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Autor Thema: Casus Belli  (Gelesen 83204 mal)

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Menthir

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Casus Belli
« Antwort #60 am: 22.05.2011, 21:51:03 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 00:26 Uhr - Auf der Helka

Und tatsächlich wagten die Studenten jenes wahnsinnige Manöver, welches ihnen vielleicht das Leben kosten würde. In die Trümmerteile eines Wrackes fahren, welches durch die hochgefährlichen Substanzen an Bord des Schiffes, explodiert war und von denen vielleicht manche noch siedeten, in der Gefahr alsbald ebenfalls zu explodieren.
Es wurde zusehends schwerer das Schiff unter Kontrolle oder gar den Hilfsmotor am Laufen zu halten und doch gelang es Carl das Steuerrad fest in seinen Händen zu halten, obwohl seine Muskeln brannten wie seit der Grundausbildung nicht mehr. Paul lieferte Alfred immer wieder die notwendigen Kohlen, während Alfred inzwischen schon schwarz von der Kohle war und sich zunehmend wie ein Junge in einer englischen Kohlemine fühlen musste: eingeengt, verängstigt und nicht wissend, was aus ihm und seinen Angehörigen werden würde. Die Hitze der Dampfmaschine tat ihr übriges. Sie lief unrund, ein Kolben hatte eine enorme Unwucht und Alfred würde nicht seine Hand dafür ins Feuer halten, dass die Dampfmaschine noch eine Viertelstunde des Einsatzes ohne Murren mitmachen würde.

"Vors..." Der Schrei eines der Studenten wurde jäh unterbrochen als die Helka einer schwimmenden und kokelnden Kiste zu nah kam und diese direkt neben der Helka explodierte. Splitter jagten über das Deck und verwundeten Studenten und Gerettete gleichermaßen. Aber sie war nicht kräftig genug, um den Rumpf zu durchschlagen. Das Boot wurde wie wild durchgeschaukelt und Schreie ertönten auf dem ganzen Schiff, aber Carl konnte es wieder unter Kontrolle bringen.
"Heads up!", brüllte der Schotte diesmal und mit aller Kraft gelang es Carl von Lütjenburg die Helka hart zu wenden und einer weiteren dieser Kisten auszuweichen. Doch es wurde leider deutlich, dass keiner der Studenten maritime Kenntnisse hatte und so auch nicht der preußische Offizier, der die Kraft der aufgepeitschten See unterschätzte. Mit einem riesigen Knall wurde das Schiff von einer weiteren Explosion erwischt, diesmal am Heck. Alfred wurde fast zu Boden gerissen, doch er und die Maschine überstanden es weitesgehend unverletzt, obwohl dieser Schlag der sowieso unrund laufenden Maschine sicherlich nicht gut tat.
Die Trümmer fegten diesmal nicht so stark über das Deck, doch der Schotte wurde von einem großen Holzsplitter in der Bauchgegend durchbohrt und ging ungläubig schauend zu Boden. Mehrere Studenten und Gerettete wurden leicht verletzt und auch die auf der großen Planke treibenden Schiffsbrüchigen wurden malträtiert[1].

Und doch gelang es den Studenten und den noch stehenden Geretten die Männer auf der Planke zu retten. Alle sechs Personen konnten an Bord der Helka gehievt werden. Inzwischen waren drei bewusstlos, einer war der Bewusstlosen wohl bereits tot, ein Holzsplitter war in seinen Kopf eingeschlagen. Einer der Schiffsbrüchigen ergriff das Wort, als er sich auf das Deck gerollt hatte. "Thank ye, good sirs. Thank ye." Seine Worten gingen fast unter, denn in der Umgebung explodierten weitere treibende Kisten. Der andere Kutter versuchte sich in den Hafen zu retten. Die anderen Studenten begannen sich und die Männer zu versorgen, die sich derweil vorstellten. Sven, Ole und Emil hießen sie, auch Alfred konnte den Namen Emil vernehmen. Die beiden Bewusstlosen hießen Gunnar und Rasmus, der Tote hieß auch Emil. Eine Schrecksekunde, doch dann lösten sie auf, dass es sich um Emil Gunnarsson handelte. Die anderen Nachnamen erklangen in das Maschinenschott. "Sven und Ole heißen Hjalmarsson mit Nachnamen, ich bin Emil Nobel.", ertönte endlich die erlösende Stimme, deren Klang Alfred so vermisst hatte.

Und doch waren sie nicht aus der Gefahr. Carl musste sie noch wieder aus dem Trümmerfeld bringen[2], in welchem Kiste um Kiste explodierte. Sie mussten sich in den Hafen retten, der Regen vermochte die Kisten nicht zu löschen. Die Förde brannte und die Studenten sahen voller Angst, dass mehrere Kisten auf das Schiff zutrieben...
 1. Die Helka hat 42 Schaden erlitten und besitzt noch 38 Trefferpunkte
 2. Neuer Wurf für Carl, um das Schiff zu steuern.
Alles im Ergebnis unter 15 (Anzeigen)
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« Letzte Änderung: 22.05.2011, 21:52:30 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Carl von Lütjenburg

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Casus Belli
« Antwort #61 am: 23.05.2011, 01:33:40 »
Glücklicher Weise waren alle Männer an Bord arg beschäftigt, sonst hätten sie sicher bemerkt, wie Carls Zuversicht einen gehörigen Dämpfer bekommen hatte, als einige der Retter im Splitterregen niedergingen.
Er hoffte inständig, dass niemand ernsthaft verletzt war und konzentrierte sich weiterhin auf das Steuern des Schiffes. Doch es wollte ihm nicht gelingen alle Kisten zu umfahren. Hatte er sich zu viel zugetraut? Immerhin war er kein Seemann, sondern ein Pionier.

Als die Schiffbrüchigen in SIcherheit waren steuerte er sogleich wieder aus den brennenden Trümmern heraus, er wollte nicht riskieren, dass sie irgendwann die Explosion fänden, die stark genug für die Helka wäre...
Mit eisernem Willen und höchster Konzentration bediente er das Steuer und rief sich alles ins Bewusstsein was er in den vergangenen Augenblicken über die Bedienung eines Kutters gelernt hatte. Carl schaffte es die Trümmerteile auf dem Rückweg zu umkurven, so dass es keine weiteren Verletzten geben musste.

