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Autor Thema: Casus Belli  (Gelesen 82022 mal)

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Menthir

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Casus Belli
« Antwort #240 am: 11.03.2012, 01:21:42 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 09:45 Uhr - Christian-Albrechts-Universität - Büro von Gustav Karsten

Karsten gab Weissdorn die Hand. "Ich wünsche Ihnen viel Glück bei Ihrer Vorlesung. Wir sehen uns dann zu Vorlesungsbeginn." Der Mineraloge drehte dem neuen Dozenten nun wieder den Rücken zu und trat mit dem Händen hinter dem Rücken an das Fenster, um die halb gefrorene Förde zu beobachten, während Samuel Weissdorn sich zu seinem Horsääl aufmachte, doch soweit kam er gar nicht, denn der Professor setzte gerade an, als Samuel an der Tür angekommen war, freilich ohne den Doktor anzuschauen. Vielleicht beobachtete er ihn durch die Spiegelung des Glases, das konnte Samuel nicht mit Sicherheit sagen. "Nicht alleine ihre Vorgeschichte macht Sie interessant, Herr Weissdorn. Ihr Typ macht Sie interessant. Es wird sicher zu gegebener Zeit etwas zu tun geben für Ihren Typ. Sie haben die Probleme unserer Doppeleiche[1] selbst gesehen und sogar in Berlin vernommen, Sie werden zum einen selbst sehen, was zu tun ist und Sie werden auch genügend Chancen bekommen, sobald Sie sich in Ihrer Vorlesung bewiesen haben."
Es war das Schlusswort, dessen war sich Samuel bewusst, sodass er ruhigen Gewissens die Tür wieder ins Schloss ziehen konnte und den kurzen Weg rüber in den Hörsaal antreten konnte.

Gustav Karsten hatte nicht zu viel versprochen, das sah Samuel sofort, als er zwei Häuser weiter in einer Backsteinhalle stand, die einfach in vier Vorlesungssäle aufgeteilt wurden war. Hörsaal 1,2 und 4 waren abgesperrt und weiße Schilder mit der Beschriftung Renovierungsarbeiten hingen daran. Vor dem Eingang zu Hörsaal 3 standen schon mindestens zehn Studenten, welche sich aufgeregt über etwas austauschten und sich darüber der Anwesenheit Weissdorns nicht soweit bewusst wurden, dass sie das Gespräch für eine Begrüßung unterbrachen. Es waren auf jeden Fall wohlhabendere Burschen im Alter über 20 Jahre, die sich herausgeputzt hatten, aber scheinbar keine Zeichen von Burschenschaften und dergleichen trugen. Dennoch wusste Weissdorn, dass es einen Nebeneingang gab und den konnte er in den Hörsaal wählen, um ihn noch einmal zu überprüfen.
75 Sitzplätze präsentierten sich dem Dozenten, noch keiner war besetzt. Einfache Eichenstühle bildeten die Sitzreihe hinter durchgehenden Tischen. Es gab keine Erhöhung in diesem Saal, sodass eine frontale Lesung vor vollem Raum für Dozenten und Studenten gleichermaßen enervierend sein konnten. Auch dem Lesenden stand nur ein einfaches Redepult zur Verfügung und ein einziger Stuhl mit einem einfachen Lederpolster. Nordischer Luxus wurde beißend behauptet. Die Wände waren steril und weiß, es gab kaum einen Schmuck. Nur an der Wand im Rücken des Lesers war die Christiana Albertina[2] an der Wand, stolz verkündete sie ihr Motto: Pax optima rerum. Der Frieden ist das beste aller Güter. Ihr Wort in Gottes Ohr, das mochte so mancher an diesen Tagen denken. Mit stehenden Gästen mochten vielleicht einhundert Zuhörer die Einführungsvorlesung von Samuel Weissdorn hören. Noch eine Viertelstunde, dann würden die Zuhörer eintreten dürfen, Platz nehmen und gespannt warten. Samuel hörte, dass sich vor der Tür langsam mehr Menschen einfanden.

Ein junger Mann stand derweil am Seiteneingang und blickte durch die offene Tür. Er hatte blondes, kurz geschnittenes Haar, welches er nach links gescheitelt trug. Die Versuch war formell, der junge Mann sah sehr verschlafen aus und einzelne Haarsträhnen waren nicht zu bändigen gewesen. Unter seinen kleinen, grünen Augen waren tiefe Augenränder, die von Müdigkeit kündeten. Er trug die Uniform eines holsteinischen Soldaten, sie war jedoch etwas zerknittert, als habe er in ihr geschlafen. "Guten Morgen. Herr Weissdorn, nehme ich an?" Der junge Mann, der vielleicht Mitte 20 sein durfte, hatte er eine bewunderswert ruhige Stimme, wie Samuel befand. Wenn man nicht sein bartloses und jungenhaftes Gesicht sah, würde man ihn anhand der Stimme älter wahrnehmen. "Ich soll Ihnen behilflich sein, wenn Sie noch irgendwelche Vorbereitungen treffen sollen." Er lächelte freundlich, aber müde. Kurz fragte sich, warum ein Soldat in seiner Vorlesung helfen wollte, aber dann fiel Samuel wieder ein, dass viele Studenten sich freiwillig gemeldet hatten, um Holstein gegen Dänemark zu schützen, als die Novemberverfassung publik wurde. Der junge Mann schüttelte lachend den Kopf. "Entschuldigen Sie vielmals die Unhöflichkeit. Mein Name ist Fiete Riensche." Er verneigte sein Haupt andeutungsweise und verbarg den formelle Mütze höflich hinter dem Rücken. Er war eher von kurzem Wuchs, keine 1,65m groß, aber von sehr kräftiger Gestalt. Das konnte auch sein jugendliches Aussehen nicht verbergen.
 1. Doppeleiche
 2. 
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #241 am: 11.03.2012, 21:21:34 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 08:57 Uhr - Frau Borggrefes Haus, Unter Arrest

Emil beruhigte sich dank der Worte seines bemühten Bruders wieder, auch wenn es wahrscheinlich nur solange anhielt, solange Alfred da war und Emil auf positivere Gedanken bringen konnte. Mit einem alten Tuch aus seiner Tasche trocknete er seine Tränen und stand auf, um aus dem Fenster zu schauen. Er atmete schwer und ließ das restliche Frühstück hinter sich, jeder Schritt schien ihm erst wehzutun, doch schnell begriff Alfred, dass nur die Angst vor möglichen Schmerzen Emil humpeln ließ. Nach wenigen Schritten ging der junge Nobel wieder normal und das schien ihm zudem eine gewisse Sicherheit zu geben, auch wenn Alfred nicht entging, dass seines Bruders Schultern noch immer etwas vor Trauer und Selbstzweifel hingen.

"Ich weiß es nicht, Bruder. Ich habe darüber nachgedacht. Vielleicht waren es Separatisten oder vielleicht waren es die Dänen, die glaubten, dass wir wegen der Verspätung sie zu hintergehen gedachten? Vielleicht ist aber auch de Meza ein Mann, der lieber Frieden will? Ich verstehe diese ganze Politik und dieses Gehabe ganz ehrlich nicht, ich frage mich, wie Vater diese Querelen immer ausgehalten hat, wie unsere Brüder dies tun und wie du es schaffst, dir das Ganze zu betrachten und durchzustehen. Ich würde...wahnsinnig werden.", sagte der junge Nobel halblaut und ließ sich in einen der Sessel fallen, um seine Atmung wieder etwas zu beruhigen. Er spürte, dass er viel Kraft verloren haben musste bei seinem Todeskampf und sie nur langsam wieder regenerierte, trotz magischer Hilfe.
"Oder es haben sich Dinge geändert? Ich weiß es ehrlich nicht."

Emil schloss die Augen, um nachzudenken. Leicht massierte er sich die Schläfen, als würde es das Nachdenken anregen und ihm helfen, sich an die Einzelheiten des Gespräches mit der augenscheinlich mehr als kriminellen Französin zu erinnern.
"Sie haben nicht von unseren Brüder oder Mutter gesprochen. Nicht, dass ich mich erinnern könnte.", sagte er schließlich, doch seine Schultern sanken dabei kurz ein. "Aber das muss nicht heißen, dass sie das nicht in Betracht ziehen, wenn es nicht nach ihren Willen läuft..." Emil richtete seinen Oberkörper auf und öffnete die Augen, wie vom Schlag getroffen. "Oder, Bruder, die Französin hat auch versucht die Dänen mit dem Vertrag zu erpressen und diese dachten, es wäre das leichteste, mich aus dem Weg zu räumen samt des Vertrages? Kann es das sein? Ich mein, wenn sie eine Diebin ist? Industriespionage und solche Verträge stiehlt man nicht, um einen Beweis für die eigenen Fähigkeiten zu haben. Man verdient damit!", zeigte Emil sich nun wieder so aufgeweckt, wie Alfred seinen jüngeren Bruder in Erinnerung hatte. "Was ist, wenn die Dänen im letzten Monat den Handel haben auffliegen lassen oder ihn haben zurückgezogen und es für die Diebe zu spät war, weil ich bereits auf der Solros war? Dann wäre es...", Emil schluckte hart, "nicht verwunderlich, dass versuchen die Solros zu versenken, ehe die Diebe wieder an den Vertrag kommen?"

