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Autor Thema: Casus Belli  (Gelesen 83039 mal)

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Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #150 am: 07.10.2011, 23:37:29 »
"Ich muss schon sagen, Herr Ohlendorf," begann Alfred zu sprechen, während er die goldene Taschenuhr aus seiner Westentasche hervorzog und mit einem bewundernden Blick die Uhrzeit musterte, "Es sind noch nicht ein Mal zwölf Stunden seit den Ereignissen vergangen, doch schon sind Sie bemerkenswert umfassend informiert." Den Kupferschlüssel hatte Alfred zunächst nur kurz zwischen seinen Finger gedreht und ihn behutsam auf die Tischplatte gelegt. Das kleine Stück Metall lag nun wie ein achtlos liegen gelassener Groschen neben der Tasse Tee. Mit einem wachen Blick musterte der Schwede seinen neuen Anwalt. Alfred war sehr überrascht, welche Maßnahmen Ohlendorf bereits unternommen hatte, und er legte besonderen Wert darauf, diese Verwunderung nicht zu verbergen. Doch so unterschwellig misstrauisch Alfreds Worte auch klangen, so lag in seinem Blick ein viel bedeutenderes Zeichen von Anerkennung und Akzeptanz. Endlich traute sich Alfred ein kleines Lächeln zu äußern, während er den Stuhl zurückrückte und aufstand. "Sie geben sich sehr bescheiden, mein Herr. Ich denke jedoch nicht, dass dazu jegliche Notwendigkeit besteht. Sie haben in jeden Fall beeindruckende Arbeit geleistet. Reichen Sie mir bitte die Feder, ich unterschreibe den Vertrag." Mit einem bestätigenden Nicken ließ sich Alfred das Dokument geben, las es schnell aber sorgfältig durch und setzte mit fein geschwungenen Linien seinen Namen darunter. Wie zum symbolischen Besiegeln des Vertrages griff Alfred nach dem Kupferschlüssel und hängte ihn an seinen eigenen Schlüsselbund.

"Wir können aufbrechen, Herr Ohlendorf. Ich bin im Übrigen mehr als erleichtert zu hören, dass der Herr Professor um meine Anwesenheit und um meine Lage Bescheid weiß. Richten Sie ihm bitte meinen herzlichsten Dank aus, ich stehe scheinbar jetzt schon tief in seiner Schuld. Doch zunächst der Reihe nach." Für einen Moment sammelte sich Alfred, blickte auf den Tisch und schien zu überlegen. Schließlich hob er entschieden seinen Blick und ging auf die Vorschläge Ohlendorfs ein.

"Die Versetzung scheint mir eine gute Idee. Angesichts der Umstände natürlich ein Zugeständnis des Rechtsapparates, aber sie sagen es selbst, auch die Stadt Kiel wird sich den größten Ärger ersparen wollen. Ich verweilte die Tage im Gasthof "Quellenhain" am Blücherplatz, dort befindet sich mein Reisekoffer. Meine Arbeitstasche liegt im Lazarett, ich hatte letzte Nacht ob der plötzlichen Verhaftung leider wenig Gelegenheit, diese zurück in das Zimmer zu bringen. Ich benötige beide Taschen, Kleidung und Arbeit. Ich spiele zwar keine Karten, Herr Ohlendorf, aber ich werde die Wartefrist zu nutzen wissen."

Kurz nickte Alfred, um diesen Punkt als abgehakt zu markieren. In seinem Hinterkopf pochte die Gewissheit wieder, dass das vermaledeite Schriftstück, das all diesen Ärger verursacht hatte, sich ebenfalls in seinem Chemiekoffer befand. Wäre der Koffer nicht ohnehin schon bedeutsam gewesen, so wurde er nun ein äußerstes brisantes Eigentum des Wissenschaftlers. Alfred zwang sich dazu, diesen Gedanken vorerst bei Seite zu schieben.

"Werde ich die Gelegenheit haben, mich mit meinem Bruder zu unterhalten? Mir missfällt der Gedanke, während der Untersuchung von ihm getrennt zu sein. Zudem kann ich mir nicht vorstellen, dass es ihm noch immer so miserabel ergeht, wie es letzte Nacht der Fall war. Ich sage es ganz offen und mit Nachdruck, ich wünsche, dass Emil und ich uns die Unterkunft teilen können."

Zwar schätzte Alfred schon die Meinung Doktor Kerns, und dass Ohlendorf sich bereits mit ihm unterhalten konnte, war eines der beeindruckenden Umstände, die den Einfluss und die Fähigkeiten seines Gegenübers bestimmten. Doch Alfred konnte und mochte es nicht länger aushalten, von seinem Bruder getrennt zu sein. Mit einem ausdrücklichem Blick gab der Schwede die Bedeutung dieser Bitte wieder, ehe er fortfuhr.

"Wie ich verstehe werden wir warten, bis Herrn Hergren Nachricht erreicht und sich der Angelegenheit annimmt. Meine Anklage ist jedoch eine Sache, Herr Ohlendorf, ich werde auch jemanden brauchen, der meine Interessen vertritt. Die Seeschlacht letzter Nacht ist ein nicht unwesentlicher Bestandteil meiner Situation, und ich gedenke den Verantwortlichen für den Überfall auf die Brigg "Seeros" zu finden. Wird dies ebenfalls eine Aufgabe Herr Hergrens sein, oder kann ich Sie damit vertrauen?"
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Menthir

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Casus Belli
« Antwort #151 am: 12.10.2011, 20:12:09 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 10:46 Uhr - Gebäude des Kommandanten, provisorische Zelle