Das nun auch von den Rettern einige verletzt waren bewog Carl dazu, dass sie nun heimkehren sollten, also setzte er Kurs auf den Anlegepier.

"Kümmert Euch um die Verletzten aber riskiert nicht dabei über Bord zu gehen! Wir kehren jetzt wieder zurück!" rief er über das Deck hinaus und lenkte den Kahn durch die aufgewühlte See.

Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #62 am: 23.05.2011, 21:32:21 »
Es waren die Worte, die Alfred hören wollte. Leise schimpfte er über sich selbst, dass er je auf grausamere Gedanken gekommen war. Es mag zwar durchaus realistisch gewesen sein, an einem unversehrten Ausgang zu zweifeln, vor allem, da etliche Besatzung ihr Leben im Meer, durch die Explosion und sogar noch durch die Trümmer verloren hatten. Doch als die wohlvertraute Stimme mit dieser schier frechen Kühnheit jene Worte sprach, fühlte sich der ältere Bruder erleichtert, so erleichtert.

Ich bin Emil Nobel.

Still lächelte Alfred in sich hinein. Er wusste, es war noch nicht vorbei. Carls unglaubliches Geschick hatte sie bis hierhin geführt, nun lag es ebenso an dem Teufelskerl, sie wieder sicher an Land zu bringen. Doch Alfred hatte ebenfalls noch seine Aufgabe zu erfüllen; mit prüfenden Blicken behielt er die Barometer und das Schwungrad im Auge und hielt sich mit der freien Hand an den Stahlstreben des Maschinenraumes fest. Jedes Mal, wenn das Rad der Maschine zu ungelenk wurde und zu Taumeln drohte, zog er den Bremsbolzen etwas fest, musste dabei jedoch immer darauf achten, das Rad nicht zu abrupt zu bremsen. Schweißperlen rannen ihm über die kohlebesetzte Stirn und hinterließen dünne, weiße Rinnsale auf dem hohen Haupt. Er würde genug Zeit haben, sich Emil zu widmen, wenn sie wieder heil an Land waren. Geduld, sprach der Schwede sich zu, Geduld. Er wusste schließlich ohnehin nicht, was er seinem Bruder auf stürmischer See zwischen explosiven Trümmern und gefährlichem Seegang zu sagen hatte. Doch zu dem Schweiß, das nun auch über die Wangen Alfreds lief, gesellten sich einige glückliche, salzige Tränen, bevor Alfred sie wegblinzelte.
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And comprehend its pages, and extract
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 - A Riddle, 1851

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #63 am: 25.05.2011, 18:06:10 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 00:38 Uhr - Auf der Helka

Die Helka bäumte sich auf, als Carl sie ein weiteres Mal hart rumriss. Doch diesmal achtete er darauf, welche Kisten Steuer- und Backbord, als auch Achtern lauerten und so manövrierte er den Kutter gerade so an einer explodierenden Kiste vorbei, sodass nur kleine Trümmer hinabregneten, jedoch ohne schwere Verletzungen zu hinterlassen. Der Kutter knarrte und quietschte unter der enormen Belastung und der Unerfahrenheit seines Steuermannes und doch mutete Carl von Lütjenburg dem Kutter nicht zu viel zu, auch wenn er kurz vor der äußersten Belastung lag. Er tat eben das, was ein preußischer Offizier zu tun hatte: das, was nötig war.
Es war ein Höllenritt auf den aufgeschaukelten Wellenkämmen der Kieler Förde, links und rechts des Bootes, vor und hinter ihm, überall flogen Fetzen und Trümmer umher, die Förde selbst brannte und irgendwo dazwischen kämpften zwei Kutter gegen den Wind und das Wetter und versuchten wieder in den heimatlichen Hafen zu kommen, während keine funfhundert Meter entfernt zwei, vielleicht dänische, Schiffe sich unbehelligt zurückzogen, nachdem sie für das nächtliche Inferno gesorgt und Menschenleben vernichtet hatten.

Doch Carl und Alfred blieben Herr der Lage und so schafften es die Studenten gemeinsam, ihre Helka und damit ihr Leben aus der Gefahrenzone zu bringen. Doch zu welchem Preis? Während sie zurück auf die Piere steuerten und das Adrenalin und der Schutzschild des Momentes zu zerbrechen begann, wurde das wahre Ausmaß der Katastrophe sichtbar. Vielleicht die Hälfte der geretteten Schiffsbrüchigen lebten überhaupt noch, sie waren total unterkühlt oder litten unter dem enormen Blutverlust, den sie durch die Wunden, welche umherfliegende Trümmerteile gerissen hatten, erlitten. Die unruhige See und das ganze Blut schlugen für sich oder zusammen auf Magen und Gesundheit. Viele Studenten, von denen sich ebenfalls einige verletzt hatten, so auch Paul, der zwei Platzwunden am Kopf hatte, und Gerettete übergaben sich jetzt hemmungslos, wobei einer fast noch über die Reling stürzte. Alfred spürte den Druck der Bewegungskrankheit besonders hart, da er vom Maschinenraum nicht auf den Horizont blicken konnte und auch Karls Magen krampfte langsam. Die Ausbeute sah katastrophal aus, nur elf Überlebende konnten verzeichnet werden, die anderen waren entweder schon weitesgehend tot als die geborgen wurden oder waren in den Armen der helfenden Studenten gestorben. Und auch Emil war stark verletzt, eine offene Wunde am Oberschenkel musste versorgt werden, die meisten Schiffsbrüchigen mussten innerhalb der nächsten halben Stunde in ein Hospital, oder sie würden die Nacht nicht überleben. Und auch die Helka sah malträtiert aus, die umherfliegenden Trümmer hatten fast alle Segel und Taue zerrissen und zerstört. Die Gewalt mancher Explosion und der umherfliegenden Trümmer war allein daran zusehen, dass ein von der Explosion katapultierter Pfahl sich fast bis zur Hälfte in den Holzmast der Helka gefressen hatte. Jene Studenten, welche nicht verletzt wurden, hatten wahrlich das Glück auf ihrer Seite, doch es änderte nichts daran, dass der Angriff der Dänen katastrophal verlaufen war für die Solros. Wenn der Kutter des Militärs ähnlich wenig Erfolg beim Retten der Schiffsbrüchigen hatte, dann stimmte Emils bittere Prognose: "Wenn wir Pech haben...", sagte er unter Schmerzen und presste Tuch auf seine Wunde, "sind wahrscheinlich nur noch zwanzig von einhundertvierzig Passagiere und Crewmitglieder am Leben..."