Bevor Alfred länger über seines Bruders These nachdenken konnte, spürte Alfred eine vertraute Wärme. "...r Nobe.., er..N...,Herr Nobe...? acke..s..e...sammen, schne... g...holt in dre...Min...Sehe...Sie...zu. Packen...sie...Wir...Uni...verstecken..." Dann riss die Verbindung wieder ab und der Ring erkaltete, doch beinahe gleichzeitig hörte Alfred im Zimmer der Soldaten bellende Befehle und eine Menge Schritte. Das Knallen einer Tür, die Treppe knarzte. Ein paar Stiefel spurteten die Treppen herunter, aber selbst aus dem Fenster war die Person nicht zu sehen. Alfred hatte die Stimme nicht erkannt, sie war bärbeißig und dunkel, aber er hatte auch keine Worte verstehen können. Nun hörte er jedoch die Stimme vom Obergefreiten Rix. "Packen! Ausrüsten. Leichtes Gepäck, Bewaffnung. Nächster Halt: Hörsäle am Schloss." Die Wände waren wirklich hellhörig, dachte Alfred, auch wenn Rix ziemlich laut war. Scheinbar um Hammer und Fritz aus dem Bett zu holen. Scheinbar überließ Röschmann Rix diese Aufgabe, oder es war Röschmann gewesen, der die Treppe runtergelaufen war. "Fritz! Sie gehen vor und sichern die Passage am Hafen lang. Das ist der schnellste Weg. Hammer, sie sichern uns den Rücken, achten sie darauf, dass niemand aus Richtung Altenstift uns in den Rücken fällt. Ich führe die Nobels. FRITZ, HÖREN SIE MIR ZU VERDAMMT! IHR SCHEISS SCHUH KANN WARTEN!" "Jawohl!" "Fritz, Sie holen noch zwei Männer von der Hafenwache. Sie sollen uns ab der Garnison folgen in ausreichender Entfernung und die Seitengassen auf dem Weg sichern! FRITZ, VERDAMMTE SCHEISSE!" Alfred hörte ein Knallen, welches wahrscheinlich eine Ohrfeige war. "WENN SIE SICH NOCH EINMAL UM IHREN VERMALEDEITEN SCHUH KÜMMERN, WÄHREND SIE EINEN BEFEHL BEKOMMEN, PUTZEN SIE AUCH DEN REST IHRES LEBEN SCHUHE! VERSTANDEN!?" "Jawohl." "Dann wiederholen Sie den verdammten Befehl!" Alfred hörte, wie Fritz den Befehl ohne Murren wiederholten und dann rüsteten sich die Soldaten aus. Scheinbar war etwas Unvorhergesehenes geschehen.

"Alfred, was ist da los? Wieso müssen wir zu den Hörsälen? Haben sie uns gefunden?", Emil war aufgeregt und durchfühlte seine Kleidung. "Wo ist mein Revolver?", fluchte er, während er aus dem Fenster schaute. Auf einen weißen, unaufgeregten, stillen Dorfplatz mitten in Gaarden.
« Letzte Änderung: 11.03.2012, 21:24:03 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #242 am: 12.03.2012, 12:27:22 »
Verwundert ob der plötzlich lauten Eile zog Alfred die Augenbrauen hoch, verstaute aber in Ruhe das letzte verschlossene Glas in seiner Tasche. Fünf Reagenzien standen noch auf dem Tisch, das selbe Mittel, das Alfred zuvor seinem Bruder gegen die Kälte gegeben hatte. Eines für ihn, vier für die Soldaten.

"Keine Sorge. Wir sind in Sicherheit," antwortete Alfred seinem Bruder, als er nach seinem Laborbuch griff und an das Bett trat. "Wir werden an die Universität verlegt, Professor Himly wartet auf uns. Bist Du bereit? Wir brechen auf."

Flink holte der Chemiker das Dokument aus dem Wandschrank, das Porträt rutschte widerstandslos zur Seite. Wie um sich zu vergewissern, dass es noch das selbe Stück Papier war, faltete Alfred es auf und sah kurz drüber. Ohne ein Wort darüber zu verlieren hielt er es in die Höhe, so dass Emil es sehen konnte. Ein vielsagender Blick wechselte zwischen den Nobel Brüdern, eher Alfred den Vertrag mit einem Nicken wieder zusammenfaltete und in sein Laborbuch legte. Das Buch verschwand schließlich auch in seiner Tasche, eher der Chemiker die Schnallen zuschnappen ließ.

"Du glaubst also, dass Lavalle gar nicht im Auftrag der Dänen, sondern in Eigenregie gearbeitet hat? Gut möglich. Aber wenn Du ihr Mittelsmann bist, fällt es mir schwer zu verstehen, wie sie ihren Lohn einstreichen wollten. Hmm," murmelte Alfred mit nachdenklichem Blick und griff nach seinem Mantel.

"Wie dem auch sei, die Forderungen der Erpresser an uns sind eindeutig, nicht wahr? Sie wollen, dass das Dokument de Meza erreicht. Gleich, ob sie auch Forderungen an die Dänen gestellt haben oder nicht. Es ist möglich, dass der General auch einen Frieden bevorzugt. Wichtig ist aber," betonte Alfred mit Nachdruck, "dass wir heil aus der Sache herauskommen. Wenn wir die Forderung Lavalles erfüllen, werden sie uns nichts mehr entgegenzusetzen haben."

Alfreds Worte klangen wenig überzeugt. Der Schwede war nicht glücklich darüber, sich in einen Handel mit Erpressern einlassen zu müssen, und doch ging es um die Sicherheit seiner Familie.

"Ich habe einen Plan," sagte Alfred schließlich und sah Emil nachdrucksvoll in die Augen, "doch um mich von ihm zu überzeugen, muss ich mit Himly sprechen. Ich will sehen, ob ich uns nicht aus der Affäre ziehen und dennoch dem Schleswig-Holsteinischen Volk einen Gefallen tun kann. Wir werden sehen," wiederholte Alfred sich, griff nach dem Thermoregulator und trank ihn in einem schnellen Schluck hinunter. Seinen Gehstock hängte er sich an die Elle, nahm die restlichen vier Gläser vom Sekretär um sie Röschmann und seinen Männern zu geben. Zwar war der Weg zur Universität nicht weit, doch dem launischen Wetter traute Alfred trotzdem nicht.

Alfred seufzte schwer, ehe er die Wohnungstür öffnete. Doch schnell fasste der ältere Nobel sich wieder, straffte seine Haltung, und lächelte Emil aufmunternd an.

"Ich sehe, was Du meinst. Politik ist ein graus. Wir studieren die Geheimnisse der Natur, erforschen die Kräfte und Wirkungen zwischen Molekülen[1]. Wir bauen Maschinen und Motoren und verstehen, wie sie funktionieren. Wir Nobels beschäftigen uns nun mal lieber mit den einfachen Dingen der Welt."
 1. Im frühen 19. Jahrhundert waren sich viele Chemiker einig, dass Moleküle tatsächlich existierten. Einige Physiker sahen sie nur als abstrakte Modelle um z.B. die Thermodynamik zu beschreiben.
But I have learned to study Nature’s book
And comprehend its pages, and extract
From their deep love a solace for my grief.

 - A Riddle, 1851

Schwester Hermene

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Casus Belli
« Antwort #243 am: 14.03.2012, 21:55:37 »
Hermene ließ die Festnahme Munros wortlos über sich ergehen. Und sie empfand es tatsächlich als eine Zumutung, denn richtigerweise sollten solcherlei irdischen Prozeduren nicht vor ihren Augen vollzogen werden, gar ihr Gemüt belasten. Dennoch scherte sie sich freilich einen Dreck darum - ihre Gedanken waren abgeschweift und kreisten um die Geschicke des Stifts. Sie musste schnellstmöglich dorthin zurück, und den Zustand des Patienten überprüfen, möglicherweise die Oberin warnen...oder nein, nicht warnen, sie musste sie als Informationsquelle nutzen. Dann erst würde sie nach Kiel reisen, und wenn sie dafür Loyalität vorgaukeln musste.

Als der Braunschweiger sie schließlich anspricht, richtet sie ihm ihren kalten Blick entgegen. Seine Worte waren es kaum wert, eine Regung zu zeigen, und doch wirkten sie beunruhigend auf die Schwester. Wer konnte dieser Freund  sein?

"Gewiss", quittierte sie knapp. Als sie ihren Kopf wieder in Richtung des Herzogs drehte, ertönte plötzlich ein knirschendes Geräusch vom Boden unter ihr, wie eine schwere Holzdiele oder eine schlecht geölte Tür. Sie schien es nicht zu bemerken, sie schien über die Worte des Herzogs nachzudenken. Schließlich schüttelte sie wortlos des Kopf und signalisierte, dass auch sie bereit zum Aufbruch war.

Samuel Weissdorn

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Casus Belli
« Antwort #244 am: 18.03.2012, 00:47:01 »
Samuel sah den Studenten mit undeutbarem Gesichtsausdruck an, und nickte ihm zu. "Ja, das bin ich."

Als sich der Student entschuldigte, lächelte Samuel. "Guten Morgen, Herr Riensche. Die -", er deutete auf die Uniform , "sollten sie aber besser keinen Vorgesetzten sehen lassen. Ich habe gehört, dass man in der Armee sehr streng ist mit solchen Dingen."

Das undeutbare Gesicht hatte sich zu einem Lächeln verwandelt. "Sie könnten mir tatsächlich helfen. Gehen Sie rein, und öffnen Sie die Türen. Lassen Sie die Leute in den Saal, und sagen Sie ihnen, dass ich jeden Moment kommen muss. Verraten Sie nicht, dass ich hier draußen bin. Bleiben Sie an der Tür, bis die meisten Teilnehmer im Saal sind. Dann gehen Sie zum Redepult, und putzen es ab. Ich meine nicht einfach nur ein wenig drüber putzen - wienern Sie es richtig ab, als wäre es Ihr Stiefel vor einer Inspektion vom obersten General. Wenn Sie damit fertig sind, stellen Sie sich hier am Seiteneingang an die Tür, aber innen im Saal. Dort warten Sie - und zwar so lange, bis Sie merken, dass sich eine gewisse Nervosität und Unruhe im Saal breit gemacht hat. Wenn jemand Sie fragt, wo ich bleibe, antworten Sie immer nur, dass ich jeden Moment da sein muss. Wenn Sie die Unruhe merken, dann kommen Sie raus zu mir."

Sein Lächeln wurde noch ein wenig freundlicher. "Und wundern Sie sich bitte nicht über diese Anweisungen. Das Thema ist Psychophysik. Sie sind mein persönlicher Assistent in einem Experiment, in das alle Besucher der Vorlesung eingebunden sind. Aber verraten Sie das bloß nicht."

Während er gesprochen hatte, hatte er dem jungen Mann freundschaftlich, fast väterlich eine Hand auf die Schulter gelegt. Vertrauen, Sicherheit, Geborgenheit - das würde ihn dazu bringen, die Anweisungen genau so zu befolgen, wie Samuel es benötigte.

