glaube, dass der Verlust eines einzigen Soldaten durchaus zu verschmerzen ist. Hochmut kommt zwar vor dem Fall, aber trotzdem kann ich mich mit dem Degen gut zur Wehr setzen und ich habe zumindest mit einem Teil der Angreifer im Kampf schon Erfahrungen gemacht. Ich hoffe, dass ich den Ausfall dieses einen Soldaten irgendwie kompensieren kann. Als Fechter habe ich mir zumindest schon einen gewissen Ruf in meiner Burschenschaft erarbeitet. In einer Schlacht gegen einige Söldner könnte das zwar am heutigen Tage anders aussehen, ich hoffe aber nicht und dass das Glück letztlich mit den Mutigen ist."
« Letzte Änderung: 09.05.2013, 17:45:04 von Conrad Rosenstock »

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #307 am: 09.05.2013, 23:07:56 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 05:51 Uhr - Gut Emkendorf

Während Carl von Lütjenburg sprach, überließ Major von Stiehle ihm das Feld und mit bescheidenem, fast süffisantem Lächeln blickte er den Herzog an. Friedrichs Augenbrauen und Lippen bebten vor Wut bis zum Abschlusswort und Carls Abgang. "VERTEIDIGEN SIE IHRE HOHLEN WORTE IN DER NÄCHSTEN KÜNETTE[1], UNTER BESCHUSS, SIE ARMLEUCHTER[2]!", brüllte der Herzog erzürnt und schlug mit der Faust wild auf den Tisch, dass die Papiere wild flogen, ehe die Tür ins Schloss fiel. Es ziemte sich nicht für seine Person, derart die Nerven zu verlieren. Die Etikette verbot solche Ausbrüche. Der Herzog war jedoch nur ein Mensch und keine herzogliche Maschine, so gern er es auch gewesen wäre. Die Winde hatten scheinbar innerhalb weniger Tage so häufig und so auffällig gedreht, dass keiner mehr einen Durchblick durch die Situation hatte. Sie war opak, wie schwarze, sternenlose Nacht. Tausende von Einzelentscheidungen wurden getroffen, und mitten in diesen tosenden Wellen von Entscheidungen und ihren schäumenden Konsequenzen, standen eine handvoll Männer und versuchten die Gezeiten der Geschichte zu beherrschen oder manche von ihnen sie zumindest zu überstehen. Die Angriffe Einzelner, dieser Söldner, hatten in diesem angespannten Kontext fast genauso viel erreicht, wie die Staaten und werden-wollenden Nationen. Der Herzog hatte in diesem Moment des Ausbruches bemerkt, dass ihm zumindest die Kontrolle entrissen wurden war oder er sie nie hatte. Er, der er Landesherr sein wollte, um das Schicksal seiner Heimat selbst in die Hand zu nehmen, war ein von den Ereignissen Getriebener geworden, bei einem Anschlag fast gestorben und jetzt noch von preußischen Botschaftern brüskiert, die die Grenzen zwischen Preußen und Deutschland aus seiner Sicht nicht mehr kannten.
Die Tür war bereits geschlossen und noch immer hörten von Lütjenburg und von Stiehle den Herzog aufgeregt toben und zetern, obwohl er keine Worte mehr artikulierte. Ein Brummen, ein Brüllen, ein Grummeln, das Holz der Tür erbebte, unmittelbar gefolgt von dem Klirren brechenden Glases. Kurz darauf ein zweites Beben, ein stumpferes Klirren. Steingut oder Porzellan zerbrach an der Wand.

Gustav von Stiehle deutete den Weg und sie gingen zum Hauptportal des Gutes und er lehnte sich dort, jetzt eine ungewöhnliche Lässigkeit präsentierend, als sei eine Menge Druck von seinen Schultern gefallen. Ein Fuß lehnte an der Wand, sodass er nur noch auf seinem linken Bein stand. Er kramte in seiner Tasche herum und fand dort ein Silberetui, welches schlicht war und eine einfache Gravur trug: «Zur Ertüchtigung.». Stiehle atmete tief durch und öffnete das Etui. Der Geruch trockenen, fast vertrockneten Tabaks strömte hervor. Er hielt Carl einen Klimmstängel hin, nahm sich dann selbst einen und mit der Hilfe eines Streichholzes entzündete er die Zigarette. Er atmete den Zug tief ein, ließ ihn einen Moment an der Lunge kratzen und atmete dann gespannt aus. Ja, irgendwas war von seinen Schultern gefallen. Eine schwere Last. Vielleicht hatte Carl seinen Nerv getroffen dank dieser sehr offenkundigen Loyalitätsbezeugung, andererseits war Stiehle nach eigener Aussage auch hier gewesen, um die Gewässer auszuloten. Der Herzog hatte ähnlich reagiert, wie Stiehle befürchtet und gehofft hatte. Er nahm einen zweiten Zug. "Kennen Sie den Huppmann, Herr Leutnant? Joseph Huppmann. Hat in St. Petersburg Zigaretten hergestellt und das Wissen mit nach Dresden gebracht. 'Nen Reservist, den ich kenn', arbeitet dort. Schickt immer wieder was. Ist gerade auf Reisen angenehmer als die Pfeife." Auf einmal schien Stiehle in Plauderlaune. Schon beim ersten Kontakt hatte er diese ungewöhnliche Mischung aus Härte und dann immer wieder betonter Lockerheit zur Schau gestellt. Diese Lockerheit war eine Art Fingerübung zur Selbstberuhigung. Das sah Carl jetzt genau. Auf diesem Mann lastete ein enormer Druck, der für diesen Moment verraucht schien. In kurzer Glut aufgegangen, wie die Zigarette es jetzt tat. "Aus Petersburg mögen einige gute Dinge kommen. Wir haben erst Sorge gehabt. Das russische Zarentum entstammt seit Katharina der Großen zum Teil aus Schleswig und Holstein, wenn man es so will. Sie verstehen sie manchmal besser als der Rest der deutschen Lande mit den Russen."

Stiehle rauchte für eine Minute stillschweigend seine kurze Zigarette, öffnete dann die Portaltür und trat hinaus. Der Reiter geleitete sie nicht mehr nach draußen, die Gefangenen im Keller waren für den Moment unwichtig, zumal Carl sowieso das Haus zu verlassen hatte. Gustav von Stiehle kratzte sich hörbar am Bart, nahm einen letzten Zug und war die glimmende Zigarette in den frischen Schnee. Geräuschvoll atmete er aus. "Ich bin der Diplomatie, wie sie wissen, nicht sehr zugetan. Wenn alle stets versuchen das Gesicht zu wahren, kommen viele falsche Zusagen heraus, viele falsche Aussagen. Insofern bin ich dankbar, dass der Herzog reinen Tisch gemacht hat. Er tut mir ein wenig Leid." Stiehle ging mit durchgestreckten Rücken, verbarg die Hände aber ob der Kälte in den Hosentaschen. Zur frühen Morgenstunde und in klirrender Kirche war sein kondensierender Atem im matten Laternenschein deutlich zu sehen. "Sie haben sich besser geschlagen, als ich es hätte können." Stiehles rechte Hand fand einen Weg aus der Hosentasche und klopfte Carl auf die Schulter, ehe sie wieder in der warmen Tasche verschwand. Seine Stimme ging jetzt in ein Flüstern über, er hatte auf einmal wieder Haltung. Nachdem dem Moment der drucklosen Auszeit, hatte ihn die Spannung wieder. "Sie bleiben bei mir. Wir lassen unsere Kutsche abfahren, lauern aber den Tag über etwas abseits der Wege. Wie gesagt, fürchte ich eine Falle. Die gefälschte Unterschrift, die Reaktion des Herzogs. Wissen wir, wo der Braunschweiger ist? Bereiten Sie sich auf das Schlimmste vor. Wenn der Herzog verzweifelt ist, kann uns Schlimmes wiederfahren. Sie bleiben den Tag bei mir, halten die Augen auf und wenn wir in Sicherheit sind, dann bekommen Sie von mir, wie besprochen, den schriftlichen Befehl sich wieder Ihrer Einheit anzuschließen." Stiehle verließ die Treppen vor dem Gut und ging aus dem schwachen Licht und deutete Carl dasselbe zu tun. Noch war es dunkel. Und wenn aus irgendeinem Grund der Scharfschütze hier noch lauerte, waren sie immerhin dank der Dunkelheit noch in Sicherheit. Stiehle deutete in Richtung Osten. In der Dunkelheit zeichnete sich eine Kutsche ab. "Das war groß, wie sie den Herzog auf das Blut gereizt haben, dank der Fakten und dank Ihrer Art. Haben Sie noch große Ziele in der Armee? Wollen sie mehr als Subalternoffizier[3] werden? Hauptmann? Stabsoffizier? Generalität? Preußen braucht loyale Männer mit genügend Hirnschmalz, um nicht nur neben einer Kanone zu stehen."
 1. Künette
 2. Armleuchter oder Armloch als Verhüllungswort für derbere Ausdrücke
 3. Subalternoffizier
« Letzte Änderung: 09.05.2013, 23:10:08 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Carl von Lütjenburg