Nur etwa eine halbe Stunde nachdem sie sich in die Gefahr der angreifenden Schiffe gewagt hatten, kehrten sie als zweiter Kutter unter dem Jubel der Soldaten und einiger inzwischen hinzugekommener Schaulustiger wieder zurück in den Hafen, die Helka dampfte noch an einigen Stellen, an denen Feuer ausgebrochen war, welches die Studenten immer gleich zu löschen wussten, oder Trümmer verbrannt waren. Und ein Blick auf den anderen Kutter zeigte kein besseres Bild. Die Helka gab ein letztes Stöhnen von sich, dann hatte Alfred alles getan, was er konnte. Der Kolben schlug aus und die Maschine erstarb, die letzten Meter trieb die aufgepeitschte See die Helka an die richtige Stelle. Der Jubel wollte nicht mehr abflauen. Es waren wahrscheinlich Helden geboren und doch auch viele Männer gestorben.
Als die Studenten und Alfred mit wackeligen Beinen von Bord staksten, nahmen jubelnde Soldaten sie in Empfang und klopften ihnen auf die Schultern und übernahmen die Verpflegung der Verwundeten und der Toten. Die Helena von Wismar hatte das Auslaufen nicht geschafft und so auch nicht das Schiff löschen können, und vielleicht war der Wind ein Wink des Schicksals. Hätte sie versucht an Bord des Schiffes zu retten, wären wahrscheinlich noch mehr Menschen gestorben. Nur Feldwebel Franz hatte es geschafft mit dem Kutter Barbara auszulaufen. Sie wurden ebenso frenetisch begrüßt, sie retteten zwölf Schiffsbrüchigen das Leben und verloren einen Soldaten.

Emil, er war fast schon am wegdämmern vor Schmerzen, wurde sich erst dann seines Bruders unter all dem Kohlestaub gewahr. "Bruder!", sagte er fast erschrocken und Tränen sammelten sich in seinen Augen, ehe er sich vor Schmerzen wieder hinlegen musste. Drei Soldaten versperrten Alfred dann die Sicht und begannen mit der Versorgung der Wunden. Während im Hintergrund der dicke Oberwachmeister auf seinen stelzenartigen Beinen angewippt kam. "Meine Herren! Lassen sie sich im Namen Holsteins sagen, dass sie verdammt nochmal Teufelskerle sind!", bekräftige er mit fast stolz geschwellter Brust und ließ es sich nicht nehmen, jedem Studenten persönlich die Hand zu geben und auch Alfred, den er kurz prüfend anschaute, ob dieser dieses Lob gern nehmen würde oder ob sein Bruder gestorben sein könnte, doch dann ging er bereits weiter zu Carl von Lütjenburg. "Leutnant! Was sie da heute geleistet haben! Da wäre man stolz, man könnte selbst ein Preuße sein!" Carl reichte er nicht die Hand, sondern schlug im wild und kräftig auf die Schulter und salutierte dann vor so viel Mut. Er drehte sich den Studenten zu. "Kommen sie alle ins Unteroffiziersheim, dort bekommen sie ein Bad, frische Wäsche und ein Bier!"
Er nickte den Studenten zu und zog dann wieder ab, um die Versorgung der Verwundeten und der Toten zu koordinieren.
Sie hatten es geschafft, die Studenten und Alfred, sie hatten Menschenleben gerettet und waren selbst wieder Leben zurückgekehrt[1].
 1. 3200 Erfahrungspunkte pro Retter.
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Carl von Lütjenburg

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Casus Belli
« Antwort #64 am: 26.05.2011, 00:05:57 »
Carl salutierte seinerseits und und rief ein kräftiges "Danke, Herr Oberwachtmeister!" in die stürmische Nacht hinein und hinter dem gewichtigen Offizier hinterher. Erst einen Augenblick später fiel ihm ein, dass er kein Preuße war, sondern gebürtiger Holsteiner. Doch für Carl waren die Grenzen in dieser Hinsicht schon so lange fließend gewesen, dass er da kaum Unterschiede für sich machte.

Doch so wie nun allmählich der Lärm um Carl Heinrich von Lütjenburg abnahm, so ließ ihn gleichsam auch die Anspannung los, die ihn die ganze Zeit über angetrieben und allen Widrigkeiten hatte trotzen lassen.
Er richtete sich an seine Helfer und sprach mit deutlich weniger Elan in der Stimme "Ihr habt gehört was der Oberwachtmeister gesagt hat. Dort drüben gibt es alles was Ihr braucht um Eure Lebensgeister wieder auf Vordermann zu bringen. Ich danke Euch für Eure Disziplin und Euren Mut. Diese Nacht war mehr wert als hundert Abende voller Gerede und Gezänk. Wegtreten!"

Damit hatte er sein "Kommando" aufgegeben und Carl war nun für sich. Schlecht geschlagen hatte er sich keinesfalls, aber dennoch... Er betrachtete die Verwundeten. Es hatte auch einige der Studenten erwischt, weil er den explodierenden Kisten anfangs nicht hatte gut genug ausweichen können. Und der Schotte hatte sein Leben lassen müssen. Carl Heinrich machte sich keine ernsthaften Vorwürfe, er hatte sein Bestes gegeben und so viele Menschen wie er konnte gerettet. Es gab nichts was er sich hätte Vorwerfen müssen. Doch ein bitterer Nachgeschmack blieb und er hoffte von ganzem Herzen, dass diese Schandtat nicht ungesühnt bleiben würde.

Er stand eine Weile im Regen herum und dachte an nichts, bis ihm auffiel, dass er beide Hände zu Fäusten geballt hatte. Seufzend entspannte sich Carl und ging zu Herr Nobel  herüber.

"Herr Nobel, ist dies Ihr Bruder? Es freut mich sehr, dass wir ihn retten konnten. Auch Dank Ihrer Hilfe." Carl lächelte matt aber freundlich. Es tat ihm gut die Wiedervereinigung der Nobelbrüder zu erleben, mehr noch als jedes warme Bad "Wir sollten ins Unteroffiziersheim gehen und uns ein wenig aufwärmen, meinen Sie nicht?"