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #245 am: 20.03.2012, 13:09:45 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 09:46 Uhr - Christian-Albrechts-Universität - Alter Hörsaal

Fiete, der junge, noch etwas verschlafen wirkende studentische Soldat oder soldatische Student nickte, ob der Anweisung Samuels und begann sich die Uniform zu richten. Wahrscheinlich hatte er gar nicht auf sein Aussehen geachtet, als er zur Vorlesung gehastet war. "Danke.", sagte er lakonisch, aber freundlich auf die Anweisungen und Hilfestellungen und wartete darauf, dass der Dozent den Hörsaal verließ. Dann ging er langsam zum Haupteingang, überprüfte seinen Scheitel und den Sitz seiner Kleidung, streckte den Rücken durch und öffnete die Tür...

7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 08:57 Uhr - Frau Borggrefes Haus, Unter Arrest

Emil nickte schließlich, er vertraute seinem Bruder in der Angelegenheit. Er überprüfte den Sitz der Kleidung und blickte kurz mit zweifelndem Blick in das verschneite Gaarden. In der weißen Pracht würde man über hunderte von Metern in den dunklen Kleidern zu erkennen sein. Der Weg würde wahrlich gefährlich werden, wenn sie nach Kiel laufen mussten. Wie weit es wohl zur Universität sein würde? Emil konnte sich diese Frage kaum beantworten, aber er stellte sie auch nicht. Immerhin würden von der Förde selbst kaum Angriffe kommen. Sie war zwar weitestgehend offen gebrochen, aber frei manövrieren würde man wohl kaum, und wenn es bereits einen Angriff im Hafengebiet gegeben hatte, würde man zumindest eine Wachstaffel für die Bewachung des Hafens eingesetzt haben, und sei es nur, um die Bürger zu beruhigen.

Es klopfte an der Tür, es war Rixens Stimme. "Herr Nobel. Ich würde Sie bitten, so schnell wie möglich ihre Besitztümer zu packen. Wir müssen los." Emil öffnete die Tür und so konnte der Obergefreite Rix sehen, dass Alfred und Emil ihre Sachen schon längst gepackt hatten, was der Obergefreite mit einem breiten Lächeln quittierte. Wahrscheinlich wusste er, dass seine Befehle durch das ganze Haus zu hören waren. Alfred sah an den Augenränder und den leicht zusammengekniffenen Augen des Soldaten, dass er noch etwas mit den Auswirkungen des gemeinsamen Trinkens zu kämpfen hatte. Aber auch für holsteinische Soldaten galt die urdeutsche Feststellung einer Parallelgesellschaft. Dass Privatleben und Berufsleben zu trennen sein und dass der Spaß und die Freude nicht in den Weg der Pflicht kommen durfte. Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps.
Rix trug selbst bereits einen prall gefüllten Rucksack auf dem Rücken, obwohl er nur leichtes Gepäck ausgegeben hatte. Entweder galt es nur für Hammer und Fritz, oder man wollte besser nicht wissen, was schweres Gepäck für jene Soldaten war. In der linken Hand trug er ein Gewehr. Alfred konnte aus dem Augenwinkel sehen, wie Emil es auffallend genau musterte und ein zufriedenes Nicken von sich gab.

"Dann wollen wir mal.", sagte Rix wahrscheinlich mehr zu sich selbst als zu den beiden Nobelbrüdern. "Wir werden jetzt in die Hörsäle verlegen. Dort werden Sie mit dem Kameraden Schlosser zusammentreffen, und auf den Herrn Himly treffen, der gemeinsam mit Schlosser auf sie wartet." Man hörte wie Fritz halb laufend, halb stolpernd die Treppen runterhastete, damit er die Vorhut stellen konnte. Hammer lachte auf, trat dann zu Rix und übergab diesem einen Säbel und eine alte Pistole. "Hier, Rix. Nimm meinen Säbel mit und die Pistole. Falls sie an uns vorbeikommen, brauchst du mehr Munition." Rix nickte und band sich den Säbel samt Scheide an sein Wehrgürtel und hing die Pistole samt Holster ebenfalls dran. Dann sprintete auch Hammer die Treppe runter, ebenfalls mit einem solchen Rucksack und mit einem Gewehr, welches aber deutlich archaischer als Rixens Gewehr aussah. "Ich bitte Sie, dass sie die Augen ebenfalls aufhalten und die Köpfe runternehmen. Es sind zwar nur im Laufschritt eine Wegstrecke von etwas mehr als fünfzehn Minuten, aber wir sollten Vorsicht walten lassen."

Ehe sie sich versahen, drehte sich der Obergefreiter um. "Kommen Sie." Noch einmal versicherten sich die Nobels, dass sie alles mitgenommen hatten und dann endete ihr kurzer Hausarrest im Haus der Borggrefe auch schon. Mit dem Klacken des einrasteten Schlosses beendete Alfred seine Gefangenschaft.

7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 09:11 Uhr - Am Bahnhof, Ziegelteich

"Es sind nur noch fünfhundert Meter.", rief Rix. Durch die breite Hauptstraße konnte man bereits schemenhaft das Kieler Schloss ausmachen. Rechts von ihnen war die Förde und sie hatten sogar schon die Garnison und den Altenstift hinter sich gelassen. Rix hatte es sich nicht anmerken lassen, aber bei der Garnison hätte eigentlich die von Kamerad Fritz alarmierte Verstärkung ihren Weg schützen sollen. Zwar hätten sie im Hintergrund bleiben sollen, aber soweit Emil und Alfred das beurteilen konnten, hatte sie keinen Soldaten auf dem Weg gesehen.

Ein Schuss erklang aus dem Nichts. Die Nobels und Rix zogen unwillkürlich die Köpfe ein, denn das Geräusch war bedrohlich nah. Ein Mann stürzte vom Dach ab und schlug vor den Nobels auf das Kopfsteinpflaster auf. Ein furchtbarer Anblick und das Brechen der Knochen ließ einem das Blut in den Adern gefrieren. Wenn der Schuss in den Hals ihn nicht getötet hatte, dann war es der Aufprall aus acht oder neun Metern Höhe. Er trug eine holsteinische Uniform, ein kleiner Mann , der schon ein paar Jahre auf dem Buckel hatte und einen schmalen Oberlippenbart trug. "Behrend, verdammt.", fluchte Rix. "Sie haben uns eine Falle gestellt. Sie haben den Weg antizipiert. Wir brechen Richtung Südfriedhof[1] aus und nähern uns dann über den Exerzierplatz[2] dem Schloss[3]." Schnell lief Rix westwärts und die Nobels folgten hastig, den toten Soldaten liegend lassen.

Die Idee von Rix hatte eine gewisse Gefahr, dessen war er sich bewusst. Wenn es irgendwo liegende und verborgene Schützen gab, war der Exerzierplatz selbst ein Todesurteil, denn weit über einhundert Meter über offene Fläche zu laufen, war reiner Selbstmord, wenn irgendwo ein guter Schütze lag. Dasselbe mochten Alfred und Emil denken, als der unbebaute Exerzierplatz in Sichtweite kam, doch Rix zog sich hinter die Gebäude zurück und rannte in eine Straße, die als Kirchhofallee bezeichnet war. "Wir pflügen durch den den Botanischen Garten[4] der Universität. So ein Mist, dass es kein Sommer ist, dann würde man uns gar nicht sehen...Wir kommen dann am Kloster[5] raus und von da an sollten wir es zum Schloss schaffen."

Sie rannten zwischen manchen Reihe von Baumstümpfen und immergrünen Pflanzwerk[6] zwei- oder dreimal, in der Hoffnung mögliche Verfolger zu verwirren. Alfred und Emil brannte die Lunge, oder auch Rix war bereits schweißüberströmt. Zweimal hörte sie in der Ferne noch Schüsse, die sie daran erinnerte, dass sie das Laufen nicht einstellen sollten. Dann sprangen sie über den Zaun des Botanischen Gartens am Kloster, vorbei am alten Refektorium[7], in schmale Gässchen, in denen die eine oder andere Studentenkneipe ihren Sitz hatte. Doch bei diesem Wetter und der Uhrzeit waren die kleinen, studentischen Vergnügungsgässchen eher nicht beseelt. Doch wenige Meter weiter, hatten sie endlich das Schloss erreicht. Sie rannten am prächtigen, barocken Palais vorbei in eine mehr als ungeschmückte und profane Backsteinbaut, welche nur dadurch Aufmerksamkeit erringen konnte, dass auf einem Schild die Christiana Albertina[8] abgebildet war und in Frakturlettern[9] Hörsäle geschrieben stand.

7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 09:50 Uhr - Christian-Albrechts-Universität - Alter Hörsaal

Über eine halbe Stunde hatten sie länger gebraucht als sie beabsichtigt hatten. Sie hatten Wege doppelt und dreifach genommen und jeglichen Kontakt zu Fritz und Hammer verloren. Ein völlig ermatteter Rix, blickte zu einem ebenso ermatteten Emil Nobel. Es war bewunderswert, was Menschen aus sich herauszuholen in der Lage waren, wenn der Henker hinter ihnen er war. Emils Bein hatte diese Belastungsprobe mit Bravour bestanden. Während sie an den Hörsälen vorbeischritten, sahen sie, dass nur einer geöffnet war, die anderen drei Hörsäle waren wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Vor der offenen Tür stand ein schlanker Mann mit dunklem Haar, einer auffallend großen Nase und einer kleinen, runden Brille. Er war kein Riese, aber doch etwas größer gewachsen als der Durchschnittsbürger. In seinem dunklen Anzug und dem sorgsam gebundenen Krawattenschal machte er einen seriösen, wie auch selbstbewussten Eindruck[10]. Neben ihm stand ein Soldat mit halblangen, rostroten Haar, mit ebenso auffälliger Nase. Er war untersetzt, hatte einen merkwürdig verstockten Gang und blickte desinteressiert an den Nobels vorbei zu Rix. Es war der bebrillte Mann, der auf die Nobels zutrat. "Herr Nobel! Sie haben es geschafft! Welch eine Ehre, welch eine besondere Ehre, sie in der CAU begrüßen zu dürfen. Ich bin Carl Himly."
Himly schüttelte den beiden Nobels die Hände und klopfte ihnen aufmunternd auf die Schulter. "Ich habe uns Plätze besetzen lassen. Ruhen Sie sich erstmal nach der sicher aufregenden, wenn ich ihren Schweiß interpretieren darf, Reise hierhin aus. Das Haus ist gesichert, keine Sorge. Wir werden Sie zwischen den Gästen der Vorlesung gut verbergen, und wenn alle den Hörsaal später verlassen, können wir Sie in aller Ruhe, ohne viel Aufhebens in eine neue Unterkunft bringen."