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Casus Belli
« Antwort #308 am: 10.05.2013, 15:43:14 »
Die Worte des Herzogs trafen Carl, doch nicht so sehr ihr Inhalt wie die Art und Weise, wie der Alte sie ihm entgegen spie. Er war nicht umhingekommen, eine gewisse Sympathie für den Herzog zu entwickeln und so war es kein Zorn, sondern vielmehr ein Bedauern das ihn umfing. Der Herzog schien selbst nunmehr ein kleines Blatt im Sturm zu sein. Ein Sturm den er vielleicht selbst entfesselt hatte? Jedenfalls diese Front war nun ein wenig klarer abgesteckt befand Carl, dessen Miene, wie so oft, nicht offenbarte, welchen Wegen seine Gedanken gerade folgten.

Auf dem Rückweg bat er von Stiehle einen Augenblick zu warten, damit er die Uniform wechseln könne. Carl tat dies geschwind und kehrte nach wenigen Augenblicken - noch nicht ganz ordentlich - zum Major zurück. Dankend nahm der die ihm dargebotene Cigarette an und ließ sich Feuer geben. Kurz behielt er sie zwischen den Lippen, um seine Erscheinung vollends herzurichten und hielt das Ertüchtigungsmaterial fortan zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand.

"Sorge? Haben wir denn inzwischen Gewissheit, dass Zar Alexander uns keine Steine in den Weg zu legen versuchen wird? Wäre ja nicht das erste Mal, dass die Russen eine deutsche Lösung zu verteilen suchen..." warf Carl ein, nachdem Stiele von den Cigaretten auf Russland im Kontext zur aktuellen Situation kam, schwieg dann aber gemeinsam mit von Stiehle. Eigentlich gab es außerhalb der deutschen Lande niemanden, der ein interesse an einem deutschen Staate hatte, so wie Carl es sah. Auch im Innern gab es Widersacher zu genüge, das Haus von einem verließen sie gerade. Wenn es so war, dass ihre Sache gerecht war und gewisser Maßen auch notwendig, um deutsche Interessen auch in Zukunft vertreten zu können, welche Rechte könnten sie sich dann nehmen, wenn niemand an ihrer Seite stehen wollte?

Diesen Gedanken folgend antwortete Carl auf von Stiehles Ausführungen zur Diplomatie. "Sind sie sicher? Ich würde lieber eine Befestigung auf einem Hügel im Sturme nehmen, als solche Gespräche führen zu müssen. Ich kann die Lage nur partiell überblicken und unsere Aufklärung ist höchst unzureichend, wie mir scheint. Mir tat es auch Leid, er hätte sicherlich ein besseres Schicksal verdient, aber ich habe ihm niemals einen Hehl aus meinen Überzeugungen gemacht. Vielleicht hätte er mich lieber wieder zurück nach Kiel gesandt..." Er zog ein letztes Mal an seiner Cigarette, warf sie dann neben die von Stiehles und trat beide in den Schnee.
"Major, ich gewinne in den letzten Tagen immer mehr den Eindruck, dass man es in dieser Sache niemandem Recht machen kann und erst recht nicht alle Beteiligten mit Glacéhandschuhen[1] anfassen kann. Wenn wir uns zurückhalten können wir nicht darauf vertrauen, dass es die anderen ebenso halten."

Er blickte den Major von Stiehle nicht an, als dieser zu ihm flüsterte, sondern nickte lediglich kurz und kaum merklich. Zum Verbleib des Braunschweigers meinte er ebenfalls flüsternd "Kiel, Garnision. Was danach kommt weiß ich nicht." er zuckte mit den Schultern "Ob die Leute des Herzogs ihm vollkommen loyal sind darf auch bezweifelt werden." Kurz fasste er seinen Gedankenaustausch über diese Theorien mit dem Herzog im Flüsterton zusammen und sprach auch von den beiden Schotten, die auf Gut Emkendorf festgehalten wurden. "Aber auch hier tappen wir im Ungewissen."

Auf von Stiehles abschließende Worte antwortete Carl nicht augenblicklich. Dies kam wahrlich unerwartet. Freilich wolte er nach dem Studium seine Karriere beim Militär fortsetzen, aber diese Gedanken waren ihm in den letzten Tagen ferner denn je gewesen.
"Unsere Überzeugungen mögen uns manchmal blenden und vielleicht bin ich geblendet, doch der Herzog ist es auch. Ich wollte ihn konfrontieren aber ihn so sehr in Rage zu bringen wäre niemals mein Wunsch gewesen. Dennoch, dass er am Ende des Gesprächs so sehr die Haltung verloren hat und nicht ich, gibt mir Hoffnung, dass ich bei aller Überzeugung noch genug Distanz zu den Dingen bewahrt habe."
Dann sah er von Stiehle ins Gesicht und lächelte ein wenig spitzbübisch: "Major von Stiehle, ein jeder möchte ein General sein und ich schließe mich da sicherlich nicht aus. Aber eine Carrière war niemals der einzige Wunsch der mich zur Armee brachte. Ich arbeite stets aus Überzeugung. Und wenn ich als Leutnant Preußen am besten dienen kann, bin ich Leutnant; wenn man mich als Student braucht, dann will ich ein Student sein; und wenn sich heraus stellen sollte, dass ich der beste Kanonier im Norddeutschen Bund sein sollte, dann, bei Gott, von Stiehle bringen sie mir auf der Stelle eine Kanone, neben die Sie mich stellen können." Carls Tonfall war heiter und kündete ebenso von Erleichterung wie die von Stiehle'sche Lässigkeit zuvor. "Aber, wenn Sie als Major der Meinung sind, eine Beförderung wäre im Sinne aller Beteiligten, wer wäre ich dann mich gegen Sie und eine solche Ehrung zu stellen, Herr Major?" Carl nahm ein wenig Haltung an, das schelmische Lächeln war aber immer noch in seinen Mundwinkeln verankert und einen gewissen Stolz konnte er auch nur schwerlich unterdrücken.
Mit Gewalt zwang er sich wieder in das hier und jetzt zurück. Man durfte sich Ruhm stets nur in kleinen Dosen genehmigen, zuviel davon war nicht gut, für niemanden. "Worauf können wir zurückgreifen, Major?" fragte er halblaut "Ich führe einen Säbel und einen Revolver mit mir, zwölf Kugeln insgesamt. In Kiel habe ich noch ein neues Gewehr und ein gutes Pferd..."

 1. Glacéhandschuhe

Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #309 am: 10.05.2013, 17:34:38 »
Kopfschüttelnd und mit bitterem Blick starrte Alfred aus dem Fenster, während die leeren Marktstände an ihnen vorbeizogen. Mit einem Mal wurde ihm jedes Rumpeln der Kutsche, jeder Stein der Straße bewusst. Sie waren eine langsam schleichende Zielscheibe.

"Ich versuche, unsere Möglichkeiten abzuschätzen, Herr Himly," seufzte Alfred nur, während er unschlüssig nachdachte. Sich mit den Fingerspitzen an der Schläfe reibend wandte der Schwede sich den Männern in der Kutsche zu, ohne direkt einen von ihnen anzusehen. Aus dem Augenwinkel entging ihm jedoch nicht, dass sein Bruder in konzentriertes Murmeln vertieft war. Mit einem Kohlestift kritzelte der junge Nobel auf einem Stück Papier.

