Autor Thema: Ein langer Sonnenuntergang  (Gelesen 39988 mal)

Beschreibung: IC-Thread - Kapitel 2

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Menthir

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Ein langer Sonnenuntergang
« am: 20.06.2012, 00:32:25 »


10. Jantus 1214 - Ein langer Sonnenuntergang - 17:05 Uhr

Dämmerlicht fiel durch die kahlen Äste abseits des schnurgeraden Weges und tauchte die ganze Szenerie in ein orangenes Zwielicht, welches diesen kahlen, kalten und verwaist wirkenden Wald nicht gerade pittoresk aussehen ließ. Der Alb hatte im leichten Schneetreiben und allgegenwärtigen Schneematsch nur ein bescheidenes Marschtempo und hatte aufgrund seiner Gefangenschaft jede Menge Energie gelassen, doch gleichzeitig war klar, dass der Alb zu stolz war, auch nur ein Wort über seine Mühe zu verlieren. Die Untoten hatten jedoch noch Erinnerungen an das Gefühl körperlicher Erschöpfung, einen dumpfen Nachklang der Gefühle des Frierens und der brennenden Muskeln. Dort, wo der Schneematsch unter dem Schnee knietiefe Pfützen oder verdeckte, knorrige Baumwurzeln von alten und eisenharten Eichen und Hainbuchen[1] verbarg, hatten auch die Untoten mit ihrem Halt zu kämpfen. Der Alb, der sich ansonsten blindlings durch den umbarmherzig verzweigten Wald bewegte, hatte kaum Gefühl in seinen frierenden Füßen und schloss sich dem Stolpern an. Sodass selbst die Untoten sich unbeholfen durch den Wald kriechen sahen. Es war noch ein langer Weg, wirklich vertraut mit diesem neuen Unleben zu sein. Das Leben und ihr Inbegriff, die Natur, verdeutlichte mit hölzerner Tücke ihren Anspruch. Zumindest würde ein Elb es so ausdrücken, wie Alvanon dies vor Nicos bereits getan hatte und dem Alben, auch wenn der sich in Ignoranz üben wollte, sicher einfach nur die Worte aus dem Mund genommen hatte.

Der Schnee wurde zunehmend weniger auf dem Boden und wich einem verwaschenen, mit Laub übersäten Humus, der sich an vielen Stellen als aufgequollener und knietiefer Matsch entpuppte, sodass die untoten Könige mehrmals den aufgrund seiner Rüstung sehr schweren Clavius aus dem Morast helfen mussten. Trotz seiner Müdigkeit gelang es dem Alben jedoch aufmerksam zu bleiben und immerhin den halb unter Schneematsch verdeckten oder uneinsehbaren, kleinen Kesselmooren[2], die oftmals nicht größer als ein Teich waren, auszuweichen. Die gestürzten Könige konnten sich lebhaft vorstellen, wie die mitten durch den Wald fliehende Tutari unversehens in eines dieser unscheinbare Moore trat und vielleicht nun eine Ewigkeit festgesetzt in der Natur verbrachte. Das wäre eine besondere Ironie des Schicksal und träfe sicherlich des Alben Bezeichnung der Todlosigkeit, welche eine Strafe wurde. Die Barriere schien den Wald darunter ein wenig zu wärmen und die Schmelze des Schnees zu beschleunigen, da die Wanderer hier und da auch kleine Bäche sahen, welche zu Sturzbächen wurden und eine Au, welche schon ein ganzes Stück über die Ufer getreten war. Auch ein Sturz in die schnell fließende Au mochte für einen Untoten unglücklich sein, da keiner so recht wusste, wo sie hinfließen mochte, sodass sowohl der Alb als auch die untoten Monarchen sich von den Ufern von Bächen und Auen fernhielten, so es sich bewerkstelligen ließ.

Sie waren vielleicht fünf Stunden gewandert, da öffnete sich der Wald ein wenig und gab einen matschigen Trampelpfad frei. Die Hainbuchen wirkten hier besonders karg und steinern, ihre Rinden waren grau gefärbt, als sein sie schon lange petrifiziert gewesen. Môr, der nun nicht mehr silberhaarige Alb, deutete den Weg entlang auf eine schmucklose Hütte, die im Schutze einiger Bäume lag, auf die das Licht der untergehenden Sonne fiel. "Das ist mein Haus. Mag es euch eine wohlige Residenz sein, während ich den Weiler auf euch vorbereite." Seine Stimme war etwas gepresst und zeugte von der enormen Anstrengung, die ihm der Marsch bereitete. Unter besseren Umständen und mit ausreichender Kenntnis der Umgebung, mochte man die Entfernung zwischen dem improvisierten Weiler der Söldner und diesem Haus in weniger als drei Stunden zurücklegen. Das Gras zeigte sich hier vom Laub befreit, vielleicht trugen die Bäume an diesem Haus schon seit Jahren kein Blatt mehr und waren so tot, wie sie aussahen. Der Alb geleitete sie zwischen den steinernen Hainbuchen entlang, wobei man ohne den störenden Schnee die kräftigen Wurzeln leicht übersteigen konnte und hielt auf das Haus zu.

