Der Musiker schaffte es tatsächlich, Alvanons Gefühlsregungen in eine genervte Richtung zu bewegen. Er wollte nicht mit diesem Wesen diskutieren, aber die Worte von ihm erweckten in dem Elb einen Rechtfertigungsdrang, den er nie kannte. Die Worte Maurons schafften es immer wieder, etwas vorzubringen, was vorher nicht Bestandteil des Gesprächs war. Eben als Mauron verstummte und Alvanon bereits zu einer Antwort ansetze, erregte etwas anderes seine Aufmerksamkeit, dem er deutlich mehr Wichtigkeit zusprach, als dem untoten König mit der Panflöte. Er vernahm eine Regung bei dem Alben, und schon wandte der Elb diesem den Kopf zu, um ihn auch ja im Auge zu behalten, damit er ja nicht unbemerkt irgendwelche Dummheiten versuchen würde.
Während sich Mephala und der Alb unterhielten, war er noch ruhig und blieb Aufmerksam, denn egal was er sagen würde, er würde Mephala wohl in dem Punkt widersprechen, in dem der Alb kein Gefangener war. Er würde ganz offen sprechen und ihm mitteilen, dass der Brudermörder ihr Gefangener war. Würde er die Freiheit erlangen wollen, hätte er sich ihren Regeln zu beugen. Es war ein riskantes Spiel, einen Alb als Gefangenen zu behandeln und darauf zu vertrauen, dass er seine Freiheit nach den vorgegebenen Regeln wiedererlangen wollen würde. Schon oft hatten die Alben ein falsches Spiel gespielt und nicht selten waren andere dabei umgekommen. Ihnen wäre es wahrscheinlich egal, dass das Reich untergehen würde, wenn sie nicht beim König intervenieren würden. Für sie wäre es wohl ein willkommener Wendepunkt in der Geschichte des Reichs. Als Alvanon dieser Gedanke kam, beäugte er den Alb recht kritisch. Er wusste nicht, ob der Alb sich bewusst war, wer zu ihm sprach. Sollte er erfahren, was für einen Auftrag sie hatten, würde er vielleicht mit ihnen ein ebenso falsches Spiel spielen, wie die Alben es in ihrer Vergangenheit schon so oft getan habe. Beispielhaft waren die Nachwehen der Zeit, in der sie ihre Sterblichkeit verloren. Anstatt Einigkeit zu beweisen, wandten sie sich von den Elben ab und kehrten in den Untergrund, weg von allem, was sie zu beherrschen suchte. Sie erlangten einen neuen Herrn, verließen die Herrlichkeit von Seheiah und wurden zu dem, was sie nun sind. Nicos bestätigte seine Gedanken noch durch seine Worte. Dem Alb sollte nicht zu viel Information zukommen. Er sah ebenfalls die Gefahr darin, dass er das Wissen gegen si verwenden konnte. Das war gut, es würde Leichtsinn verhindern.
In einem Punkt jedoch hatte der Alb Recht. Viel Zeit hatten sie nicht mehr. Sie standen bereits unter Beobachtung der Alben, relativ bald würden sie kommen, um ihn zu befreien. Alvanon fragte sich, ob wohl jemand einen Blick nach draußen hatte. Die Alben waren ein tückisches Volk, welches mit den Schatten und der Stille im Bunde war. Man hörte sie nicht kommen, man musste wachsamen Auges sein. Er lauschte nebenbei den Worten Mephalas, die mit dem Alb verhandelte. Es klang nicht verkehrt, allerdings glaubte er nicht, dass der Alb darauf eingehen würde. Zumindest nicht ernsthaft. Alvanon überlegte, ob es nicht sinnvoller wäre, den Alb unter Zugzwang zu setzen. Im Moment lief die Zeit gegen sie. Dieser Umstand musste geändert werden.
Alvanon schaute eben zu Clavius und sprach leise:
“Der Alb hat Recht, im Moment könnten bereits dutzende Alben draußen stehen und wir würden es nicht einmal merken. Ich gehe eben nach draußen und sichere unseren Rücken. Wir sollten uns für den Notfall einen zweiten Ausgang erschaffen.“ Er deutete kurz auf die Wand der Hütte, aus der sie überraschend hervorbrechen könnten, wenn man genug Kraft oder Magie ein Loch erschaffen würde. Anschließend wandte er sich ab und stellte sich in die Tür, um einen Blick nach draußen zu werfen. Er schaute in die Ferne und durchspähte das Schneetreiben, welches scheinbar immer dichter wurde
[1]. Er seufzte und war zunächst erleichtert, erkannte dann in der Ferne allerdings einen Schatten, dem bald weitere folgten. Waren es die Alben? Waren es wilde Tiere? Er konnte es nicht erkennen, aber normalerweise gingen Alben nicht so offen vor, wenn sie sich ihrem Ziel näherten. Alternativ konnte es sein, dass sie in den dezimierten Königen wenig Gefahr sahen, sodass sie keine Notwendigkeit für Heimlichkeit erkannten. Dennoch war Alvanon alarmiert. Selbst wenn es keine Alben waren, würden sie inmitten dieser Schemen leicht näher kommen können. Alvanon verfluchte das Wetter dieser Breiten. Wäre es klarer, würde er sich bedeutend sicherer fühlen. Er fasste innerlich den Beschluss, dass er die Verhandlungen voranbringen würde. Ein neuer Faktor würde für neue Verhandlungssituationen sorgen. Für einen Vorteil auf ihrer Seite.
Alvanon deutete in die Richtung, in die Söldner verschwunden waren und sprach leise mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht:
“Auch wenn ihr es durch das Rieseln des Schnees nicht hört, die albische Verstärkung ist soeben in ein Scharmützel mit den Söldnern verwickelt. Der Kampf wird wohl noch eine Weile dauern. In die andere Richtung ist nichts zu erkennen, die Verstärkung scheint eher diejenigen retten zu wollen, die zur Rettung gekommen sind. Das macht Sinn, ein einzelner Trupp wird es mit uns nicht aufnehmen können. Ich denke nicht, dass so schnell jemand kommen wird, um dich zu holen, Brudermörder[2]. Vertrau lieber auf unsere gute Seele, die mit dir verhandelt, und darauf, dass wir nur dein Bestes wollen. Denn du wirst nur mit uns diese Hütte hier lebend verlassen.“ Er schaute den Alb einen Augenblick fest aus seinen Augen an, um die Worte noch zu unterstützen. Er wollte ihn nur vor eine Situation stellen, in der er unter Druck geriet. Direkt durch Taten bedrohen wollte er ihn nicht, lediglich angedeutet durch seine Worte, in der Hoffnung, dass er so vielleicht eher bereit wäre, zu handeln – obgleich er noch immer nicht überzeugt davon war, dass er dem Alb vertrauen könne, wenn er mit ihnen einen Handel einging. Er fürchtete die schwarzen Pfeile der Alben, die zahlreich waren in dem Gebiet, in das sie gelangen wollten. Eine falsche Geste des Alben, und sie wären gespickt wie die armen Gestalten, die sie auf dem Weg von der Gruft zu diesem Ort gesehen hatten. Kein erstrebenswerter Zustand, wir Alvanon fand.