Tolkwy entschloss sich dazu, nicht länger bei Aerys zu bleiben. Ganz offensichtlich legte sie keinen Wert auf seine Hilfe und wenngleich ihn das nicht davon abbringen wollte, ihr dennoch irgendwie Linderung von ihrer Sucht zu verschaffen, beschloss er, dass es für den Moment genug war. Er ließ sie sich hinlegen und schloss leise die Tür hinter sich, bevor er aufseufzte, mit den Schultern zuckte, die sich ziemlich verkrampft anfühlten, und schließlich in Richtung Oberdeck spazierte, als ihm plötzlich eine bildschöne, junge Frau mit roten Haaren über den Weg lief. "Na, auch auf dem Weg zum Speisesaal? Dann könnt Ihr mich ja gleich begleiten." Tolkwy hatte zwar eigentlich im Moment genug Gesellschaft gehabt, aber die junge Frau lächelte ihn dermaßen sympathisch an, dass er sich nicht dagegen erwehren konnte. Er folgte ihr zum Speisesaal, wo sich bereits ein paar Gäste eingefunden hatten, darunter ein Gnom, ein anderer Passagier, vom dem Tolkwy bisher wenig gesehen hatte und der Tian, mit dem er an Bord gekommen war. Die Frau an seiner Seite, auch eine Passagierin, zog ihn zu einem freien Tisch, gleich neben dem von Halas und dem Gnom.
Kwazeel, der an der Reling stand und noch immer über das Gespräch mit dem Garundi nachdachte, wurde der jungen Frau gewahr, die sich beinahe an ihm vorbei schlich und dabei möglichst wenig von ihrem Gesicht preisgab und darauf achtete, dass ihr ihr Haare tief ins Gesicht fielen. Er hatte ja damit gerechnet, dass er an Bord eines Schiffes auf teils merkwürdige, teils raubeinige Matrosen treffen würde, doch die Passagiere dieses Schiffes übertrafen seine Vorstellungen bei weitem. Allerdings fiel ihm ein, dass es vermutlich - wie für den Garundi - Zeit war zu essen und auch wenn Kwazeel keinen Hunger verspürte und nicht verstehen konnte, warum er ausgerechnet jetzt essen sollte, folgte er der jungen Frau in den Speisesaal. Er musste sich wohl irgendwie ein wenig anpassen.
Simue bemerkte den Mwangi nicht, der ihr folgte, aber als sie die Tür zum Speisesaal öffnete, machte sie einen kurzen Schritt rückwärts und stieß gegen ihn. Sie wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken. Mit zitternder Stimme entschuldigte sie sich eilig bei ihm und betrat den Speisesaal, der ihr viel zu voll war. Sie wusste nicht, wo sie sich hinsetzen sollte und versuchte möglichst unscheinbar zu wirken. Nur nicht angesprochen werden, nur nicht beachtet werden, keine Gespräche. Unschlüssig stand sie eine Weile in der Tür herum, bis sie sich daran erinnerte, dass der Mwangi noch hinter ihr stand, doch da schob sich Kwazeel schon an ihr vorbei und suchte sich einen freien Platz in der Nähe der Tür. Simue beschloss, sich an einen noch freien Tisch zu setzen. Aber als sie da so saß und für sich allein war, abgesehen von Jonathan, fühlte sie sich nur noch elender.
Das Mittagessen war vorzüglich, wenigstens für jene, die nichts Besseres gewöhnt waren, so wie Halas, der die Suppe zu fad, die Hauptspeise zu einfallslos und das Dessert als Witz abtat, wobei ihm Gelik des Öfteren zustimmte. Tolkwys Begleiterin, Tascha - wie sie sich ihm vorstellte - plauderte mit ihm und auch wenn er nicht viel sagte, so redete sie unentwegt und schien bester Laune zu sein. Nur manchmal, wenn Tolkwys Blick auf den fehlenden kleinen Finger ihrer linken Hand fiel, zuckte sie kurz zusammen, versteckte ihre Verstümmelung hinter einer flüchtigen Bewegung und kam auf ein neues Thema zu sprechen. Kwazeel, der wenig Hunger hatte, musste jedoch zumindest zugeben, dass es schmeckte und dass er im Gegensatz zum Garundi wohl ziemlich gut verköstigt wurde. Aufmerksam beobachtete der Mwangi die anderen Gäste und ihre Verhaltensweisen und versuchte sie zu verstehen. Simue dagegen blieb in sich gekehrt, nur ab und an sah Ischiro kurz zu ihr hinüber, während er nur stumm sein Mittagessen verzehrte.