"Herr Weißdorn, ich halte Ihren Vorschlag für... unkonventionell. Bitte verzeihen sie den Ausdruck mangels angemessener Alternativen. Aber trauen Sie sich eine solche Täuschung zu? Meine unvorteilhafte Erscheinung an einer anderen Person nachzubilden? Zu Ihrer Gunst darf ich hinzufügen, dass ich weder Nocerino, noch Lavalle oder einem ihrer Männer je persönlich begegnet bin. Vielleicht mag das Ihnen zu Gute kommen; jedes Mittel, das uns Zeit gewinnen kann, halte ich für sinnvoll. Andererseits," holte Alfred aus und atmete tief mit hochgezogenen Augenbrauen ein, "könnten wir Nocerino auf die Spur eines der falschen Verträge schicken. Sofern Ohlendorf bereits mit seiner Arbeit ausreichend vorangeschritten ist - die ursprüngliche Idee, Herr Himly, weswegen wir ihn würden kontaktieren können. Aber: Entweder - Oder, wie ich fürchte. Die Ideen sind in dieser Form nur exklusiv."

Unzufrieden stöhnte Alfred auf.

"Und in jedem Fall nur einen Funken von Zeit wert."

Kopfschüttelnd richtete Alfred schweigend den Blick wieder aus dem Fenster. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, obwohl es trotz der Decken, unter denen die Männer saßen, eisig kalt in der Kutsche war. Worauf hatte er sich nur eingelassen? Diese Kutschfahrt war ein Urteil ins Verderben. Die Absicht, aus freiem Willen das Rennen nach Gut Emkendorf auf sich zu nehmen, bewirkte mit einem Mal die offensichtliche Gefahr, in die er seinen Bruder und sich begeben hatte. Gefährlicher als noch zehn stürmische Nächte zur brennenden Solros.

"Alfred?"

Könnte er der Sache noch entkommen? Würde es ihm gelingen, sich und seinen Bruder aus dieser Affaire zu ziehen, jetzt, wo sie bereits so tief in die Angelegenheit verstrickt waren? Sie könnten den Vertrag Himly überlassen, die Kutsche anhalten und sich verabschieden. Vielleicht würde Rosenstock sie noch bis zum Hafen eskortieren. Doch selbst ohne seinen Schutz, würden sie das nächste Schiff aus Kiels Hafen nehmen. Ob London, St. Petersburg oder direkt nach Stockholm, Hauptsache aus dieser Stadt, aus diesem uneinigen Land, welches zwischen zwei Fronten im Kraftakt seine Freiheit begehrte. Stöhnend schloss Alfred die Augen.

"Alfred!", meldete sich die Stimme des jüngeren Nobels wieder, dieses Mal energischer. "Emil?" antwortete Alfred seinem Bruder, und wandte sich fragend zu ihm. Noch sind wir in Sicherheit, dachte Alfred sich, warum verlassen wir diese Stadt nicht einfach?

 - "Alfred, wir sind zu langsam. Die Kutsche ist zu langsam."
 - "Ja, richtig.", antwortete der Ältere, ohne einen Spott in der Stimme.
 - "Wenn wir weiter mit der Kutsche fahren, werden wir gemeinsam eine ganze Tages- und Nachtzeit benötigen, um nach Emkendorf zu gelangen."[1]
 - "Ebenfalls korrekt." Alfred wurde stutzig. "Was schlägst Du vor, Emil?"
 - "Was, wenn wir schneller wären?

Es gibt eine Legende aus einer Grafschaft im Süden Englands. Sie handelt von einem wohlhabenden Frau, welche jung hat heiraten müssen. Doch als ihr Mann schon kurz nach der Hochzeit starb, heiratete sie ihre eigentliche Liebe - doch auch ihr zweiter Mann starb bald! Zwei weitere Ehemänner überlebte sie noch, ehe sie selbst das Zeitliche segnete. Es heißt, sie sei für den Tod der vier Männer verantwortlich gewesen, doch man weiß es nicht. Aber,
" schloss Emil endlich, aufgeregt unter dem Druck Alfreds verwirrten Blickes, "man sagt, dass sie nach ihrem Tod noch immer durch die Grafschaft zieht. Sie sitzt in einer geisterhaften Kutsche, welche aus den Knochen und Gerippen ihrer toten Ehemänner gebaut ist, und ein kopfloser Kutscher fährt sie nachts über die Felder!"[2]

Mit gerunzelter Stirn und unverständnisvoll schaut Alfred seinen Bruder an. Er konnte sich noch keinen Reim auf die Gedanken Emils machen, doch er wusste, dass sein Bruder noch nicht fertig gesprochen hatte.

"Diese Kutsche - oder Helios Sonnenwagen![3] sie würde den Weg nach Emkendorf in weniger als zwei Stunden hinter sich bringen. Hätte ich mehr Zeit, dann könnte ich einen Zauber für eine solche Kutsche berechnen - ", erklärte Emil endlich, und tippte energisch auf seine Notizen. Erst jetzt sah Alfred, dass Emil Formeln und Berechnungen niedergeschrieben hatte, welche unter der unruhigen Fahrt der Kutsche bizarre Formen angenommen hatten. "Ich kann mir vorstellen, dass sie Wege und auch Schnee und sogar Wasser überqueren kann, aber das wird mir nicht gelingen. Aber wenn wir eine Formel zu dem Zauber kaufen könnten..."

Endlich erhellte Alfreds Miene ein wenig, als er begriff, worauf sein Bruder hinauswollte. Kiel war schließlich eine Handelsstadt mit einem bedeutenden Hafen, es war durchaus möglich, dass auch obskure magische Gegenstände und Behelfsmittel ihren Weg an die hiesigen Märkte fanden.

"Ich verstehe," antwortete Alfred seinem Bruder nur knapp, aber legte ihm dankend eine Hand auf dessen Knie. Unverzögert wandte sich der ältere Nobel an die Kieler Herren.

"Ist dies eine Möglichkeit? Meinen Sie, wir können eine solche Formel innerhalb kurzer Zeit beschaffen? Es ist Montag, die Geschäfte sollten geöffnet sein. Wenn wir tatsächlich ein solches Transportmittel finden - " bedeutend sah Alfred zu Samuel "dann schicken wir eine Attrappe ins vermeintliche Emkendorf!"
 1. Reisezeit Gut Emkendorf
 2. Lady Howard's Coach
 3. Sonnenwagen
« Letzte Änderung: 15.05.2013, 17:28:16 von Alfred Nobel »
But I have learned to study Nature’s book
And comprehend its pages, and extract
From their deep love a solace for my grief.

 - A Riddle, 1851

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #310 am: 12.05.2013, 13:37:10 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 05:55 Uhr - Gut Emkendorf

Major Gustav von Stiehle hörte dem Leutnant aufmerksam zu, nickte hier und dort und kratzte sich immer wieder nachdenklich und geräuschvoll im Bart, lachte und freute sich mit Carl über die humorvollen Aussprüche, während sie zur Kutsche gingen. Es war erkennbar, dass Major von Stiehle eine Grundsympathie für Carl hegte und dass dieser wiederum den Major überzeugt hatte. Zwar hatte dieser keine Möglichkeiten, sich im dienstgradlichem Sinne tatsächlich zu betätigen, denn diese Aufgabe hatte unter diesen besonderen Vorzeichen General Wrangel[1] - Ein sehr bekannter General, der inzwischen in seinem 80. Lebensjahr war und es in weniger als einem halben Jahr vollenden würde. Ein Mann, der bereits im ersten schleswig-holsteinischen Krieg[2], die preußische Truppen anführte und Stiehles Anwesenheit und Worte waren ein Manifest der Tatsache, dass Wrangel auch diesmal das Kommando führen würde, so es denn dazu käme. Etwas, was immer wahrscheinlicher wurde - aber dennoch hatte Carl das Gefühl, dass ihm der Kontakt zu Stiehle einige Türen öffnen würde und wahrscheinlich schon geöffnet hatte. Stiehle war ein Loyalist, vielleicht etwas pragmatischer als die meisten, aber ein Loyalist.

