Wind weht um ihre für eine Frau ungewöhnlichen Kleidungsstücke. Ihre Hose, halb verborgen von einem fast zerrissenem Rock, baumelt und bauscht sich halb von einer harschen Böe auf, untermalt von einem langen,
sanften Ton einer Geige, die sie in Händen hält. Der Ton, hoch und säuselnd, passt zum Wind, der gerade weht, und ihr Blick schweift nahezu streichelnd über die Dächer der Stadt. Bei Tag ist die Stadt schon finster durch den schwarzen Stein, doch bei Nacht scheint es, als würden die Gemäuer, Häuser und Straßen alles Licht verschlucken wollen. Was ihr nur zupass kommt. Immer zu Pass kommt. Immerhin liebt sie die Schatten, und die Schatten lieben sie. Sie verhüllen sie, wenn sie in Nöten ist... sie geben ihr Deckung, sie geben ihr die Kühle Umarmung, nach der ihre Seele sich so manches Mal sehnt.
Wie mag er es geschafft haben, aus den Gängen wieder hochzukommen... und wie... ist sie entkommen..., denkt sie bei sich, die Finger über die Saiten der schönen Violine tanzen lassend. Es war nicht das erste Mal, dass sie sich auf die Anhöhen der Stadt zurückzog und spielte, um ihren Kopf freizukriegen. Manchmal half es, Dinge von einer erhöhten Position zu überdenken. Ihr half es, und es hilft noch immer. Zumindest soweit, dass sie sich wieder konzentrieren kann. Gut... sie konnte davon ausgehen, dass Graster tot war. Das Messer an seinem Hals war dafür eigentlich Indiz genug. Ein guter Wurf, jedoch ein schlechter für einen normalen Messerwerfer, der im Zirkus auftrat. Das Geld... das verschwinden des Täters an sich... alles deutete darauf hin, dass hier Mundraub im Spiel war. Oder eher Geldraub, wenn man sich die Summe des Auftrags vor Augen hielt. Geld, was sie gern gehabt hätte. Geld, was ihr ohnehin zustand, da sie ihn.... nein. Sie hatte ihn nicht ermordet, immerhin war er noch am Leben. WIe auch immer... jetzt war er tot.
Wo seine Leiche nur war...? Etwas, was die Messerwerferin vielleicht beantworten könnte. Arantxa. Das Gesicht würde sie erkennen, wenn sie es sähe, dessen war sie sich sicher. Ihr Blick ist es gewohnt, auf kleine Äußerlichkeiten zu achten, und menschlich sah sie nicht aus. Was ein Bonus war für sie selbst. Welche Motivation sie nur hatte... Geld? Nur Geld? Sie sah erschrocken aus, als ihr das 'Missgeschick' passierte. Ob sie es gespielt hatte... ob sie das alles geplant hatte? Ob die Frau sie, Asera, beobachtet hatte? Oder hatte Graster mehr Feinde, als sie geahnt hatte?
So... viele Fragen. So viele ermüdende Fragen. Ihre Finger wandern immer langsamer über die Saiten, sie setzt ab, öffnet ihre grauen Augen, die auf die Dächer blicken... stehend, nahe vor dem Abgrund in der Schwärze der Nacht. An ihrer linken Seite ihr Schwert, an der rechten Seite ihr Buch, in das sie immer fein säuberlich schrieb... ein Tagebuch, könnte man sagen... Ihre Musikinstrumente hinter ihr aufgereiht, wobei nur der Violinenkoffer geöffnet ist. Sie räuspert sich, dreht sich dann um und verstaut die Dinge, ihre Instrumente, ihr Herz in dem Koffer, schließt ihn und schultert die Sachen, die die ihren sind. Immer darauf bedacht, bei ihrem Verschwinden leise zu sein, auch wenn sicher einige wussten, dass sie sich auf dem Dach befand, Einzelgängerin, die sie war.
Wo anfangen...? DIe Leiche ist nicht mehr da, und Gänge gab es mehr, als man zählen konnte, aus denen er herausgekrochen sein könnte. Also war das kein Anhaltspunkt. Sollte sie im Zirkus vorbeischauen? Vielleicht... wurde ja das Messer zurückgelassen. Oder sie hörte sich in ihrer Gilde um nach der Frau, oder in einer Taverne. So viele Möglichkeiten... ein letzter Blick vor ihrem Abstieg striff die anderen Dächer, ehe sie eine Entscheidung fällte. Sie würde zuerst in ihre Gilde gehen, in das Haus, indem man sie aufnahm, und Fragen. Auch wenn... sie fürchtet, bestraft zu werden für den so kläglichen Misserfolg. Für den Eintrag aus ihrem Buch, den sie... Streichen müsste. Für das Schauspiel, was nur eine falsche Tragödie war, kein Monolog von Meisterhand, sondern nur Kitsch- und Pfuschtheater einer Stümperin in diesem einen Fall. Stümperin nicht ganz, aber... sie war sich ihrer Sache zu sicher gewesen. Der Preis der Arroganz.
"Mond, was würdest du mir sagen,
würde ich nach Wissen fragen?
Würdest du die Hand mir reichen,
Nicht von meiner Seite weichen,
Bis ich bekomm', was mir gehört,
Was so absonderlich die Kreise stört...?"