Ohlendorf hörte dem Chemiker aufmerksam zu und sah ihm bei der Unterschrift zu, hielt jedoch stets einen Respektsabstand. "Machen Sie sich darum keine Sorgen, Herr Nobel. Schnelles und effizientes Arbeiten wird von mir verlangt. Verwundete oder verstümmelte Veteranen ohne monetäre Rücklagen überleben in dieser Welt nicht lange, das gewöhnt einem das schnelle Arbeiten von ganz alleine an. Zudem haben Sie das Glück, dass Sie nicht alleine in der Sache stehen. Das ist ein nicht zu verachtender Vorteil." Der Mann vergrub seine schwieligen Hände in seinem Jackett und trat in die Richtung der Tür. "Ich werde Ihre besten Wünsche übermitteln, sobald Professor Himly und ich uns wiedersehen. Doch vorerst müssen wir Sie einfach nur verlegen."
Jens Ohlendorf wechselte ein wenig, er wirkte jetzt zwar deutlich erleichtert, drückte jedoch auch auf das Tempo. Er konnte es entweder nicht erwarten, sich endlich wieder an die Arbeit zu machen oder vielleicht drückte noch etwas anderes auf ihn ein, sodass es ihn zu Schnelligkeit ermunterte.
"Ihre Gegenstände werden geholt werden und ich werde mich persönlich und umgehend darum kümmern, dass Ihr Bruder zu ihnen verlegt wird! Die Geschichte um die Solros werde ich wahrscheinlich, zumindest am Rande, auch übernehmen. Es ist zu erwarten, dass der Angriff auf Ihr Schiff im Zusammenhang mit Ihrer Anklage zu sehen ist. Das ist für mich bisher jedoch nur eine vage Vermutung."
Er begleitete Alfred zur Tür und übergab diesen der Obhut der beiden Obergefreiten, erklärte kurz, dass er sofort den Oberstwachtmeister aufsuchen würde, um ihn von der Verlegung Emils zu überzeugen. Er war äußerst kurz angebunden nach der Unterschrift Alfreds, aber es schien nicht unehrlich oder unaufrichtig zu sein, sondern seinen Auftrag sofort und sorgfältig ausführen zu wollen. Aber Alfred wurde das Gefühl nicht los, dass er alleine kaum der Grund dafür sein konnte, dass Jens Ohlendorf dermaßen Kohle im Ofen hatte.
"Ich wünsche Ihnen einen guten Tag, Herr Nobel. Wir sehen uns alsbald wieder!" Schnellen Fußes entfernte sich der Anwalt, nachdem er dem Schweden die Hand gegeben hatte. Sein Weg würde ihn zum OWM führen, während die beiden Obergefreiten Hammer und Fritz sich Nobel annahmen und ihn in seine neue Wohnung führten.

6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 11:25 Uhr - Frau Borggrefes Haus, Unter Arrest

Alfred wurde von den beiden deutlich übermüdeten Obergefreiten in die Wohnung geführt, welche einer Dame namens Martha Borggrefe gehörte. Nur der Soldat Fritz wusste zwei, drei Worte über die Dame zu verlieren. Sie war zu Lebtagen mit einem Ingenieur oder einem Industriellem verheiratet. Sie sei dadurch zu einigem Ansehen und Vermögen gekommen und habe sich immer als Mäzenin junger Wissenschaftler verstanden. Hammer kannte die Frau gar nicht, Fritz hingegen hatte etwas Wehmut in seiner Stimme. Alfreds Eindruck, dass der junge Mann den Militärdienst nicht freiwillig gewählt hatte, bestärkte sich. Dennoch gab es nicht viel Gelegenheit, darüber zu sprechen. Fritz und Hammer hatten zwar zusammen mit dem Schweden einen formidablen Fußweg vor sich, sie waren fast zwanzig Minuten unterwegs gewesen, aber die beiden Soldaten hielten sich sonst eher bedeckt und antworteten evasiv.

Frau Borggrefes Wohnung war entgegen der Vermutung, welche sich nach Fritzens Worten aufgedrängt haben mochte, sehr nüchtern eingerichtet. Fritz und Hammer hatte ihm an der Tür sich selbst überlassen und ihm einen angenehmen Tag gewünscht und Nobel mitgeteilt, dass sie ein Zimmer am Ende des Ganges beziehen würde und später am Tag zwei weitere Soldaten einziehen würden: Obergefreiter Rix und Corporal Röschmann. Wenn Alfred Probleme, Sorgen und Nöte hatte, sollte er Bescheid geben und man würde sich darum kümmern, so man in der Lage dazu war.
Das Haus war als Mehrfamilienhaus ausgelegt gewesen, auf drei Stockwerken hatten zwölf Wohnparteien ihren Platz in diesem einfachem Haus aus gelben Backstein gefunden. Die Fenster waren unzureichend und es zog wie Hechtsuppe durch die schmalen Gläsern, an denen sich aufgrund des kalten Wetters auch Eisrosen gebildet hatten. Das galt auch für die kleine Wohnung, in der Alfred einen Platz fand. Anderthalb Zimmer boten sich ihm an. Eine kleine Stube wurde von einem Kanonenofen[1] dominiert, lediglich ein bequemer Lesesessel und ein unverzierter, aber äußerst stabiler Sekretär[2] standen im Raum. Alles stand auf alten, durchgetretenen Dielen, die sehr stark nachgedunkelt waren. Trotz aller Unannehmlichkeit, den Eisrosen an den Fenstern und der Kargheit, strahlte dieser Raum eine gewisse Gemütlichkeit aus. Auf dem grün bezogenen Sessel lag eine einfache Wolldecke.
Ein kleiner Durchbruch führte in eine kleinere Kammer, in der lediglich ein Bett stand, welches frisch bezogen war. Es war etwas durchgelegen. Merkwürdigerweise hing über dem Bett ein Bild des Alten Fritz[3]. Auch die Stube war zwei weiteren Bildern behangen, sie ähnelten sich lediglich dadurch, dass die Bilder Herrscher darstellten, welche für ihre Liebe zur Philosophie berühmt waren. Ansonsten waren sie im Stil, in Farbe und Arrangement unterschiedlich. Die beiden anderen Bilder stellten Mark Aurel[4] und Friedrich II.[5], dem römischen-deutschen Kaiser aus dem Geschlecht der Staufer, dar. Auf dem Sekretär lag ein Kruzifix, auf dem Nachtisch neben dem Bett stand eine kleine Madonna. Neben den beiden Räumen gab es noch ein sehr kleines Bad und eine Küche. Während die Küche ein fast völlig unbestückter Raum war, in dem eine Arbeitsplatte und eine kleine Hexe stand, auf der Tee gekocht und Kleinigkeiten zubereitet werden konnten, sowie ein kleiner Eimer mit sauberen Besteck, war das Bad die eigentliche Schatzkammer des Hauses. Es war zwar auch sehr klein, sodass nur eine Toilette und eine kleine Kabine hineinpasste, aber diese beiden Gegenstände hatten es im Vergleich mit einen gängigen Wohnung in sich. Die Toilette besaß eine eigene Spülung, die Kabine entpuppte sich tatsächlich als Dusche mit fließend Wasser. Kleine Röhrchen zogen sich durch die Wand und Alfred erkannte, dass sie mit dem Ofen und der Hexe verbunden war. Ein Wasserbehälter konnte somit erhitzt werden, wenn man sowieso die Wohnung heizte oder sich Nahrung zubereitete. Eine Dusche war ein herausragender Luxus in solch einer kleinen Wohnung. Sie war zwar klein, aber sicherlich würde sich die Zeit ertragen lassen. Auch wenn man für Emil eventuell ein zweites Bett anschaffen müsste.