Alfred und Emil folgten Carl Himly in den Hörsaal, der schon fast bis zum Bersten gefüllt war. Studenten, auch ältere Herren, vor allem wohl Dozenten, saßen auf den Plätzen, die jüngsten Studenten mussten stehen. Sie schauten wild tuschelnd einem Soldaten zu, der das Redepult unter der großen, wandfüllenden Christiana Albertina putzte, als würde er einen Tanzboden bohnern.
Sie setzen sich an einen Tisch in der relativen Mitte des Auditoriums. "Ich bin außerordentlich erfreut, Sie hier sehen zu können, Herr Nobel." Doch bevor Carl etwas sagen konnte, begab sich ein weiterer Mann mit Brille zu Carl Himly und Alfred Nobel. Er stellte sich nur kurz als Gustav Karsten[11] vor und setzte sich dann sichtlich nervös an seinen Platz neben Carl Himly. "Entschuldigen Sie, die Nervosität meines Kollegen, Herr Nobel." Karsten wurde bei dem Namen kurz hellhörig und musterte Alfred mit einem freundlichen Lächeln, drehte sich dann wieder zum Pult, an dem ein stämmiger, etwas verschlafen wirkender Soldat noch immer das Rednerpult polierte. "Aber Herr Karstens neuer Schützling hält gleich seine Antrittsvorlesung. Herr Samuel Weißdorn. Wir dürfen sehr gespannt sein."

7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 10:16 Uhr - Christian-Albrechts-Universität - Alter Hörsaal

Tatsächlich beruhigten sich Puls der beiden Nobels wieder, alles setzte sich ein wenig[12]. Rix und der rothaarige Soldat, der wohl Schlosser war, waren draußen geblieben und der Soldat im Inneren des Hörsaals hatte sich inzwischen neben den Dozenteneingang gestellt. Um 10:00 hätte der Dozent erscheinen sollen, und dass er nicht zeitig zu seiner Antrittsvorlesung erschien, um pünktlich um Viertel nach zehn zu beginnen, schien vor allem jene Besucher mit preußischem Geiste zu verwirren und zu stören. Immer wieder fragten sie den Soldaten, wann Herr Weißdorn denn zu erscheinen gedenke und immer wieder antwortete er nur lakonisch: "Bald."
Doch die Nachfragen wurden immer dreister und verärgerter und als sich die ersten anschickten, ihre Papiere für die Mitschriften wieder zusammenzusammeln und die Vorlesung zu verlassen, öffnete der Soldat die Tür des Dozenteneinganges und ging kurz durch die Tür, um nur Sekunden später wieder zu erscheinen. Still schweigend stellte er sich neben die nun geöffnete Tür. Ein Murren ging durch den Saal.
 1. Südfriedhof
 2. Exerzierplatz
 3. Kieler Schloss
 4. Botanischer Garten
 5. Kieler Kloster - Gründungsort der Kieler Universität, nachdem es ja keine eigentlichen Klöster mehr in Holstein geben durfte.
 6. Immergrüne Pflanzen
 7. Refektorium
 8. 
 9. Fraktur (Schrift)
 10. 
 11. 
 12. Erfahrungspunkte: 13.500 für Alfred
« Letzte Änderung: 25.03.2012, 21:57:04 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Conrad Rosenstock

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Casus Belli
« Antwort #246 am: 23.03.2012, 17:42:55 »
Es war schade für Conrad, dass sich Donald Munro als so vertrauensunwürdig erwies. Bei Conrads Reise zurück nach Kiel wäre er sicher eine gute Hilfe gewesen, wenn man ihm doch nur trauen könnte, doch das konnte man momentan tatsächlich nicht. Insofern handelten der Braunschweiger und Herzog Friedrich richtig.

Dem Braunschweiger antwortet Conrad nur knapp: "Ja, dieses Vorgehen ist schon in Ordnung, Herr Braunschweiger."

Dann wendet sich Conrad an Schwester Hermene: "Können Sie Carl und mich noch etwas heilen, Schwester Hermene? Natürlich nur wenn sie dies auch wollen. Ich werde auch auf ihre Sicherheit bei der Reise nach Kiel so gut es geht Acht geben."

Zum Schluss redet Conrad noch mit dem Herzog: "Und ich hätte noch eine Bitte an Sie, Herzog Friedrich, die mir fast etwas peinlich ist, aber hätten sie etwas zu Essen und zu Trinken übrig? Ich habe schon seit einiger Zeit nichts mehr gegessen und weiß auch nicht, ob ich in nächster Zeit großartig zum Essen und zum Trinken kommen werde. Es wäre also nicht schlecht, wenn ich jetzt etwas Essen und Trinken bekommen würde und sei es auch nur eine Kleinigkeit zu Essen und ein Wasser zum Trinken.

Wir sollten dann jedenfalls sobald wie möglich aufbrechen. Ich denke mittlerweile, dass auch ein Gespräch mit Carl unter vier Augen nicht unbedingt mehr nötig ist."
« Letzte Änderung: 23.03.2012, 18:13:16 von Conrad Rosenstock »

Samuel Weissdorn

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Casus Belli
« Antwort #247 am: 25.03.2012, 04:29:12 »
Kaum hatte der Student die Tür geöffnet, betrat Samuel den Hörsaal. Er würdigte die Studenten keines Blickes, während er – ein Wasserglas in der einen Hand, einige Unterlagen in der anderen – zum Rednerpult schritt. Er knallte seine Unterlagen auf das Pult, und stellte nicht weniger heftig sein Glas darauf ab. Das Wasser darin spritzte hoch, und einige Tropfen bahnten sich ihren Weg das Glas herunter bis zum Pult.

Nun erst sah er sich im Hörsaal um. Kurz blickte er zu dem Soldaten, der das Rednerpult so mühsam geputzt hatte, und deutete auf die Tür. „Schließen“, befahl er mit einem kurzen Nicken. Während der Soldat der Anweisung folgte, war beinahe spürbar, wie sich die Empörung weiter im Saal ausbreitete.

Ohne sich vorzustellen oder die Anwesenden zu begrüßen, geschweige denn, sich für seine Verspätung zu entschuldigen, nahm er etwas von seinen Unterlagen, und schritt nach vorne auf die Studenten zu.

„Ich halte hier in meinen Händen ein bedeutendes Buch“, erklärte er. Kurz hielt er es nach vorne, deutete mit dem Finger der freien Hand darauf, und ließ es dann von der einen Hand in die andere wandern, während er mit der nun freien Hand gestikulierte. „Ein Buch, das ihnen, meine Herren, die Augen öffnen wird, wenn sie sich seiner Bedeutung gewahr werden. Wer von ihnen kann mir sagen, welches Buch es ist, oder zumindest eine Vermutung anstellen, um welche Art von Buch es sich handeln könnte?“

Er sah sich unter den Studenten um. Den meisten war anzusehen, dass sie noch immer überlegten, den Hörsaal zu verlassen. Samuel suchte sich einige Gesichter heraus, Studenten, die sich noch immer eine gewisse Offenheit bewahrt hatten.

„Ja, Sie, in der ersten Reihe?“

Der Student, ein junger Mann mit etwas zerzausten kurzen blonden Haaren, zögerte kurz, dann sah er Samuel in die Augen. „Es ist ein schwarzes Buch, vielleicht ein Gesetzestext oder… eine Bibel?“

Samuel sah dem Mann kurz in die Augen, dann wandte er sich dem nächsten Studenten in der Reihe zu. „Und wie ist Ihre Meinung? Sehen Sie sich das Buch ruhig ganz genau an.“

Er fixierte den Studenten mit seinen Augen. Fixierte ihn so sehr, dass dieser auch ihm nur in die Augen sah. „Es ist dann wohl ein Gesetzestext“, antwortete der Student mit offener Ablehnung in seiner Stimme.

„Ein Gesetzestext also. Was fällt Ihnen an diesem Buch noch auf?“ Er deutete auf einen Studenten in der zweiten Reihe. „Sie.“

Samuel hielt das Buch hoch, zeigte darauf, und ließ es schnell von einer Hand in die andere und wieder zurück wandern.

„Es ist ein dickes Buch“, erklärte der Student.

„Sehr gut. Und nun betrachten Sie das Rednerpult. Was fällt Ihnen daran auf?“

Kurz starrte der Student ihn verwirrt an, dann sah er zu dem Pult. „Ihr Wasserglas steht darauf, und einige Wassertropfen laufen an dem Pult entlang nach unten.“

Samuel nickte, und sah in die Reihen der Studenten. „Können alle von Ihnen die Aussagen Ihrer Kommilitonen bestätigen?“

Ein allgemeines Nicken ging durch die Reihen.

Auf einmal veränderte sich etwas. Das zunächst herrische, leicht hektische Verhalten Samuels wich einer plötzlichen Ruhe, und ein Lächeln erschien in seinem Gesicht.

„Nun, meine Herren, ich frage Sie: Wie kann es sein, dass Sie einige winzige, transparente Wassertropfen auf einem Rednerpult bemerken, dass einige Meter von ihnen entfernt steht – aber Ihnen fällt nicht auf, dass das schwere, dicke Gesetzesbuch“ – er machte eine Pause und überreichte den Gegenstand in seiner Hand dem Studenten, den er zuerst angesprochen hatte – „nichts weiter ist als ein dünnes, schwarzes Blatt Papier?“[1]

Es herrscht ein kurzer Moment der Stille. Der Student, der das Buch – oder vielmehr das Blatt Papier – in Händen hielt, drehte es herum, versuchte mit offenem Mund herauszufinden, wie dieser Trick funktioniert hatte.