Schließlich leerte sich der Speisesaal wieder. Der Nachmittag verlief ruhig und aus den Gesprächen der Matrosen untereinander konnten die Passagiere heraus hören, dass sie wohl in drei oder vier Tagen Eleder erreichen würden, was in allen eine gewisse Unruhe hervor rief. Dan, der mit den Matrosen gespeist hatte, sah Simue erst am frühen Abend wieder. Zu seiner Verwunderung hatte er von Alton erfahren, dass am Abend die ganze Schiffsmannschaft mit den Passagieren im Speisesaal essen sollte und er war sich noch nicht gänzlich sicher, was er davon halten sollte. Einerseits freute es ihn, weil er so womöglich ein wenig mehr Zeit hatte, um mit der geheimnisvollen, jungen Frau zu sprechen, andererseits irritierte es ihn auch, denn bisher war Kapitän Kovack darauf bedacht gewesen, dass die Mannschaft Distanz zu den Passagieren hielt. Dennoch waren zum Abendessen alle im Speisesaal versammelt und Dan hatte auch keine Schelte geerntet, als er sich erdreistet hatte, sich neben Simue zu setzen, die noch immer so in sich zurück gezogen war, wie vorher. Halas nutzte den Moment, um erneut mit Gelik zu verhandeln und im ganzen Raum breitete sich, bevor das Essen schließlich serviert wurde, ein angeregtes Gemurmel aus.
Das Abendessen war nicht weniger üppig als das Mittagessen, aber durch die verschiedensten Gespräche, durch die Scherze, die gemacht wurden, und nicht zuletzt durch die Anwesenheit der Mannschaft, ja des Kapitäns selbst, der eine wunderbare Ansprache vor dem Essen gehalten hatte - Halas kam sie ziemlich aufgesetzt vor -, war die Atmosphäre viel lebendiger als den ganzen Tag über. Bemerkenswert war vor allem, dass eine Passagierin, die sich meistens im Hintergrund hielt und so gut wie immer in ihrer Kabine war, ebenfalls eingefunden hatte, und zwar direkt neben dem Kapitän. Dan wusste Gerüchten zufolge, dass die Dame, die unzweifelhaft eine Gelehrte sein musste und - wie Halas annahm - aus Varisia stammte, sehr vertraut mit dem Kapitän war. Wie weit diese Beziehung ging, war allerdings nicht ersichtlich, denn die beiden sprachen nicht sonderlich viel miteinander, geschweige denn dass es offenkundige Berührungen gab. Auch beim Abendessen verhielt sich Ieana, so der Name der Gelehrten, ruhig und zurückhaltend, unscheinbar, ebenso wie Simue schien sie nicht weiter auffallen zu wollen.
Wieder hatte sich der Koch große Mühe gegeben, aber dennoch schmeckte bereits die Suppe merkwürdig. Dieses Mal fiel es nicht nur Halas auf, sondern auch den anderen Passagieren und auch Dan, der die Kochkunst an Bord kannte, bemerkte einen eigenartigen Nebengeschmack. Er wollte gerade aufstehen und sich darüber beschweren, dass wohl die Brühe sauer geworden sei, die zum Herstellen der Suppe verwendet worden war, als ihm schwummrig wurde. Er konnte sich gerade noch so am Tisch festhalten und sich wieder hinsetzen. Simue warf dem jungen Matrosen einen fragenden Blick zu, bevor sie bemerkte, wie sich der ganze Raum zu drehen begann.
Als der Kopf der Halb-Elfe, die zum Abendessen in einem recht guten Zustand erschienen war, auf den Tisch fiel, glaubte Tolkwy zuerst noch, sie sei doch betrunkener, als er angenommen hatte, doch als auch der Gnom von seinem Stuhl fiel und sein Begleiter, Halas, mit seinem Gleichgewicht zu kämpfen hatte, wusste der Halb-Ork das hier etwas nicht stimmte. Er beobachtete den Mwangi, der ihn seinerseits ansah. Er konnte sehen, wie die Augen des Mwangi keinen festen Punkt mehr fixieren konnten und schließlich spürte auch er, wie ihm schwindlig wurde. Dass sein Körper hart auf dem Boden aufschlug, spürte Tolkwy kaum noch, bis die Dunkelheit ihn vollkommen übermannte.