Sie erreichten die Kutsche. Im fahlen Licht zeichneten sich fünf Soldaten ab, welche um die Kutsche standen und in Berliner Schnauze[3] miteinander sprachen. Carl von Lütjenburg bekam keine spezifischen Sachen mit, musste sich irgendwie um Wetter und Frauen drehen, typische Soldatenthemen eben. Stiehle trat hinzu und die Soldaten nahmen Haltung an. Stiehle hatte jetzt auch wieder eine andere Haltung. Sein Gesicht bekam einen Zug väterlicher Strenge, als er die Soldaten in Linie zu einem Glied antreten ließ und sich gegenüber postierte. Keine Begrüßung, keine langen Worte, kaum Erläuterungen. Stiehle schien schon länger mit den Soldaten, von denen keiner unter 30 Jahre alt war, zusammenzuarbeiten. "Zeltaufbau. 550 Ellen[4] Nord-Ost. Weißlage. Genügend Decken. Danach Kutsche nach Haßmoor bringen. Folgende Posten werden besetzt, immer zwei Mann, um die Straßen zu bewachen. Bei diesem Wetter wird kaum einer abseits der Straßen sich sammeln. Also: Klein Vollstedt, Groß Vollstedt, Haßmoor, Bokelholm, Westensee. Wittmaack und Kienast bleiben hier mit mir. Das neben mir ist übrigens Leutnant Carl von Lütjenburg. Merken Sie sich den Namen. Und nun ab."
Die Soldaten nahmen mit sicheren Handgriffen ein paar Dinge aus der Kutsche und vom Dach der Kutsche und legten sie ab, dann stiegen die Soldaten in die Kutsche und brachen auf bis auf Wittmaack, ein kleiner, drahtiger Mann mit langen Kotletten, welcher vom Dienstrang Sergeant war. Er hatte kaum noch Haare auf dem Kopf, obwohl er vielleicht anfang dreißig sein mochte. Trotz seiner drahtigen Figur, hatte er einen breiten Schädel, an dem sich ein Doppelkinn andeutete. Kienast hingegen mochte bereits 40 sein, und war dennoch Mannschafter. Ein Obergefreiter. Seit zehn Jahren wurden in der Infanterie keine Obergefreiten mehr ernannt, das wusste Carl. Kienast musste also schon lange dabei sein. Sein Rang war nur schwer vom Sergeant zu unterschieden. Kienast hatte kurzes, graues Haar und einen kleinen, grauen Spitzbart. Sein Gesicht war von Aknenarben geziert, seine Augen, von Falten eingerahmt, versprühten trotzdem etwas jugendlich-spitzbübisches. Sie nahmen das Zelt auf und wanderten nach Nordosten. Eine kleine Senke lag dort, wo sich der Schnee besonders tief sammelte. Es war immer noch verdammt kalt.

Stiehle blickte zufrieden seinen Soldaten hinterher, hatte den Gesprächsfaden jedoch nicht verloren. "Ich mache mir um Russlands Segen oder Unbill keine Sorgen. Der Geist des Panslawismus geht dort umher, seit sie die polnischen Januaraufstände[5] Anfang des Jahres niedergeschlagen haben und des selbsternannten Herzogs Reaktion hat mir deutlich gezeigt, dass er sich hilflos und alleine wähnt. Dass er so ein Sammelsurium aus Individualisten um sich scheren muss, um überhaupt mitspielen zu können, sagt zudem auch viel darüber aus. Ja, das Zarenreich wird kaum noch Kontakte hierhin pflegen und wenn, nicht zu Friedrich von Augustenburg. Wenn Alexander bei all diesem Gerangel zwischen Panslawismus[6] und der Spielart der Überlegenheit einzelner Slawenvölker über andere, dieser aufkommende Panrussismus[7], überhaupt wirklich mitbekommt, was hier vor sich geht. Und wenn doch, ist es jetzt für seinen Zug zu spät und es bleibt in unserem Interesse gegen ein immer stärker werdendes Russland um ein starkes Preußen zu wissen." Major Stiehle lachte ein wenig in sich hinein. "Ja, es ist sogar so. Wenn man so will, könnte Russland ein gewisses Verständnis für unsere Situation haben. Sie haben ja ihren eigenen Friedrich Augustenburg, wenn man so will, zwar ist dieser kein Herzog, aber ein selbsternannter Diktator der freien Polen, der sie zur Freiheit führen will. Ihr Romuald Traugutt[8]. "

Stiehle setzte sich wieder in Bewegung und ging in die Richtung, in welche Wittmaack und Kienast aufgebrochen waren und dort gerade das Zelt aufbauten. "Ich mache mir mehr Sorgen um diese Söldnersache und rechne dementsprechend mit einem weiteren Angriff.  Nicht auf den Herzog; eher unter Aufsicht des Herzogs. Verzweifelte Männer neigen zu verzweifelten Taten. Und im Rahmen der Bundesexekution habe ich da ein ungutes Gefühl. Deswegen bleiben wir hier und beobachten die Szene, sagen wir für zwei oder drei Tage. Wir müssen wissen, wer kommt, wer geht, was der Herzog plant oder ob er sich vor Verzweiflung in seiner Gallerie erhängt. Und dann bringen Sie den Brief nach Berlin zu Moltke, wie abgemacht."
Dann durchsuchte der Major seine Taschen. "Mhm. Ich kann Ihnen weitere zehn Patronen abgeben. Dürrfleisch und gefrorenes Wasser haben wir auch ausreichend. Das werden zwei, drei harte Tage und dann können Sie auch Ihr Gewehr und Ihr Pferd holen. Aber bei dem Wetter bräuchten Sie jetzt einen Tag nach Kiel. Zwei Tage Ihrer Abwesenheit kann ich jetzt nicht gebrauchen."

Stiehle und Lütjenburg konnten nun sehen, wie das Zelt sich sanft im Schnee erhob, aber aus großer Entfernung war es kaum zu erkennen im Schneefall. Wenn es nicht unerwartet taute, würde es so, fast 200m von der Straße entfernt, hinter kahlen Bäumen und alten Sträuchern, kaum auffallen. "Gut. Sie sind auch kein Freund der Diplomatie. Das ist erfreulich, Herr Leutnant. Gehen Sie dann besser nicht davon aus, dass das, was uns hier erwartet wird, sehr diplomatisch sein wird." Unwillkürlich dachte man dabei an die vielen Einschusslöcher auf Gut Emkendorf, welche von Scharfschützen stammten. Stiehle schien einen ähnlichen Gedanken haben. "In einer Stunde muss alles vorbereitet sein. Dann geht langsam die Sonne wieder auf und wir wollen ja nicht vor Kimme und Korn sein."
 1. Friedrich Wrangel
 2. Eben jener von 1848-1851.
 3. Berliner Dialekt
 4. Die preußische Elle entspricht etwa 66,69 cm.
 5. Polnischer Januarstand
 6. Panslawismus
 7. Panrussismus
 8. Romuald Traugutt
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Conrad Rosenstock

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Casus Belli
« Antwort #311 am: 14.05.2013, 00:34:45 »
Conrad überlegte etwas und dachte an einen englischen Händler, der tatsächlich einige exotische, magische Gegenstände in Kiel verkaufte. Aber ob er so eine Zauberformel hatte, ob er sie- wenn er sie denn tatsächlich hätte- verkaufen würde oder auch nur eine gute Empfehlung hatte, wusste Conrad nicht ganz genau. Einen Versuch wäre es aber auf jeden Fall wert. Dieser Gegenstand, den Emil nannte, klang wirklich sehr faszinierend, auch wenn die Geschichte um ihn etwas unheimlich klang im ersten Augenblick. Aber vielleicht war das ganze nicht bloß eine Legende, wie es sich im ersten Moment etwas anhörte. Der Vorteil, den sie aus so einem magischen Gefährt ziehen könnten, wäre einfach zu groß, um diese Geschichte leichtfertig als unwahr abzutun.

Conrad sagte dann letztlich in die Runde: "Ich hätte da schon einen englischen Händler im Gedächtnis, der einige magische Gegenstände angesammelt hat und einen solchen Gegenstand haben könnte. Er kann, glaube ich, auch selbst welche herstellen. Er hat einige ganz ausgefallene Dinge auf Lager, müsst Ihr wissen und ich musste bei der Formel sofort an ihn denken. Ich denke, wir sollten am besten gut zusammenarbeiten, um so schnell wie möglich zu ihm zu gelangen. Dann müssen womöglich Verhandlungen um den Gegenstand geführt werden. Wenn er uns den Gegenstand nicht anbieten kann, müssen wir für Informationen schon etwas Geld zahlen. Denn einfach so wird er uns nicht an einen anderen Händler verweisen. Sie sehen meine Herrn, dass es höchstwahrscheinlich viel zu tun gibt. Ein Sprichwort lautet, dass zu viele Köche den Brei verderben, aber wenn mich circa drei Personen bei meinem Vorhaben unterstützen könnten, wäre das schon sehr hilfreich bei unserem Vorhaben, solch eine Zauberformel zu finden. Aber um mal endlich auf Ihre Nachfrage näher einzugehen, Herr Nobel: So einen Gang zum Händler, warten bis man als Kunde dran ist und Gespräche zu führen, kann manchmal länger dauern als man glaubt. Aber wenn unsere Reise durch diese Zauberformel wesentlich verkürzt werden kann, sollten wir auf jeden Fall eine Suche nach ihr wagen und uns entsprechend Zeit nehmen. Manchmal müssen einfach Risiken im Leben eingegangen werden."

