Jamal al’Quadin verfolgte die Worte der Anwesenden mit großer Aufmerksamkeit. In seinen Augen konnte man sehen, dass er über das Gesagte in jedem Moment nachdachte und nicht zu leichtfertig mit seinen Gästen umging. War dies die Furcht vor einem Verrat oder vielleicht doch sein Wesen, welches ihn schließlich zum Anführer der Phönixfedern gemacht hatte. Man sagte ihm nach, weniger impulsiv als sein Vorgänger zu handeln und keine voreiligen Entscheidungen zu treffen. Das Gesicht des Mannes zeigte ein leichtes Lächeln, als er sagte: “Ich bin erfreut, dass ich unter den für diese Mission auserwählten Personen so viel Bereitschaft und Aufopferungswillen erkennen kann. Zweifelsohne habt ihr – ohne die Mission zu kennen – bereits die Tragweite von dieser erkannt, wenn ich hören darf, dass zum Teil bereits das Erbe geregelt wurde.“ Er lächelte den Inquisitor der Gruppe an, wurde danach jedoch schlagartig ernst. “Aber ich habe schon oftmals sagen müssen: Tot nützt ihr uns wenig, weshalb ich Euch bitten möchte, dass Ihr auf Eure Gesundheit achtet und nicht sofort bis zum Ende kämpft. Ich weiß, dass ich das nicht allen von Euch sagen muss, aber ich weiß auch, dass vielleicht der eine oder andere eine Erinnerung daran gebrauchen könnte. Ich fordere nicht Euren Tod, und ich wäre glücklich, wenn nicht Manhel sondern der Stamm der Phönixfedern Eure Seelen wieder begrüßen darf. Aber ich weise Euch darauf hin, dass der Auftrag dennoch ein Leben fordern kann. Noch könnt Ihr aussteigen, wenn Ihr es wünscht. Aber dann bitte ich Euch darum, jetzt zu gehen.“ Er schwieg und ließ somit denen die Möglichkeit, die den Mut angesichts dieser Perspektive verließ, sein Zelt zu verlassen und in ihr normales Leben zurückzukehren.
Nach einem Augenblick des Schweigens fuhr er fort: “Euren Reaktionen entnehme ich, dass zumindest keine Ablehnung vorherrscht, auch wenn ich auf eine klarere Meinung gehofft hätte. Dass letztlich sogar ich die Entscheidung vornehmen soll, finde ich höchst seltsam, immerhin ist es ein Begleiter, der an Eurer Seite reisen soll. Jemand, der Euch im Zweifelsfall den Rücken decken wird. Allerdings höre ich doch eine positive Grundstimmung heraus, und da niemand wirklich gegen seine Anwesenheit bei diesem Auftrag gestimmt hat, werde ich ihn hineinbitten. Khassindra, Liebes, geh und bitte Mustafa hinein.“
Nach wenigen Momenten befand sich auch Mustafa im Zelt unter den übrigen Anwesenden. Er verneigte sich mit vor der Brust gekreuzten Armen vor Jamal und wurde sogleich vom Häuptling der Phönixfedern begrüßt. “Mustafa al’Jaali, alter Grabräuber und Schwerenöter, es erfüllt mein Herz mit Freude, dich wieder hier zu sehen. Wie ich hörte, hast du vor kurzem eine Krypta voller Knochen von Dagur-Priestern entdeckt? Hätten wir mehr Zeit, würde ich dich um Erzählungen bitten, doch heute ist nicht der Tag für Gespräche dieser Art.“
Der Angesprochene hob den Kopf und ein verschmitztes Lächeln ging über seine Lippen. “Mein Häuptling, auch ich freue mich, wieder zwischen den Zelten meiner Heimat zu sein. Mir kam zu Ohren, dass ein Auftrag von großer Wichtigkeit auf mich Warten würde, ohne dass er es wüsste.“
“So ist es. Doch zunächst steht noch eine Frage aus. Geschätzter Badawi Nasad, Ihr fragtet nach diesem Ritual. Dass das Opfer nicht leiden musste, kann ich nicht versprechen. Ich kann jedoch mit Sicherheit sagen, dass er das Opfer jeglichen Schmerz verdient hatte, den es erdulden musste. Es war ein feiger Attentäter, welcher vergiftetes Korn unter Futter unserer Herden mischen wollte. Er gefährdete den Bestand unseres Stammes und war deswegen des Todes. Nicht zuletzt war er ein Vecorianer und somit ein geeigneter Bestandteil des Rituals. Das Ritual selbst dient dazu, dieses Zelt abzusichern. Sicherlich habt ihr die Priester bemerkt, die mit ihrem Gesang den Rauch der Verhüllung beschwören und dieses Zelt somit vor magischen Augen sichert. Dieses Ritual sichert das Zelt hingegen vor magischen Ohren ab. Wir sind hier also sicher vor allem, was diese Mission gefährden könnte.“
Der Stammesführer erhob sich aus seinem Stuhl und blickte kurz zu den beiden anwesenden Inquisitoren hinüber, betrachtete einen kurzen Moment das Herz und es stahl sich ein Lächeln auf die Lippen Jamals. Er schien nicht traurig darüber zu sein, dass der Vecorianer aus dem Leben geschieden war. “Ich denke, dass es nun an der Zeit ist, den Auftrag kundzutun. Behandelt alles, was Ihr nun hört, mit größter Vertraulichkeit und sprecht zu niemandem darüber! Dies ist von größter Wichtigkeit.“ Er schaute zu einem der beiden Inquisitoren und sprach: “Sal’fain, berichtet den Herrschaften von dem, was geschehen ist.“