Während Alfred sich fröstelnd umblickte, konnte er erkennen, dass draußen leichter Schneefall einsetzte. Aber im Zweifelsfall würde Alfred sich die Kamin anzünden können. Der Himmel war komplett mit schneeweißen Wolken eingedeckt, die sich kaum angekündigt hatten, Alfred wurde immer kälter. Jetzt hieß es warten, dass die ersten Ergebnisse kamen, seine Habseligkeiten ihm gebracht wurden oder er widmete sich bereits...es klopfte an der Tür. Ein schlaksiger Soldat hatte sich angekündigt, er hatte ein schmales, kantiges Gesicht. Er wirkte so, als hätte er bereits einen am Tee, denn seine Augen waren glasig und sein Schritt nicht ganz sicher, dennoch machte er seinen sympathischen Eindruck. Seine Kleidung saß etwas schief. "Gestatten, Corporal Richard Röschmann.", sagte er kaum hörbar. Seine Stimme war laut genug, aber sie wirkte stammelnd. Der Alkohol war sicher kein Grund dafür, es schien seine Art zu sprechen zu sein. Er wischte sich seine halblangen, braunen Haare über den Kopf nach hinten und setzte die Mütze wieder auf, die er zur Begrüßung gelupft hatte. "Ich bringe Ihre Sachen, Herr Nobel." Er stellte tatsächlich Alfreds Sachen ab, konnte aber noch nicht bestätigen, was jetzt mit Emil passieren würde. Auch er kündigte an, dass er in der Wohnung am anderen Ende der Etage wohnen würde. Alfred konnte sich vorstellen, dass es nicht sehr komfortabel sein konnte, mit vier Soldaten in einer ebenso kleinen Anderthalbzimmer-Wohnung zu nächtigen. Röschmann war schon weiter gehumpelt und Alfred schloss wieder die Tür. Die Schneefall war inzwischen stark und tiefweiß.
 1. Kanonenofen
 2. Sekretär
 3. Der Alte Fritz
 4. Mark Aurel
 5. Friedrich II.
« Letzte Änderung: 12.10.2011, 20:59:19 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #152 am: 15.10.2011, 20:13:24 »
Zögernd beäugte Alfred seine Reisetasche, welche neben Koffer und Gehstock auf dem Boden standen. Langsam hob er die Hand und kratzte sich am Kinn. Das letzte Mal als er sie gesehen hatte, hatte er eben jenes Dokument darin verstaut, welches ihm all diesen Ärger eingebracht hatte. Er hatte nicht damit gerechnet, die Tasche so lange aus seinen Augen lassen zu müssen; er hätte es besser wissen müssen und sie am Vorabend zu der Begegnung mit dem Braunschweiger mitnehmen sollen. Angespannt seufzte Alfred, als er schließlich seinen Mantel auszog und über die grünen Ohren des Sessels warf und den Spazierstock mit seinem Kleiderkoffer in die Bettenkabine brachte. Für einen kurzen Moment wunderte sich Alfred, wo seine Fellmütze abgeblieben war, bis ihm einfiel, dass sie sich wohl noch immer in dem Maschinenraum der Helka befinden musste. Mit einem merkwürdigen Gefühl blieb der Schwede jedoch an der Schwelle zur Kammer stehen. Das Zimmer kam ihm eigenartig vor.[1]

Vorsichtig legte er seinen Koffer auf das Bett und besah sich die Ecken und Wände des Schlafzimmers. Mit seinem Stab in der Hand trat er wieder hinaus und schritt die geschätzten Maße des Zimmers an der Außenwand der Kammer ab. Er täuschte sich nicht, irgendwo zwischen Bad und Schlafzimmer müsste ein Leerraum sein oder es wurde zu viel Platz verschenkt. Stirnrunzelnd trat Alfred wieder in das Schlafzimmer. Die immerwachen Augen Friedrichs des Großen schienen ihn vielsagend anzuschauen. Verstehend nickte Alfred schließlich und warf seinen Stock ebenfalls auf das Bett, um seine Reisetasche zu holen.

Obwohl die Chemikalien in der Tasche ungefährlich und sicher verstaut waren, hob Alfred seine treue Begleiterin mit einer besonderen Sorgfalt auf. Die Sorgfalt galt nicht den Ingredienzien seiner Arbeit, sondern viel eher einem ehrfürchtigen Umgang mit der bedeutungschweren Schrift. Langsam trat er an den Sekretär und ließ die Arbeitsplatte herab. Mit einer ebensolchen Sorgfalt ließ er die Tasche ab und beschaute sich die Scharniere. Beruhigt stellte Alfred fest, dass scheinbar niemand versucht hatte, sich an ihr zu schaffen zu machen.[2] Mit einer geübten Handbewegung ließ er die beiden Verschlüsse aufschnappen, das vertraute Bild der Phiolen und Gläser bot ihm ein wohltuendes Bild der Heimat. Mit einem flinken Griff zog der Chemiker sein Laborbuch aus dem dafür vorgesehenen Fach und trat damit wieder in die Schlafkammer. Auge in Auge stand Alfred dem alten Fritz gegenüber, als er auch seinen Schlüsselbund hervorkramte und den kleinen Kupferschlüssel hervorsortierte. Achtsam schob Alfred das Gemälde zur Seite.
 1. Wahrnehmung: 24
 2. Wahrnehmung: 13
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Casus Belli
« Antwort #153 am: 23.10.2011, 11:32:39 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 11:27 Uhr - Frau Borggrefes Haus, Unter Arrest

Der Alte Fritz wich ohne Gegenwehr und offenbarte einen in die Wand eingelassenen Stahlschrank, dessen Dicke schon beim ersten Klopfen bewusst wurde. Er war jedoch nicht halb so groß wie das Gemälde und da er breiter als hoch war, konnte Alfred davon ausgehen, dass sich dieser kleiner Stahlschrank eher zum Aufbewahren von Papieren eignete. Vorsichtig ließ der Chemiker den für ein solch massiven Schrank ungewöhnlichen fragilen Schlüssel in das dafür vorgesehene Schloss gleiten. Er brauchte nicht einmal drehen, leise quietschend schob sich die Tür ein Stück vor und schwang dem Schweden entgegen.