Conrad Rosenstock

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Casus Belli
« Antwort #65 am: 27.05.2011, 22:40:05 »
"Gute Arbeit, Leutnant! Der Mut ist doch am Ende belohnt worden und wir können stolz sein in einem Stück wieder zurück zu sein! Meine pessimistischen Gedanken haben sich doch nicht erfüllt. Aber es wird der Tag kommen, an dem wir uns an den Dänen dafür rächen werden. Man greift nicht ungestraft so nahe vor Kiel ein anderes Schiff an. Was mich aber noch interessant, ist die Frage des warums dieses Angriffs. Warum haben die Dänen dieses Schiff versenkt?" Gerade bei dieser letzten Frage ist Conrad etwas ratlos und ihm will nicht so recht ein Grund einfallen. Conrad ist so in Gedanken versunken gewesen über den Erfolg und auch den Angriff der Dänen, so dass er gar nicht mitbekommen hat, wie Carl eigentlich noch ein Gespräch mit Alfred Nobel führen wollte.
« Letzte Änderung: 27.05.2011, 22:41:42 von Conrad Rosenstock »

Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #66 am: 28.05.2011, 17:57:30 »
Als der Oberwachtmeister dem Schweden im denkbar ungünstigsten Moment die Hand reichen wollte, griff Alfred nur zögernd zu. Das Wagnis auf hoher See zollte seinen Tribut, die Beine Alfreds waren schwach geworden und sein Magen kurz davor, das mäßig berühmte Schnitzel aus dem "Wiener Wald"[1] wieder auf schnellstem Wege nach oben zu schicken. Dennoch war Alfreds Griff so fest, wie ihm in diesem Moment nur gelang. Mit strengem und ernstem Blick sah der Schwede den Wachtmeister an, in seinen Augen schimmerte eine Mischung aus Enttäuschung und Geringschätzung. Bis vor einer knappen halben Stunde hatte dieser dicke Mann nicht mehr zu tun gewusst, als in seiner Kabine hinter dem Schreibtisch Schutz vor dem Sturm zu suchen. Nun ließ er es sich aber natürlich nicht nehmen, Pauken und Trompeten zu schlagen, um neben all den Studenten, die ihr Leben riskierten, auch im Glanz zu stehen. Ungehalten ließ Alfred die Prozedur über sich ergehen. Es gab wichtigeres zu tun, er musste sich seine restlichen noch knappen Energiereserven sorgsam einsparen.

Nach einer kurzen Desorientierung durch den plötzlichen Trubel versuchte Alfred, Emil wieder auszumachen. Entweder lag dieser noch am Boden oder die drei Soldaten hatten ihn bereits von dem Platz weggetragen. "Wehe ihnen," dachte sich Alfred, war es doch endlich an der Zeit, dass er seinen Bruder in die Arme nehmen konnte. Doch als der Schwede sich an den Umstehenden vorbeidrücken wollte hielt Carl ihn auf. Mit einem dankbaren Strahlen stoppte Alfred seinen Laufschritt und ergriff mit beiden Händen die Rechte des tollkühnen Leutnants.

"Nein, mir gilt es zu danken, Herr von Lüttjenburg. Machen Sie sich nur keine Illusionen, ohne Ihre Initiative und Handlungsbereitschaft wäre es mir unmöglich gewesen, meinen Bruder wieder zu sehen. Auch wenn ich im Moment wieder vor selbigem Problem stehe, wie ich fürchte." Mit besorgtem aber leicht verärgertem Blick ließ Alfred den Blick über die Menge schweifen. Wo war der Junge denn nun wieder abgeblieben? Eilig wandte sich Alfred wieder Carl zu und sah, dass Conrad ebenfalls zu dem Leutnant gefunden hatte. Mit selber Dankbarkeit und erleichtertem Lächeln ergriff er auch dessen Hand und schüttelte sie kräftig.

"Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet, Herr von Lüttjenburg, und ich werde Ihnen meine Schuld mit mir allen möglichen Mitteln entlohnen." Alfreds Blick wurde streng, es wirkte ein wenig, als wolle der Schwede untermalen, dass sein Dank und das Angebot keine Verhandlungssache wäre.
"Um eines möchte ich Sie aber noch bitten. Ich habe ein Zimmer im Gasthof "Quellenhain" am Blücherplatz, meinen Reisekoffer habe ich am Empfang abgegeben. Können Sie vielleicht jemanden schicken, der mir meinen Koffer bringt? Vielleicht kann ich mit den Mitteln, die ich aufbewahre, den Verletzten helfen. Bei all den Verwundeten mitten in der Nacht werden die Pfleger um jede Hilfe dankbar sein. Und Emil vermutlich ebenfalls. Wo ist er denn hin, zum Teufel...?"

Der suchende Blick des Schweden schweifte wieder über die Menge, doch Alfred wartete noch auf Carls Antwort.
 1. Gaststätte
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 - A Riddle, 1851

Karl Schreiber

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Casus Belli
« Antwort #67 am: 29.05.2011, 09:51:54 »
Nachdem er etwas wiederwillig den Händedruck des Oberwachtmeisters entgegengenommen hat - solche "Etappenhengste" waren Karl schon immer ein Gräuel gewesen  - gestattet er sich, sich von der Euphorie auf dem Kai anstecken zu lassen und begibt sich zu den anderen. "Carl, du bist ein Teufelskerl!" Mit diesen Worten gibt er Carl einen kräftigen Klaps auf die Schulter."Unglaublich wie du uns da heil rein- und wieder rausgebracht hast!" Anschließend wendet er sich an den Schweden. "Auch ihnen, Herr Nobel, ich möchte ihnen noch einmal von ganzem Herzen danken. Ohne sie hätten wir es nicht geschafft! "

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #68 am: 29.05.2011, 18:10:56 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 00:42 Uhr - Am Hafen

Der Abend war fortgeschritten, der meiste Alkohol schon längst im Adrenalin und der Angst verflogen. Die meisten Studenten hatten jetzt die Muße, entweder durch die Euphorie oder die Notwendigkeit aufgrund der Ereignisse bedingt, den Alkoholspiegel wieder anzupassen. Auch jene, die vorher nichts getrunken hatten und sich lieber in politischer oder philsophischer Diskussion beim Burschenschaftsabend ermüßigt hatten, würden sicher auf dieses Erlebnis einen guten Schluck trinken, sofern sie nicht verletzt worden waren und mit ins soldatische Lazarett gingen, um sich behandeln zu lassen.