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #312 am: 17.05.2013, 00:43:24 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 16:00 Uhr - Am Hafen

Die Entscheidung schien gefallen. Es gab Situationen, in denen ein weiteres Diskutieren nur das Unvermeidliche hinausschob oder in denen die Diskutanten sich im Kreis drehten, wie sich belauernde und doch feige Duellanten, die sich zu keiner Entscheidung getrauten.  Mommsen erkannte, trotz seiner berühmtem, sturen, fast unumwerflichen Art, diesen Moment und mit einem Wedeln der Hand deutete er an, dass er gegen diesen Plan Alfreds nicht vorzubringen hatte und auch nicht gegen den Samuels. Sie verzögerten zwar diese Reise kurzfristig, aber am Ende würde eine Zeitersparnis bleiben und eine Ablenkung. Wenn dies alles klappte, konnte der alte Historiker wohl kaum etwas dagegen sagen. Wenn er magischen Erscheinungen gegenüber nicht aufgeschlossen war oder wie die meisten, ihnen nicht sehr aufgeschlossen gegenüber auftrat, verbarg er es hinter dieser lässigen Handbewegung. Mit dampfenden Atem blickte er aus der Kutsche.

Himly hingegen schmunzelte über Weissdorns Worte.  Der Mann mit der dünnrahmigen Brille schien sich sehr über die Art und Weise, in der Samuel Weißdorn seine Argumente vortrug, zu amüsieren. Dennoch zeigte er mit einem anerkennenden Nicken, dass er mit dem Plan an sich einverstanden war. Lächelnd rückte er seine Brille zurecht. "Beeindruckend, Herr Weißdorn. Kein Wunder, dass ihre Illusion so überzeugend ist. Augenscheinlich sind sie selbst zu dieser Illusion geworden. Diese dargestellte Souveränität, diese scheinbare Planhaftigkeit ihrer Worte und ihrer Taten. Geschickt nutzen Sie Ihr Umfeld und die Gedanken und Informationen der Anderen, um Ihre Meinung zu bilden und trotzdem sind Sie in der Lage so zu tun, als wäre Ihre Darstellung und Meinung originär und genialisch und geben dabei dem armen Herrn Mommsen das Gefühl, dass er sich von dieser forschen Jugendleistung brüskieren lassen muss." Karsten und Himly lachten herzlich, während Mommsen nur ein zögerliches Grummeln zu entlocken war, welches sich als Unbill lesen ließ. Wer aber genau hinschaute, konnte ein kleines, verkniffenes Zwickern erkennen seitens des grimmig blickenden, schmalen Mannes, was wahrscheinlich schon als positiver Gefühlsausbruch zu werten war.

Karsten wurde jedoch ernst und nickte die Ideen der ihn umgebenden Männer ab. "So muss ein intelligentes, liberales Parlament funktionieren, meine Herren. Jeder trägt sein Scherflein dazu bei und jeder weiß, wann er eigenen Stolz und eigenes Belieben hinter sich zu lassen hat." Er nickte Theodor Mommsen zu und kraulte sich den langen, dunklen Bart. "Und für mich ist dieser Zeitpunkt just in diesem Moment gekommen." Karsten schmunzelte. "Ich kenne den Zauber, von dem sie dort sprechen, werter Herr Nobel. Ich kenne einen sehr aufdringlichen Alumni, der sich sehr gerne mit diesem schmückte und sogar mit solch einem geisterhaften Vehikel, dreist wie er war, zur Verteidigung seiner Promotionsarbeit anreiste...." Theodor Mommsen fuhr auf einmal dazwischen, obwohl Karsten seine Worte noch gar nicht beendet hatte. "Ja. Und noch heute erzäht man sich, lieber Gustav, dass er nur durchgefallen sei, weil dem Materialforscher Gustav Karsten der Sinn für Stil und Schicklichkeit abginge." Gustav Karsten lachte herzlich und deutete auf die Kutschentür. "Es können nur sechs Personen in Ihrer modifizierten Kutsche fahren, Herr Nobel. Ich werde hier in der Kutsche bleiben, wenn Sie alle in die andere Kutsche überwechseln. Carl Himly wird Ihre Kutsche dann am besten steuern. Der Mann kennt sich, wie Sie wissen, mit allerlei Kriegs- und Transportgerät aus. Bis dahin werde ich Sie noch begleiten und dann sind Sie auf sich alleine gestellt. Aber der Zeitvorsprung wird so eklatant sein, dass sich dieses Vorhaben auf alle Fälle lohnen wird. Und ich kann diese Kutsche bewachen und dafür gerade stehen, wenn sie näher unter Augenschein genommen werden sollte."

Die Männer nickten sich zu und dann wurde es still, die Herzlichkeiten der guten Ideen und des Momentes schwanden und mit ihm wurden sich die Gäste der Kutsche wieder des schneidend-kalten Windes gewahr, welcher unbarmherzig durch die schmalen Schlitze der Kutsche pustete. Allen voran dem schmalsten der Männer, Mommsen, fröstelte es ungeheuerlich und nach ein paar letzten, lachenden Sonnenstrahlen verdeckten nun, als Spiegel der Gemütslage, weißgraue Schneewolken den Himmel. In der Ferne war schon der einsetzende Schneefall zu bewundern, wie er sich mit steigender Intensität über die Förde nach Kiel schleppte, getragen von bitterlich kaltem Ostwind. Der Plan war gefasst. Samuel würde einen Soldaten als Alfred Nobel verkleiden und dieser würde nach Friedrichsort gehen und eine falsche Spur auslegen, danach würde Samuel die Soldaten, welche Gustav Karsten, seinen großen Fürsprecher, begleiteten, so verkleiden, dass sie von weiten wie Alfred Nobels Gruppe wirken mochten und zu guter Letzt würde er sich und die restlichen Kutschengäste, auf Mommsen heftige Fürsprache, als ein preußisches Kavalleriekommando verkleiden, welches so tat, als würde sie dem Herzog die Bundesexekution überreichen.
Während Samuel Weißdorn mit seinen findigen Methoden der Irreführung die Verkleidungen aller vorbereitete und Alfred sich in der Kutsche verdeckt hielt, um die Scharade nicht auffliegen zu lassen, kaufte Conrad Rosenstock, der aufgrund seiner burschenschaftlichen Kontakte einige Schwarzhehler kannte, die an Waffengesetzen vorbei einiges an interessanten Kram verkauften, bei eben einem dieser Kleinhändler, Richard Courtright, die von Alfred gewünschte Zauberformel. Richard, auch wenn sein Ruf aufgrund seiner Waren ein anderer war, wurde von vielen, die ihn kannten, respektiert, da er ein ehrbarer Mann war. Seine Waren hatte er nie illegal erworben und Conrad wusste, dass er viele Zauber für die Universität zur Verfügung stellte, doch die Wogen der Zeit hatten viele seiner Handelsaktivitäten in einem falschen Zwielicht erscheinen lassen. Conrad und Richard, sie kannten sich. Aber auch Karsten und Richard, das wurde deutlich. Und so waren die Verhandlungen nicht zäh. An deren Ende stand, dass Richard die Schriftrolle für 675 Münzen über den provisorischen Tresen, also den schweren Eichentisch seiner Wohnung, gehen ließ. Conrad mochte nicht schlecht staunen, als Karsten die Kosten alleine übernahm und keine Widerrede hören wollte.
Als Conrad zurückkehrte, war fast alles vorbereitet[1]. Emil und Alfred hatten einen Großteil der Zauberformel bereits antizipiert und lasen sich dementsprechend schnell in den Zauber ein. Es kostete einige Anstrengung, doch Alfred und Emil webten an diesem Zauber rum, gaben sich einer fast nach Sprechgesang klingenden Intonierung hin und dann entstand sie. Eine typische, preußische Kutsche, wie sie von Kavalleristen für wichtige Dienstfahrten genommen wurde. Kein Sonnenwagen, wenn auch sicher so schnell, aber prunkvoll genug, um etwas herzumachen, schlicht genug, um preußisch zu sein, groß genug um vier Passagiere im Inneren aufzunehmen, einen Fahrer und einen Beifahrer auf dem Sitzbock Platz nehmen zu lassen und mit vier, kräftigen und arbeitssamen, prächtig-muskulösen Pferden davor. Sie waren bereit zum Aufbruch.