„Empörung.“

Samuels durchdringende Stimme ließ das Wort einige Sekunden im Saal verharren, bevor er weiter sprach. „Ich begrüße Sie, meine Herren, zu unserer heutigen Vorlesung der Psychophysik. Ich bin Doktor Samuel Weissdorn, und Sie sind Teil eines kleinen Experiments geworden, mit dem ich Ihnen die mathematische Berechenbarkeit der menschlichen Wahrnehmung präsentieren möchte.“

Nach einem Moment der Stille ging ein Raunen durch den Saal, das in heftiges Tuscheln überging. „An dieser Stelle möchte ich Herrn Riensche danken, der mir so hervorragend bei dem Experiment assistiert hat. Während ich da draußen vor der Tür gewartet habe, hat er in mühevoller Arbeit das Rednerpult poliert. Eine Arbeit, die ich dann bei meinem zu späten Erscheinen mit dem achtlosen Abstellen des Wasserglases ruiniert habe. Sie haben ihm lange bei dieser Arbeit zugesehen, zudem waren sie bedingt  durch meine Verspätung und seine nicht sehr hilfreichen Antworten emotional stark involviert. Ihre Wahrnehmung war auf die Ordentlichkeit und Sauberkeit des Rednerpults geschärft. Hingegen-“

Er deutete auf das Blatt Papier, das bereits durch die Reihen der Studenten ging. „Hatten Sie aufgrund meiner gezeigten Impertinenz wenig Interesse, mir zuzuhören oder den von mir präsentierten Dingen Beachtung zu schenken. Mit ein wenig geschicktem Gestikulieren konnte ich Sie nicht nur Glauben machen, dass es sich bei einem Blatt Papier um ein Buch handelt, Sie haben sich sogar der kollektiven Täuschung hingegeben, dass es sich um ein dickes Gesetzesbuch handelt.“

Ein breites Grinsen lag auf seinem Gesicht. „Nehmen Sie es nicht zu schwer, meine Herren, Sie sind schlicht und ergreifend Opfer physikalischer Gesetze geworden. Und um eben diese Gesetze soll es in dieser Vorlesungsreihe gehen. Was macht Wahrnehmung aus? Wieso nehmen wir bestimmte Dinge wahr, andere aber nicht? Wie kommt eine Sinnestäuschung zustande? Sie werden sehen, dass all diese Dinge nicht nur nachvollziehbar, sondern sogar mathematisch berechenbar sind. Ich werde Ihnen die theoretischen Grundlagen und Formeln nahebringen, und Sie selbige anhand praktischer Beispiele wirklich verstehen lassen.“

Er ging zum Rednerpult, legte die Unterlagen, die er achtlos darauf geworfen hatte, sauber zusammen, und tupfte mit einem Ärmel das Wasser weg, das von seinem Glas herunter gelaufen war. Dann drehte er sich wieder um und sah mit einem freundlichen Lächeln die Studenten an.

„Ich hoffe, ich kann Sie für diese Themen begeistern und habe Sie nicht durch meine für das Experiment leider notwendige Verspätung und das dazu gehörige hochmütige Verhalten verschreckt. Wenn dem so ist, wenn Sie also Begeisterung für dieses Thema empfinden können, möchte ich Sie hiermit noch einmal ganz herzlich Willkommen heißen.“

Er kam nicht ganz dazu, den Satz in Ruhe auszusprechen, da sich der Raum durch das anerkennende Klopfen der Studenten im Saal mit Lärm füllte. Samuel allerdings schüttelte nur den Kopf. „Bitte, meine Herren. Wir wollen die Zeit doch für die Wissensvermittlung nutzen. Und dieses Wissen entstammt keinesfalls nur meinem Kopf, sondern auch der genialen Vorarbeit von Menschen wie Gustav Theodor Fechner, Wilhelm Wundt oder auch Leonardo da Vinci.“[2]
 1. Power of Suggestion: 29
 2. Grand Hoax: 32

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #248 am: 25.03.2012, 21:55:23 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 12:19 Uhr - Gut Emkendorf

Der Herzog nickte nur und besorgte, da er nicht wusste, wo genau seine Bediensteten gewesen waren, mit seinen Verteidigern zusammen die notwendigen Getränke, ein paar gerade reife Winteräpfel, ein bisschen Graubrot, eine alte Salami und eine handvoll Heiltränke[1]. Mehr besaß der Herzog nicht in seinem verwüsteten Büro und aufgrund der Geschehnisse, bestand der Herzog darauf, noch nicht in die Küche zu gehen. Und so saßen sie kurz schweigend beieinander im Musikzimmer und erhaschten wohl vorerst die letzten Blicke auf den herrlichen, elfenbeinfarbenen Flügel, ehe ihre Reise nach Kiel begann. Das galt freilich nicht für Carl. "Ich danke Ihnen für ihre Hilfe und wünsche Ihnen alles Gute. Seien Sie dennoch auf der Hut. Das Wetter soll bald umschlagen und die Gefahr ist sicher noch nicht gänzlich gebannt. Seien Sie also umsichtig."

Carl und der Herzog brachten dann die frisch gestärkten Personen zur Tür, wortlos, aber mit freundlichen Gesten schickte Friedrich den jungen Kieler Studenten und die ebenfalls noch junge Nonne zurück nach Kiel. Während Hermene und Conrad die schwarze Kutsche bestiegen, welche bereits wieder reisefertig war, sahen sie auch den drapierten und fest verschnürrten Sarg auf dem Dach der Kutsche. Beide Seiten mochten angestrengt darüber nachdenken, was ihnen dieses Zusammentreffen gebracht haben mochte und während der Braunschweiger den Kutschbock besetzte und die Pferde in Bewegung setzte, schloss der Herzog die Eingangstür und setzte sich nahe der Tür auf die Treppe, welche zur Galerie führte. Er äußerte jene Gedanken, welche auch Conrad und Hermene haben mochten, während sie in Richtung Osten aufbrachen, unter kaltem, aber blauem Himmel.
"Wie Ihre Freunde, Kameraden und/oder Leidensgenossen es wohl sehen, Herr von Lütjenburg? Sie sind zu fünft zu mir gereist, Sie sind in jenen Hinterhalt gelaufen, welcher den Nobels und zum Teil auch mir galt. Und nun reisen nur noch zwei davon zurück. Sie werden diese Treffen nicht als segensreich empfunden haben.", der Herzog hatte wieder diesen schweren Blick, den er schon untem im nasskalten Refugium gehabt hatte. Wahrscheinlich hatte er dort schon über diese Sache nachgedacht. "Eigentlich reist nur einer zurück. Ich, mit Verlaub, mag gar nicht glauben, dass diese Schwester ein Interesse an unserer Sache hegt. Nicht einmal die Verlockung der Wiederzulassung des katholischen Glaubens in den hiesigen Gebieten wirkt schlagkräftig genug. Sie interessiert sich für nichts, was ihren Altenstift nicht betrifft. Aber ich habe auch keine Idee, wie man das miteinander verbinden kann. Es fiele mir schwer, die alten Menschen in diesem Stift zu belästigen, um die Schwester an uns zu binden. Andererseits kennt sie die Geschichten, die hier ausgetauscht wurden. Ich hoffe nur, dass der brave Braunschweiger sich bezüglich dieses Problemes etwas überlegt." Der Herzog stand auf und bedeutete dem preußischen Offizier, ihm zu folgen. Einige Minuten des Schweigens folgten.

Conrad und Hermene, sie dämmerten trotz des ruppigen Weges langsam weg. Gerade noch bemerkten sie, dass die drei überlebenden Männer, von denen der Braunschweiger sprach, mit Pferden aufschlossen, um die Kutsche zu schützen. Gar nicht auszudenken, was passieren würde, wenn es einen Verräter unter den Männern des Herzogs gab und man sie jetzt angriff. Würden drei Männer, ein hochmütiger Offizier und zwei sich selbst verteidigende Personen reichen, um einen Angriff auf die Kutsche aufzuhalten? Diese unheilvollen Gedanken schwanden, als der Schlaf sie übermannte[2].

Der Herzog stoppte an einer Tür, die unweit seines Büros war. "Meine restlichen Männer halten die Stellung und sie hatten eine harte Nacht und einen noch härteren Tag. Schlafen Sie sich aus, Herr von Lütjenburg. Und dann können Sie die beiden Schotten, Tullister und Munro, befragen. Wir sehen dann weiter." Er hob die Hand, bevor Carl etwas erwidern konnte. "Keine Widerrede. Sie sind zu müde. Ich werde mich fern von Fenstern halten und in Ihrer Nähe bleiben." Mit der erhobenen Hand öffnete er die Tür und eine kleine, dunkle Schlafkammer, die etwas muffig roch, aber mit feinen, grünen Brokatwäschen bezogen war, offenbarte sich. Dieser Raum war ein kleines Gästezimmer und bot nicht mehr als ein zugezogenes Fenster, vor dem dunkle Vorhänge aufgehängt waren, ein spartanisches Doppelbett und einen kleiner, reichverzierter Tisch mit fein-gedrechselten Beinen. Zwei bequeme Stühle standen an dem Tisch. Wahrscheinlich war es eine Schlafkammer für feineres Gesinde. "Wir sehen uns heute Abend zum Abendessen.", sagte der Herzog und verließ den Raum, und ließ Carl auch keine Chance auf die aufgeworfenen Punkte des Zweifels zu antworten. Nicht jetzt.
Carl entkleidete sich weitestgehend und legte sich hin. Jetzt, da das ganze Gut aufgeschreckt war, würde man nicht unmittelbar einen zweiten Angriff in dieser Art durchführen. Das schaffte eine gewisse Sicherheit und es dauerte nicht lang, da willigte Carls Geist in des Körpers Gesuche zu schlafen ein[3].