Es war von ähnlicher Bauart, wie auch die Häuser der Söldner und ließ Zweifel an dem Gedanken gären, dass Menschen diese Häuser gebaut hatten. Doch sollten die Alben solche profanen und simplen Bauten bauen, wie Menschen es auch taten? Schwärmte man nicht von den pompösen Palästen der Elben in der Nähe von Wasserfällen, in und an großen Bäumen oder sonstwie von der Natur inszeniert? Pflegten die Alben diese Tradition nicht mehr? Irgendwo in der Ferne zwischen den Bäumen, vielleicht vierhundert Meter entfernt, tauchten noch mehr dieser einfachen Holzhäuser auf, die weder Schmuck noch Verzierungen kannten und einstmals sicher besser in Schuss gewesen waren. Der improvisierte Weiler mochte vielleicht eine albische Kleinsiedlung gewesen sein, welche die Söldner im Aufbau überfielen oder sie war eine Wüstung, eine brache Sieldung, welche die Söldner einfach einnahmen. Wer wusste das schon? Die Alben waren berühmt für ihr Leben in den Schatten, vielleicht waren diese unscheinbaren, aus der Entfernung nur schwer im tiefen Wald ausmachbaren Hütten absichtlich ihre Behausungen. Mephala und Alvanon kannten jedoch auch die Geschichten, dass manche Familien der Brudermörder im Namen Imbrâsîls[3] schworen, auf jeden Luxus und jede unnötige Kunst - das Zeichen höchster Dekadenz - zu verzichten, solange sie die Unsterblichkeit nicht wiedererlangt hatten.

Môr Tahâs öffnete die Tür und ließ die untoten Könige eintreten in ein mehr als einfaches Haus. Eine Feuerstelle in der Mitte des Hauses, auf Stein gebettet, glühte um mehr Feuerholz bettelnd vor sich hin, während ein noch junger Alb mit einem Zweig und kleinen Scheiten versuchte, wieder das Feuer zu schüren. Der Junge hatte pechschwarzes Haar und bernsteinfarbene Augen und war gesichtlich dem ehemaligen Hüter vergleichbar, wahrscheinlich war der Junge, der vielleicht mit einem sechsjährigen Menschenkind zu vergleichen war, der Sohn des Alben, der sie begleitete. Erschreckt blickte er auf und zog sich, ohne ein Wort zu sagen, auf sein Bett zurück und blickte die eintretenden Wesen mit großen Augen an. Môr Tahâs blickte den Jungen gleichgültig an, während dieser seinen Vater musterte, als würde er einen fremden Mann sehen, ohne die silbernen Haare und die Tätowierungen. Der Sohn bewegte die Lippen, aber keine Worte kamen hervor.
Ein einfacher, schmuckloser, rechteckiger Tisch stand an einer Wand und drei Stühle gaben Platz zum Sitzen, wobei auf einem Stuhl eine dicke Schicht Staub lag und lange nicht benutzt wurde. Zwei Betten waren an den Längsseiten nahe der Feuerstelle, um nicht in der Nacht zu frieren. Auf der Westseite des Hauses standen mehrere Lagertruhen, die abgeschlossen waren und wahrscheinlich Kleidung und Proviant bereithielten. Der Hüter schien ein sehr armes Leben zu führen, auch wenn er Drachenschuppen an den Beinen trug. "Macht es euch bequem. Ich bin in zwanzig Minuten wieder da. Dann komme ich mit Fragen und werde auf eure Fragen nochmal ausführlich eingehen, Nicos. Doch lasst euch für die Zeit gesagt sein, dass ich es euch von Herzen gönne, dass eure Macht erloschen scheint."
Der Alb lächelte schnippisch und machte eine Handbewegung um seinen kleinen Sohn an seine Seite zu holen, der prompt parierte und seinem Vater hinterhertrottete. Der Alb schloss die Tür hinter sich und ließ die Monarchen alleine, in dieser kargen, fast schon schäbigen Hütte, während die kleinen Holzscheite endlich das Feuer annahmen und den Raum in den orangen Schein des Feuers tauchten, fast wie die Barriere außerhalb des Hauses. Aus dem einzigen Fenster, den das Haus hatte, konnten sie dem Alben und seinem Sohn hinterherblicken, wie sie in Seelenruhe auf die anderen Hütten zusteuerten und sich dabei unterhielten. Der Sohn hatte scheinbar Fragen. Môr Tahâs blickte sich nicht um, wahrscheinlich ging er nicht davon aus, dass die Monarchen auf die Flucht gehen würden. Und so standen sie nun, fünf untote Monarchen um ein kleines Feuer mitten in einer Hütte inmitten eines Waldes, den sie nicht wirklich kannten, in einer Situation, die kaum zu durchblicken war. Der Patron der Unwissenheit - Menthir[4] - schüttelte sich bestimmt vor Wonne...
 1. Hainbuche
 2. Kettle Hole Bog
 3. Imbrâsîl
 4. Menthir
« Letzte Änderung: 14.08.2012, 19:09:00 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Mauron