Gustav Karsten lupfte den Hut, als sie ihn endgültig verließen. "Ich wünsche Ihnen viel Glück. Für die Doppeleiche! Und für Sie persönlich, meine lieben Nobels, alles Gute!" Die alte Kutsche ratterte davon mit Karsten und den Männern, welche nur grob wie die Reisegruppe, der die Nobels, Rosenstock und Weissdorn angehörten, aussahen. Es würde für die Ablenkung reichen, aber doch so deutlich bei zu naher Betrachtung sein, dass man Gustav Karsten keinen Vorwurf daraus machen konnte, dass er einfach mit ein paar holsteinischen Soldaten in Zivil nach Molfsee reiste.
Dann bestiegen die fertig bekleideten, preußische Soldaten die geisterhafte Kutsche. Mommsen war als Rittmeister eingekleidet wurden und würde den grimmigen, höchstrangigen Offizier geben. Himly war sein Oberleutnant, aber hatte gleichzeitig die Zügel in der Hand. Ein Zeichen der Dringlichkeit ihres Auftrages. Und auch sonst war die Besetzung hochrangig. Nobel und Weissdorn aufgrund ihres Alters waren wohl am ehesten im Rang eines Leutnants, während Conrad Rosenstock und Emil Nobel aufgrund ihres Alters Offiziersanwärter waren, Kornetten, Fahnenjunker zu Pferd. Es sprach für wichtiges Personal und Mommsen nickte anerkennend, als er die mit wenigen Handgriffen und recht wenigen Requisiten zusammengestellten Verkleidungen, die Rosenstock ebenfalls beim britischen Händler Courtright erwerben konnte, prüfte. Selbst den gemeinem Preußen konnte man mit dieser Verkleidung täuschen, so viel war sicher. "Nun denn.", sagte Mommsen bedeutungsschwanger. "Die Sonne geht gleich unter und wir sind noch immer nicht auf dem Weg nach Emkendorf. Es wird Zeit." Himly ließ die Zügel knallen und das magische Gefährt nahm seinen Dienst geräuschlos auf. Mommsen schluckte schwer, als sich die Kutsche in Bewegung setzte. Seine Finger zitterten leicht. Er schluckte nochmals und nahm erstmal seinen Zwicker ab. Er blickte Alfred, Conrad und Samuel an - Emil hatte sich draußen auf den Kutschbock zu Himly gesellt, um ihn über die Himlybombe[2] auszufragen - und sagte einen bedeutungsvollen Satz, der noch lange in ihren Köpfen spuken sollte. Er sprach ihn mit einem Esprit und einem inneren Feuer, dass es keinen mehr wundern mochte, dass dieser Mann Historiker werden wollte.
"Meine Damen und Herren, wir erleben hier Geschichte!"

7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 16:00 Uhr - Gut Emkendorf

Es war kalt. Unerbittlich kalt und Carl zitterte wie Espenlaub. Es war dieses ungewisse Warten in der Kälte, in dieser nassen Kälte, obwohl sie dickt vermummt in dem weißlichen Zelt, welches inzwischen völlig eingeschneit war, auf der Lauer lagen. Einfach nur eingeschneit werden, das reichte noch nicht, um unter dem Schnee nicht zu frieren. Das wusste Carl. Er war Pionier. Er war preußischer Pionier mit Leib und Seele. Er hielt sich warm genug, und doch fror er stark genug, um sich an Espenlaub erinnert zu fühlen. Es war merkwürdig, an was für scheinbar unwichtige Dinge man in diesen Momenten dachte, wenn man vor Kälte zu erstarren glaubte und auf einen Schritt des Feindes wartete, auf das Auslösen der Falle oder auf was auch immer von Stiehle noch so warten mochte. Wie Espenlaub frieren. Carl fiel ein, dass die Espe auch Zitterpappel hieß. In seiner Heimat hieß sie jedoch weder Espe noch Zitterpappel, das waren Begriffe, die er in Mitteldeutschland aufgeschnappt hatte. In Holstein waren es Aspen, so hießen auch die Orte, die diese Bäume, aus welchen Gründen auch immer, im Wappen trugen oder sich danach benannt sehen wollten. Hohenaspe bei Itzehoe, Großenaspe südlich von Neumünster, Timm- und Krogaspe nördlich von Neumünster. Carl war schonmal in diesen Orten gewesen. Nur zur Sicherheit blickte er aus dem kleinen Zeltloch, welches fast ganz zugezogen war, damit nicht zu viel Wärme rausströmte. Von was für Bäumen waren sie umgeben? Er blickte sich um. Aspen. Hier standen viele Aspen. Ein paar Birken mit ihren weißen Rinden, ein paar Saalweiden und viele Eichen. Die Bäume waren typisch für Holstein und an diesem Ort waren sie gepflegt, selbst von ihrem Versteck aus im Schnee konnte er sehen, dass sie mehr oder weniger planvoll angelegt wurden. Ein schöner Ort im Frühjahr. Ein karger Ort im Winter. Carl blickte die große Allee entlang, welche nach Osten führte, nach Kiel. Mächtige Linden, Kastanien und Ahornbäume standen dort, viele von ihnen standen dort schon über ein Jahrhundert, vielleicht noch länger. Selbst von hier sah Carl, wie sie die hügelige Straße säumten und ihr preußisch-geordnet folgten. Wie viele Jahre würden sie dort noch stehen[3]? Sie waren ein prächtiger, standhafter Anblick. Viele von den Bäumen dort hatten Zwiesel, eine Gabelung. Carl blickte zurück zwischen die Aspen, Eichen, Birken und Weiden, zwischen denen sie sich im Schnee verbargen und Ausschau hielten. Da entdeckte er sie, nur fünfzig Schritt vor ihm, der Baum mit dem mächtigen Zwiesel, er war eine Eiche. Eine Doppeleiche.

Von Stiehle riss Carl aus seinen Gedanken. "Stecken Sie den Kopf wieder rein, Herr Leutnant." Von Stiehle hatte auf seinem Säckel gelegen und die letzten zwei Stunden keinen Mucks von sich gegeben. Man hätte denken können, dass er geschlafen hatte. Auf seiner Brust lag eine Art Taschen- oder Notizbuch, welches er mit dem Deckel nach oben liegen ließ, von Zeigefinger und Daumen festgehalten, sich rhythmisch mit seinem Brustkorb bewegend. Er schnarchte nicht, er atmete nicht wie ein Schlafender. Vielleicht hatte er die ganze Zeit über etwas nachgedacht. Die Mütze lag tief in seinem Gesicht und hatte seine Augen verborgen, ehe er sie jetzt wieder freigab und sich auf dem linken Ellenbogen aufstützte. "Ich glaube, ich weiß, was im Busch ist." Er nahm das Notizbuch hoch und drehte es um, sodass Carl in der aufgeschlagenen Doppelseite lesen konnte.  Es war irgendeine Schlachtzeichnung, wahrscheinlich von Stiehle selbst angefertigt, nicht sehr kunstfertig, aber klar strukturiert. Es war schwer zu erkennen, was die Aussage dieses Schlachtbildes war. Zwei Begriffe standen auf dem Schlachtfeld: Reisläufer[4] und Morgarten[5]. Carl wusste schon, was ein Reisläufer war. Ein schweizer Söldner des Mittelalters, doch was hatte die Schlacht am Morgarten damit zu tun? Sicher war es eine Schlacht, in der Reisläufer gekämpft hatten oder zumindest in einem Zusammenhang damit standen. Er war kein Historiker und an den Offiziersschulen hatte diese Schlacht keine Rolle gespielt. Von Stiehle war jedoch Kriegshistoriker und als solcher ließ er die Zeichnung nicht im Raum stehen. "Ich hätte früher darauf kommen müssen.", schalt er sich selbst, "Es ist doch deutlich. In der Schlacht am Morgarten kämpften die Eidgenossen gegen die Habsburger, um ihre Freiheit zu bewahren. Das ist weniger wichtig. Wichtiger ist, dass es eine Wende in der Schlachtführung war. Bis dato galten die Reiter als nonplusultra der Kriegsführung, gerade durch ihre Ordnung. Krieg war damals durch eine gewisse Form ritterlicher Fairness geprägt und die Eidgenossen begegneten ihr, in dem sie diese untergruben. Sie kämpften nicht mit der Absicht des Besiegens des Gegners, sondern des Zerstörens und Zermürbens. Da sie nur Fußvolk waren, brauchten sie vor allem das Gelände für ihren Vorteil." Von Stiehle blickte Carl von Lütjenburg sorgenvoll an. "Unsere Reisläufer hier - klar in der Schlacht vom Morgarten waren es noch keine, sie wurden es durch ihren Ruf später, weil jeder unbesiegbare Schweizer an seiner Seite haben wollte - haben genau diese Absicht. Der Herzog hat sich deshalb die Söldner zusammenstellen lassen. Glauben Sie es mir, Herr Leutnant! Die Söldner gehören allesamt zu dem feinen, falschen Herzog. Sie haben mir von dem Angriff erzählt, dass der Braunschweiger - ein Söldner mit ähnlichen Ruf wie ein Reisläufer - im Kampf vor allem den Herzog schützte und nicht eingriff. Der Angriff war gar nicht auf den Herzog gerichtet..." Von Stiehles Augen zeigten ein gewisses Entsetzen. "Ich wette, die Soldaten, die ich losgeschickt habe, um ihre Posten zu besetzen sind schon lange tot, Herr Leutnant. Das war die Falle. Jeder, der ihn aufgrund des Vertrages gefährlich werden kann, soll gebunden oder getötet werden und die Söldner heben die Ordnung der Diplomatie auf. Niemand könnte eine große Region oder gar ein Reich verdächtigen, wenn es die Söldner waren. Niemand könnte mehr als Vermutungen anstellen. Der Angriff auf den Herzog war fingiert, um ihn desbezüglich aus der Schusslinie zu nehmen. Die Reisläufer hebeln das Gentlemens' Agreement[6] der Konfliktlösung unserer Zeit aus." Von Stiehle schluckte hart, als ihm klar wurde, was für einen Fehler er gemacht hatte. "Wir müssen uns darauf gefasst machen, dass wir nur schwer hier rauskommen werden. Wir warten auf die Nacht und dann müssen wir so schnell es geht nach Preußen!"