Die Handgriffe des Oberstwachtmeisters waren sicher, die Befehle klar und deutlich. Organisatorische, verwaltende Aufgaben lagen dem dicklichen Herrn van Widdendorp deutlich besser als Mut und Entschlossenheit in Anbetracht der Gefahr. Immer wieder mussten sich Holsteiner Offiziere sich diese Kritik gefallen lassen, auch wenn es wahrscheinlich nicht viele solche Offiziere wie Johann van Widdendorp gab; dennoch prägten jene Ausreißer das Bild. Schnell wurden richtige und, in Anbetracht der Menge an Toten und Verwundeten, auch viele improvisierte Tragen herbeigeführt und die Verletzten wurden, so schnell es ging, in das angrenzende Lazarett getragen: ein alter und doch ehrwürdiger Klinkerbau, der mit seinem sechs Stockwerken hinter dem Unteroffiziersheim auftauchte, welches im Gegensatz klein und unbedeutend wirkte. Und so war es auch nicht verwunderlich, dass Alfred zwischen den herumwuselden Gestalten sah, wie sein Bruder ebenfalls in das Lazarett gebracht wurde, nachdem man sein Bein verbunden hatte.
Es dauerte wahrlich nicht lange bis die Soldaten die erst unübersichtliche Lage im Griff hatte. Das war in diesem Fall erfreulich, zeigte aber auch, dass der Drill an diesem Ort formell-organisatorischer Art war und nicht wirklich rein militärischer Art, auch wenn klar erkennbar war, dass man auf der Basis aufbauen konnte.

Der Platz war also beinahe wieder leer, letzte Soldaten befestigten die Kutter und sammelten Trümmer zusammen. Die meisten Studenten zogen ins Unteroffiziersheim ein. Die Soldaten übernehmen die restliche Arbeit und unterhielten sich mit manchem Schaulustigen, während der Oberstwachtmeister wieder auf die Studenten zukam.
"Sie haben die Helka in vergleichsweise guten Zustand wiedergebracht, das ist ein gutes Zeichen. Um die Schäden, meine Herren, machen sie sich mal keine Sorgen. Wir werden für die Schäden aufkommen, schließlich habe ich ihnen das Recht zur Requirierung zugesprochen." Der Oberstwachtmeister nickte den Studenten zu.
"Ich möchte, dass sie den Abend noch ein wenig nutzen. Aber ich muss meinen Respekt nochmal ausdrücken. Ich möchte ihnen also vorschlagen, dass sie sich morgen mit dem Bürgermeister treffen. Sie haben sich bewiesen, das sollte honoriert werden. Seien sie um gegen elf Uhr am Rathaus. Guten Abend, sehr geehrte Herren."
Der Oberstwachtmeister salutierte nochmal und stolzierte zurück zu seinem Büro, auch wenn er gelöst schien. Das bedeutete immerhin mal eine Menge Verwaltungsarbeit für den Offizier.
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Carl von Lütjenburg

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Casus Belli
« Antwort #69 am: 05.06.2011, 23:36:57 »
"Zu Befehl!" Abermals salutierte Carl, der bis dahin geschwiegen hatte, zackig vor dem Oberstwachtmeister, dann wandte er sich zu den drei Männern, die bei ihm standen.

"Der Soldat findet seinen Lohn in der Pflicht, Herr Nobel. Ihre Großzügigkeit ehrt Sie, aber es wäre nicht angebracht. Wenn Sie sich erkenntlich zeigen wollen, dürfte ich vorschlagen sich bei meinen Bundesbrüdern zu bedanken in dem Sie mal vorbei schauen und ein wenig Bier und ein paar Geschichten mitbringen. Glauben Sie mir, damit werden Sie zum größten Held der Burschenschaft." Carl zwinkerte schelmisch und seine Laune stieg wieder merklich.

Wie konnte sie auch nicht, bei all dem Lob. Und was nutzte schon die Nachdenklichkeit, wenn es doch eh geschehen und zum Guten gewendet war?

Er wandte sich Conrad zu "Was geschehen ist wird nicht ohne Folgen bleiben, Conrad. Und was das Motiv angeht, wäre die Frage was dieses Schiff respektive seine Ladung oder Besatzung für die Dänen bedeutet haben könnte..." Dabei blickte er zu Alfred Nobel.

Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #70 am: 06.06.2011, 00:55:12 »
Mit müden Gesten zog Alfred das Taschentuch aus seiner Westentasche, musste jedoch enttäuscht feststellen, dass dieses bereits so klatschnass war, dass es den Schweiß seiner Stirn nicht mehr zu verwischen taugte. Trotzdem tupfte der Schwede mit dem kleinen Stück Stoff die  Kohle- und Rußreste von seiner Haut, während er Carls Antwort zuhörte. Dass dieser Alfreds offenes Angebot so eifrig ablehnte, wunderte den Schweden ein wenig, doch er entschied sich dazu, es im Moment dabei zu belassen. Den herausfordernden Blick des jungen Offiziers konnte Alfred jedoch nicht ignorieren, schien es fast schon so, als würde Carl Antworten von Alfred erwarten. Doch dieser war genau so ratlos wie die Studenten.

"Ich kann mir nicht denken, was sich die Dänen dabei erhoffen, ein privates, schwedisches Handelsschiff vor deutschem Hafen in seine Bestandteile zu zerlegen. Sie sehen die Verzweigung all der Umstände, mir entschließt sich jeglicher Zusammenhang. Zudem hält das schwedische Königshaus diplomatische Beziehungen zu Dänemark. Ich will mich nicht zu sehr aus irgendwelchen Fenstern lehnen, doch es ist ebenso fragwürdig, ob dies ein Zug des dänischen Königs ist, oder ein intrigantes Täuschungsspiel. In jedem Fall, Herr Rosenstock, erwähnten Sie einen Schiffsnamen... Rolf Krake? Es ist sicherlich wissenswert, zu welcher Flotte dieses Schiff gehört, an welchem Hafen es liegt, und unter wessen Kommando es fährt."