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Ein langer Sonnenuntergang
« Antwort #1 am: 26.06.2012, 02:14:32 »
Etwas missmutig stolperte Mauron den anderen nach und verfluchte innerlich die zahlreichen Wurzeln, die seinen Marsch immer wieder behinderten, während er in Gedanken versuchte die Kausalkette dieses Ereignisses zu erschließen.
Da war dieser Alb, der von den Söldnern gefangen genommen wurde. Seine Alben Freunde hatten versucht ihn zu retten und dabei den Zwerg getötet – eine Tatsache über die ihr großer Anführer zunächst wenig erfreut war. Nachdem die Söldner mit der Ausrüstung des Zwerges abgezogen waren, betrachteten sie den Alben zunächst als ihren Gefangenen. Danach hatten sie seine Fesseln gelöst und er hatte sie mit seiner Magie  in diesem Wald eingesperrt.

Wieder einmal spielten ihm seine Augen einen Streich und anstatt festen Boden vorzufinden, erwartete eine mit Schneematsch gefüllte Vertiefung seinen Fuß. Nach dieser Reise würde er wohl seine Stiefel austauschen müssen. In dem Bestreben dem ganzen einen positiven Gedanken abzugewinnen, malte sich Mauron aus, wie diese Reise wohl gewesen wäre, wenn er nicht diesen rastlosen untoten Körper hätte, sondern seinen normalen, ermüdenden Menschenkörper. Noch allzu deutlich konnte er die Erinnerungen an seinen alten Körper spüren, die Erschöpfung, die beißende Kälte. Auf seinen vielen Reisen hatte er Erzählungen von Leuten vernommen, die Gliedmaßen verloren hatten. Sie erzählten, wie sie dennoch Schmerz spüren konnten, auch wenn das entsprechende Glied  nicht mehr da war. Für die Art von Gefühl, die Mauron nun von seinem Körper spürte, war dies eine wahrlich passende Umschreibung.

Nachdem er wieder eine zeitlang einfach still den anderen nachgetrottet war, kehrten seine Gedanken wieder zu der in ihm aufkeimenden Frage zurück.
Weshalb genau stolperten sie nun durch diesen tückischen Wald, auf dem Weg zu den Alben?
Weil dies angeblich die einzige Möglichkeit war, aus diesem Wald zu gelangen?
Weil die anderen – zumindest Nicos so schien es – die Alben als Verbündete auf ihrer Queste zu gewinnen verhofften?
Was gab es sonst noch für Gründe, die er nicht erblicken konnte?

...

Zusammen mit den anderen trat Mauron in die spärlich ausgestattete Hütte ein. Er war ein wenig enttäuscht von der kargen Einrichtung, hatte er doch prunkvolle, kunstvoll verzierte Werke erwartet. Die Aussicht auf zahlreiche Kunstwerke der Alben war einer der wenigen Gründe, die ihn davon abgehalten hatten, bereits auf ihrer Wanderschaft den anderen missmutig auf die Nerven zu fallen. In seinen Erwartungen enttäuscht, gewann der Missmut über ihre Situation Überhand.
„Und jetzt sitzen wir hier in dieser Hütte, mitten im tiefsten Albengebiet und unser ehemaliger Gefangener lässt uns allein. Bin ich der einzige, dem das merkwürdig erscheinen mag?“

Nachdem er seine Gefährten eingehend gemustert hatte, wandte er sich mit bedachten, höflichen Worten an sie.
 „Auch auf die Gefahr hin, eine erneute Diskussion auszulösen, muss ich dennoch wagen zu fragen, haltet ihr unser momentanes Vorgehen für weise? Mir schien es, der Alb empfinde einen abgrundtiefen Hass mehr unserer Person wegen, denn unseres Handelns und ich wage stark zu bezweifeln, dass sich dieser so schnell gelegt hat, nur weil wir ihn von seinen Fesseln befreit und ein paar wenige Worte gewechselt haben.
Was hindert ihn daran, uns nun mit Verstärkung zu umzingeln und ein für alle Mal zu vernichten? Was gedenkt ihr mit eurem Handeln zu erreichen? Zu welchem Vorteil soll uns dieses gereichen?“


Fragend blickte er in die Runde, sowohl um Erklärung als auch Unterstützung heischend.
« Letzte Änderung: 26.06.2012, 07:36:25 von Mauron »

Robin Brighthide

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Ein langer Sonnenuntergang
« Antwort #2 am: 26.06.2012, 20:39:19 »
Clavius hatte sich, seit der Alb erwacht war, aus dem Gespräch zurückgehalten. Das hatte mehrere Gründe. Zum einen war er noch nicht gewohnt, mit seinen- wenn auch nur ehemals - königlichen Gefährten so zu sprechen, dass er sie tatsächlich dazu bringen konnte, ihm zu folgen. Zu seinen Lebzeiten hatte er kein allzu großer Redner sein müssen - die Leute waren ihm gefolgt, weil er der König war, und weil er seine Macht einzusetzen wusste. Doch gegenüber den anderen untoten Majestäten war er genau das, was er selbst angesprochen hatte: Einer unter Gleichen. In manchen Dingen Erster unter Gleichen, aber eben nicht grundsätzlich.

