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Autor Thema: Casus Belli  (Gelesen 83154 mal)

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Carl von Lütjenburg

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Casus Belli
« Antwort #75 am: 11.06.2011, 00:33:11 »
Carl war zu abgebrüht, als dass ihn diese Wendung zur Weißglut getrieben hätte, aber dennoch spürte er, wie ihm die Worte des schwarzen Braunschweigers ärgerten. Der schwarze Braunschweiger... da war doch was... Sollte es tatsächlich eben dieser Mann sein? Ein Attentäter und Scharmützler? Carl war beinahe froh darum es nicht genau zu wissen, hätte es ihn wohl doch in den Zorn getrieben, wenn eine derartig heimtückische Gestalt von Ehre und Anstand redete.

Betont gelassen nahm er die forschenden Blicke des Mannes hin und behielt eine Haltung bei die denkbar ungeeignet zu verteidigen wäre, wenn er einen Angriff erwarten würde. Carl hatte keine Angst vor dem Auftritt des Mannes und wenn er ihn das spüren lassen konnte, dann war das umso besser.

Sein Ausdruck veränderte sich allerdings als er die Worte des Mannes vernahm. Wahnwitz? Kapitulation und Unterwerfung? Nicht die Fähigkeit zur Partizipation? Carls Miene gefror zu Eis und es war wohl ein Segen, dass er nicht bewaffnet war, denn er verspürte den großen Drang diese herablassende Haltung seines Gegenübers zu korrigieren.

Carl schluckte schob seine Verärgerung beiseite und machte seinem Pflichtgefühl platz. "Einen Moment, Braunschweiger. Carl Heinrich von Lütjenburg, wenn sie gestatten."
Carl veränderte seine Haltung so, dass er demonstrativ vor seinen Kommilitonen stand und reckte das Kinn stolz und herausfordernd hervor.
"Diese Männer trifft keine Schuld. Sie schlossen sich in ihrer Tugendhaftigkeit mir an und handelten alleinig auf meinen Befehl. Sie dürfen nicht für meine Entscheidungen verantwortlich gemacht werden! Ich bin der Einzige von uns der dafür Geradestehen muss, dass in dieser Nacht Menschenleben gerettet wurden."

Es war nicht die Absicht sich hervor zu tun, die Carl dazu brachte, dies zu sagen. Er war sich sicher, dass seine Freunde genauso hinter ihrem Handeln standen wie er selbst. Aber etwas schien nicht zu stimmen. Hätten diese Menschen sterben sollen? Und das Ganze schien etwas mit Alfred Nobel und seinem Bruder zu tun zu haben, warum sonst war auch ihre Anwesenheit verlangt worden? Carl jedenfalls hatte kein sehr gutes Gefühl bei der Sache und so wollte er versuchen seine Kameraden vor Schaden zu bewahren.

Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #76 am: 11.06.2011, 15:40:27 »
Berechnend nickte Alfred bei den Worten des Herrn Doktors. Der Gesichtsausdruck des älteren Bruders war angemessen ernst, angestrengt nachdenkend und abschätzend wechselte sein Blick zwischen Emils immer bleicher werdendem Gesicht und dessen Wunden. Beiläufig griff seine Hand in die Tasche seines Paletot und ließ das kleine Päckchen dort verschwinden.

"Ich will ehrlich sein, Herr Doktor, der Blutverlust macht mir sorgen." Ernst und durchdringend schaute Alfred Doktor Kern an, seine Augenbrauen streng gesenkt. Es war Alfreds Art und das Talent in seinem Geschäft, schwierigen Entscheidungen rational zu begegnen. Wenn der Blutverlust Emils noch nicht ein mal den Einsatz eines Anästhetikums erlaubte, dann konnte ein chirurgischer Einngriff nur schwerlich reibungslos verlaufen. 'Notamputation' kam Alfred in den Sinn, und so weit wollte er es nun wirklich nicht kommen lassen. Der Schwede zog seine Taschenuhr wieder aus der Weste und warf einen Blick darauf, während seine andere Hand fest die Schulter Emils ergriff.

"Es ist zwölf Uhr neunundvierzig, Doktor Kern. Bitte bereiten Sie die Operation vor. Sollte ich innerhalb von fünfzehn Minuten nicht wieder hier sein," mit einem flotten Handgriff klemmte Alfred die Uhr ab und reichte sie dem Doktor, "beginnen Sie mit der Operation. Ein Uhr und vier Minuten, nicht eine Sekunde früher, Herr Doktor. Ich vertraue Ihnen."

Da war er wieder, dieser durchdringende Blick. Schnell drückte Alfred Emils unverletzte Schulter und warf ihm einen letzten Blick zu, ehe er so schnell er konnte aus dem Zimmer hinaus in den Regen eilte. Zwar war es einerseits eine bemerkenswerte Fähigkeit Alfreds, Situationen klar und strukturiert abzuschätzen - doch ebenso war es sein Makel, dass er den Fähigkeiten anderer weniger traute als seinen eigenen.
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Menthir

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Casus Belli
« Antwort #77 am: 12.06.2011, 13:15:15 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 00:52 Uhr - Am Hafen

"Gerade stehen dafür, dass Menschenleben gerettet wurden?" Der Schwarze Braunschweiger lachte auf und hielt kurz inne, drehte sich sogar um, wieder dem preußischen Offizier ordentlich entgegentreten zu können. "Wie gesagt, Sie haben nicht verstanden und konnten nicht verstehen, was sich hier zugetragen hat. Ich will Ihnen das nicht schlecht anrechnen. Es ist sehr vorbildlich, dass Sie sich vor ihre Kameraden stellen. Aber wenn wir das Ganze als Casus Belli betrachten, dann werden Sie schnell merken, dass sich während eines Krieges niemals nur ein Kommandeur unterwirft, sondern ein Kommandeur sich und seine Truppe unterwirft. Wenn Sie ein Ehrenmann sind, beherzigen Sie dies, auch wenn Ihr Pflichtgefühl Ihnen anderes abverlangen will."

Der Braunschweiger fixierte Carl und schien ihn jetzt ausgiebig zu mustern, während er den Parasol gegen den endlich nachlassenden Regenschauer hielt, welcher jetzt kein Platzregen mehr war, sondern nur noch normaler Regen. Es wirkte beinahe erlösend. Der Braunschweiger lächelte. "Sie müssen keine Angst um sich und Ihre Gefolgsleute machen, Leutnant von Lütjenburg. Ihnen wird weder körperliches und geistiges Leid zugefügt werden, welches über jene der Unterwerfung hinaus gehen. Sie werden weder mit Blut, noch mit Leben bezahlen. Sie werden Sich lediglich eingestehen müssen vor seiner Durchlaucht, dass Sie den größten Fehler Ihres Lebens gemacht haben, mit unverantwortungsvoller Torheit in das Gefecht gelaufen zu sein, ohne die notwendigen Schritte einzuleiten." Der Braunschweiger hielt mahnend den rechten Zeigefinger in die Höhe. "Ich hätte von einem preußischen Offizier erwartet, dass er um solche Umstände weiß. Dass es nicht ausreichend, einen unfähigen Oberstwachtmeister über die Hilfe zu informieren." Jetzt wurde der Braunschweiger wird schnippisch. "Sie werden mir jetzt sagen wollen, Herr Leutnant, dass Sie das Notwendige getan haben und dass die Zeit es bedingt hat, dass Sie schnell handeln." Er lächelte wissend. "Aber Sie werden sich vorwerfen lassen müssen, dass Sie es nicht einmal versucht haben. Dass Sie in etwas eingegriffen haben, dessen Tragweite Sie mitnichten verstehen können, bis jetzt. Und es geht nicht um die Menschenleben, die Sie gerettet haben oder nicht retten konnten. Aber am morgigen Tag werden Sie mehr darüber erfahren, sobald seine Durchlaucht Sie empfängt."

Der Braunschweiger deutete nochmal eine Verbeugung an und drehte sich wieder um. "Alsbald werden wir uns wiedertreffen." Dann stolzierte er weiter, ließ die Studenten im nachlassenden Regen stehen. Es war klar, dass die Studenten vor eine Entscheidung gestellt wurden, eine, welche der Braunschweiger wahrscheinlich absichtlich heraufbeschworen hatte. Sie würden entweder den Kieler Bürgermeister aufsuchen können und sich mit Oberstwachtmeister van Widdendorp gutstellen, oder sie würden diesem merkwürdigen und unbekannten Braunschweiger folgen müssen, der sich nicht nur als in Teilen unfreundlich, sondern auch sonderbar gut informiert gezeigt hat. Die Entscheidungsfindung würde durch die Müdigkeit und den möglichen Zeitdruck durch den nahen Aufbruch nicht gerade erleichtert werden. Die umstehenden Studenten schwiegen betreten.