Alfred seufzte tief. So hatte er sich seinen ersten Schritt in die Wirtschaft auf deutschem Boden nicht vorgestellt. Sein Bruder lag verletzt im Lazarett, eine gesamte Schiffsladung an teuren Chemikalien und Ausrüstung auf dem Meeresboden, und sein Ruf in Kiel vermutlich bald im Argen, sobald sich die Gerüchte rumgesprochen hatten, dass ein Schwedischer Unternehmer für Tod und Zerstörung am Kieler Hafen verantwortlich sei.

"Mehr kann ich Ihnen im Moment zu meinem Bedauern nicht sagen. Und wie Sie sicherlich mitbekommen haben, habe ich noch einen Bruder zu versorgen und den Schaden einer verlorenen Fracht und einiger Menschenleben abzuschätzen. Sie sind auch beschäftigt, Herr von Lüttjenburg, es ist bereits spät und Sie haben morgen früh schließlich einen Termin beim Herrn Bürgermeister. Kümmern Sie sich nicht um die Tasche, ich werde vermutlich selbst das Gasthaus aufsuchen müssen. In meinem Aufzug wird mich die Aufsicht ohnehin nicht in das Lazarett lassen."

Müde lächelte Alfred Carl zu und gab ihm, Conrad und Karl noch ein Mal abschließend die Hand. Mit seiner noch verbleibenden Energie setzte der Schwede den Laufschritt an und stapfte durch die tiefen Pfützen des Kieler Hafens in Richtung Lazarett, um seinen Bruder zu finden.
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Menthir

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Casus Belli
« Antwort #71 am: 07.06.2011, 22:34:58 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 00:47 Uhr - Am Hafen

Während Alfred davoneilte, dachte der Regen nicht im Entferntesten daran, auch nur eine Nuance nachzulassen. Die Förde brannte noch immer zum Teil lichterloh, weshalb manche Soldaten jetzt die nur leicht beschädigte Helka nahmen, nachdem sie einiges an Löschausrüstung auf den motorisierten Kutter gebracht hatten. Erst jetzt stellten sie wahrscheinlich fest, dass der Kolben der Dampfmaschine den Geist aufgegeben hatte und so improvisierten sie und brachten mehrere Wasserbottiche am Hafenbecken in Bereitschaft, sodass angeschwemmte und brennende Trümmerstücke gelöscht werden konnte, so es mit Wasser möglich war. Es würde bei manchen brennenden Substanzen schwer werden, aber der Hafen war nicht wirklich in Gefahr, auch wenn der Wellengang manche Trümmerstücke auf die Molen tragen würde.

Nur noch wenige Schaulustige standen am Hafen, manche halfen sogar beim Schleppen der Wasserkübel, um die großen Bottiche zu füllen. Langsam kam dabei ein Mann auf die noch rumstehenden Studenten zu. Er trug einen Zwicker auf der Nase und schützte sich durch nur notdürftig durch einen zweckentfremdeten Parasol[1] vor dem Regen. Er trug einen fein geschnittenen, monochromen Anzug, welcher wahrscheinlich anthrazit war, was im schwachen Licht nur schwerlich zu erkennen. Seine Haare waren fein zur Seite gescheitelt, ein kleiner Schnauzer lag zwischen Nase und Lippen. Er erhob die Hand zum Gruße, wobei der Wind ihm fast den Sonnenschirm entriss. "Auf ein Wort, Männer! Auf ein Wort!" Auffällig war seine hohe, gewölbte Stirn. Er war bestimmt noch keine dreißig Jahre alt. "Ein alter Braunschweiger bietet euch seine Hand, zumindest wollte er das, würde der Wind sie nicht an den Schirm fesseln."
Mit einem Lächeln wartete er ab, ob die erschöpften Studenten überhaupt mit ihm reden wollten.

6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 00:47 Uhr - Im Lazarett

Das Lazarett war nicht weit entfernt und Alfred Nobel musste auch nicht lange nach dem Eingang suchen, da kleine Hinweisschilder, welche vor allem für die Orientierung der Soldaten gedacht waren, ihn schnell zum Eingang leiteten, der ansonsten auch hinter dem Unteroffiziersheim gut versteckt gewesen wäre. Es war schon ein kleine Erleichterung, als Alfred in den schwach beleuchteten Eingang des Lazarettes kam, schließlich konnte er Wind und Regen hinter sich lassen.

Es standen mehrere, leere Tragen in der Eingangshalle und zwei Soldaten stellten sich dem Schweden gleich entgegen. Er hatte sie eben unter jenen gesehen, welche die Verwundeten in das Lazarett gebracht hatten. Doch trotz des Dazwischenstellens konnten sie Alfred schnell weiterhelfen und so folgte der Schwede den beiden Holsteinern durch einen noch schwächer beleuchteten Seitengang, wo es nach starkem Alkohol roch und fast übernatürlich warm war. "In den Zimmer wurden überall kleine Eisenkessel entflammt, damit die Verfrorenen wieder auftauen.", erklärte einer der beiden Soldaten und es fiel ihm sichtlich schwer hochdeutsch zu sprechen, weshalb er den Satz unnötig dehnte. Obwohl Alfred keine Türschilder lesen konnte, trat der Soldat zielsicher auf eine Tür am Ende des Flurs zu. Er öffnete sie und geleitete den Schweden in den Raum, während der andere Soldat zurück in den Eingangsbereich ging. Es fiel auf, dass sie die Verwundeten schnell auf Zimmer gebracht hatten. Es lag keiner auf den Fluren rum.
Zwischen zwei Betten war ein Eisenkessel gestellt wurden, in dem ein kleines Feuer brannte. Mehrere Rauchverzehrer waren aufgestellt wurden und eine aufwendige Glocke war über das Feuer gestülpft, sodass das im Haus brennende Feuer keinen erstickte. Es roch dennoch schwach nach dem Rauch und nach der ganzen Kälte der See fing Alfred sofort an zu schwitzen.
Es waren momentan keine Ärzte in diesem Raum, nur der Soldat, Alfred, Emil und ein Alfred unbekannter Mann, welcher jedoch schwer am Kopf verwundet schien und bewusstlos auf seinem Bett lag. Man hatte seinen Kopf notdürftig verbunden, aber der Verband war schon durchgeweicht.