7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 05:05 Uhr - Gut Emkendorf

Carl erwachte, weil ein Fensterladen im Wind gegen sein Fenster schlug. Es war dunkel um ihn herum und durch die Fenster drang kein Sonnenlicht vorbei an den Vorhängen. Es ließ sich kein Tag erahnen. Der Heiltrank hatte seine Wunden geschlossen und nach dem Genuss hatte er noch das Ziepen der Wunden gespürt, es war vergangen. Er fühlte sich nicht mehr schwach[4]. Er konnte kaum sagen, wie lange er geschlafen hatte. Langsam zog er sich wieder an und blickte vorsichtig am Vorhang vorbei nach draußen. Es war schneeweiß draußen, starker Wind ließ Schneeflocken durch die Gegend stoben und machte es schwer zu sagen, ob es Schneeverwehungen oder so starker Schneefall war. Vielleicht war es beides. Es klopfte an seiner Tür. "Herr von Lütjenburg?", fragte eine sanfte Frauenstimme, die durchaus etwas betagter klang. "Herr von Lütjenburg! Sind sie bereits wach? Der Herzog erwartet Sie zum Frühstück in seinem neuen Büro. Auf dem Stuhl vor der Tür liegt neue Kleidung für Sie. Ihre jetzige können Sie in die Wäschekammer bringen, dort werde ich Sie reinigen und flicken."
Schritte entfernten sich wieder und Carl ließ ein paar Sekunden vergehen, ehe er einen Blick aus der Tür warf. Kerzen waren auf dem Gang entzündet wurden, die Haushälterin war schon wieder weg. Auf einem Stuhl hing eine holsteinische Uniform. Carl erkannte, dass es die Uniform eines Train-Soldaten[5] war. Er hatte sie bereits gesehen. Oberstwachtmeister van Widdendorp trug so eine[6].

Der Gang war trotz der Kerzen düster und aus einem Zimmer neben dem Musikzimmer brannte etwas stärkeres Licht. Vielleicht war es das neue Büro des Herzogs. Friedrich erschien in der Tür und blickte zu Carl. "Guten Morgen. Ich überlasse es Ihnen, ob Sie die Uniform tragen. Es ist nur ein Angebot für die Zeit Ihres Dienstes hier. Aber bevor Sie eintreten, denken Sie mir bitte über eine Frage nach, die mich die ganze Nacht hat nicht schlafen lassen. Merken Sie auf: Wenn die Dänen feindliche Söldner beauftragen, diese jedoch zu solch harten Mitteln greifen und sogar mein Leben gefährden, wäre das ein internationaler Faux pas sondergleichen! Kann es also sein, dass es den Dänen oder den Söldnern aus den Händen geglitten ist? Denken Sie darüber nach und dann gibt es gleich frisch aufgebrühten Tee und ein paar frische Backwaren." Dann ging der Herzog wieder in sein Zimmer. Er wirkte noch immer nachdenklich, aber etwas munterer als nach dem Angriff am gestrigen Tag.

7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 07:25 Uhr - Kieler Hafen

Conrad und Hermene dämmerten aus ihrem Schlaf, zurück an das erste Licht des noch frischen Tages. Sie froren, überall um sie herum war Schnee. Sie sahen den Hafen von Kiel, sie standen ganz in der Nähe der Garnison an der sie vom Braunschweiger eingesammelt wurden. Sie fühlten sich erholt, trotz der harten Fahrt. Der Braunschweiger öffnete die Tür, die Ränder unter seinen Augen waren unverkennbar. Er hatte nicht geschlafen und war kurz davor selbst hier im Schnee vor der Müdigkeit zu kapitulieren. Gespielt lässig streckte er das Kreuz durch und reckte sich gähnend. "Wir sind zurück in Kiel. Wundern Sie sich nicht über den langen Schlaf. Das passiert vielen Gästen in der Kutsche.", sagte er in seiner typisch süffisanten Art und half den beiden aus der Kutsche. "Den Sarg wird das Militär mit allen Ehren überstellen, wenn das in Ordnung ist für Sie. Wenn nicht, dann werden Sie ihn aus der Leichenhalle holen können und selbst für die Bestattungs aufkommen. Schicken Sie die gewünschten Modalität der Beerdigung einfach zum OWM van Widdendorp. Dann kann er auch endlich mal der Arbeit nachgehen, die ihn eigentlich zu interessieren hat.", bot der Braunschweiger den kurzen Dienstweg an.
Er hob die Hand zum Abschied und setzte sich wieder auf den Kutschbock. Zusammen mit den drei nicht minder erschöpften Reitern verlegte er zur Garnison. Sie würden sich ein Zimmer nehmen, sich ausschlafen und sich die Kälte aus den Gliedern vertreiben. Es gab wieder Leben in der Garnison und am Hafen. Es war ein früher Montag Morgen. Ein Blick auf eine nahe Uhr offenbarte, dass es fast halb acht war. In etwas mehr als einer halben Stunde würde die Universität ihre Tore für den Tag öffnen. Im Altenstift würde auch schon Leben sein. Die Oberin hätte schon längst zum Gebet gerufen, das Frühstück wäre bereitet und alle Patienten inspiziert. Würden Conrad und Hermene sich erstmal trennen, die Nobels suchen? Würde Conrad lieber nach Hause fahren oder würde er erstmal seine alma mater besuchen?
 1. Carl, Conrad und Hermene sind voll geheilt.
 2. Erfahrungspunkte: 13.500 EP für Conrad, 10.000 EP für Hermene
 3. Erfahrungspunkte: 13.500 EP für Carl
 4. Attributsschaden geheilt
 5. Train
 6. Aussehen der Uniform
« Letzte Änderung: 25.03.2012, 22:42:13 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Conrad Rosenstock

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Casus Belli
« Antwort #249 am: 25.03.2012, 23:13:07 »
"Danke für Essen und die Getränke Herzog Friedrich! Machen Sie es gut! Ich werde sobald es geht nach Gut Emkendorf zurückkehren, aber ich muss unbedingt dafür sorgen, dass die Gebrüder Nobel am Leben bleiben und mich auch um das Dokument kümmern."

Dann ging Conrad wortlos zur Kutsche. Eigentlich wollte er ja wach bleiben, aber der Schlaf übermannte ihn dann doch.

Angekommen in Kiel nickt Conrad einfach den Worten des Braunschweigers zu. Er war ganz froh nicht mehr mit diesem Menschen reden zu müssen. Der Braunschweiger war nicht gerade beliebt bei Conrad, auch wenn er schon mehr von dessen Herrn Herzog Friedrich hielt. Wäre aber Herzog Friedrich genauso wie der Braunschweiger gewesen, hätte Conrad sich aber niemals darum gekümmert das Dokument zu besorgen.

"Ich bin ganz ehrlich zu Ihnen, Schwester Hermene: Ihre Heilkräfte und ihre Magie sind ziemlich nützlich, aber ich glaube, dass sich unsere Wege hier trennen werden. Sie werden wahrscheinlich zum Altenstift gehen wollen. Ich muss unbedingt auf dem schnellsten Weg zu OWM van Widdendorp. Wenn Sie das als Christin wollen, können Sie noch für kurze Zeit auf den Leichnam aufpassen, auch wenn ich nicht glaube, dass ihm etwas geschehen wird. Sie müssen es also nicht tun, wenn Sie das nicht wollen, es war nur so ein Gedanke. Machen Sie es gut Schwester Hermene, wenn sich hier unsere Wege schon trennen."

Conrad lässt Schwester Hermene noch ausreden, wenn sie noch etwas zu sagen hat, würde aber dann auf den schnellsten Weg zu Widdendorp gehen wie Conrad sich ja schon gegenüber Schwester Hermene geäußert hat.

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #250 am: 28.03.2012, 15:44:56 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 10:26 Uhr - Christian-Albrechts-Universität - Alter Hörsaal

Ein erster Applaus brandete durch die Studenten und die Dozenten, in Erwartung auf weitere Details. Der Auftritt des neuen Dozenten machte zweifelsohne einen gehörigen Eindruck. Er sah hier und da sogar unter den Dozenten ein anerkennendes Nicken, denn dies hatte einen Grund, den Samuel vielleicht gar nicht wissen konnte. In der Universität gab es einigen Ärger und es waren jene neu ausgerichteten Wissenschaftler, welche von der drögen, alten Art des Kollegs genervt, geradezu enerviert waren. Die Wissenschaftswelt galt gerne als staubtrocken oder zu sehr politisiert. Wahrscheinlich war es genau das, wovor Karsten gewarnt hatte, nicht zu Beginn zu sehr zu politisieren und in der Hinsicht mochte Samuels Beginn vielversprechend gewesen sein, obwohl Samuel als auch Alfred merkten, dass Gustav Karsten ungewöhnlich nervös war. Er beteiligte sich nicht energisch am Applaus und versuchte souverän zu blicken. Wahrscheinlich war er dankbar dafür, dass Samuel jegliche Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Denn Karsten war für seine Nominierung genauso unter Beobachtung wie Samuel Weißdorn selbst.

"Ein herausragender Possenreißer und Redner, Herr Karsten.", hörte Alfred Himly zu Karsten zu sagen und sah, wie Himly Karsten aufmunternd auf die Schulter klopfte. Himly wollte gerade noch etwas hinzusetzen, als Karsten genervt dazwischensprang. "Er ist auch ein guter Wissenschaftler!" Himly schreckte kurz zurück, lachte dann jedoch leise. "Das wollte ich gar nicht in Zweifel ziehen, guter Freund. Ich wollte Ihnen nur dazu gratulieren, dass sie ohne Frage nach all der Zeit einen passenden Agent Provocateur[1] gefunden haben." Karsten wedelte genervt die Hand und blickte stur nach vorne, während Himly zu Alfred Nobel schaute und ratlos die Schultern zuckte. "Was meinen Sie, Herr Nobel? Ich denke, dieser Mann wird noch für einiges Rumoren an diesem Standort sorgen. Gestandene Wissenschaftler brüskieren, das werden jene ihm nicht sofort vergessen. Sie kennen das ja. Da plustern sich diese Männlein im Elfenbeinturm auf, und es reicht eine Nadel, die Luft einweichen zu lassen. Und trotzdem nehmen Sie es einem übel, die Nadel der Notwendigkeit geführt zu haben. Herr Weißdorn hat diese Nadel geführt. Sehr brav."
Carl Himly war ob der Vorlesung in jovialer Stimmung und lachte leise, dann blickte er wieder zu Samuel, darauf wartend, wie die Vorlesung wohl weitergehen mochte.
Derweil löste sich die erste Welle des Applaus, der größtenteils aus Überzeugung über Samuel hinwegschwappte, aber sicher bei dem einen oder anderen auch, um diese vom jeweiligen als brüsk empfundene Situation gekonnt zu überspielen.
 1. Agent Provocateur
« Letzte Änderung: 28.03.2012, 16:21:19 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Carl von Lütjenburg

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Casus Belli
« Antwort #251 am: 28.03.2012, 19:59:18 »
Wortlos nahm Carl den Denkanstoß des Herzogs auf und wandte sich wieder der Uniform zu. Seit er Conrad verabschiedet hatte, schwieg er nun, wenn auch nicht mit Absicht. Freilich hatte ihm der Anblick des Sargs in dem sich Karl toter Körper befunden hatte ein wenig auf den Magen geschlagen, einen guten Freund verlor man schließlich nciht jeden Tag. Doch Carl hatte sich schon immer dadurch ausgezeichnet, dass er solche Schicksalsschläge rasch überwinden konnte oder, wenn sie ihm länger zu schaffen machten, sich zumindest nicht von ihnen beeinträchtigen zu lassen.