Zum anderen wusste er zu wenig über Alben, um ihren Gefangenen - der den Spieß alsbald umzudrehen wusste - richtig einzuschätzen. Die anderen bewiesen zwar, dass sie es auch nicht besser wussten - nicht einmal Alvanon -, doch zumindest würde dieser Fehler nicht ihm zugerechnet werden. Nach all dem, was er in den Gesprächen bisher herausgehört hatte, sollte er mit weiteren, für die Gruppe schädlichen Fehlern eher zurückhaltend sein.

Doch das war noch nicht alles. Während er da stand und beobachtete, kehrten weitere Erinnerungen zurück. Er sah das Gesicht seiner Frau, wie sie nachts neben ihm eingeschlafen war... als er noch nicht wusste, was für eine verräterische Schlampe sie war. Er erinnerte sich an Besprechungen mit seinen Beratern, mit Generälen, mit fremden Herrschern... es war alles noch vage, doch es kehrte allmählich, ganz allmählich, zu ihm zurück. Und heute konnte er die Dinge aus einer neuen Perspektive betrachten: Er wusste, dass er damals zumindest teilweise falsch gehandelt hatte. Und so musste er die Dinge, an die er sich erinnerte, nicht nur einordnen, sondern auch neu bewerten.

Dazu kam noch, dass ihn sein "neuer" Körper beschäftigte. Ja, seine Hülle war stark, stärker als früher. Doch als sie den langen, beschwerlichen Weg hinter sich brachten, vermisste er das Brennen der Muskeln, die erfüllende Erschöpfung körperlicher Anstrengung. Sein Körper war nun kaum noch mehr als eine Maschine, ein Vehikel für seinen Geist. Es dämpfte seine Leidenschaft als Krieger, und nahm ihm damit einen Teil seines innersten Wesens. Er war nicht nur enttäuscht - er fühlte sich sogar ein wenig leer an.

Als Mauron in der Hütte seine Bedenken äußerte, musste er eingestehen, dass er den Mann sogar bis zu einem gewissen Grad verstehen konnte. "Mir passt das hier auch nicht", erklärte er. "Aber wenn der Alb unseren Tod gewollt hätte, dann wären wir wohl bereits tot. Er hat eine andere Absicht, und wenn er dafür so mächtige Magie geopfert hat, muss es um mehr gehen als das, was er zu sagen bereit ist. Und er hat alles daran gesetzt, uns gedanklich in eine ganz bestimmte Richtung zu bringen. Ich würde gerne die Hintergründe seines Handelns verstehen, denn einen möglichen Feind zu kennen, kann nur nützlich sein. Und vielleicht finden wir durch diesen... Brunnen... ja tatsächlich noch andere Dinge heraus, die für uns wichtig sind."

Er sah sich in der Runde um. "Aber in einem Punkt hatte der Alb auf jeden Fall Recht: Ob das Reich nur durch den Tod des jetzigen Königs zu retten ist, oder ob dies auch nur der beste Weg ist, ist keinesfalls sicher. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob der Sonnengott unsere Existenz nach Erfüllung des Auftrags noch weiter dulden würde. Aber ich denke auch, dass dies keine Themen sind, die wir hier in aller Tiefe erörtern sollten."

Nachdenklich ließ er seinen Blick über seine Gefährten schweifen. Nicos, der Intrigenspinner. Er würde ihn brauchen, um dieses verworrene Netz zu verstehen. Doch er würde auch jemanden brauchen, der ihm helfen konnte, Nicos zu verstehen, denn trauen würde er dem Nekromanten nicht so ohne weiteres. Intuitiv dachte er an Mephala, ohne dass er genau begründen konnte, weshalb.

Und noch eine weitere Frage beschäftigte ihn. Was wollte er eigentlich? Er handelte, so gut er konnte, wie ein Anführer. So weit die anderen es zu ließen. Doch war es überhaupt, was er wollte? Schon jetzt fühlte er sich überfordert, verstand nicht, welche Intrigen im Hintergrund gesponnen werden mochten, ob von Menschen, Alben oder Göttern. Wollte er die Last der Anführerschaft wirklich, oder handelte er nur so, weil er es immer so getan hatte, weil er es gewohnt war?