6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 00:58 Uhr - Im Lazarett

Der Doktor nickte nur und zog seine hohe Stirn kraus. Er schien die Entscheidung nicht nachvollziehen zu können, aber es blieb ihn nicht viel anderes über. Als Alfred bereits aufbrach, rief er schließlich durch die offene Tür nach. "Wenn der Zustand schlechter wird, werde ich anfangen müssen. Beeilen Sie sich!" Eine gewisse Resignation schwang in der Stimme mit, warum auch immer. Emil lag blass und zitternd da, nachlassende Kraft und Angst ließen ihn wie Espenlaub wirken.

Alfred rannte durch die halbdunklen Gänge und glücklicherweise war der Weg aus dem Lazarett nicht sonderlich komplex, doch es stand allerlei Gerümpel auf den Wegen und Alfred machte sich augenscheinlich zu viele Gedanken. Mit einem Rumpeln stürzte der schwedische Chemiker nach einer Biegung über ein paar rumstehende Tragen und stieß sich die Knie schmerzhaft. Mühevoll rappelte er sich auf. Er durfte jetzt keine Zeit mehr verlieren. Sofort fing er wieder an mit aller Kraft zu laufen, in der Hoffnung, dass er Eisenknie und eine Pferdelunge hatte.

Der Weg zur Herberge zog sich ewiglich hin, hier eine Straßenecke, dort ein Hindernis, hier ein Schnitt an den Beinen durch Gestrüpp, welches Alfred übersah. Der starke Wind hatte einige Straßenlaternen ausgepustet und dies machte den Weg nicht leichter. Mehr als einmal stolperte Alfred oder vertrat sich kurz den Fuß, doch immer mit einem glücklichen Ende, denn er verletzte sich nicht bleibend. Schnell rannte er in die Herberge, schnappte seine Sachen und ließ den Wirt des Hauses mit fassungslosen Blick stehen. Wie Alfred auch aussah. Als er nach seiner Reise ankam, war er schick angezogen und durchaus adrett im Verhalten, jetzt wirkte er abgehetzt, war voller Schlamm und Schmutz von den Stürzen und seine rechte Hand blutete leicht aufgrund einer Schürfwunde, die er sich zuzog, als er sich auf den Pflastersteinen vertrat und der Länge nach in den Dreck fiel. Und der Rückweg war nicht minder beschwerlich, unbeholfen rannte Alfred gar einen Betrunkenen, der aus einem Haus gewankt kam um, ohne ihn wirklich auszumachen. Schwerzüngig pöbelte der Mann dem Schweden hinterher, ohne dass Alfred die Worte aufnahm oder Zeit dafür hatte, sich um den Umgestoßenen zu kümmern. Die Lunge des Chemikers brannte, als hätte Robert Wilhelm Bunsen[1] das nach ihm benannte Gerät an Alfreds Lungen ausprobiert[2].
Ohne auf die umherstehenden Soldaten Acht zu geben, diesmal nicht über die Tragen stolpernd, kämpfte Alfred sich durch die dunklen Gänge zurück in das Zimmer seines Bruders. Mit letzter Kraft stieß er die Tür auf...

"Herr Nobel! Da sind sie endlich!", sagte Doktor Kern mit gewisser Entrückung. Das Bein Emils war bereits abgebunden, die Hose aufgeschnitten und die Wunde oberflächlich gesäubert. Sie sah grausam aus, die Wunde war derartig groß, dass man den offenen Knochen und den teilsweise freiliegenden und verwundeten Muskel sah. Der junge Mann desinfizierte gerade das Arbeitswerkzeug mit stark riechendem Alkohol. Emil lag bleich auf der Liege und kalter Schweiß stand auf der Stirn. "Haben Sie, was Sie benötigen? Ansonsten muss ich jetzt beginnen, wenn Sie ihn nicht in einem Holzsarg hier raustragen wollen!"
Der ältere Arzt stand deutlich unter Druck und er musste sich scheinbar sehr zusammenreißen, nicht einfach mit der Operation zu beginnen. Als wäre es ihm schmerzhaft, dem Leid einer anderen Person zuzuschauen. Er zitterte leicht und schien aggressiv über diesen Umstand geworden zu sein. "Machen sie hin!", brüllte er Alfred trotz dessen Mühe an. Nicht nur Alfred schienen die Minuten ewig vorzukommen. "Machen sie, beim heiligen Vater, hin!"
 1. Robert Wilhelm Bunsen
 2. Ingesamt 28 Schaden (nonletal)
« Letzte Änderung: 12.06.2011, 13:31:34 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Karl Schreiber

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Casus Belli
« Antwort #78 am: 14.06.2011, 09:42:26 »
Nachdenklich sah Karl dem Braunschweiger hinterher. Komischer Kauz. Und wieso haben wir in Dinge eingegriffen, deren Tragweite wir mitnichten verstehen können.
Dann wendet er sich wieder an die anderen. "Ich denke, wir sollten morgen zum Bürgermeister gehen. Es interessiert mich zwar in höchstem Maße wo wir da eigentlich reingeraten sind. Aber vermutlich sind wir dem Braunschweiger nicht zum letzten Mal begegnet - und dann sind wir auf das Treffen vorbereitet oder können bestenenfalls sogar dafür sorgen, daß es nach unseren Bedingungen läuft und nicht nach den seinen!"

Carl von Lütjenburg

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Casus Belli
« Antwort #79 am: 14.06.2011, 13:43:46 »
"Ich habe mal etwas über eine Person gehört, die sich selbst als schwarzen Braunschweiger bezeichnet. Kein angenehmer Zeitgenosse nach dem was man so sagt und ein Attentäter obendrein, ein Nationalist zwar, aber liegt auf diesem Wege keine Ehre. Ob er dieser Jemand ist, ich weiß es nicht, aber er hat gedient, nach der Art wie er uns nach Waffen gemustert hat... definitiv."

Erst jetzt sah Carl seine Gefährten an. In seinem Gesicht war gekränkter Stolz und Wut durchaus zu erkennen. "Ich brauche keine Belobigungen, das ist unnötige Renommisterei und ich will mir später nicht nachsagen lassen ich ginge einer Konfrontation aus dem Weg. Ich werde dorthin fahren, aber nicht um zu kapitulieren oder dergleichen. Wir haben das einzig ehrenhafte getan, dass wir hatten tun können. Dafür werde ich mich nicht entschuldigen, aber dafür werde ich jederzeit einstehen."

Conrad Rosenstock

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Casus Belli
« Antwort #80 am: 16.06.2011, 19:06:18 »
Die ganze Zeit während des Auftretens des Schwarzen Braunschweigers überlegt Conrad, wo er diesen Namen schon mal gehört hat. Dieser Name kommt ihm seltsam bekannt vor. Nach langem Überlegen sagt er vorallem in Richtung Carl von Lütjenburg:

"Auch mir ist der Name Schwarzer Braunschweiger nicht gänzlich unbekannt, Carl. Ich habe mal in der Eckkneipe 'Gerds Eck' von ihm gehört. Gerüchten zufolge ist der Schwarze Braunschweiger wohl einmal Seemann bei der Royal Navy gewesen und hat sich vor allem einen Namen als Kanonier und Fechter gemacht. Ende der 50er ist er in die amerikanischen Dienste getreten und zuletzt direkt nach dem Bürgerkrieg nach Kiel zurückgekehrt.  Manche munkeln, dass er freundschaftlich mit Friedrich von Augustenburg verbunden ist. Vielleicht hat dieser auch mit seiner Rückkehr zu tun.

Aber jetzt noch zu etwas Wichtigem: Ich werde Dich begleiten Carl. Ich bin nicht zu feige mich diesem Schwarzen Braunschweiger und seinem Herzog zu stellen. Wir haben nichts Unrechtes oder Unehrenhaftes getan, insofern könnten wir auch zu unseren Taten stehen, da gebe ich dir völlig recht. Ich muss bloß noch bis zum Treffen in zwei Stunden ein paar Sachen daheim einpacken und würde dann pünktlich zum Treffpunkt kommen."

« Letzte Änderung: 16.06.2011, 19:11:06 von Conrad Rosenstock »

Karl Schreiber

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Casus Belli
« Antwort #81 am: 19.06.2011, 09:03:51 »
"Nun gut, sei es so! Wir haben es zusammen angefangen, also beenden wir es auch zusammen - ich komme auch mit zum Herzog." Karl ist zwar anzusehen, daß er mit der Entscheidung nicht sehr glücklich ist (ein wenig Bekanntheit hat einem Schriftsteller noch nie geschadet) aber im Stich lassen mag er seine Kameraden dann doch nicht....

Carl von Lütjenburg

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Casus Belli
« Antwort #82 am: 19.06.2011, 16:58:43 »
Carl blickte seine Freunde an und es fand sich ehrliche Rührung in seinem Blick. Gewiss, er wäre auch allein gegangen, aber so war es deutlich angenehmer sich seinem Schicksal zu stellen.

"Danke, meine Freunde. Ich werde es euch bei der nächsten Gelegenheit wieder gut machen, das verspreche ich euch. Ich glaube wir können bis dahin nicht viel mehr erledigen, außer vielleicht Herrn Nobel Bescheid geben und auch dem Oberstwachtmeister, dass wir morgen nicht erscheinen werden. Dann sollten wir uns in zwei Stunden wieder hier treffen, nicht unbewaffnet natürlich."

Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #83 am: 19.06.2011, 23:30:02 »
"Op-!"

Hustend und keuchend lehnte Alfred am Türrahmen und ringte erbärmlich nach Luft.

"Operat---!"

Die Lungen des Schweden brannten wie Phosphor, seine Augen waren weit aufgerissen. Was für eine Hölle dieser Lauf gewesen war! Unglaubliches Kiel, wie konnte es sein, dass sich vermeintlich die gesamte Stadt gegen den Chemiker verschworen hatte? Alfred stolperte durch die Schwelle und knallte seine Tasche auf den Tisch.

"Einleiten!, hustete Alfred endlich und zeigte auf Emil. "Leiten Sie... - die Operation ein!"

Keuchend fummelte Alfred einen Schlüsselbund aus seiner Weste und schloss den kleinen Koffer auf, nicht ohne das Schloss einige Male zu verfehlen. Die Flaschen und Phiolen, die er hervorholte, bestanden fast durchgehend aus doppelbodigem Quarzglas und waren in Lederstoffe eingewickelt. Für einen kurzen Moment schloss Alfred die Augen und atmete tief durch. Drei Mal füllte er seine Lungen und stieß die Luft wieder aus. Als er seinen Blick wieder öffnete, funkelten seine Augen entschlossen auf. Was vor einer Sekunde noch zitternde Gliedmaßen gewesen waren, waren nun die Finger eines geübten und gelernten Lobranten. Alfred zog zwei dünne, filigrane Lederhandschuhe aus dem Koffer und zog sie über. Aus einer Seitentasche kramte er ein kleines Etui, klappte es auf, und zog die darin enthaltene Laborbrille außeinander. Das lederverstärkte Gummiband spannte sich über den langsam kahlenden Hinterkopf Alfreds, und der Schwede rückte die Gläser der Brille zurecht. Nun sollte es sich zeigen, ob es ihm gebührte, die Verantwortung über seinen Bruder zu übernehmen.

Alfred arbeitete schnell und sicher. Binnen weniger Minuten standen aus den vielen Phiolen in seinem Koffer zehn auf dem Tisch. Aus einer kleinen Holzhalterung ragten drei Reagenzgläser mit schimmernd fluoreszierenden Flüssigkeiten.[1] Der Schwede zog noch eine letzte Tinktur aus seinem Vorrat[2] und drehte sich zu seinem Bruder und den beiden Medizinern um, die bereits die Operation begonnen hatten. Alfred hatte die Zweifel eingesehen, die Emil bereits ausgesprochen hatte - Alfred war kein Arzt. Jedoch wusste er ganz genau, dass er die Operation des Doktors mit seinen magisch alchemischen Mitteln durchaus unterstützen konnte, und jede noch so geringe Chance, seinen Bruder wieder heil auf den Beinen stehen zu sehen, wollte Alfred nutzen. Ohne Kompromisse.

Mit einem verständigenden Nicken zu Doktor Kern und einer kurzen Absprache hob Alfred den Kopf seines Bruders und flößte ihm die Substanzen ein.
 1. Alchemie: Alfred braut 1x Lesser Restoration, 1x Remove Disease, 1x Cure Moderate Wounds, insgesamt 3 Minuten
 2. Gegenmittel
« Letzte Änderung: 19.06.2011, 23:51:22 von Alfred Nobel »
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Menthir

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Casus Belli
« Antwort #84 am: 20.06.2011, 09:46:41 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 01:13 Uhr - Im Lazarett

Nikolaus von Myra[1] war einst der Bischof von Myra in der historschen Landschaft Lykien gewesen. Kaum einem anderen Heiligen der christlichen Kirche wurden so viele Legenden zugesprochen, wie dem heiligen Nikolaus, dessen Tag am 6. Dezember begangen wurde. Obwohl die Legenden um diesen Bischof vielfältig waren, verehrte man ihn vor allem in Zusammenhang von Lebensgeschenken, also dem Bewahren von Leben, indem er unschuldig Verurteilte vor der Hinrichtung rettete, Hungernde mit Korn vor dem Tod rettete und zu unrecht Getötete wieder zum Leben erweckte. Der Tag des Nikolaus wurde auch in Kiel begangen und wer weiß, vielleicht wirkte Nikolaus noch in diesen Tagen und bewahrte auch Emil Nobel das Leben.

Doktor Kern wartete nicht lange, ließ sich nicht zweimal sagen, dass er mit der Operation beginnen konnte. Sein Gehilfe band das Bein nochmal neu ab, während der Doktor ein weißes Tuch in scharfen Alkohol tunkte, welcher Alfred auf ein Meter Entfernung Schlieren vor den Augen entstehen ließ, und damit die Wunde von Emil säuberte. Dieser stöhnte, der Situation vor Schmerz entrückt, nur hier und da gequält auf, während kalter Schweiß weiter auf seiner Stirn stand. Doch der Landwehroffizier verstand sein Handwerk scheinbar und untersuchte die Wunde nochmal ordentlich, wohl wissend, dass er Emil damit zwar unmittelbar quälte, aber mittelbar das Leben rettete. Mühsam zog er einen großen Holzsplitter aus dem Bein des jungen Emil und legte ihn auf einem kleinen Tischen ab. Er war fast sieben Zentimeter lang und zwei Zentimeter dick und hatte sich tief in das Fleisch des jungen Mannes geschlagen. Doktor Kern kommentierte diesen Fund nicht, aber es schien, dass er Erfahrung mit Splitterverwundungen hatte, wahrscheinlich war es nicht übertrieben zu behaupten, dass dieser Mann wahrscheinlich bereits in aktiven Schlachtgeschehen Menschen das Leben gerettet hatte. Der Doktor und sein Gehilfe sprachen nicht viel miteinander, sie waren jedoch gut aufeinander eingestellt und so fand das Säubern, Desinfizieren und die Übergabe der Arbeitswerkzeuge fast automatisch statt.

Alfreds Tinkturen und Mittelchen sorgten für die letzte Erlösung, auch wenn Doktor Kern ihn relativ lange damit aufhielt, während der Operation diese Mittelchen zu benutzen. "Lassen Sie mich vorerst das Werk des Schlachters machen, bevor Sie Ihr Zeug nutzen.", hatte er kurz angebunden gesagt, nachdem er Alfred auch immer kurz bei dessen Bemühungen beobachtet hatte. Erst nachdem der Arzt die Wunde nochmal ordentlich gesäubert hatte und sich dessen versichert hat, dass keine Rückstände der Splitter im Bein verblieben sind, legte er Naht und Faden zurecht. Jetzt ließ er Alfred auch seinem Bruder die Mittelchen einflößen und unterstützte diesen dabei. Emils Schluckreflex musste mit Massieren des Halses ausgelöst werden, die Schmerzen ließen den Körper nicht so reagieren, wie er auf Flüssigkeit sollte. Aber mit etwas Geduld bekamen sie Emil zum Trinken der vor Ort hergestellten Mittel. Tatsächlich reichte es aus, dass Kern die Wunde nur kurz geklammert hatte, denn die heilende Substanz, welche Alfred hergestellt hatte, ließ einen Großteil der Wunde unversehens wieder zuwachsen, sodass der Gehilfe schnell das Zunähen der nur noch kleinen Wunde übernehmen konnte.
Emil hustete laut auf und augenblicklich kehrte Farbe in sein so gequältes Gesicht zurück. "Wo bin ich?", sagte er mit noch immer schwacher Stimme und blickte sich nervös um. "Bruder!", sagte er beruhigt, als er Alfred neben sich wahrnahm. Emil ließ sich wieder zurücksinken und atmete beruhigt ein und aus. "Es war furchtbar. Ich habe geträumt, dass als Preußen verkleidete Dänen mich in einen Spießrutenlauf[2] schickten. Ich spürte jedes Bajonett und jede Lanze."
Doktor Kern lächelte nur milde. Er wusste, dass Emils Kampf um das Leben wirklich einem solchen Lauf ähnelte, das Delirium hatte eine Überreaktion des Körpers verhindert. Wahrscheinlich war es besser, Emil nicht zu erzählen, wie nah er dem Tod gewesen war. "Sie werden überleben, Herr Nobel. Nur keine Sorge, das wird ein Traum bleiben." Doktor Kern klopfte Emil auf die Schulter und packte dann mit seinem Gehilfen seine Sachen. "Sie entschuldigen.", begann er, "Aber es warten noch weitere Patienten auf mich. Aber lassen Sie sich sagen, Herr Nobel, dass Ihre Mittelchen ein willkommene Hilfe sind. Es ist eine Schande, dass die Pharmazie noch nicht immer einheitlich an universitäre Regeln der Ausbildung[3] gebunden ist. So ist es immer schwer, einen Meister seines Faches von einem vermaledeiten Scharlatan zu unterscheiden. Verzeihen sie mir also, dass ich vorerst Zweifel hatte. Zwar haben Sie die Liebe eines Bruders gezeigt, aber anfangs auch eine übertriebene Unruhe, so hat es gedauert, bis ich Ihren Mitteln die Wirkung zugetraut habe. Sie haben mich jedoch nicht enttäuscht. Auf Wiedersehen." Er reichte Alfred die Hand und verließ dann mit seinem Gehilfen und gepacktem Arztkoffer wieder den Raum.
Emil atmete wieder ruhig and starrte an die Decke. "Jedes Bajonett und jede Lanze.", wiederholte er Auszüge aus seinem Traum.
 1. Nikolaus von Myra - Nikolaus ist übrigens auch ein Heiliger der Seefahrt, der in schweren Stürmen auftaucht und die Navigation von Schiffen übernimmt und Schiffsbrüchige errettet.
 2. Spießrutenlauf
 3. Das passiert in Deutschland erst 1875.
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Menthir