Es war wie erwartet, Papiere lagen vor Alfred. Sprach Ohlendorf nicht davon, dass es nur ein Schriftstück war? Alfred blätterte sie grob durch und erkannte, dass die meisten tatsächlich noch alte Briefe waren, die an eine gewisse Frau Borggrefe addressiert waren, sie stammten alle fast ausnahmslos von einem gewissen Wilhelm Bauer. Unter dem Stapel von Briefen lag jedoch ein weiteres, in ein Kuvert verpacktes, Schriftstück, es war jedoch unförmig, weil jemand auch einen anderen Gegenstand in den kleinen Kuvert gezwängt hatte. Mit krakeliger Schrift stand auf der Vorderseite des Kuverts Nobel und auf der Rückseite Himly.

Alfred öffnete den Kuvert and fand in seinem Inneren einen Ring und einen Brief, vorsichtig entfaltete er den Brief, welcher in derselben krakeligen Schrift verfasst war. Aus den Briefwechseln mit Himly erkannte Alfred dessen sonderbar, schlechte Schrift sofort wieder. Wie immer musste Alfred fast jedes Wort ein zweites Mal lesen, ehe er es auch wirklich entziffern konnte.
"Sehr geehrter Herr Nobel,

lassen Sie selbst in Schriftform meine Worte auf das Zentrale kondensiert sein. Ich habe von einem gemeinsamen Freund von Ihrer Lage gehört und möchte versucht sein, Ihnen meine Hilfe anzubieten. Es gibt jedoch gewisse Verbindungen, die man aufgrund von Überwachung nicht persönlich wahrnehmen kann. Deswegen habe ich Ihnen einen sogenannten Kommunikationsring geschickt.

Bevor Sie ihn nutzen können, müssen Sie ihn aber an sich gewöhnen. Entschuldigen Sie zunächst einmal, dass ich Ihnen mit leidiger Magie zu Leibe rücken muss, aber ich wüsste keinen anderen Weg. Das Problem des Gewöhnen ist, dass man nur dann mit einem anderen Trägers kommunizieren kann, wenn die jeweiligen Träger ihre Ringe in getragener Weise magisch miteinander koppeln. Ich habe lange gerätselt, nachdem ich diese Ringe bekommen habe, wir man dieses Problem lösen kann. Ich habe ein zweischneidiges Schwert als Lösung gewählt, weil mir nichts Besseres einfiel. Ich habe meine Ringe mit Goldcyanid[1] vergoldet und die Kommunikationsfähigkeit an die Art des besonderen Ringüberzuges angepasst, sodass die bestehenden Ringe stets mit einander verbunden sind, ganz unabhängig von seinem Träger. Das ist natürlich ein Stück weit gefährlich, allerdings gibt es nur drei dieser Ringe, wovon einer jetzt in Ihrem, einer in meinem und einer im Besitz unseres gemeinsamen Freundes ist.

Wenn sie den Ring nutzen, müssen sie Ihn mit einem Befehlswort aktivieren. Damit er nicht von jedem genutzt werden kann, der in Besitz dieses Ringes kommt, werde ich Ihnen eine Frage stellen, deren Lösung das Befehlswort ist. Wer hat die Vulkanisation entdeckt?

Sobald Sie die Lösung gefunden haben, bei der ich mir sicher bin, dass Sie sich dieser Lösung sicher sind, ist es doch unser Fachgebiet, und es gesprochen haben, werden Sie ein leichtes Prickeln spüren, so Sie den Ring tragen. Fortan werden sie den kalten Ring immer an ihrem Finger tragen müssen. Sobald er warm wird, befindet sich ein Träger des anderen Ringes innerhalb eine Meile, wenn Sie dann wieder das Befehlswort sprechen, so der Ring warm ist, werden Sie mit dem anderen Träger kommunizieren können, als würden Sie ein gewöhnliches Gespräch führen, nur dass Sie ihr Gegenüber nicht sehen.

Ich hoffe, dass Ihnen das für das Erste helfen wird.

Ergebenst,
Himly"


Der Ring war relativ schlicht, ein einfacher Goldring ohne weitere Verzierungen, glatt und glänzend poliert. Nobel wusste es jetzt besser, es lediglich ein vergoldeter Ring. Er war sehr klein und würde nur auf den kleinen Finger passen. Doch bevor Nobel ihn nutzen konnte, klopfte es schon wieder an seiner Tür.
"Herr Nobel?" Die fragende Stimme lallte ein wenig. "Hier ist Corporal Röschmann nochmal. Ich muss nochmal in die Stadt. Soll ich Ihnen irgendwas besorgen?"
 1. Himly ist vor allem für die Entwicklung des Goldcyanids bekannt.
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Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #154 am: 25.10.2011, 00:21:54 »
"Ja, einen Moment!", rief Alfred aus der Schlafkabine, während er eilig die Tür zuklappte und den Ring in seiner Brusttasche verschwinden ließ. Als das Gemälde zurückschwang schienen die wachsamen Augen des Alten Fritz den Chemiker tadelnd anzuschauen. Fast als würden sie fragen: "Was tun Sie hier eigentlich?"
"Ich komme!", meldete Alfred sich erneut, als er aus dem Schlafraum in die Stube trat und sein Buch und den Brief auf die Tischplatte des Sekretärs legte. Mit einem raschen Griff holte er aus seiner Reisetasche eine lederne Geldkatze hervor, aus welcher er schnell einige Groschen abzählte. Mit den Münzen in der Hand öffnete er die Tür.