Emil war bereits wieder bei vollem Bewusstsein und blickte Alfred an. Unter Mühe richtete er sich auf und setzte sich so bequem hin, wie es seine Beinwunde zuließ. "Na, Bruderherz.", versuchte er mit einem Lächeln zu sagen, was jedoch zu einer schmerzverzerrten Grimasse wurde, da er sein Bein falsch bewegte. "Immer Ärger mit deinem kleinen Bruder, was?" Sein Gesicht war verschwitzt und so konnte Alfred nicht mit Gewissheit sagen, ob es ein Schweißtropfen oder eine Träne war, welche seinem Bruder aus dem Gesicht rann. Mühsam betastete er seinen Verband, der ebenfalls schon fast durchgeweicht war. "Ich werde nachher gleich operiert. Sie sagen, es könnte ein Muskel kaputt sein und könnte ein paar Tage Ruhe brauchen. Sie müssen aber nur flicken und nähen. Leider haben sie keine Betäubung für mich, weil ich schon zu viel Blut verloren habe. Das wird hart." Er lächelte gequält, trotz der Furcht die in seinem Blick lag.
 1. Sonnenschirm
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #72 am: 08.06.2011, 11:07:05 »
Glücklich blieb Alfred am Türrahmen stehen und lächelte seinen Bruder an. Die wohlwollende Erleichterung zu sehen, dass Emil trotz seiner misslichen Lage noch immer zu scherzen bereit war, ließ den großen Bruder kurz auflachen.

"Unsinn," bedeutete er kurz und trat näher. So ganz eindeutig war es jedoch nicht, ob er die medizinische Behandlung oder Emils Scherze für Unsinn hielt. Kritisch beäugte Alfred den Verband an Emils Oerschenkel. Zwar konnten sie beide nur von Glück sprechen, dass es eine harmlosere Wunde war, als sich viele andere Männer diese Nacht zugezogen hatten, aber dennoch blieb Alfred skeptisch gegenüber der vorstehenden Behandlung.

"Hast Du schon mit dem Arzt gesprochen? Taugt der Mann etwas?", fragte Alfred mit vorsichtiger Miene. "Du wirst Dich nicht von einem Quacksalber behandeln lassen. Ich kann meine Tasche holen, den Blutverlust können wir vermutlich schnell wieder ausgleichen. Dann kannst Du Dich noch immer entscheiden, ob Du Dich wie ein billiges Stück Stoff zusammennähen lassen willst. Ich habe noch einige Reagenzien über, ich brauche nur meine Tasche." Fragend schaute Alfred Emil an. Sein hoffnungsvoller Blick schien nur darauf zu warten, dass sich sein kleiner Bruder gegen eine rabiate Behandlung durch überbeanspruchte Militärärzte und für die alchemisch magischen Mittel Alfreds entscheiden würde. Routiniert klopfte Alfred seine eigenen Westentaschen ab und fand seine kleine goldene Taschenuhr. Das wertvolle Schmuckstück hing an einer feinen goldenen Kette mit einer Klammer an einem Knopfloch, mit einer feinen Handbewegung ließ Alfred den Sprungdeckel aufschnellen.

"Es ist knapp Viertel vor eins. Was sagst Du?"
But I have learned to study Nature’s book
And comprehend its pages, and extract
From their deep love a solace for my grief.

 - A Riddle, 1851

Karl Schreiber

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Casus Belli
« Antwort #73 am: 08.06.2011, 15:38:28 »
Na wunderbar, erst traut sich keiner raus und kaum sind wir wieder zurück können sie es kaum erwarten uns die Hand zu schütteln...
Lächeld dreht Karl sich zu dem Neuankömmling um. "Sprecht, Herr..." dabei macht er eine kleine Pause, um ihm Gelegenheit zu geben, sich vorzustellen. "Was habt ihr auf dem Herzen?"

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #74 am: 10.06.2011, 21:23:35 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 00:49 Uhr - Am Hafen

"Auf dem Herzen nicht viel, zumindest nichts, was ich mit mir Unbekannten teilen würde.", sagte der Braunschweiger mit einem schnippischen Lächeln und deutete eine Verbeugung an. "Bis hierhin und noch weiter soll es unserer gemeinsamen Zeit Genüge tun, wenn Sie wissen, dass man mich den Schwarzen Braunschweiger[1] nennt." Sein Lächeln wurde nun etwas süffisanter, seine Worte der einfachen Freundlichkeit wirkten zunehmend blasiert. "Obzwar ich es bevorzugen würde, in der Gesellschaft einer adretten Dame zu sein oder meine Ansprache an eine solche zu adressieren, werde ich mit Ihnen Vorlieb nehmen müssen, so zuwider es mir auch sein mag."
Der Mann hielt sich umständlich an seinem Parasol fest und strich sich über seinen Schnauzer, während er Karl, Carl und Conrad musterte, immer noch mit diesem süffisanten Blick. Carl von Lütjenburg sah in dieser Tracht den Soldaten verborgen, auch wenn der Schwarze Braunschweiger sich anders zu geben versuchte, auch er war nicht ganz trittsicher in dieser Situation, und tendiere zu soldatischen Verhaltensweisen. Carl konnte gut seinem Blick folgen, wie der Braunschweiger nach Bewaffnung, Rüstung, Auswegen und Schwächen forschte. Es musste ein Soldat sein und hatte Carl nicht in seinen alten Tag schon von diesem jungen Mann gehört?[2]

Der ungewöhnliche Bote wartete kurz, bis er die ungeteilte Aufmerksamkeit hatte und fing dann an zu rezitieren, dies wurde schnell deutlich, durch die Geschliffenheit der Worte und seine Tonlage.
"Werte Herren,
es übermittelt der Herzog seine Grüße, wenn auch mit Bedauern feststellend, dass er zutiefst pikiert, wenn nicht brüskiert ist, durch Ihr Eingreifen in der hiesigen Streitfrage, von der Sie bedauerlicherweise kaum Kenntnis, geschweige denn die Fähigkeit zur Partizipation haben.
Sein Durchlaucht lässt ausrichten, dass Sie hiermit zur vollständigen Kapitulation und Unterwerfung aufgefordert sind. Und wenn Sie den Geist eines Ehrenmannes verstehen, ist es an Ihnen, sich zur kurz vor der Mittagszeit, zur elften Stunde, auf dem Gebiet des Gutes Emkendorf[3] einzufinden. Wenn sie diesen Ehrenbeweis bringen und sich eingestehen, dass sie keine Ahnung hatten, was sie am heutigen Abend in Ihrem Wahnwitz getan haben, soll es nicht Ihr Schaden sein.