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Casus Belli
« Antwort #85 am: 21.06.2011, 16:36:55 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 00:10 Uhr - Im Altenstift

Die katholische Ordensschwester spürte, dass etwas nicht stimmte. Es ist als würde sie auf einmal müde werden. Sie hatte den Drang zu schlafen, aber das einströmende Adrenalin, welches einherging mit der Auftauchen zweier Arme, welche fast schon stählern in ihrem Griff wirkten und ihr ein Tuch, welches mit irgendeinem Stoff versetzt war, auf das Gesicht drückten, verhinderte ihr Wegdämmern. Sie konnte es aus den Augenwinkeln erahnen. Die mysteriöse, hünenhafte Gestalt mit dem elfenbeinweißem Gewehr stand hinter ihr. Der Gewehrkolben ragte über seine Schulter, ebenso ein in zwielichtigen grün leuchtender Stab, welche den Hünen und die Schwester in unheilvolles Licht tauchten.

Noch immer hatte scheinbar kein Passant oder Anwohner die Szene wahrgenommen, alle Fenster und Türen blieben verschlossen. Hermene und der Fremde waren allein...

Hermene fluchte innerlich, als sie dieses wirre Gefühl bemerkt. Wie konnte sich der Schütze so unbemerkt anschleichen? Und vor allem: Warum konnte er sie offensichtlich sehen? Hatte er etwa ebenfalls göttliche Gaben?

Hermene zögerte jedoch nicht lange und erhob sich wieder in die Lüfte, um dem drohenden Griff des Feindes zu entkommen. Sie musste herausfinden, ob der Schütze sie sehen konnte, oder ob sie den Vorteil der Unsichtbarkeit weiterhin auf ihrer Seite hatte. Schnell kreirte sie einen Soldaten, der als Illusion hinter dem Gegner erschien. Mit einer dunklen Stimme ließ sie ihn sprechen. "Hier bin ich, gottloser Mörder!", schrie das Trugbild dem Schützen in den Rücken.[1]

Einen kurzen Augenblick blickte das humanoide Wesen hinter sich und machte während es sich wieder umdrehte eine wegwerfende Handbewegung, ehe sie ihr Gewehr zog. Der elfenbeinweiße Kolben wurde durch seinen merkwürdigen Stab in ein zwielichtiges Grün getaucht. Schwester Hermene hatte diesen Gewehrtyp schon einmal gesehen. Niederländische Soldaten, die bei einer Übung Schiffsbruch erlitten hatten und in Hermenes alter Heimat versorgt wurden, hatten diese Waffen bei sich. Musketoon nannten sie diese etwas größeren Musketen, welche deutlich grausamere Löcher in menschlichen Fleisch rissen. Es erklärte auch die furchtbare Wunde in Marius Brust, er musste ihn voll erwischt haben. Mit einem unwirklich wirkenden Grunzen legte er die bereits geladene Waffe an und zielte auf Hermene. Er schien sie zu sehen, oder zumindest zu erahnen. Er verriss jedoch beim Durchziehen des Abzugbügels, der Schuss prallte wenige Zentimeter neben Hermene an der Wand ab. Der Lärm der Waffe war ohrenbetäubend und durchdrang sogar den starken Regen und den heftigen Wind. Wieder dieses Grunzen, diesmal ärgerlicher. Er zog an einem Hebel an seiner Waffe. Sie schien eine Repetiervorrichtung zu haben. Er zielte wieder auf die Schwester...

Hermene warf abermals einen Blick um sich, um die Umgebung zu überprüfen - niemand sollte sie sehen, wenn sie ihre wahren Kräfte offenbarte. Als sie niemanden erkennen konnte, erhob sie beide Arme. "Herr, steh mir bei und richte diesen Sünder", sagte sie, eher zu sich, als dass es jemand hören sollte. In ihren Händen formte sich eine Kugel aus Luft, die immer schneller zu rotieren begann, und ein Surren ertönte, und plötzlich ein ohrenbetäubender Knall, und der Ball schoss auf den Angreifer zu. Das Geschoss explodierte, und seine Wucht war deutlich zu sehen, denn der Regen wurde zur Seite gedrückt und der Schütze durchgerüttelt. Der Knall drohte ihn ertauben zu lassen. Hermene prüfte einen kurzen Augenblich seine Reaktion, bevor sie hinter der Ecke des Gebäudes verschwand.

Ein ohrenbetäubender Knall und der vermummte Unbekannte wankte einen Moment schwer getroffen, sein Körper dampfte durch den Einschlag der beeindruckenden Fähigkeiten Hermenes, doch bewies der Unbekannte eine außerordentliche Zähigkeit. Einen gewöhnlichen Menschen hätte Herme mit diesem Angriff umgebracht oder zumindest in die Nähe des Todes gebracht, so wie der Unbekannte Marius zugerichtet hatte. Und doch der Unbekannte rannte dampfend hinter eine angrenzende Hauswand und behielt dabei Hermenes Bewegung im Auge, verschaffte sich, als hätte er die Bewegung der Nonne vorhergesehen, wieder eine Schussposition. Die Schwester wurde fast komplett von der Hauswand der studentischen Kate verdeckt, so war es ein abenteuerlicher Versuch zu schießen, er wagte ihn. Ein weiterer ohrenbetäubender Knall, aus der Position schien der dampfende Unbekannte nicht wirklich schießen und treffen zu können. Hermene spürte den Luftzug Kugel, die knapp an ihrem Kopf vorbeisauste. Er hatte verschossen, gerade so konnte sie erahnen, dass er nachladen musste. Sie schien das Zepter in diesem Kampf zu schwingen.

Der Bastard schien es ernst zu meinen. Er wollte sie töten. Sie umbringen. Doch Hermene verstand das Spiel nur zu gut mitzuspielen. Sie bedauerte es, dass ihr Donnerschlag seine volle Wirkung verfehlt hatte, doch sie war noch nicht am Ende mit ihrem Latein. "Herr, läutere diesen Ungläubigen, der mit den Waffen Satans Unschuldige Menschen angreift, Abbilder deiner Selbst auf Erden", flüsterte sie, wobei sie begann, ihre Finger zu verdrehen, als würde sie etwas kneten und formen. Über dem Kopf des Schützen erschien eine leuchtende Lanze, die sogleich auf ihn herabfuhr, dirigiert von Hermene, die versucht,e den Schützen mit ihrer göttlichen Waffe zu durchspießen. Auch sie wollte ihn töten.

Die spirituelle Waffe, reinster und grobschlächtigster Magie entspringend und durch den wütenden Geist der Nonne genährt und geführt, war im Moment jedoch keine Gefahr für den Unbekannten, welcher sich geschickt zurückzog und sich aus der Sichtweite der Ordensschwester brachte, während der Wind noch immer unbarmherzig und drückend wehte und Hermene den Regen auf den Rücken presste. Ein kalter Schauer durchfuhr sie. Sie wusste, dass er Angreifer sich aus ihrem Sichtfeld zurückgezogen hatte, höchstwahrscheinlich, um seine Waffe nachzuladen. Die Nonne konnte noch klar erkennen, dass er sich hinter der Hauswand befinden musste, denn der grünliche Lichtschein reichte bis in Hermenes Sichtbereich, aber woher sollte sie wissen, ob er wirklich nachlädt? Vielleicht war das eine Falle oder er kletterte gar das Gebäude nach oben, auf das Dach, um eine bessere Position zu haben und dafür ließ er den magischen Stab zurück? Das Gebäude gegenüber der Kate war auch gerade einmal fünf Meter hoch, Hermene kannte es, es war eines der vielen neuen Bureaugebäude der Reedereien.

Hermene hätte gerne geflucht, doch dies wäre eine Sünde gewesen - niemals wollte sie ihren Herren enttäuschen. Stattdessen biss sie die Zähne zusammen. Sie knirschte leise. Sie entschied sich, dem Schützen nachzusetzen. Sie flog schräg nach oben, an den Giebel des Hauses, und gleitete über dem Dach entlang, sich stets hinter dem Giebel duckend, bis sie auf einer Höhe mit dem Feind war.