Er würde noch Zeit brauchen, nicht nur, um diese Welt zu verstehen, sondern auch, um sich selbst neu zu verstehen...

Alvanon

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Ein langer Sonnenuntergang
« Antwort #3 am: 27.06.2012, 01:20:05 »
Der Weg durch den Wald war kein schöner für den Elben. Stets fürchtete er einen Hinterhalt von Alben, obgleich er doch wusste, dass niemand sie angreifen würde. Vielleicht war all dies auch nur ein perfides Spiel? Das Spiel mit der Angst der Gefangenenwärter. Und Alvanon musste zugeben, dass dieses Spiel seine Wirkung nicht verfehlte, obgleich er sich doch in Sicherheit wähnen konnte. Die Dunkelheit, die ihn umgab, und die Schattenspiele in den Bäumen unterstützten seine Furcht noch. Wäre er nicht untot und somit schwerer aus dem Leben zu bringen, würde er wohl vor Angst zittern und den Verstand verlieren. Der Wald selbst unterstützte den Eindruck, denn er wirkte ausgemergelt und tot, so wie die Überreste eines Verhungerten, die langsam aber sicher dem Zahn der Zeit zum Opfer wurden. Dennoch, es schien als wäre der Wald lebendiger, als zuvor. Denn er war bevölkert von bösen Wesen wie den Alben, und dazu schien er beseelt von einem Geist, der sie in diesem Moment für das törichte Handeln auslachte.

Alvanon konnte ihn verstehen, als er die Hütte des Alben betrat und somit endgültig die Kontrolle über ihren Gefangenen verlor. Wann genau war eigentlich der Moment, in dem er nicht mehr ihr Gefangener war und seine Worte wie Gift ihren Verstand beeinflussten? Er konnte nicht einmal sagen, ob es schädlich für sie oder nur für ihre Umgebung war. Der Alb wollte etwas von ihnen, soviel war sicher, denn sonst hätte er sie nicht in dem Wald gefangen genommen. Brauchte er sie? Oder spielte er wirklich nur mit ihnen ein böses Spiel, um sie mit verwirrten Geistern in die Welt zu entlassen?

Das Kind des Alben versetzte Alvanon einen geistigen Schlag. Natürlich wusste er, dass auch Alben irgendwann einmal jung waren und sich vermehren mussten, aber es war ein verbreitetes Vorurteil, welches sich in den Elbenreichen hielt: Alben waren stets voll alter Bosheit erfüllt, denn die Zeit selbst hat sie mit Verderbtheit erfüllt. War es wirklich so? Konnte man das Kind vielleicht noch retten? “Ist es richtig, Kinder zu töten? Können Kinder von Bosheit erfüllt sein? Die Schulen der Elben waren sich nicht sicher, es gab zwei unterschiedliche Ansichten bei ihnen. Die einen sprachen davon, dass der Charakter der Menschen bereits vor der Geburt bestimmt war, die anderen maßen dem Einfluss von außerhalb eine große Bedeutung zu, wenn es um die Entwicklung eines Wesens ging. Bislang konnten sie sich nicht einigen, vielleicht lag die Wahrheit irgendwo dazwischen, und in diesem Fall konnte ihm kein Philosoph helfen. Doch als er in Gedanken bereits zu seiner Waffe gegriffen hatte, war der Alb mit seinem Kind bereits zur Türe hinaus verschwunden und Alvanon bemerkte voller Schreck, was seine feingliedrigen Finger dort berührten. Er ließ die Waffe los und lauschte den gesprochenen Worten.

Er antwortete Mauron mit einem Kopfschütteln und den Worten: “Nein, weise ist unser Vorgehen nicht. Und ich bin überzeugt, dass wir ihn einfach hätten ignorieren sollen, obwohl ich vorher dachte, dass er uns helfen könnte. Allerdings konnten wir die aktuellen Entwicklungen nicht vorhersehen.
Töten wird er uns freilich nicht, dazu hatte er genug Gelegenheit, und auch wenn wir die Kontrolle irgendwie verloren haben – wie auch immer, darauf sollten wir frühestens eingehen, wenn wir hier raus sind – er wird uns nicht töten. Er braucht uns. Er will etwas von uns. Nicht unseren Tod, dazu sind wir ihm zu sehr amüsantes Bühnenprogramm. Ihr habt ja gehört, wie angetan er von der, wie sagte er… göttlichen Komödie ist.“

Er stellte sich in dramatischer Geste hin und sprach zu einem imaginären Gegenüber: “Oh Vater, dass du dich nicht grämest, diese Untoten, die dein Reich sprengten, entstammten der Hand deiner Familie, Unglücklicher!“ Er wirkte wieder ernst: “So oder ähnlich war es doch? Aber es nicht nur sein Vergnügen. Was genau er will? Ich weiß es nicht. Aber wir sollten es herausfinden.“