"Ich möchte Sie darum bitten, mir eine Zeitung mitzubringen, Corporal," begann Alfred, "im besten Falle ein lokales Blatt aus Kiel. Falls sie jedoch auch eine größere Zeitschrift finden sollten, bringen Sie sie mir bitte ebenfalls mit. Vielen Dank." Mit einem Lächeln drückte Alfred dem schlaksigen Soldaten die Groschen in die Hand und verabschiedete ihn mit einem Lächeln. Mit dem Schließen der Türe drehte sich Alfred zurück ins Zimmer. Fast hatte er schon vergessen, wie erbärmlich kalt es in der Wohnung war. Mit einem leichten und überraschenden Anflug der Vorfreude widmete Alfred sich dem Kanonenofen. Sobald das Feuer brannte, würde er sich das Bad näher anschauen wollen.

Während Alfred darauf wartete, dass das Zimmer aufheizte, nahm er wieder sein Laborbuch vom Sekretär und trat zurück in das Schlafzimmer. Es wirkte fast symbolisch, wie der Schwede erneut den Alten Fritz zur Seite schob, die zusammengefaltete Urkunde von der letzten Seite seines Buches entnahm und in den versteckten Wandschrank einschloss. Selbst Jahre nach seinem Tod nahm der alte preußische König noch staatliche Dokumente entgegen.

Erleichtert, dass er die Urkunde nun nicht mehr bei sich tragen musste, seufzte Alfred leise auf. Langsam begann auch die Luft in den Zimmern wärmer zu werden. Endlich trat Alfred wieder an den Sekretär und schob seinen Laborkoffer zur Seite, um Platz auf der Arbeitsfläche zu schaffen. Aus der Seitentasche kramte Alfred die hölzerne Schatulle hervor, klappte sie mit geübten Fingern auf und band sich wie schon so oft die Objektivgläser um. Mit einem leisen Surren passten sich die Blenden der Brille den schwachen Lichtverhältnissen in der Kammer an. Alfred griff in seine Brusttasche, hielt den vergoldeten Ring vor die dicken Rundgläser und drehte das kleine Stück Metall neugierig zwischen seinen Fingern.

Beeindruckt schätzte Alfred die Verarbeitung der Goldschicht ab. Zwar hatte sich der Chemiker bereits mit der Arbeit Himlys beschäftigt, aber dennoch war er verblüfft, dass der Ring magisch ausstrahlte. Die Resonanz der Ringe über die einzigartige Metallschicht abzustimmen war ein hervorragender Einfall. Durch das einzigartige Metallisierungsverfahren mussten unweigerlich Spuren des Cyansalzes in dem Metall eingearbeitet sein. Somit dürfte es als hervorragendes Basismaterial gedient haben, den Kommunikationszauber über die speziell gleichartigen Objekte zu binden. Alfred entdeckte einen Schriftzug auf der Innenseite des Ringes, welchen er zunächst als Gravur hielt, durch die rauen Kanten jedoch schnell als Ätzung identifizieren konnte. "Fides" stand dort, das lateinische Wort für Vertrauen, mit einer unüblichen Kapitalisierung.[1] Alfred konnte nicht verhindern, dass er mit seinen Gedanken ein wenig abschwief: Für einen Moment fragte er sich, mit welchem Schutzmaterial Himly wohl den Ring überzogen haben muss, ehe er den Schriftzug im aggressiven Aqua Regia[2] bildete, doch mit einem verstohlenen Kopfschütteln lenkte er seine Aufmerksamkeit wieder auf das Wesentliche.

Erneut las sich Alfred den Brief durch, während er noch immer den Ring zwischen seinen Fingern hielt. Der Professor sprach von einem gemeinsamen Freund. Verwundert dachte der Schwede nach; meinte Himly etwa den Anwalt Ohlendorf? Alfred konnte sich nicht daran erinnern, einen ähnlichen Ring an den Fingern des Mannes gesehen zu haben, als dieser spielerisch die Karten gemischt hatte. Somit blieb Alfred etwas ratlos, wen Himly meinen konnte. Doch offensichtlich gab es eine einfache Methode, es herauszufinden. Langsam zog sich Alfred den Ring über den kleinen Finger seiner linken Hand und schaute wieder auf den Brief.

Der Entdecker der Vulkanisation also, des Verfahrens, mit welchem man durch Schwefelverbindungen das Kautschuk von einer zähen zu einer elastisches Masse bilden konnte.[3] Das Gummiband der Laborbrille, welche sich um Alfreds Hinterkopf spannte, war genau aus diesem Material, ein persönlicher Import aus England. Mit einem Räuspern klärte Alfred seine Stimme. "Hancock, Thomas Hancock", sagte er laut und deutlich, und schaute den Ring erwartungsvoll an. Es blieb jedoch still, der Ring schien nicht zu reagieren. Verwirrt runzelte Alfred die Stirn. Nachdenklich trat Alfred vom Sekretär und setzte sich auf den grünen Ohrensessel. Vor einigen Jahren war er zu Besuch in England auf der Londoner Industrieausstellung[4] gewesen. Er erinnerte sich noch gut an ein Gespräch mit einem Aussteller des britischen Unternehmens Charles Macintosh and Co.[5], der nicht müde wurde, stolz von dem englischen Produkt im Namen ihrer Königin zu berichten. Der britische Chemiker Thomas Hancock[6] habe demnach das Verfahrung zur Erfindung des sogenannten Materials "Rubber" entdeckt und patentiert, ehe ihm der Amerikaner Charles Goodyear[7] mit einem Patentstreit drohte, in der Behauptung, selbst das Verfahren entwickelt zu haben. Tatsächlich hatte der Brite auf der damaligen Austellung kein Blatt vor den Mund genommen; Alfred war verblüfft gewesen, wie viel der Angestellte bereit war über den politischen Werdegang seines Unternehmens Preis zu geben. Immerhin hatte Alfred ihm danach tatsächlich eine kleine Menge des Rohstoffs abgenommen. Alfred hob seine linke Hand wieder auf Augenhöhe und kratzte sich mit der rechten bedächtig am Kinn.