7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 18:12 Uhr - Gut Emkendorf

Als sie in den Sonnenuntergang ritten, der fahl war und doch eine gewisse Schönheit besaß, wurde Theodor Mommsen noch unruhiger, rutschte auf seinem Platz hin und her. Die Sonne war gerade im Inbegriff zu verschwinden, da fuhren sie über karges Feld. Hier auf dem Land gab es überall Knicks. Er begrenzte nicht nur die Felder der Landwirte und Herren, sondern war auch willkommener Schutz gegen die steifen Brisen, welche regelmäßig über Schleswig und Holstein hinweggingen. Die meisten Wege, die sie nutzten, das wusste Mommsen Alfred Nobel als Nichtholsteiner zu erläutern, waren sogenannte Redder. Wege, welche beidseitig von Knicks, also Hecken, begrenzt waren. Nach einer Weile wurden die Knicks aber kleiner, verschwanden dann ganz und gaben den Blick frei auf die wenigen, freien Flächen. Hier war vor nicht allzulanger Zeit geknickt wurden und auch die Bäume hatte man für den Winter zu Feuerholz verarbeitet. Mommsen seufzte. "Es erinnert mich an ein wunderschönes, melancholisches Gemälde von Caspar David Friedrich. Er hat es 1811 gemalt. Es ist trotz seiner scheinbaren Tristess ein wunderschönes Bild. Glauben Sie mir das, meine Herren." Während sie vorüberfuhren, glaubten Sie einen Mann mit einer Axt beim Hacken eines Baumes zu sehen, doch dann war die schnelle Kutsche schon vorüber. "Es heißt einfach Winterlandschaft[7]. Einfach, aber einprägsam. Das ist das Schöne an den Friedrich-Bildern. Kennen Sie diese? Herr Nobel, Sie kennen Caspar David Friedrich bestimmt. Obzwar er Deutscher war, ist er im schwedischen Pommern geboren und fühlte sich einen Lebtag als Schwede. Aber das soll nicht zur Sache tun. Seine Bilder haben eine melancholische Schönheit, welche in ihrem transzendenten Charakter erst völlige Genialität entwickelt. Es ist dieses Dunkle, was überall scheint und doch von Hoffnung und schwachem Licht durchbrochen ist. Und erst dieses Licht, gibt dem Dunklen sein schönes Gesicht. Wissen Sie, was ich meine?"
Mommsen machte sich Mut. Das meinte er wohl am wahrscheinlichsten damit und so verzog er sich wieder in sein Grübeln, während Himly sich mit Bravour als Kutscher verdingte. Die Fahrt war angenehm und ruhig, dank der Zauberkraft.

Alles war angespannter seit Stiehle seine Befürchtung ausgesprochen hatte und endlich war die Sonne hinter dem Horizont verschwunden, der Schneefall hatte jedoch aufgehört und die anbrechende Nacht war sternenklar. Auf dem schneeweißen Untergrund war dies nicht zu einer Flucht geeignet, sie mussten, so unschön dieser Gedanke war, auf mehr Schnee warten und dann im Schneegestöber von dannen ziehen. Sollte der Scharfschütze noch immer unterwegs sein, wären sie in klarer Nacht ein viel zu leichtes Ziel.  Und dennoch hörten sie Bewegung. Wittmaack kam schneebedeckt ins Zelt gekrochen, er atmete schwer. "Herr Major! 'Ne Kutsche. In'nem unglaublichen Tempo, Herr Major." Erschrocken richtete sich Wittmaack halb auf und salutierte, als habe er das vorher vor Schreck vergessen. "S'e kommen von Ost, Herr Major. Kiel." Wittmaack nahm die Mütze ab und hielt sie vor die Brust, als wäre ihm etwas unangenehm. "Spucken Sie es schon aus, Wittmaack." "Sin' Preußen, Herr Major. Sin' Kavallerie, Herr Major." "Was?" Wittmaack zuckte mit den Schultern und machte einen entschuldigenden Gesichtsausdruck.  "Wir müssen Sie warnen!", sagte Stiehle schnell, nahm sich Revolver und krabbelte nach draußen, Wittmaack und Carl andeutend, es ihm gleichzutun.

Alfred Nobel schaute aus dem Fenster. Die Allee, die sich durchschritten war im vollen Mondschein und sternenklarer Nacht wunderbar zu erkennen, dank des schneeweißen Untergrund. Kastanien, Linden, Ahorn. Eine Allee die sogar entblättert einen prächtigen Eindruck machte, so von Schneeglanz bedeckt. "Wir sind gleich da.", sagte Mommsen schließlich. "Die Allee führt nach Emkendorf, bis zum Gut." Conrad erinnerte sich gut daran, wie das erste Mal hier lang gekommen waren. Und ehe sie sich versahen, bogen sie zum Gehöft ein.

"Verdammt!", entfuhr es Stiehle im Flüsterton als er das Zelt verlassen hatte und Carl sich hinter ihm mehr oder weniger aufrichtete. Die ungewöhnlich schnelle Kutsche raste an ihnen vorbei. Das Mondlicht spiegelte sich in diesem Moment im Fenster und Carl sah etwas, was ihm merkwürdig vertraut vorkam. Waren dies die Gesichter von Alfred Nobel und Conrad Rosenstock?

War es das Gesicht von Carl von Lütjenburg? Der Gedanke huschte sowohl Alfred Nobel als auch Conrad Rosenstock durch den Kopf, als sie an etwas vorbeifuhren, was mehr oder weniger wie übergroßer Schneehaufen aussah, aus dem irgendwas zu klettern schien und vor dem zwei Männer standen. Auch sie trugen preußische Uniformen. War das Carl? Conrad war sich sicher, dass es Carl war. Doch ehe sie Kontakt aufnehmen konnten, war Carl Himly schon vorbeirast und hielt auf den Vorhof des Gutes zu.