Er wandte sich zu Clavius und neigte kurz den Blick: “Ein berechtigter Einwand. Was würde Vecor tun, wenn wir seinen Einfluss minderten? Ich denke, dass er uns eventuell jagen lassen wird, aber andererseits decken wir nur die Schwächen in seinen eigenen Reihen auf. Wir schneiden ein schwaches Geschwür raus, ehe es zu wuchern beginnt und sich verbreitet und schließlich zum sprichwörtlichen Untergang der Sonne führt. Und selbst wenn er uns dafür hasst, was will er tun? Seine Priesterschaft ist zerstritten, wie man an uns erkennen kann. Wir werden vielleicht gejagt, aber wenn wir die niederträchtigen Alben überstehen, wird ein jämmerliches Häuflein Menschen – nichts für ungut, meine Lieben – uns doch nichts mehr anhaben können, solange wir vorsichtig sind.“

Er begann zu lächeln. “Wir haben die Kontrolle über das Geschehen verloren, das ist wahr. Ich bin damit nicht einverstanden, denn ich liebe es, die Fäden in meiner Hand zu haben. Ich bin zwar ein Schauspieler, aber ich bestimme meine Rolle und nicht andersherum. Ich sage, dass wir uns die Kontrolle sobald es geht zurückholen und nicht mehr nach der Pfeife unseres Gefangenen tanzen.“Spott klang mit in seiner Stimme, als er den letzten Satz sprach. Denn es war auch einfach zu lächerlich, dass sich eine Überzahl von einem einzelnen an die Kandare nehmen ließen, obwohl er von seiner Unterlegenheit wusste. “Gehen wir zu diesem Brunnen, lassen wir diesen Zauber verfliegen und verschwinden wir hier. Das wird mir alles zu albisch, und normale Leute reagieren allergisch auf diesen Zustand.“

Nebenbei ging Alvanon zur Tür der Hütte und warf einen Blick nach draußen. Er leerte seinen Geist von allen Vorurteilen und allem Wissen, welches er über Dinge hatte, um sich nicht davon ablenken zu lassen. Er wollte alles neu entdecken um die Dinge, die seltsam schienen, nicht zu übersehen. Er hatte dies lange nicht angewendet, aber in einem Albenwald war dies vielleicht angemessen, denn er fürchtete ihn voller Täuschung und Trug zu sein. Er sondierte die Gegend[1], lauschte aber weiterhin dem Gespräch und signalisierte durch gelegentliches hinsehen seine Bereitschaft, weiter daran teilzunehmen.
 1. Wahrnehmung: 14

Menthir

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Ein langer Sonnenuntergang
« Antwort #4 am: 27.06.2012, 19:53:19 »
10. Jantus 1214 - Ein langer Sonnenuntergang - 17:08 Uhr

Kaum noch etwas erinnerte an den tiefen Schnee, der sie so lange gehemmt hatte und wohl auch für Roker und seine Söldner einige Hindernisse bedeutete. Alvanon blickte durch das spärliche Ästedach und erkannte, dass es noch immer Schnee war, welcher auf die Barriere treffen musste, in der Barriere wurde er zu klarem Regen. Prüfend streckte Alvanon seine Hand durch den Türrahmen und irgendwas, seiner neuen untoten Sinne sagte ihm, dass es sich so anfühlte, als wäre es zu Lebzeiten ein warmer Regenguss gewesen. Es erklärte die äußerst schnelle Schneeschmelze. Augenscheinlich heizte diese Barriere die Fläche im Inneren auf. Des untoten Elben magischen Sinne erkannten, dass an manchen Stellen der Boden leicht dampfte, ein Nebel zog auf. Alvanon wusste instinktiv, dass es ein Nebel werden würde, welcher einem Aadvar[1] gerecht werden würde.

Deswegen konnte der Elb nur schwerlich in die Siedlung der Alben schauen, welche sich in der Entfernung andeutete. Seinen magischen Sinnen war zu verdanken, dass er den Alben im aufkommenden Nebel verschwinden sah. Weder er noch sein Sohn schauten zurück, während der Nebel in Windeseile aufzog. Hatte der Alb gelogen? Besaß er doch noch Macht über die Barriere? Warum war der Nebel nicht schon auf ihrem Marsch aufgezogen? War die Schneeschmelze und die neue Wärme überhaupt Grund des aufsteigenden Nebels, oder war es nicht andersherum bei der Entstehung von Nebel, dass abkühlende, regenfeuchte Luft, die abkühlte, Nebel schuf? Der Alb war undurchsichtig wie der Nebel im Moment, und das aufziehende Grau bestätigte das Gefühl, dass in diesem Wald etwas lauerte. Etwas, was jetzt noch unwirklich schien und kaum zu fassen war. Waren die Alben die Gefahr? Nur dieser entmachtete Hüter? Der Wald des gewaltsamen Todes hielt mehr Geheimnisse als die eines Alben.