"Charles Goodyear."[8]
 1. Wahrnehmung 17
Zauberkunde 30
 2. In Königswasser können (bspw. im Vergleich zur Salzsäure) Edelmetalle gelöst werden.
 3. Wissen (Natur) 28
 4. Great Exhibition
 5. Charles Macintosh
 6. Thomas Hancock
 7. Charles Goodyear
 8. Wissen (Geschichte) 25
« Letzte Änderung: 25.10.2011, 00:27:08 von Alfred Nobel »
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Casus Belli
« Antwort #155 am: 27.10.2011, 21:30:48 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 11:29 Uhr - Frau Borggrefes Haus, Unter Arrest

Der Name verklang und Alfred spürte, wie der Nachname etwas in dem Ring bewirkte. Kurz wurde die Schrift brüllend heiß, während der sonstige Ring schlagartig abzukühlen schien. Kurz wurde Alfred schwindelig, Sternchen tanzten vor seinen Augen, doch dann ließ das Gefühl so schlagartig nach, wie es Alfred überkommen hatte. Noch immer fühlte sich jedoch der Ring außergewöhnlich kühl an, während das Wort Fides sehr warm war. "Herr Nobel? Herr Nobel, sind Sie das?", erklang eine fast noch jugendliche Stimme in Alfreds Gedanken, bevor der schwedische Chemiker überhaupt dazu kam, den Ring seinerseits auszuprobieren. "Dann hat es geklappt, wie der Herr Himly prophezeit hatte. Magie und Technik sind gemeinsam also doch zuverlässiger." Die Stimme hatte einen stark italienischen Einschlag und Alfred konnte sie nicht zuordnen, er hatte sie noch nie gehört. Wie sollte er also wissen, ob dies ein gemeinsamer Freund wäre? Vielleicht nur eine Floskel Himlys. Nur anhand der Stimme würde Alfred schätzen, dass der Mann ein minderjähriger Italiener ist. "Ich bin Daniele Nocerino und Herr Himly hat mich Ihnen vermittelt, und das aus gutem Grund. Herr Nobel, ich könnte Ihnen helfen, denn ich weiß einiges von Interesse. Ich werde es Ihnen umgehend zu vermitteln versuchen."
Seine Stimme klang gehetzt, als würde er gerade laufen, zudem waren die Worte undeutlich. Der junge Italiener schien die Übertragungsfähigkeit bis auf das Äußerste zu strapazieren und im äußersten Empfangsgebiet des Ringes zu laufen.
"Aber ich habe vorerst ein kleines Problem. Sie müssen mir dabei helf..Scheiße!.", rief der Italiener und ein Stöhnen war zu hören. "Das war knapp." Dem Chemiker war es nicht möglich zu hören, was um Daniele vor sich ging, aber scheinbar wurde er verfolgt. "Herr Nobel, sie müssen den Oberstwachtmeister dazu bringen..." eine kurze Pause, schweres Atmen, als würde er gerade einen beschwerlichen Weg nehmen. "Sie müssen ihn dazu bringen, dass er..." Ein Aufschrei wird gefolgt von einem schweren und schmerzhaften Aufstöhnen, als wäre er irgendwo runtergesprungen. Völlig aus der Puste sagte er weiter. "...dass er den Notstand für den Hafen ausrufen muss. Lassen Sie sich..." Wieder schweres Gestöhne. "etwas einfallen, wie dass die Reste der Solros gefähr..." Abriss. Scheinbar war der junge Italiener aus dem Gebiet gelaufen, in dem die Ringe einsetzbar waren. Schlagartig wich das Gefühl von Wärme aus dem Ring und er nahm wieder komplett seine Kälte an.

Und so saß Alfred Nobel wieder alleine in der Wohnung von Frau Borggrefe, unter den gestrengen Augen von Mark Aurel und den beiden Friedrichs. Eine Aura lag über dieser Wohnung, eine Aura, welche sich der Chemiker noch nicht erklären konnte. Was aber meinte der Italiener mit seinen Worten? Schlagartig erwärmte sich der Ring Alfreds wieder, für einen Bruchteil eines Augenblicks, lange genug um ein paar abgebrochene Worte mit italienischem Akzent zu hören. "Retten Sie mi..."
Der Italiener war in Gefahr, und zwar unmittelbarer. Aber war er ein Freund? Konnte er helfen? Was hatte dies zu bedeuten?
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Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #156 am: 28.10.2011, 15:16:34 »
Mit verwirrtem Blick starrte der Schwede die gespreizten Finger seiner Linken an, als wären sie es gewesen, die mit ihm gesprochen hatten. Erst jetzt merkte Alfred, dass er nicht mehr auf dem Ohrensessel saß, sondern vor Spannung aufgesprungen war. "Himly? Himly!", rief Alfred an Mangel an Alternativen - offenbar war der junge Italiener außerhalb der Reichweite gelangt. Was hatte das zu bedeuten? Was konnte dem Jungen nur geschehen, in so einer Hetzjagd zu sein schien, und was erhoffte er sich davon, den Hafen im Notstand zu sehen? Nicht lange zögerte Alfred, ehe er sich auch fragen musste, ob er dem Jungen überhaupt trauen konnte. Himly hatte von einem gemeinsamen Freund geschrieben, doch Alfred kannte den Italiener nicht.

Andererseits hatte der Chemiker schon so viel dem Professor zu verdanken. Und wenn der Junge nur ein Freund des Universitätsgelehrten sein sollte, so sollte es Alfred recht sein. Er glaubte zwar nicht, dass er viel ausrichten konnte, aber der Bitte des jungen Italieners konnte er nachzukommen versuchen. Mit schnellen Schritten eilte Alfred ans Fenster und sah nach draußen, in der Hoffnung, den Corporal noch in Rufweite zu erwischen.
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Casus Belli
« Antwort #157 am: 01.11.2011, 14:06:35 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 11:30 Uhr - Frau Borggrefes Haus, Unter Arrest

Alfred blieb glücklos in seiner Suche, Corporal Röschmann war nirgends zu sehen, vielleicht hatte er sich einen anderen Weg aus dem Haus gesucht oder er war noch gar nicht gegangen und nochmal auf sein Zimmer zurückgekehrt? Und auch Himly war scheinbar außerhalb der Reichweite des Ringes, da Alfred keine weitere Antwort bekam. Es war Sonntag, von daher war es wenig wahrscheinlich, dass Himly in der Nähe der Universität, welche auf der anderen Seite des Ufers sogar in Sichtweite war, arbeitete. Ein Blick gen Himmel verriet dem Chemiker, dass es kurz vor Mittag sein musste. Es war also auch gut möglich, dass Himly noch in einer Kirche saß und sich den Gottesdienst anhörte und dementsprechend nicht gestört werden wollte. Wenn Alfred es recht bedachte, waren die Glocken noch nicht wieder geläutet wurden.