Die Schwester konnte erkennen, dass der unbekannte Hüne sich nicht etwa das Dach hochquälte, sondern gelauert hatte, dass Hermene irgendwie und irgendwann in sein Sichtfeld kam. Seine Waffe war bereits wieder geladen. Es wurde schnell deutlich, dass er zum einen, dass er ähnliche Missionen bereits durchexerziert haben musste, zum anderen, dass er aufgrund des Wetter, welches ihn und vor allem sein Gewehr furchtbar durch den starken Wind einschränkte, nicht die Initiative übernehmen wollte. Als er Hermene entdeckte, konnte diese gleich erkennen, was sein Plan sein musste. Er musste sie in eine Umgebung locken, in der ihm das Wetter nicht so behinderte und Hermene ihre Flugfähigkeit nicht zur Gänze ausnutzen konnte. Hermene konnte sehen, dass er trotz der potentiellen Trefferchance nicht schoss, sondern in die Kate sprintete

Hermene eilt über das Dach un platziert sich links neben der Tür. Sie wagt einen Blick hinein - gegebenenfalls würde sie ihre Waffe nachkommandieren und erneut nach dem Schützen schlagen lassen.

Der Schütze hatte auf den Moment gewartet, dass Hermene nur einen Moment in den Raum schaute, um sich der Anwesenheit des verhüllten Hünen zu versichern. Ungehindert vom Wind wollte der Schütze mit dem elfenbeinweißen Gewehr seine Chance nutzen und drückte gleich zweimal ab. Doch er musste dabei vorsichtig sein, denn die spirituelle Waffe, welche nach Abbruch des Blickkontaktes wieder zu Hermene zurückgekehrt war, flog heran und schlug nach dem Schützen, doch dieser hatte ein herausragendes Zeitgefühl und konnte gerade noch abdrücken, bevor die manifestierte Waffe ihn treffen konnte und beugte sich unmittelbar nach Abgabe des Schusses unter dem Schlag der geisterhaften Waffe hinweg und legte sofort wieder an und gab den zweiten Schuss ab.
Hermene musste schmerzhaft erfahren, dass der Mann seine Waffe beherrschte. Sie spürte den aufkommenden Schmerz und das warme Blut, welches aus ihrem rechten Arm lief. Eine Fleischwunde hatte die Kugel am Oberarm gerissen und ließ Hermene stark bluten. Glücklicherweise war ihre Deckung gut und ihre Bewegung schnell genug, dass sie dem zweiten Schuss nicht zu spüren bekam. Das Mauerwerk des Hauses hielt die Kugel auf.

Hermene biss die Zähne zusammen, bis ihr Kiefer schmerzte. Doch sie unterdrückte jeden Laut. Sie wollte sich vor diesem Sohn Satans nicht die Blöße geben. Sie glaubte an Gott, und das machte sie stärker als ihn. Sie würde ihn strafen für seine Sünden.

Sofort ließ sie ihre spirituelle Waffe herabrasen, um ihm möglicherweise endlich weiter zu verletzten. Er sollte ihren Zorn spüren, den Zorn des Herren. Sie erhob die Stimme, dunkel und roh: "Wer bist du, Narr, dass du dich stellst gegen den einen Herrn, der uns alle aus sich erschaffen hat?", rief sie zu ihm hinüber, und betete um die Unterstützung ihres Gottes, der den Schützen mit seiner Macht Ehrfurcht lehren sollte.

Der merkwürdige Hüne lachte, während er in aller Ruhe nachlud, da der Furchtzauber wirkungslos an ihm abprallte. Sein Lachen erschien wie ein dunkler Spott zu sein und klang mehrkehlig, als hätte das Wesen mehrere Münder oder gar Mäuler. So donnerte seine Stimme in drei unterschiedlichen Höhen aus seinem Hals.
"Welche Anmaßung, zu glauben, dass mein Angriff ein Angriff auf deinen Gott ist. Wer wohl der größere Frevler von uns ist." Seine Stimme zeigte einen starken Akzent, welcher Hermene so vorkam, als hätte er einen französischen Einschlag.
Er blieb stehen, weil auch Hermenes geisterhafte Waffe keine Wirkung entfalten konnte und das Wesen sich mit einem einfachen Ausfallschritt der Zauberwaffe entwandt.

Hermene versuchte erneut, ihre göttliche Waffe gegen den Schützen zu richten. Doch das Pech verfolgte sie - wie konnte das sein? Sie war eine Gesandte des Herrn, wie konnte er ihr nicht beistehen? Es sei denn...Es sei denn der Schütze sagte die Wahrheit. Doch noch war sie nicht am Ende ihrer Kräfte. Sie fokussierte den Schützen und schrie mit donnernder Stimme: "Lass die Waffe fallen! Sie versuchte, den Schützen zu entwaffnen, um etwas Zeit zu gewinnen.

Das große Wesen wischte den Angriff der körperlose Waffe weg, als wäre diese nicht mehr als eine äußerst lästige Fliege. Doch er unterschätzte die Nonne scheinbar, denn sie merkte, dass er wirklich unkonzentriert war, für einen Moment seinen Fokus verlor und so der Zauber der Ordensschwester nicht widerstehen konnte. Unbeholfen rutschte ihm die Waffe, als hätte er einen Schwächeanfall, aus der Hand. Grunzenderweise musste er nachgeben und unsanft fiel die Waffe zu Boden. Grummelnd schaute er hier hinterher und zog den leuchtenden Stab vom Rücken. "Du nervst mich, habittragende[2] Hure."
Ein fahlgrüner Strahl entwich dem Stab, doch der Nonne gelang es gerade so, ihren Kopf hinter den Türrahmen zu bringen, sodass der Strahl an ihr vorbeisauste. Der Schütze schien genervt.

Hermene war eingeschüchtert. Nicht von dem Schützen, sondern davon, dass Gott an jenem Abend nicht auf ihrer Seite stand. Hatte sie etwas falsch gemacht? Sie war stets eine Dienerin ihres Herrn gewesen, doch warum ließ er sie nun im Stich? Etwas musste verkehrt gelaufen sein, und sie wollte nicht weiter riskieren, dass ihr Dienst an diesem Tag endete, im Siff und Dreck der Straße, die mittlerweile bedeckt war von Wasser und Regen. Sie brauchte Hilfe, und zwar schnell. Ihre spirituelle Waffe erwies sich als ineffektiv. Immer wieder schlug sie vorbei, und der Schütze stand immer noch - normalerweise sollte er längt am Boden liegen.
Hermene schreckte zurück, als plötzlich auch noch der schwarze Strahl an ihr vorbeischoss. Sie schoss um die Ecke der Tür, wo sie Schutz suchte. Schnell erhob sie sich erneut in die Lüfte, auf das Dach, und wartete, ob der Schütze ihr folgen würde.

Und so verlor Hermene den fremdartigen und merkwürdigen Hünen mit dem französischen Akzent aus den Augen. Dieser tat der Schwester nicht den Gefallen, sich wieder in das unwirtliche Wetter hinauszuwagen. Wahrscheinlich war es keine Furcht, die ihm im Gebäude hielt. Er hatte durchaus realisiert, dass der Starkregen seine Sicht stark beeinflusste und der Wind seine Schüsse in Fortunas Schoß legte. Der Fremde hatte sich in das Haus gerettet, um diese Nachteile auszugleichen und er dachte nicht, diesen Vorteil wieder aufzugeben.
Kurz war Hermene abgelenkt, in der Entfernung hörte sich zwei Explosionen. Aber der Schütze nutzte dies nicht, verließ das Gebäude nicht, wahrscheinlich würde er sich darin verschanzen und auf einen Fehler der Nonne warten.

Auch Hermene schien innerlich ruhig und gelassen zu sein. Sie blickte mehrfach um sich, ob sie jemanden entdecken konnte, der ihr hilfreich erschien. Wo waren eigentlich diese dümmlichen Studenten? Möglicherweise hatten sie beim duellieren tatsächlich etwas gelernt und könnten dem Schützen Einhalt gebieten, wenn schon Hermene es nicht gelingen wollte. Sie sprach ein kurzes Stoßgebet und nutzte die göttliche Gnade, um die Wunde an ihrem Oberarm zu schließen und neue Lebensgeister zu wecken. Sie fühlte sich erquickt. Doch wie sollte ihr weiteres Vorgehen aussehen?

Der Schütze blieb verborgen, die Prise steif und der Regen stark. Dennoch konnte auch die Schwester so etwas verschnaufen und sich eine neue Taktik überlegen, während ihre Magie die schmerzhafte Wunde am Arm schloss. Andererseits hatte auch der Hüne neue Möglichkeiten sich darauf vorzubereiten oder gar aus dem Staub zu machen. Es schien kein grünliches Licht mehr aus der Tür, was darauf verwies, dass er sich nicht in direkter Nähe der Tür aufhielt oder er auf irgendeine Art und Weise den leuchtenden Stab aus der Reichweite gebracht hat oder das Licht verbarg. Ärgerlicherweise wusste Hermene auch nicht, was für Magie sie dort gegenüberstand. Das konnte dieses Duell nicht einfacher machen und zu allem Überfluss schien es so, als wären die Studenten verschwunden. In der Nähe war keine einzige Seele zu sehen, selbst in den meisten, sichtbaren Häusern schien kein Licht. Der Hüne blieb verschwunden. Weit konnte die Schwester jedoch nicht blicken, die Dunkelheit und der starke Regen schränkten die Sicht ein, der Wind hatte fast alle Laternen ausgepustet.