Dunkel zeichneten sich gegen den Nebel - den auch die anderen nun aufziehen sahen - schwarze Schemen im grauen Nebel ab. Körperlich und doch durch die graue Suppe kaum zu fassen. Wie weit mochten sie entfernt sein? Keine 500 Fuß, mehr als 100 Fuß. Die Schemen waren schlank. Alvanon zählte vier, welche in gehörigem Abstand zueinanderstanden. Wenn es Alben waren, nutzten sie genau dieselbe Taktik, die sie schon am Haus der Söldner angewandt hatten. Wie eine Schlaufe legten sie sich um den Hals ihrer Feinde oder zumindest jene Hälse, denen sie misstrauten. Alvanon sah auch, dass die Schemen innehielten. Sie blieben verschwommene Schemen in der Entfernung. Wenn der elbische, ehemalige Usurpator hier schon vier Schemen sah, war es wahrscheinlich, dass sie auf der anderen Seite auch umstellt waren oder zumindest wurden. Alben war keine guten Gastgeber. Karge Häuser, viele Bögen und reines Misstrauen.  Daran, dass sie sich so schnell postiert hatten, wurde recht bald klar, dass die Alben sie schon eine Weile erwartet haben mussten. Môr Tahâs war wahrscheinlich gerade erst am Weiler angekommen...
 1. Aadvar
« Letzte Änderung: 14.08.2012, 19:09:12 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Menthir

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Ein langer Sonnenuntergang
« Antwort #5 am: 10.07.2012, 20:32:32 »
Mephala hielt sich zurück und machte sich ihre Gedanken, während sie ihr lebloses Gesicht betastete. Es war ungewöhnlich, dass man sich betasten konnte und doch nicht die Finger so spürte, wie man es gewohnt war. Als würde man etwas Fremdes mit etwas Fremden greifen. Dieses Gefühl, es war doch vergleichbar mit ihrer Situation. Sie waren Fremde in einer fremden Welt und tastete mit fremden Sinnen nach fremden Problemen. Obwohl der Alb sie augenscheinlich verachtete und ihre Hilfe, ihre Worte, die vielleicht sogar sein Leben bewahrten, ignorierte, zeigte er doch sehr deutlich, dass es so war. Aber wie sollte sie es ihren Gefährten sagen, was sie erkannt hatte? Würden sie diese Metapher verstehen? Reflektieren sie überhaupt über ihre eigenen Sinne, über die Situation oder war es tatsächlich so gekommen, wie es eigentlich nach dem Alb nie hätten kommen dürfen: ist es das Unnatürliche an ihrer Situation, dass die Todlosen nur an ihr Überleben denken? Mephala blickte zu Alvanon, wie dieser seinen Kopf aus der Tür streckte und beobachtete den aufziehenden Nebel. Wie lächerlich konnte es sein, dass Untote sich einem Überlebensdrang hingaben. Deswegen nannte sich der Untod wohl Untod, denn er war noch immer ein Nachklang des Lebens, so der Geist noch rege war. Sie dachten wie Lebende, sie handelten wie Lebende, sie litten scheinbar wie Lebende. Mephala blickte zwischen ihren Gefährten umher und musterte sie. Selbst jetzt bemühten sie sich wie Lebende zu wirken, verkleideten sich gar wie welche. Sie würden gute Gründe nennen, um sich zu verteidigen, und doch diese würden nicht davon ablenken, dass sie doch nur wie Lebende dachten und deswegen wie Lebende handelten.

Mephala stellte sich in die Nähe der Feuerstelle und schaute, ob sie die Hitze wirklich wahrnahm. Sie tat es, auch wenn das Gefühl von Gefahr nicht mehr so stark war wie ehemals. Doch irgendwas in ihrem Geist erinnerte sich, dass Feuer Schmerzen verursachte. Dabei spürte sie doch jetzt keine Schmerzen mehr. Ihre Haut würde einfach brennen. Mehr würde nicht passieren, mehr war nicht zu erwarten. Vielleicht würde ihre Magie irgendwann aufgebraucht sein oder ihr Körper so stark verbrennen, dass selbst das Materielle nicht mehr zu gebrauchen war. Wer wusste schon, welche Zustandsänderung dem Untod wirklich das Ende bereitete? Wer von ihnen konnte schon wirklich sagen, ob Morgrim wegen der vielen Treffer zusammenbrach oder weil die Götter Mitleid mit seiner Dummheit hatten. Mephala beschloss dennoch, sich nicht so sinnlos zu verbrennen, stattdessen machte sie auf sich aufmerksam.