Seine Durchlaucht grüßt zum Abschied und wünscht den Herren Weisheit, Edelmut und freiherrlichen Anstand."

Der Schwarze Braunschweiger verneigte sich nochmal und sparte nicht mit pathetischen Gesten dabei. "Meine Herren, Sie haben die Bitte seiner besonderen Durchlaucht gehört. Wenn Sie Ihren Fehler anerkennen und nicht in stumpfsinnigen Widerstand gegen mein Gebaren und die harschen Worte seiner Durchlaucht verfallen, werden wir uns in zwei Stunden vor dem Lazarett treffen, wo eine Kutsche auf Sie warten wird. Sammeln sie ihre engsten Gefährten und die Herren Nobel ein. Wir werden dann nach Emkendorf unverzüglich aufbrechen. Enttäuschen Sie sich und uns nicht, meine Herren."
Der Schwarze Braunschweiger schüttelte seinen Parasol aus, drehte auf den Absätzen und begann, sich zurückzuziehen.

6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 00:49 Uhr - Im Lazarett

"Beim besten Willen, Bruder, du bist einfach kein Arzt. Sicher mag es dir wie in einem Schlachtstall vorkommen und wahrscheinlich ist er dies auch, aber dennoch. Die Holsteiner wissen doch ganz genau, dass ihnen der Geldbeutel an allen Stellen zwackt und ausläuft. Ich habe ein paar Taler bezahlt, um eine Vorzugsbehandlung zu bekommen."
Emil lächelte verkniffen. Die Schmerzen mussten kaum auszuhalten sein. Seine Augen waren dauerhaft feucht und doch hielt er sich für die Umstände außergewöhnlich tapfer. Abrupt wechselte er das Thema.
"Greif in die Innentasche meiner Jacke, Alfred. Sie hängt dort drüben an dem Nagel." Mit seiner blutverkrusteten Hand zeigte er auf eine karge Wand, an der auf den Boden ein altes, bleiches Bild eines Schiffes stand. An dem frei gewordenen Nagel hing eine völlig durchnässte, einfache Lederjacke, welche ihr Wasser auf das Bild warf. "In der Innentasche ist ein Päckchen in Ölpapier.[4]"

Alfred wusste von Emils Passion für die Photographie. Emil hatte sogar einmal Gustave Le Grey[5] besucht, trotz des Widerstandes seiner Brüder und seines jungen Alters, um vom Großmeister der Photographie zu eernen. Seitdem trug er auch immer Ölpapier mit sich herum, welches wasserdicht war. Es war aufwendig herzustellen und ziemlich teuer. Alfred wusste, dass Emil wirklich etwas Wichtiges eingepackt haben musste. Alfreds Hand ertastete das Paket in der nassen Tasche. Es hatte die Größe eines Kartenspiels und auch wenn sich das Ölpapier leicht feucht anfühlte, war der Inhalt sicherlich trocken geblieben. Aber wollte Alfred überhaupt wissen, was darin verborgen lag? Die Tonlage Emils deutete daraufhin, dass es von außerordentlicher Bedeutung war, schließlich schwang sowas wie Angst in der Stimme seines Bruders mit, und der war eigentlich eher ein Draufgänger. Aber vielleicht war auch nur seine Wunde Schuld daran? Ein Blick in Emils Augen verriet seine Anspannung und Aufregung.

Die Tür öffnete sich derweil und zwei Männer traten heran, sie trugen ihre Uniformen und dennoch wurde relativ klar, dass diese beiden, blondhaarigen Männer Ärzte oder Ersthelfer waren. Einer der beiden trug eine Lupe mit sich herum, war von hohem Alter und mit einer sehr hohen Stirn ausgerüstet, der andere Mann war deutlich jünger, vielleicht zwanzig Jahre alt und trug allerlei Verbandszeug, Schere, Nadel und Messer mit sich herum, welche Emil sofort recht bleich werden ließen. Der ältere Mann, der vielleicht um die fünfzig Jahre alt war und durch seine großporige Kartoffelnase auffiel. Er war keine sechs Fuß groß und ging etwas gebeugt, als hätte er ein Leben unter Deck hinter sich. Der jüngere Mann wirkte deutlich großspuriger, hatte eine ordentliche Haltung, noch nicht vom Leben gebeugt.
"Emil Nobel, nehme ich an.", begann der ältere Mann. "Ich bin Doktor Kern. Lassen Sie sich sagen, dass sie eine gute Wahl getroffen haben, einen alten Landwehroffizier anzufordern, der zugleich die Medizin studiert hat."
Emil stammelte nur, der Blutverlust trug nicht zu seinem Wohlbefinden bei. Der Doktor realisierte diesen Umstand sofort.
"Und Sie sind? Wenn ich das richtig verstanden habe, müssten Sie sein Bruder sein. Da ihr Bruder von Ihnen bei seiner Einlieferung gestammelt hat, aber zu keiner Entscheidungsfindung mehr fähig scheint, muss ich Sie fragen, ob ich Ihn jetzt operieren darf. Ich sage Ihnen...", er hielt kurz inne und schaute sich den Verband an, löste ihn ein wenig und befühlte die Wunde. Emil hatte sich bereits hingelegt, er schien überfordert mit der Situation oder das Delirium setzte ein. "wir sollten sofort operieren, wenn Sie das Bein retten wollen."
Während der jüngere Mann einen Tisch heranzog und das Werkzeug eines Chirurgen ausbreitete, nickte der ältere Mann mit der Knollnase aufmunternd. "Keine Sorge. Wir schaffen das schon."
Und auf einmal gab es noch andere Probleme, als einen unbekannten Gegenstand eingewickelt in Ölpapier.
 1. Schwarze Braunschweiger
 2. Ich gewähre dir, Carl, einen Wissen (Geschichte)-Wurf, bei dem du die DC 10-Begrenzung ignorieren darfst.
 3. Gut Emkendorf
 4. Ölpapier
 5. Gustave Le Grey
« Letzte Änderung: 10.06.2011, 21:52:34 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

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