Als Hermene niemanden entdecken konnte, der ihr bei dem Kampf mit dem Schützen helfen konnte – nun eigentlich konnte sie rein gar niemanden sehen – beschloss sie, die Sache abzubrechen und sich zurückzuziehen. Auch wenn ihr die Vorstellung, dieses Ungetüm hinzurichten, durchaus verlockend erschien, so war ihr ihr eigenes Leben doch lieber, und für den Moment sah sie keine erdenkliche Chance. So verblasste sie wieder mit den Umrissen ihrer Umwelt, bis sie schließlch völlig verschunden war, und flog hinüber zu ihrer Heimat und Dienststelle, dem Stift. Hinter einem Busch berührte sie den Boden und eilte hinein in die schützende Wärme und Trockenheit.
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« Letzte Änderung: 21.06.2011, 16:39:59 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #86 am: 21.06.2011, 17:14:42 »
"Es ist vorbei, Emil. Alles wieder in Ordnung."

Glücklich lächelte Alfred seinen Bruder an und obwohl die dicken Objektivgläser seiner Brille die Augen des älteren Schweden verdeckten, waren ihm Freude, Erleichterung und Erschöpfung tief ins Gesicht gezeichnet. Aufatmend zog Alfred seine Handschuhe aus und warf seinen Mantel über den einzigen Stuhl in der Kammer. Vorsichtig beugte er sich über Emil und strich sanft und begutachtend über die vernähte Wunde an dessen Bein. Reflexartig zuckte dieser zurück als die feinen Finger seines älteren Bruders über die Fäden fuhren, und Alfred konnte nicht mehr als Emil nur noch zufrieden und glücklich anzulachen.

"Sehr schön. Du wirst schon wieder, der Arzt hat hervorragende Arbeit geleistet. Erzähl nur Mutter nichts davon," sprach Alfred und setzte sich, noch immer breit lächelnd. Müde seufzte er auf und blickte seinen kleinen Bruder an. Während Alfreds andere Geschwister Robert und Ludvig, die beide nur wenige Jahre älter als Alfred selbst waren, sich dazu entschieden hatten, in Russland zu bleiben und die Kriegsindustrie ihres Vaters fortzuführen, war es der zehn Jahre jüngere Emil gewesen, der zu Alfreds Interessen und Methoden gehalten hatte und ihm nach Stockholm und nun nach Kiel gefolgt. Welch hitzige Diskussionen hatten die vier Gebrüder bereits am Abendtisch geführt, manchmal in Kritik über ihren Vater, meistens über den Krieg, und nicht selten über das Recht und Unrecht des Nobelschen Vermögens, eine Familie, die sich indirekt an den politischen Schlachten ganzer Völker und Nationen bereicherte. Und immer war es der jüngste von ihnen gewesen, der zeternd und eifrig klagte und verwünschte, wie schamlos die Älteren die Produktion von Minen, Flinten und Kanonen führen konnten, ohne dabei auch nur einen Funken an schlechtem Gewissen über die Folgen ihrer Waren zu zeigen. Auch wenn Emils Verhalten hitziger als ein Leuchtfeuer sein konnte, sprach er doch fast immer auch die Gedanken und Zweifel aus, mit denen Alfred sich auch plagte. Der junge und lebensfrohe Emil war Alfred unter seinen Brüdern am liebsten.

"Wie geht es Dir? Fühlst Du Dich wohl? Es ist zwar schon spät - ," Alfred nahm die Uhr vom Tisch und klemmte sich die Kette wieder an das Knopfloch seiner Westentasche. Als er seinen Blick auf das Ziffernblatt warf, zog er nur anerkennend die Augenbrauen hoch. " - aber ich werde noch einiges zu erledigen haben, fürchte ich. Die Solros ist untergangen. Ich glaube es nicht, das gesamte Schiff ist versenkt!"

Mit einem ungläubigen Blick schüttelte Alfred den Kopf. Obwohl er das Inferno mit eigenen Augen miterlebt hatte kam ihm das Desaster unwirklich vor. Kurz warf Alfred einen Blick auf den Tisch, auf dem noch immer seine offene Tasche stand und entschloss sich dazu, die restlichen Substanzen zu nutzen um noch einige Reagenzien zu brauen. Doktor Kern hatte Recht, wenn Alfred helfen konnte, dann wird jeder verletzte Seemann diese Hilfe herzlich willkommen heißen. Und schließlich fühlte sich der Unternehmer mitverantwortlich für den Schaden, denn die tapferen Männer erlitten hatten. Alfred stand auf und rückte den Stuhl an den Tisch, zog sich wieder die Handschuhe über und hob eine Flasche mit einer glasklaren und leicht schlierenden Zutat gegen das Licht der kahlen Glühbirne.

"Sprich, Emil, was ist auf der Reise geschehen?"

Geschäftig machte sich Alfred ans Werk, während er Emils Worten zuhörte.[1]
 1. Alchemie: Alfred braut 3x Lesser Restoration, 1x Remove Disease, 6x Cure Light Wounds, insgesamt 10 Minuten
But I have learned to study Nature’s book
And comprehend its pages, and extract
From their deep love a solace for my grief.

 - A Riddle, 1851

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #87 am: 21.06.2011, 21:27:21 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 00:55 Uhr - Im Altenstift

Der merkwürdige Hüne blieb verschwunden und obwohl die Nonne aufmerksam blieb und Ausschau nach dem übergroßen Mann mit dem französischen Akzent hielt, blieb es ruhig. Doch nur für diesen Fall, denn ehe die Nonne überhaupt dazu kam, sich den Regen abzustreifen und sich selbst ausgiebig zu trocknen und aufzuwärmen, stand Mutter Ursula bereits hinter ihr und stupste sie mit dem Ellenbogen an. Ihre Hände waren bis kurz vor beide Ellenbogen blutverschmiert, doch es war gleichzeitig augenscheinlich, dass es nicht ihr eigenes Blut gewesen war. "Es gibt Probleme, Schwester. Deine Magie, sie entwich, kurz nachdem du sie gewirkt hattest, wieder. Meine eigene Magie hat der Junge auch nicht angenommen. Nun muss ich so gegen seinen Tod kämpfen, aber es will mir nicht gelingen." Die Mutter wirkte ungewöhnlich müde und wenig kratzbürstig, sie war fahl und so erschöpft, dass sie der Ohnmacht nahe war, ihre Lippen waren so etwas matt und sie war nicht einfach zu verstehen. Sie war klatschnass. "Schnell.", bat sie.

Schwester Hermene glaubte gleich sehen, dass das Überleben von Marius einem Wunder glich. Die geöffnete Brust sah auf den ersten Blick aus, als habe Mutter Ursula eher versucht mit einem Beil die Rippen zu zerschlagen, denn einen Versuch unternommen die grausame Schusswunde zu versorgen. Allerdings lag nur Nähzeug in der Nähe, Beile oder knochenbrechende Gegenstände sah die Nonne nicht in der Nähe und kräftig genug, um dies mit rohen Händen anzurichten, war die Mutter auch nicht. Hermene verstand in diesem Moment, was der Zauber aus dem Stab mit ihr angerichtet haben könnte. Hatte der Schütze deswegen so knapp verfehlt, weil er auf die Wunde gezielt hatte? Stand eine Schusswunde, zugefügt von der Waffe mit dem elfenbeinweißen Kolben, und dieser fahlgrüne Strahl in einem furchtbaren Zusammenhang? "Ich kann es mir nicht erklären.", stöhnte die Obere auf und betastete den bewusstlosen, doch zweifelsohne lebenden Marius. "Er lag er friedlich und schien sich zu erholen und auf einmal öffnete sich diese Wunde wieder und sie wurde größer und größer...als würde ihn innerlich etwas zerfressen!"
Die Oberin nahm Tücher und Wasser und fing die Wunde, die gerade wieder aufbrach, zu behandeln. "Das darf doch nicht wahr sein, O HERR!", flehte sie mit Blick zur Wand an das dort hängende Kruzifix und seufzte.

In diesem Moment erkannte Hermene, dass die Wunde nicht tödlich war, so grausam sie auch aussah. Es war blanker Hohn, der ihr in magischer Form entgegenschlug, sie erkannte es an den fahlen, langsam blutenden Stellen, welche Marius an den Handgelenken und den Füßen hatte. Es war ein gewirkter Fluch, dessen war sich die Schwester aus Bremen sicher. Ein mächtiger Fluch, den sie nicht kannte, auch wenn sie die Wirkung sehen konnte. Man bildete die Stigmata[1] nach. Welch ein Frevel! Mutter Ursula hatte es aufgrund der ewig aufbrechenden Brustwunde nicht entdeckt. Hermene konnte sie beruhigen, dass der Junge nicht sterben würde, wenn sie ihn weiter pflegte und genügend Wasser gab. Auch wenn es der Mutter nicht augenblicklich einleuchtete, hatte Hermene diese Art des Zaubers zu erkennen vermocht, als habe sie die veränderte Formel des Zaubers vor sich gesehen, als würde sie diesen bestimmten Fluch irgendwoher kennen. Es fiel ihr nicht ein, aber sie war sich sicher, dass sie den Zauber irgendwoher kannte. Es lief ihr kalt den Rücken herunter.