Die Wolkenberge wurden immer größer und Alfred wurde das Gefühl nicht los, dass es gegen Abend sogar einen Schneesturm geben konnte. Der Wind wehte ihm eisig kalt am Fenster entgegen, der Wind bahnte sich seinen Weg durch das unsauber isolierte Fenster, der Schwede fror. Und noch immer tauchte der Corporal nicht auf. Die Straßen Gaardens waren äußerst leergefegt, aber bei diesem Wetter verharrte man auch lieber in der Kirche oder vor dem Kamin. Immerhin wärmte der Kanonenofen Alfreds Rücken ein wenig.
Alfred würde also einen anderen Weg finden müssen, wollte er dem Italiener helfen.
« Letzte Änderung: 01.11.2011, 14:10:00 von Menthir »
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Casus Belli
« Antwort #158 am: 03.11.2011, 22:12:17 »
Still verwünschte Alfred sein Pech. Hätte er nicht so lange gebraucht, um den Zauber des Ringes zu bestimmen, so hätte er den Corporal vielleicht noch erwischt, wie dieser durch die Haustür ging. So kehrte der Chemiker sich schwunghaft wieder der Stube zu und schritt eilig zu seiner Wohnungstür. Nicht einen Moment zögerte er, als er die Wohnung verließ und ans Ende des Ganges schritt. Er mochte zwar unter Hausarrest stehen, doch er war ganz und gar dazu bereit, zu erfühlen, wie weit sich die Grenzen seiner Haft dehnen ließen. Aus der Wohnung zu treten musste somit völlig selbstverständlich sein.

"Herr Rix!, rief Alfred, als er an die letzte Wohnungstür im Gang klopfte, "Herr Rix, es ist dringlich!"
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Casus Belli
« Antwort #159 am: 06.11.2011, 13:47:35 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 11:31 Uhr - Frau Borggrefes Haus, Unter Arrest

Alfred hatte Glück, der Türe wurde ihm geöffnet. Ein Mann in Hemd mit Dienstabzeichen öffnete, auch wenn das Hemd nicht wirklich akkurat in der Hose saß. Er hatte noch eine Zigarette im Mundwinkel und blickte mit müden Augen drein. Ein kurzer Blick an dem kleinen Mann vorbei, offenbarte, dass Fritz und Hammer in ihren Kojen lagen und die Müdigkeit ihres Wachdienstes wegschliefen, erst dann musterte Alfred den kleinen Mann. Er war bestimmt keine 160cm groß, hatte eine glatt geschorene Glatze und sehr wulstige Augenbrauen. Das pockennarbige Gesicht ließ den Mann sehr verwegen wirken. Seine Dienstkleidung war nicht komplett, denn er trug weder Schuhe, noch sein Wehrgehänge. Er schien gerade Pause zu machen. Er wirkte dennoch in der Dienstkleidung stattlich, war sehr kräftigen Bau, auch wenn der Bauch inzwischen ein wenig zu sehr das Hemd spannte. Er hatte die Tür recht schnell geöffnet und war dementsprechend in der Nähe gewesen. Vor den Betten der anderen Obergefreiten stand ein großer Tisch, auf diesem lagen große, grüne Blätter, die zum Teil in feine Streifen geschnitten worden waren. Noch jetzt trug Rix das kleine Schnittmesser in seiner Hand.

"Was gibt's?", sagte er umständlich mit der Zigarette im Mundwinkel. "Nobel, nehm ich an?" Mit der Hand, in welcher das Messer lag, nahm er die Zigarette aus dem Mundwinkel. Alfred sah auf der Innenseite des Handgelenkes, es war die rechte Hand, eine Tätowierung, welche eine Doppeleiche darstellte. Sein Gegenüber musste so eine Mittzwanziger sein. "Der Corporal kauft Schnaps, Herr Nobel. Also werden Sie mit mir vorliebnehmen müssen."
Der Obergefreite Rix wirkte nicht gerade wie die Ausgeburt der Höflichkeit, auch sein Atem roch ein wenig nach starkem Alkohol.
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Casus Belli
« Antwort #160 am: 08.11.2011, 23:50:15 »
Verkniffen versuchte Alfred, sich von der ruppigen Art seines Gegenübers nicht abschrecken zu lassen. Für einen Moment musste der Schwede überlegen, ehe er dem Soldaten antwortete, in seinem Drang zur Eile war ihm entgangen, dass er die Angelegenheit geschickt verkaufen musste, damit er dem jungen Italiener helfen konnte. Schnell straffte Alfred seine Haltung und sah dem Obergefreiten mit einer Sorgenmiene in die Augen.