Doch der Verlust, die schweren Wunden und die Erschöpfung hatten es im Verbund geschafft Carl zu umzingeln und so lange zu schleifen, dass er dem Herzog nur noch aus Pflichtgefühl widersprochen hatte, bevor dieser ihn zu Bett geschickt hatte. Und nun war er trotz des langen Schlafes noch immer nicht ganz wach, also sprach er lieber gar nicht, um zumindest dem Anschein nach die Haltung zu wahren.
Tatsächlich war er aber höchst beschämt. Zum Frühstück wurde er nun gerufen, hatte er denn tatsächlich solange geschlafen? Carl schob es auf die Vergiftung, die seinen Körper zu so viel Ruhe gezwungen hatte, doch insgeheim keimte in ihm die Frage auf, ob das Studentenleben ihn nicht vielleicht doch hatte weich werden lassen. Der Anblick der Uniform trug nicht gerade dazu bei ihn aufzubauen. Train. Carl war Infanteriepionier und er wollte nichts anderes sein.

Dennoch würde er die holsteinische Uniform tragen, denn für Carl war eine Uniform von Bedeutung. Es war eine Ehre eine solche tragen zu dürfen und würde er diese ablehnen wäre dies ein Affront sondergleichen gegenüber seinem Herzog. Aber an Carls Loyalitäten änderte die veränderte Coleur nichts, aber doch war der Wahlpreuße froh, dass es schien, das Preußen und Holstein die gleichen Ziele verfolgten.

Dieser Gedanke brachte ihn wieder zu den Worten des Herzogs zurück und Carl dachte darüber nach während er sich notdürftig zurecht machte, die Uniform anzog und Revolver und Säbel anlegte. Wie ihm gehießen brachte er seine eigene Uniform in die Waschküche und begab sich dann zum Herzog.

Inzwischen waren die letzten bisschen Schlaf aus ihm gewichen und er fühlte sich wieder frisch und kräftig, so dass er energischen Schrittes durch die Flure ging und gewohnt zackig die Hacken zusammen schlug, als er das neue Büro des Herzogs betrat und diesen mit einem "Guten Morgen, Euer Durchlaucht." begrüßte.

Carl trat ein paar Schritt in den Raum hinein, blieb aber stehen, bis ihm ein Platz angeboten wurde. "Was ihre Anmerkung angeht sind mir drei Gedanken gekommen." Carl wartete kurz ob der Herzog etwas zu sagen hatte und fuhr dann fort.

"Eine Möglichkeit wäre schlicht, dass die Söldner mit diesem gestrigen ANgriff über die Stränge und die Weisungen ihrer Auftraggeber geschlagen sind, aber dafür wirkte die Ausführung des Überfalls auf mich zu durchdacht.

Die zweite Möglichkeit wäre dass die Dänen diese Söldner geschickt haben und das alles was gestern geschah auch so gefordert wurde. Mit der Ausnahme vielleicht, dass wir den Überfall vereiteln konnten. Aber wie sie gerade eben schon anmerkten, wäre dies ein sehr einfältiger Fehler und wer würde darauf setzen, dass er damit durchkommen könnte?

Die dritte Möglichkeit, die mir auf die Schnelle einfällt, wäre, dass die Dänen vielleicht gar nicht hinter dieser Sache stecken könnten. Vielleicht steckt jemand dahinter, der einen Vorteil daraus ziehen kann, wenn jeder glaubt, dass nicht er, sondern die Dänen in die Sache involviert sind. Bliebe nur noch die Frage: 'Cui bono?'[1]"


 1. lat. Wem zum Vorteil?

Samuel Weissdorn

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Casus Belli
« Antwort #252 am: 29.03.2012, 23:08:37 »
„Das war der einfache Teil“, ging es Samuel durch den Kopf. „Die Gruppe derer, die sich etwas mehr Lebendigkeit in der Lehre wünschen, und die sich durch kleine Gauklerspiele begeistern lassen, habe ich überzeugt. Nun geht es um diejenigen, denen ich damit auf die Füße getreten bin.“

Als der Applaus trotz seiner Worte nicht abebbte, hob Samuel beschwichtigend die Hände. „Bitte, meine Herren, führen wir uns vor Augen, dass ich bisher nicht viel mehr gezeigt habe als einen Jahrmarkt-Trick – auf Grundlage naturwissenschaftlicher Gesetze, doch wenn wir darüber nachdenken, gilt dies für jeden Jahrmarktzauber, nicht wahr?“

Er lächelte. Nun waren die an der Reihe, denen Status und Anerkennung wichtig wahr, wichtiger als Ehrlichkeit. „Ich weiß auch sehr wohl, dass einige meiner Herren Kollegen den kleinen Budenzauber gleich durchschaut haben. Ich danke Ihnen, meine Herren, dass Sie das Spiel dennoch mitgespielt haben, im Verständnis, dass es dem Zweck der Lehre und des Verständnisses für die Wissenschaften untergeordnet war.“[1]

Natürlich hatte keiner der anderen Dozenten seine Vorführung durchschaut. Aber er gab ihnen die Möglichkeit, ihr Gesicht zu wahren und sich als besonders schlau und kritisch darzustellen – doch dafür mussten sie sich auf seine Seite schlagen. Denn durch ihr Schweigen hatten sie ihn schließlich unterstützt, hatten ihm die Möglichkeit gegeben, die Vorführung zuende zu bringen.

Gezielt suchte er die Gesichter jener Dozenten, die besonders missmutig geschaut hatten, und nickte ihnen mit einer gewissen Dankbarkeit in der Miene zu.

„Aber eben dem wollen wir uns nun zuwenden – den Wissenschaften. Denn so unterhaltsam der Einstieg in diese Vorlesung gewesen sein mag, wird er bedeutungslos, wenn wir ihn nicht der Theorie unterwerfen. Im Rahmen der heutigen Vorlesung werden wir daher das Erlebte bis in Genaueste analysieren. Es ist die Theorie, das reine, glänzende Wissen, mit all seinen Formeln und Regeln, das die wahre Freude bereitet, und das solches Schauspiel überhaupt erst ermöglicht.“[2]

Dies war das Futter für die Theoretiker, für die „altehrwürdigen“ Professoren, die ihren Elfenbeinturm so sehr liebten. Wieder suchte er sich die passenden Gesichter, und schenkte ihnen – wie er hoffte – die Bestätigung, die sie suchten.

Dies war genug der Rede. Jetzt mussten Taten folgen – und damit Theorien.

Er ging auf den Studenten zu, dem er das vermeintliche Buch in die Hand gedrückt hatte. „Welches war der Moment, in dem Sie begriffen, dass ich Ihnen kein Buch, sondern lediglich ein Blatt Papier überreicht habe?“

Der Student überlegte kurz. „Es war der Moment, in dem Sie losgelassen haben. Das Gewicht passte nicht.“

Samuel hob den Zeigefinger – ein wenig weiteres Futter für die „Altehrwürdigen“. „Sehr gut. Das Gewicht entsprach also nicht Ihrer Erwartung. Angenommen, ich hätte Ihnen statt eines Buches einen größeren Stapel Zettel in die Hand gedrückt, wäre Ihnen der Unterschied also entgangen?“

Wieder zögerte der Student kurz. „Im ersten Moment vermutlich schon. Ich denke, es käme darauf an, wie viele Zettel es gewesen wären. Wie viel leichter die Zettel gewesen wären.“

„Oh, wirklich sehr gut!“ ermutigte Samuel den Studenten. „Sie haben soeben eine wichtige Grundlage beschrieben. Wenn der Reiz R also das erwartete Gewicht des Buches darstellt, dann ist es nicht das absolute Gewicht des tatsächlich erhaltenen Gegenstandes gewesen, der sie aufmerksam werden ließ, sondern die Differenz zum erwarteten Gewicht, also Delta R. Korrekt?“

Der Student nickte. „Ich… nehme es an, ja.“

Samuel nickte. „Und damit sind wir beim ersten Gesetz der Psychophysik angekommen, auch bekannt als das Webersche Gesetz. Bereits im Jahre 1834, lange bevor der Begriff der Psychophysik geprägt wurde, erforschte der angesehene Physiologe Ernst Heinrich Weber[3], dass ein Sinnesorgan eine Veränderung erst ab einem bestimmten Intensitätsbetrag registriert, bekannt als die differentielle Wahrnehmbarkeitsschwelle, oder einfacher ausgedrückt: Den gerade noch wahrnehmbaren Unterschied. Demnach ist k gleich Delta R geteilt durch R[4][5]. Sei k gleich ein Zehntel, bedeutet dies, dass wir bei einem Gewicht – unser Reiz R - von 500 Gramm einen Unterschied – Delta R – von 50 Gramm benötigen, um die Veränderung wahrnehmen zu können. Wie groß k ist, hängt laut den Beobachtungen Webers vom jeweiligen Sinn ab.“

Er war während des Redens ein wenig hin- und hergelaufen, blieb nun aber wieder vor dem Studenten stehen. „Im konkreten Beispiel haben wir ein wenig andere Bedingungen, denn es gab ja keinen realen Ursprungsreiz, sondern lediglichen einen erwarteten oder vermuteten. Dennoch hat das Prinzip funktioniert. Was sagt uns das?“

Für einen Moment herrschte Schweigen, dann brach leises Tuscheln aus. Als nach einigen Momenten noch keine Meldung erfolgte, tippte Samuel sich an die Schläfe. „Dass im ersten Schritt nicht die eigentliche Sinneswahrnehmung des Gewichts federführend war, sondern die Interpretation im Gehirn. Was Sie wahrgenommen haben, war eine ganz grobe Form, sowie meine Worte und die ihrer Kommilitonen. Anders ausgedrückt: Licht und Schall. Zwei Reize also, die keine direkte Aussage über das Gewicht zulassen, und doch über den Umweg von Augen und Ohren in Ihrem Kopf eine Information über das Gewicht erzeugt haben.“

Er ließ seinen Blick durch die Reihen schweifen, und suchte sich einen Studenten, der den Eindruck machte, als sei eben ein Groschen gefallen. Er nickte dem jungen Mann zu und fragte: „Was sagt uns das also, wenn wir über die Psychophysik reden?“

„Das wir zwischen der Reizbeobachtung, also dem reinen Sinnesorgan, und der Verarbeitung durch das Gehirn unterscheiden müssen“, schoss es dem Angesprochenen aus dem Mund.