Endlich hielt die Kutsche nach ruhiger und fast stiller Fahrt. Geräuschvoll öffnete Mommsen die Tür und ließ einen Fuß rausbaumeln. "Endlich!", er reckte sich auffällig. "Wahrscheinlich noch früh genug, um sogar ein gutes Abendessen zu bekommen." Dann versuchte er wieder gestreng zu wirken. Doch es half nichts, dieser Mann war nervös. Auch Himly, der bereits vom Kutschbock abgesessen hatte und einen Tritt vor die Kutsche stellte, wirkte nervös. Seine Brille war von Eisrosen geziert, sein Gesicht sah verfroren aus, ebenso jenes von Emil, welches auf der anderen Seite der Kutsche auftauchte.
In diesem Moment schob sich eine Wolke vor den Mond und verdüsterte den Vorplatz Emkendorfs. Wind heulte kraftvoll auf und ging durch die Glieder der Gereisten. Sie stiegen aus der Kutsche und blickten zum Herrenhaus, in dem sich noch nichts tat. Mommsen stützte sich schwer auf einem Gehstock. Diesmal wirkten seine Worte noch nicht mehr so kraftvoll, eher ehrfürchtig, als er hinauf zum Gut blickte, in dem einige Fenster beleuchtet waren und matte Schemen vor den Fenster entlanggingen und Geschäftigkeit zeigten. "Meine Damen und Herren, wir erleben hier Geschichte!"
Sie hatten es geschafft. Sie hatten Emkendorf erreicht, ohne aufgehalten oder angegriffen zu werden und so schnell, wie sie lautlos durch das winterlache Holstein gereist waren, hatten sie auch sicher Zeit gewonnen. Mindestens einen Tag. Und doch war ihnen unwohl. Sie spürten, dass ein großer Druck auf ihnen lag und der heulende Wind trug ihn nicht fort. "Wollen wir?", fragte Himly fröstelnd und rieb sich die Hände. Irgendwo war das Knacken alten Holzes zu hören.
 1. Statt 90 Minuten für die Verkleiden zu berechnen, hat Samuel die Fähigkeit des Quick Disguise, welche ich unterschlagen hatte. So braucht Samuel für alle Verkleidungen nur um die 15-20 Minuten. Die Einkäufe, Fahrten mit der Kutsche kosten aber auch Zeit. Es können aber weitere 30 Minuten eingespart werden. Vorbereitungszeit wird mit bummelig 60 Minuten berechnet
 2. Seemine mit Kabelzündung
 3. Sie stehen noch heute dort!
 4. Reisläufer
 5. Schlacht am Morgarten
 6. Gentlemens' Agreement
 7. Winterlandschaft
« Letzte Änderung: 17.05.2013, 11:02:50 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Carl von Lütjenburg

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Casus Belli
« Antwort #313 am: 17.05.2013, 21:09:52 »
Noch nie hatte er so sehr gefroren. Gewiss, als Pionier hatte er sich mit diesen Widrigkeiten zu arrangieren und sie zu erdulden und niemand hätte sagen können, dass Carl dies nicht getan hätte. Wenn es ihm möglich gewesen wäre, hätte er auch das Zittern abgestellt. "Seiner Majestät Soldaten zittern nicht. Seiner Majestät Soldaten Beben vor Entschlossenheit und Tatendrang." hatte der Unteroffizier, der Carl als jungen Rekruten ausgebildet hatte, immer gerne gesagt. Und er hatte mit dieser Meinung Recht behalten, befand Carl. Die Kälte war es nicht, die ihm am meisten zu schaffen machte. Seit sie vor fast zwei Tagen zum Hafen herunter gelaufen waren, war dies der erste Augenblick, in dem Carl Zeit für sich hatte und gleichzeitig unverletzt und bei Bewusstsein war. Dass wahrhaftig noch nicht mehr als zwei Tage vergangen waren mochte er kaum glauben, es kam ihm beinahe wie zweieinhalb Jahre vor. Doch diese Ruhe, dieses Warten... nach all dem Handeln und den immer neuen Wendungen in dieser merkwürdigen Geschichte, schien es Carl zu überfordern einfach still zu sein und abzuwarten.

Er hatte aufgehört zu zählen, wie oft er schon seine spärliche Ausrüstung überprüft hatte. Sein Revolver mit sechs Schuss geladen, sechzehn Schuss Reserve, sein Helm mit Spitze und sein Offizierssäbel... Es war nicht nötig dieses Ritual immer und immer wieder durchzuführen, doch es half. Es half Carl mit den Gedanken im Hier und Jetzt zu bleiben und nicht ins Träumen zu geraten. Er bewunderte Major von Stiehle um dessen augenscheinliche Gelassenheit, Carl hatte es nicht über sich bringen können, sich hinzulegen oder gar die Augen zu schließen. Er war nicht nervös, aber ruhig war er auch nicht. Alarmiert war wohl der richtige Ausdruck, dachte Carl. Er war innerlich darauf vorbereitet augenblicklich aufzuspringen und Gut Emkendorf im Handstreich zu nehmen, sollte dies notwendig sein und er bemühte sich diesen Zustand aufrecht zu erhalten indem er sich seiner Ausrüstung wie in einer kultischen Handlung immer wieder aufs Neue vergewisserte. Wenn er doch wenigstens nicht zittern würde wie Espenlaub...

Von Stiehles Stimme ließ ihn zusammenzucken. Verflixt, hatte er doch vor sich hin geträumt. Carl wandte sich dem Major zu und lauschte ob dessen Ankündigung interessiert seinen Ausführungen. Die von Stiehl'sche Theorie leuchtete Carl ein, sogar mehr als das, hatte er sie doch beinahe selbst schon dem Herzog dargelegt.... Seine dritte These "Cui bono?"[1] ging davon aus, das jemand die Söldner einsetzt, um selbst unerkannt zu bleiben. Doch Carl hätte damals nicht gedacht, dass er dem Führer der Söldner persönlich gegenüber gesessen hätte. Und das dieser Carl auch noch nach der eigenen Meinung fragt. Das erste Mal war es nun Zorn, mit dem Carl den Herzog bedachte. "Wie kann man bloß so hinterhältig und ehrenlos handeln?" fragte Carl sich selbst und registrierte erst im Nachhinein, dass er seinen Gedanken laut ausgesprochen hatte. Er ließ von Stiehle an seinen weiteren Gedanken teilhaben und fragte abschließend "Was denken Sie, wie lange es dauern wird, bis die ersten Bundestruppen hier eintreffen, Herr Major?"

"Preußen?" Carl sah Wittmaack verwirrt an, fasste sich dann aber und kroch hinter den beiden Männern aus dem Zelt, nur um eine Kutsche an sich vorbei rasen zu sehen. "Conrad?" brachte er im gleichen Augenblick hervor, als von Stiehle in die Nacht fluchte. Er hatte Conrad gesehen und Alfred Nobel und beide in preußischer Uniform. So merkwürdig das klang, so sicher war er sich dessen gleichzeitig[2].
Carls letzter Stand war, dass Conrad mit den Verträgen zurückkehren wollte, um sie dem Herzog zu überreichen, irgendwie musste er es zwischendrin geschafft haben Herrn Nobel freizubekommen. Aber warum waren sie mit preußischer Kavallerie unterwegs und trugen dazu auch noch deren Uniform?
"Major, das sind keine Preußen." Carl blickte von Stiehle ernst an "In der Kutsche saßen Alfred Nobel und Conrad Rosenstock und vorne auf dem Bock habe ich Emil Nobel erkannt. Sie tragen unsere Uniform, aber sie gehören nicht zu uns. Sie kehren zweifelsohne zurück, um die Verträge zu überbringen, aber sie wissen nicht, was wir wissen. Wir müssen sie abfangen, bevor sie zum Herzog gelangen!" Carl wartete, ob der Major anderweitig entschied, um ansonsten los zu sprinten.
 1. Carls dritte These zu den Söldnern
 2. Perception: 23

Samuel Weissdorn

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Casus Belli
« Antwort #314 am: 19.05.2013, 01:13:00 »
Samuel war fast ein wenig berauscht von der atemberaubend schnellen Fahrt mit der Kutsche. Während der ganzen Fahrt konnte er sich ein breites Grinsen nicht verkneifen, und als sie angekommen waren, brauchte er einen Moment, um zum nötigen Ernst zurückzufinden. Dann aber straffte er sich. Er sah Himly an, dann noch einmal in die Runde.

"Meine Herren, ich möchte Sie vorab noch einmal daran erinnern, dass wir nicht wirklich wissen, was uns erwartet. Wir haben Vermutungen, aber wie ich bereits in der Universität anmerkte, besteht auch die Gefahr, dass jemand wollte, dass die Dinge sich eben so entwickelt haben, wie es nun der Fall ist."[1]

Er ließ die Worte einen Moment wirken, bevor er weitersprach. "Wir dürfen auf keinen Fall mit der Tür ins Haus fallen. Der Vertrag darf keine Erwähnung finden, bis wir uns sicher sind, dass dies keine Falle ist. Nicht nur die Zukunft, sondern auch unser aller Leben kann von unserer Vorsicht abhängen. Der erste Schritt muss sein, die Position und die Ziele des Herzogs zu erkunden, bevor wir in konkrete Verhandlungen mit ihm schreiten werden."
 1. http://games.dnd-gate.de/index.php/topic,6646.msg774023.html#msg774023

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