Der angesprochene Inquisitor entfernte sich von dem aufgebahrten Toten und verneigte sich vor seinem Oberhaupt. Er wandte sich den Gästen des Häuptlings zu und begann leise zu reden. Die Stimme wirkte wie das Säuseln im Wind. Leise, aber raumausfüllend. “Verehrte Auserwählte, mein Name ist Sal’fain und es ist meine Aufgabe, Euch von den Dingen berichten, die unsere offenen Ohren in den letzten Wochen erfahren haben. Mit Sicherheit habt Ihr bemerkt, dass Vecors Fratze kraftvoller auf uns herabschien. Wir hatten weniger Wasser zur Verfügung und das Gras wurde schneller braun und trocken. Doch wie wir erst erfahren haben, ist dies erst der Anfang der ganzen Sache. In der Stadt Vecors Stolz scheint jemand ein Ritual vollführt zu haben, welches Vecors Kraft stärkt. Wir sind uns da sehr sicher, da wir vor Ort einen Mann haben, der gut informiert ist. Er gehört im Geheimen dem Orden des Giordan an. Dazu werdet ihr später mehr erfahren. Er ließ uns die Nachricht zukommen, dass ein zweites Ritual vorbereitet werden soll. Es soll noch mächtiger als das erste Ritual sein. Es muss unbedingt verhindert werden!“ Der Inquisitor hatte die Arme zur Zeltdecke erhoben und wirkte in diesem Moment wir ein Untergangsprediger. Dennoch war seine Botschaft klar. Die letzten Tage waren in der Tat heißer als sonst, und wenn die Temperatur weiterhin steigen sollte, wäre es bald schwierig, an den Oasen genügen Wasser und Nahrung zu bekommen, um zu überleben. Als der verhüllte Mann schwieg, wurde erst deutlich, wie still es um das Zelt her war. Keine Stimmen von außerhalb, auch nicht der Gesang der Priester. Weder das Gemecker von Ziegen noch der Wind drang in das Zelt hinein. Der Zauber des Rituals verhinderte scheinbar auch, dass etwas von draußen in das Zelt hinein gelang. Man konnte das Gefühl bekommen, von der Außenwelt abgeschnitten und in einer Blase der Zeit gefangen zu sein, einzig das Eintreten von Mustafa war Beweis, dass noch eine Verbindung zur Welt bestand.
Jamal hatte diese Informationen wohl schon dutzende Male gehört, denn er wirkte gelangweilt und abwesend, als der Inquisitor sprach, war geistig aber wieder da, als jener endete. “Habt Dank für diese kurze Zusammenfassung, Sal’fain. Nun, der Auftrag, um den es hier geht, ist eng mit den Ritualen verbunden. Um es kurz zu machen: Ihr werdet in die Stadt reisen und dort die Durchführung des zweiten Rituals verhindern. Dies muss um jeden Preis geschehen, denn es würde viele Menschenleben kosten und den Vecorianern die endgültige Herrschaft in diesem Teil der Wüste zusichern, wenn sie darüber entscheiden können, wer Zugang zu ausreichend Wasser hat und wer nicht. Ein Scheitern wäre fatal für uns alle, es könnte das Ende der Phönixfedern bedeuten. Wir wissen dazu, dass der Schädel eines goldenen Drachen in die Stadt gebracht wurde. Er soll wohl als Fokus dienen, vielleicht ist das ein Anhaltspunkt. Mehr wird Euch allerdings unser Informant in der Stadt sagen können. Ihr findet ihn im Marktdistrikt, er betreibt dort das Gasthaus „Zum Sonnenuntergang.“ Man merkte Jamal an, wie sehr ihm der Name missfiel. “Die Vorbereitungen für das Ritual sollen in vollem Gange sein. Euch bleiben für diesen Auftrag noch 23 Tage, dann wird das Ritual ausgeführt und es wird sehr schwer sein, die Wirkung umzukehren. Reist zu ihm, dort werdet ihr Informationen erfahren, die Euch weiterhelfen. Und reist vorsichtig und tragt eure Gesinnung nicht zu offen, wenn ich das noch anfügen darf.“
Er machte eine kurze Pause, um das Gehörte verdauen zu können. Erneut drang die Stille in das spärlich erleuchtete Zelt und man konnte seinem eigenen Herzschlag lauschen. So wirkte Jamals Stimme auch umso lauter, als er wieder sprach. “Und einen zweiten Auftrag sollt ihr noch erledigen, wenn die Zeit dafür bleibt. Ihr habt vielleicht mitbekommen, dass die Reihen unserer Priester um einen geschrumpft sind. Dieser eine, der auf den Namen Ali al’Sofi hört, wurde zuletzt in der Stadt Vecors Stolz gesichtet. Man sagt sich, dass er übergelaufen ist und die Vecorianer mit Informationen versorgt. Ich will seinen Tod, und ihr werdet reich belohnt, wenn ihr ihm am Tag des Blutmonds in 9 Tagen das Leben nehmt, auf dass seine Seele diese Welt für immer verlassen wird. Wenn ihr es schafft, dass er aus dem Leben scheidet, werdet ihr pro Kopf 1000 Goldmünzen erhalten. Wenn ihr seine Leiche nach Abschluss eures anderen Auftrags entweder an die äußere Stadtmauer oder den höchsten Turm der Stadt hängt, erwartet euch ein Bad in Edelsteinen.“ In den Augen Jamals loderte der Hass auf Verräter. Auf solche, die seinen Stamm in Gefahr brachten. “Gibt es Fragen? Oder ist euer Auftrag klar?“