Dennoch versuchten sie, die Blutung weitesgehend zu stillen und tatsächlich wirkte schwächliche Magie, wie Hermene an einer Schriftrolle testen konnte, doch die Heilwirkung hielt nicht lange, der Fluch war stärker. Solange diese Wunde nicht zu schließen war, würde der Junge in dieser scheinbaren Bewusstlosigkeit schweben. Hermene erkannte, dass er träumen musste. Der Traum war unruhig. Aber im Laufe der Pflege ordnete sich die Mutter wieder und stellte genügend Wasser zur Verfügung. Wasser würde in der Tat sein Überleben sichern.
"In was für Zeiten leben wir, Kind?", sagte sie, nachdem die beiden sich fast eine Stunde um den geschundenen Leib des jungen Studenten gekümmert hatten, wieder mit festerer Stimme. Sie klang wieder wie eine alte Hauslehrerin. "Du musst mir einen Gefallen tun, Kind." Die Mutter verließ den Raum für einen Moment und es schien, als würde sie diese Aussage einfach im Raum stehen lassen. Doch einen Moment kam sie wieder mit einem Bild, ein Mann in schwarzer Uniform auf dessen Hut ein silberner Totenkopf prangte. Er hatte eine ungewöhnlich hohe Stirn und einen fast keck stehenden Schnauzer. Er war eher eine schlanke, aber durchaus charismatische Gestalt. Der Schalk war in seinen Augen zu sehen. "Das ist mein lieber Armin. Such ihn doch bitte auf und frage ihn danach, ob er etwas über solche Angriffe weiß, die zu Stigmata führen." Das erste Mal hörte sie etwas Liebevolles in der Stimme der Oberin, sowas wie Mutterliebe. Zudem war es verwunderlich, dass die Oberin sowas wie persönliche Gestände besaß. Sie ordnete sich sonst vollkommen dem Stift unter, Hermene hatte jedoch nicht die Zeit, darauf einzugehen, geschweige denn darüber nachzudenken. "Du findest ihn in 'Gerd's Eck'."
Die Liebe verschwand schnell aus der Stimme, eine schnelle Handbewegung folgte. "Zieh dich um und dann los. Es ist dringend, denn es ist mir nicht gewiss, wie lange er noch in Kiel weilen wird!"
Die Mutter liebte es, das letzte Wort zu haben. Sie schloss hinter sich die Tür zum Behandlungszimmer und kümmerte sich weiter um den Stigmatisierten, keine anderen Worte duldend.

6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 01:43 Uhr - Im Lazarett

"Es geht. Ich lebe.", sagte Emil mit Schwere in der Stimme. Die anfängliche Freude wich einer gewissen Mattheit, welche dem jungen Mann wohl kaum zu verübeln war, nach dem Blutverlust, der Kälte und dem vielen Wasser. Dennoch war er dankbar, nur einfach erschöpft und es wurde Alfred schnell klar, dass er nicht allzu viele Worte mit seinem Bruder wechseln konnte, er würde alsbald vor Erschöpfung einschlafen, gerade da der Heiltrank die Schmerzen stark zurückgehen ließ und so Platz für Müdigkeit war.
"Ich werde Mutter schon nichts erzählen. Sie wird sich wieder betrüben mit ihrer Angst um uns. Alfred, lass das, das brennt zu leicht! Emil, nicht die Linse in die Sonne halten!", äffte er seine eigene Mutter spaßeshalber nach und erinnerte an einer Szene, in der sie mit Sonnenlicht Schießbaumwolle[2] entzündet hatten, lachte und hustete dann nochmal kurz vor Schmerz. Emil hatte immerhin seinen Humor über diese harten Stunden nicht verloren.

Er hörte jedoch daraufhin auf zu lächeln, sein Blick wurde wieder schwer und seine jungen Jahre kamen zum Vorschein. Er brauchte ein wenig und seine Augen wurden wässrig, schlimme Bilder mussten vor seinen Augen zucken. "Ich war in der Kombüse...", begann er schwerfällig und atmete lang aus. "Wir packten gerade die Reste zusammen, Kiel war bereits im sanften Regen zu sehen. Irgendwo an Bord sang noch ein Matrose. Es war ein Badener namens Koep. Er sang für einen Freund, den er verloren hatte. Es war eine furchtbare Fahrt gewesen, immer wieder mussten wir dänischen Schiffen ausweichen, Schiffssperren überall und dann wurde uns in Danzig noch Papiere gestohlen. Ich habe 500 Taler aus meinem Vermögen bezahlt, damit wir loskonnten. Dänen bedrängten uns sogar nahe Danzig, Koep sang über seinen Kameraden. Die Dänen gaben Büchsenfeuer, aber nichts Großes. Koep und sein Kamerad stiegen in die Takelage und feuerten zurück, um die anderen Matrosen bei der Arbeit zu schützen. Sein Kamerad wurde getroffen und prallte auf das Deck, dann ließen die Dänen kurz darauf ab." Emil weinte jetzt bitterlich und hatte die Bilder vor Augen, wie der Matrose auf das Deck geknallt war. Mit zittriger Stimme fing er an zu singen.
"Ich hatt’ einen Kameraden,
 Einen bessern findst du nit.
 Die Trommel schlug zum Streite,
 Er ging an meiner Seite
 In gleichem Schritt und Tritt.

 Eine Kugel kam geflogen,
 Gilt’s mir oder gilt es dir?
 Ihn hat es weggerissen,
 Er liegt mir vor den Füßen,
 Als wär’s ein Stück von mir.

 Will mir die Hand noch reichen,
 Derweil ich eben lad.
 Kann dir die Hand nicht geben,
 Bleib du im ew’gen Leben
 Mein guter Kamerad!"[3]


Emil brauchte nach dem Lied ein paar Momente, um sich wieder zu sammeln, er war von den Bilder abgewichen, die er eigentlich erzählen wollte. "Ich werde dieses Lied nie wieder vergessen, Alfred. Koep sang es, während ich in der Kombüse war und die Messer verstaute. Eine Explosion. Eine riesige Kugel zerschlug einen kleinen Hilfsmast und jener begrub den singenden Koep...
Alle stürmten auf das Deck, manche zogen gleich Säbel blank und zogen ihre Hinterlader, lieden sie. Brüllten, riefen durcheinander. Ein Trupp wurde vom zweiten Einschlag getroffen und zerrissen, vier Mann mit einer Kugel. Ich habe noch nie Kanonen mit solch brutaler Genauigkeiten..."
, kurz schlug der Sohn eines Kriegsindustriellen durch, dann obsiegten wieder die grausamen Bilder. "Es ging schnell, wir riefen um Hilfe, manche sprangen ins Wasser und ich lief in deine Kammer, um das Wichtigste zu sichern. Das Paket!" Emil atmete schnappartig, als er das Paket erwähnte. "Ich war auf dem Rückweg, als ein weitere Kugel auf der Wasserkante traf. Wasser drang ein, ich wurde unter Wasser gedrückt. Irgendwie gelang ich aus dem Loch in das Wasser, ich tauchte auf. Die Schiffe fingen an, Brandgeschosse zu senden, ebenso genau. Sowas habe ich noch nie gesehen, so koordiniert und darauf ausgelegt, jenes zu zerstören, was wir an Bord hatten. Als hätten sie jeden Schritt von uns gekannt. Gebannt blickte ich zur Solros, als die Explosion sie plötzlich zerriss. Eine Holzplanke zerfetzte und zerschnitt mein Bein, dann setzt meine Erinnerung aus." Emil schien sich nicht mehr daran zu erinnern, dass er selbst noch, nachdem er gerettet worden war, gesprochen hatte, er musste sich schon halb im Delirium befunden haben. Er hörte auf zu weinen und flüsterte scharf zu Alfred, während er seinen Bruder am Kragen nah an sich ranzog.
"Das waren keine gewöhnlichen Dänen, Bruder! Als die Solros brannte, habe ich etwas gesehen, was wie der Dannebrog[4] aussah, doch er war nicht rot, sondern pechschwarz!" Kraftlos ließ er den Kragen seines Bruders los und sackte wieder hin. "Wir haben alles verloren was unser war, doch haben wir, was sie wollten.", sagte er ermattet und fing wieder an zu weinen. "Es ist alles meine Schuld, alles wegen des Pakets..."

Als Conrad, Karl und Carl die Tür öffneten, welche ihnen einer der Wachsoldaten im Lazarett gewiesen hatte, hörten sie bereits das bitterliche Weinen eines jungen Mannes. Sie sahen, dass dieser an Alfred lehnte und dessen Seite mit salzigen Tränen tränkte. Sie blieben aus Anstand eine Weile zurück, bis der junge Mann sich beruhigt hatte. Es war Alfreds Bruder. Es dauerte nicht lang, dann ließ er die Umklammerung Alfreds sein und legte sich schniefend auf den Rücken und schloss die Augen. Einen Moment später hatte die Müdigkeit ihn bereits übermannt und die Tränen versiegten, wichen dem Schlaf.