Samuel nickte und lächelte. „Hervorragend, meine Herren. Ich sehe, Sie sind im Thema angekommen!“
 1. Bluff: "Gesicht wahren" - 23
 2. Bluff: "Alles für die Theorie" - 36
 3. Ernst Heinrich Weber
 4. Webersches Gesetz - Formel
 5. Webersches Gesetz

Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #253 am: 01.04.2012, 15:58:39 »
Obwohl dem Chemiker unter den Nobels noch immer der Schweiß auf der Stirn stand, versuchte Alfred entspannt der Vorlesung zu folgen. Er hatte nicht mit einer solch nervenauftreibenden Jagd durch Kiel gerechnet. Seine schlimmsten Befürchtungen waren höchstens das Wetter gewesen! Doch die Schüsse in nicht allzu weiter Ferne, der Soldat, der vom Hausdach stürzte, und der plötzlich so energische Röschmann hatten dafür gesorgt, dass der ältere Nobel nur aufgewühlt auf der Holzbank Platz nehmen konnte.

Doch nichtsdestotrotz lehnte Alfred sich zurück, stützte den rechten Ellenbogen auf die linke Hand, und ließ sein Kinn auf der anderen Hand ruhen. Es war eine reservierte, kritische Haltung, die der schwedische Chemiker präsentierte. Doch hinter den verdeckenden Fingern war ein Schmunzeln auf den Lippen Alfreds zu erkennen. Als Himly ihn nach seiner Einschätzung fragte, sah der Chemiker ihn lediglich von der Seite an, lächelte vielsagend und zog demonstrativ die Augenbrauen hoch. Eine Antwort bekam der Kieler Professor noch nicht.

Erst als der eigentliche Teil der Vorlesung begann, schien Alfred wach zu werden und konzentriert zuzuhören. Seine erste Einschätzung bestätigte sich scheinbar. Bedächtig lehnte er sich zu Himly, und flüsterte ihm leise zu.

"Ein beeindruckender Dozent," wählte Alfred seine Worte knapp, um die Vorlesung nicht zu stören, "der Saal hängt an seinen Lippen, er macht einen guten Eindruck."

Als wäre das alles, was er zu sagen hatte, setzte sich Alfred wieder zurück, und stützte die Hand wieder auf. Doch keinen Moment später lehnte er sich wieder zu dem Professor vor.

"Aber Psychophysik? Naturgesetze über die subjektivste Sache der Welt, die menschliche Wahrnehmung? Nicht besonders kartesisch[1], möchte ich meinen. Es heißt doch schließlich cogito[2] und nicht sentio ergo sum[3]!"

Zweifelnd warf Alfred Himly einen weiteren Blick von der Seite zu, ehe er die Arme verschränke, um weiter der Vorlesung zu folgen.
 1. René Descartes
 2. lat.: "Ich denke"
 3. lat.: "Ich fühle, also bin ich."
« Letzte Änderung: 01.04.2012, 16:03:25 von Alfred Nobel »
But I have learned to study Nature’s book
And comprehend its pages, and extract
From their deep love a solace for my grief.

 - A Riddle, 1851

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #254 am: 01.04.2012, 21:58:40 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 07:39 Uhr - Kieler Hafen - Büro des Oberstwachtmeisters

Als hätte Hermene es nötig gehabt, sich weiter mit diesem rüpelhaften Studentenpack zusammenzuglucken. Sie war weder eine Henne, noch eine Mutter für die Studenten. Und es war klar, dass diese Studenten sich hinter ihrer eigenen Etikette verstecken wollten und gleichzeitig nicht bereit waren, gerade einer Nonne gebührenden Respekt zukommen zu lassen. Erschöpft von der Reise hob Hermene lediglich die Hand zum Abschied, und stampfte dann zurück zum Altenstift.

Conrad bliebt schließlich nichts anderes über, als zur Garnison zu gehen und somit dem Braunschweiger in gewisser Weise zu folgen. Der junge Student konnte mit ansehen, wie Soldaten den Sarg von der Kutsche hievten und der darin gefrorenen Körper Karls samt Sarg absetzten. Auch wenn sie Karl nicht kannten, brachten die vier Soldaten, welche den Sarg schultern sollten, dem Gefallenen Respekt entgegen. Sie gingen alle in das stille Gebet für einen Moment, ehe sie mit klaren Kommandos den Sarg anhoben und in die Richtung des Garnisonslazarettes gingen. Obwohl sie Karl nicht kannten, hatten sie von dem so vorzüglich in niederdeutscher Sprache fluchenden Studenten gehört, der sich mit Conrad Rosenstock und auch Carl von Lütjenburg der blanken See gestellt hatte, um fremde Menschen aus Seenot nach einem Angriff zu retten. Deswegen grüßte auch einer der vier Conrad freundlich, als er sich näherte, ehe sie aufbrachen. Conrad gewann den Eindruck, dass sie Karl Schreiber als Patrioten betrachteten und ihn gebührend behandeln würden.
Conrad jedoch ging schnellen Schrittes in das Garnisonsgebäude und erkundigte sich bei dem im offenen, und weißgestrichenen Flur sitzenden Gefreiten, wo der Oberstwachtmeister zu finden sei. Sie gingen den gefliesten Gang hinunter bis Conrad das Namensschild des Oberstwachtmeisters an einer Tür sah. Scheinbar war sein Büro nicht wirklich besser ausgestattet als das eines jeden anderen Soldaten, zumindest sah das Namensschild wie jedes andere aus. Doch ehe Conrad an der Tür klopfte, hörte er, wie sich die Tür in seinem Rücken öffnete. Der Oberstwachtmeister kam nur bekleidet in langer Unterwäsche und einem Unterhemd hervor. Er hatte tatsächlich einen derartig fülligen Bauch und schmale Storchenbeine. Es war kein Eindruck, der nur durch seine Uniform entstand. "Guten Morgen. Wenn Sie zu mir wollen, guter Mann, geben Sie mir einen Moment für die Morgenhygiene." Van Widdendorp reichte Conrad kurz die Hand und schloss die Tür hinter sich. Conrad konnte nur einen kurzen Blick gewinnen, doch was er sah, sah nach einer einfachen Schlafstube aus. Einfacher Dielenboden, ein einfaches Bett, ein Tisch und zwei Stühle standen in diesem Zimmer. An der Wand ein großer, hölzerner Wandschrank, in dem van Widdendorps Militärkleidung Platz fand. Neben dem Bett stand noch ein Ständer für die ausladende Uniform.

Nach wenigen Minuten kehrte ein gewaschener van Widdendorp wieder, trat in das Zimmer ein, zog sich eine Hose und Socken an. Er schlüpfte in die polierten Stiefel und nahm dann Hemd und Anzugsjacke über den Arm und schloss sein Arbeitszimmer auf, um Conrad einen Stuhl zu weisen. Der Oberstwachtmeister schloss die Tür und zog sich in aller Ruhe an, während er sprach. "Sie sind wieder da. Hat Ihnen die Reise gefallen? Gut Emkendorf ist ein schöner Ort, nicht wahr? Nur einer mit einer trübsinnigen Vergangenheit für jeden Nationalisten[1].", begann er zu erzählen, während Conrads Füße langsam wieder auftauten. Es war asig kalt draußen. Die Arbeitsstube war auch karg eingerichtet. Ein großer, aber einfacher Schreibtisch, der deutlich bessere Tage gesehen hatte. Überall lagen Papiere verstreut. Es gab nur drei Stühle, wovon der einzig gepolsterte dem OWM zustand. Keine Verzierung, rein funktional und nicht sonderlich hochwertig. Die Westwand war dominiert von einem die ganze Wand einnehmenden Wandschrank, in dem massen von Papiere lagen und Ordner standen. Sie waren oft die letzten Tage gewälzt wurden. "Entschuldigen Sie die Unordnung.", bemerkte der OWM die Blicke Conrads, als er sich auf den gepolsterten Stuhl auf der gegenüberliegenden Seite des Schreibtisches setzte, welcher ein unheilvolles Quietschen von sich gab. Er wechselte das Thema bereits und ging nicht weiter auf Emkendorf ein. "Es gibt gleich Frühstück und ich habe einen langen Tag vor mir, verzeihen Sie mir also bitte auch, wenn ich etwas kürzer angebunden bin, als ich es normalerweise bin. Doch es ist ein aberwitzig glücklicher Zufall, dass Sie in meine Amtsstube laufen, Herr Rosenstock. Ich möchte Sie nämlich um etwas bitten. Ihr Vater besitzt doch, oder leitet zumindest, die Waffenfabrik hier. Meinen Sie, dass Sie, als schleswig-holsteinischer Patriot, durchsetzen könnten, dass Ihr Vater zu Vorzugspreisen schleswig-holsteinisch Gesinnte bewaffnen könnte? Können Sie da für Ihn sprechen?" Der OWM nahm einen Handspiegel und einen Kamm hervor und kämmte sich das schüttere Haar in einen galanten Scheitel und bemühte sein feistes Gesicht in ein freundliches Lächeln. "Ich weiß, ich überfalle Sie gerade mit meiner Bitte. Vielleicht wäre es besser, wenn ich mir erst anhörte, was ich für Sie tun kann."
 1. Wissen (Geschichte) SG 17
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

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