"Herr Röschmann klopfte an meine Tür und fragte, ob ich etwas brauche, ja. Ich kann mir nicht verzeihen, dass mir der Gedanke nicht früher gekommen ist, ehe der Corporal sich auf den Weg machte. Sagen Sie, Herr Rix, ist der Hafen abgesperrt? Wissen etwas über die Bergungsmaßnahmen letzter Nacht? Sicherlich ist Ihnen die Explosion einer chemischen Warenlieferung nicht entgangen."
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Casus Belli
« Antwort #161 am: 16.11.2011, 19:00:19 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 11:31 Uhr - Frau Borggrefes Haus, Unter Arrest

Der Glatzkopf sog den Rauch der Zigarette tief ein und ließ ihn nach einer Weile durch die Nase entweichen, mit einem langem Atemstoß, dabei betrachtete er Alfred eingängig, als würde er ganz genau erwägen müssen, was er dem Schweden erzählen könne oder nicht. Die Zigarette wanderte wieder in den rechten Mundwinkel, als er zu einer Antwort ansetzte und dann doch noch innehielt. Die tätowierte Hand nahm die Zigarette aus dem Mundwinkel. "Es gibt keine Absperrung mehr, Herr Nobel.", sagte er kurz angebunden und wollte den Tabakstummel wieder mit den Lippen aufnehmen, ehe er merkte, dass diese Antwort kaum zufriedenstellend war. Er zog die Stirn kraus und atmete nochmal aus. "Der Hafen wurde um Neun wieder freigegeben. Die meisten Trümmer sind geborgen, es ist noch ein Schiff rausgefahren, als ich meinen Posten verlass'n hab. Sind 'nen paar Taucher drauf, die mit ihren Helmtauchgeräten[1] nach den letzten, verschollenen Leichen suchen. Mehr weiß ich allerdings nicht, ist nicht meine Baustelle, wie Sie sicher verstehen."
Er steckte die Zigarette endlich wieder in den Mundwinkel. "War ihr Schiff, was? Mein Beileid. Muss wehtun, so viel Asche zu verlieren." Takt war nicht die große Stärke des Soldaten Rix.
 1. Helmtauchgerät
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Casus Belli
« Antwort #162 am: 16.11.2011, 23:58:56 »
Mit einem etwas flauen Gefühl im Magen senkte Alfred sein Haupt und kratzte sich am Hinterkopf, während er kopfschüttelnd nachdachte. Seine Erkundigung nach der momentanen Situation am Hafen war nicht dazu gedacht gewesen, sich über den Stand an der See zu informieren, sondern über den Wissensstand des Gefreiten. Der Schwede musste sich geschickt anstellen, wenn er den Soldaten dazu bringen wollte, zu kooperieren.

"Das sind schlechte Nachrichten, Herr Rix," begann Alfred zaghaft. "Nach dem Verlust der Fracht sollte sich kein Mann mehr in das Wasser des Hafens trauen. Die gesamte Küste ist kontaminiert! Die Schwefelsäure mag mittlerweile vielleicht verdünnt sein, aber bei den hochkonzentrierten Mengen, die ich habe liefern lassen müssen, ist es viel zu gefährlich die Bergung fortzusetzen. Die Salpetersalze sind in der Zwischenzeit auch im Meerwasser aufgelöst. Die Säuren werden unweigerlich die Schiffshüllen angreifen - oder gar die Helme Ihrer Kameraden. Die Bergung muss verschoben werden!"[1]

Mit wachem und hoffnungsvoll nachdrücklichem Blick beobachtete Alfred die Reaktion des Gefreiten. Der Chemiker spielte gefährlich auf das wissenschaftliche Unwissen seines Gegenübers, als er seine Argumente vortrug. Sein alter Lehrer hätte ihn nur lauthals ausgelacht.
 1. Bluff: 12
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Casus Belli
« Antwort #163 am: 20.11.2011, 18:14:26 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 11:31 Uhr - Frau Borggrefes Haus, Unter Arrest

Der Obergefreite Rix ließ den Zigarettenstummel über seine Lippen rollen und dachte angestrengt nach. Irgendwas zeigte, dass er sich nicht ganz sicher war, warum der Mann vor ihm dies jetzt mit dieser Intensität erzählte, aber scheinbar waren ihm die Worte des Wissenschaftlers doch plausibel genug. "Sie sind die Chemiker, nicht ich, Herr Nobel. Wenn Sie meinen, dass das gefährlich ist, werde ich das natürlich weitergeben.", sagt er schließlich ausweichend, darauf verweisend, dass er keinerlei Garantie übernimmt. Er schien sich nicht wirklich sicher zu sein. "Wie lange glauben Sie denn, wird es dauern, bis die Bergung wieder aufgenommen werden kann?"

Alfreds Worte hatte immerhin bewirkt, dass der Mann in seine Stiefel schlüpfte und die Glut der Zigarette abstreifte, die er später weiterrauchen würde. Er richtete seinen Anzug her, während er mit dem Schweden sprach. "Ich werde den Sicherheitsoffizier aufsuchen und ihm die neue Lage unmittelbar mitteilen. Haben Sie Dank für den Hinweis. Es wäre der Stadt sicherlich nicht positiv aufgefallen, wären daran Bergungstaucher verstorben und Sie hätten still gehalten."
Er wartete noch, bis Alfred die letzte Frage beantwortete und brach dann unmittelbar und schnellen Schrittes auf. Vielleicht hatte Alfred es geschafft und der Hafen würde gesperrt werden, dem Italiener wichtige Momente schenken, in denen er sich verteidigen konnte. Aber das blieb abzuwarten, musste der Obergefreite Rix doch auch noch den Sicherheitsoffizier überzeugen...
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Casus Belli
« Antwort #164 am: 20.11.2011, 21:39:26 »
Scheinbar erleichtert nickte Alfred dem Obergefreiten zu, als dieser seine Bereitschaft signalisierte und eilte rufend zurück in sein Zimmer.

"Mein Ruf ist ohnehin schon im Eimer, wie man so schön sagt. Ich kann es jedoch mit meinem Gewissen nicht verantworten, wenn durch die Überreste meiner Ladung noch mehr Schaden aus Achtlosigkeit entsteht."

Alfred trat an den Sekretär und zog aus seiner Reisetasche Briefbogen und Schreibutensilien. Flink öffnete er das Etui seiner Schreibfeder und tunkte ungeduldig die Spitze in das kleine Tintenfass, während er weiterhin in den Flur rief.

"Ich gebe ein Schreiben mit meiner Signatur mit, die sie dem Herrn Sicherheitsoffizier vorlegen können. Die Absperrung sollte mindestens bis morgen früh halten, und dies nur für den Fall, wenn es die Nacht regnet. Ich bin bereit, Wasserproben zu nehmen, wenn dies eine Hilfe sein sollte."

Geschwungen setzte Alfred seine schlichte Unterschrift auf das Dokument, trat wieder heraus und reichte dem Obergefreiten dankend das zusammengefaltete Stück Papier.
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