Alfred hatte die Zeit gehabt darüber nachzudenken, welchen Schaden er erlitten hatte. Fast 40.000 Taler[5] hat er durch diesen Angriff verloren und dabei stand noch nicht einmal fest, wie viel die Reederei für den Verlust als Anteil haben wollte und wie sich diese Verhandlungen ziehen würden. Vielleicht würde die Stadt ihm die Sicherheit geben, dass es wirklich ein solcher Angriff war und keine Explosion verursacht durch Alfreds Chemikalien. Die Geschichte würde unglaublich klingen. Hätte Alfred es nicht mit eigenen Augen gesehen, würde er es wahrscheinlich selbst nicht glauben.

Kurz vertröstete Alfred die Studenten noch und gab den noch vor der Tür stehenden Soldaten die Tinkturen und Tränke, damit er sie Doktor Kern bringen konnte. Dann standen sie alle in dem kleinen Lazarett, in welchem Emil gerade eingeschlafen war.

6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 01:43 Uhr - Gerd's Eck

Es war das zweite Mal an diesem Abend, dass die Nonne in ein Gebäude musste, in dem sie wahrscheinlich nur Randfiguren des täglichen Lebens und Trunkenbolde finden würde. Sie hatte von Gerd's Eck gehört. Nicht mehr als eine Matrosenspelunke, so war sie sich sicher. Der Ruf dieser Eckkneipe unter den Schlägern war groß und Hermene hatte schon das zweifelhafte Vergnügen gehabt, einem winselnden Mann, gebaut und beharrt wie ein Bär, die Splitter des auf seinen Kopf zerborstenen Steinkruges wieder aus Fleisch zu ziehen.
Doch als sie an diesem Abend die Eckkneipe erreichte, war es auch hier ruhig. Hermene hatte einen langen Weg um die Studentenkate herumgenommen und sich in aller Heimlichkeit bewegt, zumal sie sich auch genügend Zeit ließ, um Starkregen auszuweichen. Es nieselte nur noch, als sie trocken an der Kneipe ankam. Die Laterne davor war entzündet, die Tür stand offen und Licht fiel hinaus, die Kneipe war also noch geöffnet. Sie hörte aber nicht den Lärm, den man an guten Tagen sogar fast einen Kilometer weiter am Altenstift hörte. Die Eckkneipe war ein ganzes Stück die Förde hoch, am Ostufer. Vom Stift aus konnte man den Eingang bei klarer Nacht sehen, wenn man wusste, zu welcher Tür man schauen musste.

Es saßen nur zwei Gestalten in der Kneipe, als Hermene den Kopf reinsteckte. Einer war ein bulliger, grobschlächtiger Mann von sechs Fuß Größe. Er hatte einen speckigen Nacken und wabbelnd wirkende Arme, die jedoch fest wie Ochsenfleisch waren. Sie waren schlichtweg nur unformig. Er wog bestimmt weit mehr als ein Doppelzentner. Er trug ein blauweiß-gestreiftes Hemd und war augenscheinlich ein Matrose. Tuschelnderweise erklärte er dem Mann neben ihm irgendetwas von Bedeutung, so aufgeregt, wie er schien. Der andere Mann wirkte zerbrechlich gegen den Klotz, aber etwas größer vielleicht, was im Sitzen nur schwerlich genau zu bestimmen war. Vielleicht saß er einfach nur aufrechter. Sein Gesicht hatte etwas aristokratisches, würde man in der Porträtmalerei oder Fotografie sagen, aufmerksam war allemal. Er strich sich über den Oberlippenbart und blickte zur Schwester. Zwar hatte er seine Kopfbedeckung nicht auf, aber anhand der gewölbten Stirn erkannte sie, dass es sich um diesen Armin handeln musste. Kurz darauf entdeckte sie auch den Helm auf der Bank neben ihm.
"Guten Abend, Schwester.", sagte der Mann mit einem süffisanten Lächeln. "Es dünkt mir ungewöhnlich, dass eine Eurer Gnaden ein solches Haus zu später Stunde heimsucht. Es muss sich beflissentlich um Wichtiges handeln. So setzt Euch doch, Gnädigste." Er stand auf, verbeugte sich kurz und bot Hermene einen Stuhl am Tisch dar. Er blieb stehen, solange Hermene stand. Der Klotz grummelte nur. "Was kann ich Euch Gutes tun?" Seine zwar freundlich vorgetragenen, aber doch bestimmt gewählten Worte ließen in Hermene die Vermutung aufsteigen, dass er einigen Spott spuckte.
 1. Stigmata
 2. Schießbaumwolle
 3. Der gute Kamerad
 4. Dannebrog
 5. Goldmünzen
« Letzte Änderung: 21.06.2011, 22:46:17 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Carl von Lütjenburg

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Casus Belli
« Antwort #88 am: 23.06.2011, 22:11:44 »
Carl schwieg eine Weile, wie alle anderen auch. Nach einigen verstrichenen Momenten räusperte er sich leicht. "Es scheint als hätte Ihr Bruder das Schlimmste überstanden Herr Nobel, meine besten Wünsche weiterhin."

Der junge Soldat trat etwas näher an sein gegenüber heran und atmete hörbar ein. "Leider sind wir nicht hergekommen um unsere Genesungswünsche zu hinterlassen... Es gibt Neuigkeiten Herr Nobel..."

Carl erzählte Alfred von der Begnung mit dem schwarzen Braunschweiger und schloss mit der getroffenen Entscheidung. "...so werden wir uns dem Herzog stellen, jedoch nicht um uns zu entschuldigen. Es lag Ehre in unserem Handeln und wo wir wählen müssen, da wird es stets die Ehre sein der wir folgen werden."

Die Stimme des Adligen blieb gedämpft und ruhig während er hier im Lazarett sprach.

Schwester Hermene

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Casus Belli
« Antwort #89 am: 24.06.2011, 17:37:11 »
Hermene tog eine Augenbraue scharf hoch. Ein Tropfen Wasser kämpfe sich seinen Weg über die wenigen Falten ihrer Stirn hin zu der Furche der Strenge über ihrer Nase, wo er hinabrannte über ihren Nasenrücken, bis er schließlich auf ihren Lippen zerplatzte. Was sollte die Oberin gemeint haben mit 'ihrem Armin'. Ein heimlicher Liebhaber, ein Stecher, der ihre ekelerregenden, fleischlichen Gelüste befriedigte? Ein geheimer Sohn, der aus ihrer wilden Jugend stammte? Verdammt, Hermene wusste doch, dass mit der Alten etwas nicht stimmte, und nun...schien es ihr vor die Nase zu springen. War sie möglicherweise unrein? Oder gab es eine bessere Erklärung? So oder so - sie musste sich beeilen, und sie musste ihre weiteren Schritte gut abwägen.

Denn während sie in ihr Zimmer eilte, um sich schnell etwas anderes anzuziehen, kam ihr ein Gedanke. Was, wenn letztlich nicht sie, sondern die Oberin oder gar dieser Armin es sein würde, dem die Ehre zugeschrieben würde, den dümmlichen Studenten Marius gerettet zu haben? Hermene fühlte sich in ihrer Machtposition bedroht, und es missfiel ihr...sehr.

Dennoch tat sie, wie sie geheißen wurde, und sie hatte kaum eine andere Wahl. Sie selbst wusste zumindest auf Anhieb kein Mittel, wie man den Fluch heilen könnte. Konnte es sein, dass dies der Strahl war, der nur um Haaresbreite an ihr vorbeischrammte, ausgelöst aus dem höllischen Stab des Schützen? Wenn ja, wo hatte dieser Kerl solcherlei magisches Werk her?

Hermene warf sich einen dicken Manten über und zog die Kapuze tief in ihr Gesicht. Man sollte sie nicht sofort erkennen. Sie eilte los, und als sie wieder unter freiem Himmer stand, warf sie einige Blicke um sich, ob sie alleine war. Falls ja, würde sie wieder verblassen und hinüber fliegen, in Gerds Eck, und diesen Armin suchen.

Schließlich saß sie - möglicherweise - diesem Armin gegenüber. Bedeutsam schob sie ihre Kapuze nach hinten und musterte ihn einige Sekunden mit ihren stechenden Augen. "Guten Abend", sprach sie schließlich mit trockener Stimme. "Nichts Gutes kann für mich getan werden, denn das Dasein als Dienerin des Herrn ist das größte Glück, das man auf Erden erfahren kann", belehrt sie Armin. "Aber es gibt einen Patienten, dem Sie möglicherweise helfen könnten. Sagen Sie, wie steht es um Ihre Künste als Heiler, Armin? So ist Euer Name, oder? Der meine ist Schwester Hermene, zu Ihren Diensten", platzte sie letztlich heraus mit ihrem Anliegen.
« Letzte Änderung: 28.06.2011, 11:08:25 von Schwester Hermene »

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