"Der Alb hat uns alleine unter Kontrolle, weil wir wie Lebende handeln, denken und immer noch zu fühlen glauben. Er besiegt uns mit Methoden, die eigentlich nur bei den Atmenden Erfolg haben dürften. Damit lockt er uns. Mit Wünschen, die Lebende haben sollten. Er spielt mit unser Ungewissheit und unseren Bedürfnissen, die er nur durch den verrückten Priester kennt. Und wir folgen ihm auch noch. Wir geben ihm recht, obwohl wir hätten maximal so tun dürfen, um ihn zu manipulieren. Aber der Alb riecht unsere Unsicherheit wie eine Schmeißfliege den Unrat." Mephala sprach langsam, nahe am Flüstern, aber sehr betont. "Alvanon. Ihr sagt, dass er uns braucht. Ob er uns braucht, oder Vecor uns zur Rettung seines Reiches braucht, Adeodatus uns zum Untergang des Reiches braucht oder ob nur Dhureks wirrer Geist uns brauchte, was macht es? Wir benehmen uns wie Schafe, wie Getriebene, ohne überhaupt zu wissen, wohin und wozu man uns treibt. Warum lassen wir uns treiben? Was haben wir zu verlieren? Wir haben kein Leben mehr zu verlieren. Wenn wir versagen, was dräut uns mehr als wir sowieso schon erlitten haben? Und woher wissen wir, dass wir nach unserem Dienst - der uns aufgezwungen - überhaupt die Belohnung bekommen? Das kann ein Ammenmärchen sein, es kann Wahrheit sein. Was es auch ist, ich beabsichtige nicht mehr, mich treiben, bedrohen oder benutzen zu lassen. Ich bin kein Werkzeug, ich bin kein Teil einer Prophezeiung und ich bin keine Königin mehr. Immer habe ich versucht, irgendwelchen Pflichten, Konzepten, Ideen und Menschen gerecht zu werden und es hat mich in den Untergang geführt. Ich habe vergessen, mich um mich und meine Ideen, Träume und um die Magie zu kümmern. All die Zeit habe ich mich treiben lassen, in beiden Hinsichten der Redewendung. Ich werde ihnen jedoch jetzt zeigen, dass mich sowas nicht mehr kümmert. Ich bin keine Lebende. Ich werde ihnen zeigen, dass ich auch nicht mehr wie eine denke."
Mephala ging langsam vom Feuer weg, nachdem sie kurz die Hand darüber gehalten habe und setzte sich auf ein Bett.
"Ich schlage vor, dass wir ihnen zeigen, was Untod bedeutet und dann unseren eigenen Weg gehen. Entweder arbeiten wir gemeinsam auf etwas hin, oder jeder geht seinen Weg. Was haben wir zu verlieren? Wir sind Fremde in einer fremden Welt, welche den Untod hasst, in einem Reich, von dem wir kein Pardon zu erwarten haben. Gehen wir unseren eigenen Weg. Denken wir nicht mehr wie Lebende."
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Mauron

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Ein langer Sonnenuntergang
« Antwort #6 am: 01.08.2012, 13:31:06 »
So ganz mochten die Erläuterungen seiner Gefährten Mauron nicht recht überzeugen.
Hätte sie der Alb mit seiner Magie tatsächlich alle auf einmal vernichten können? Der Alb hatte sich einige schwere Verletzungen zugezogen und wer wusste schon welche Wirkung der Ring des alten Mannes auf ihn gehabt hatte, die vielleicht noch anhielt? Für Mauron war die angebliche Macht des Alben nicht ganz so deutlich, wie es für die anderen seiner Gruppe schien.
Ja, es könnte sein, dass der Alb sie – aus welchen Gründen auch immer – absichtlich nicht getötet, sondern nur eingesperrt hatte. Vielleicht waren sie für ihn wirklich nur Darsteller in einer Komödie, Teil einer Geschichte von Ironie, Trug und Verrat.
Oder aber er hatte es getan, weil seine Macht in diesem Moment eben nicht ausgereicht hätte, sie alle direkt zu vernichten. Vielleicht kostete es weniger Kraft diese Barriere zu erzeugen und sie einzuschließen, wie sie direkt zu vernichten. Wussten sie überhaupt, ob diese "Barriere" sie aufhalten würde, oder nur eine Täuschung war? Es würde erheblich weniger Kraft kosten, eine solche Illusion zu erzeugen, wie tatsächlich etwas zu bewirken. Bei allem was er über Alben wusste, wäre es nicht auszuschließen, dass dies alles Teil eines größeren Planes ist.

Alvanons Ansicht zu Vecor konnte Mauron nur zustimmen und nickte auch während seines Vortrags. Er hatte hier eine einmalige Chance erhalten, etwas zu erlangen, von dem noch keiner auch nur zu träumen gewagt hatte und daran würde ihn auch Niemand hindern – auch nicht Vecor persönlich! Sollte er doch nur kommen, er hatte sich zu Lebzeiten nicht viel um die Götter geschert und das würde sich jetzt auch nicht ändern. Selbst wenn er für sein Überleben einen Pakt mit allen finsteren Mächten dieser Welt eingehen müsste, Vecor würde ihn nicht bekommen.


Mit einem breiten Grinsen und den Schalk im Nacken konnte Mauron nicht anders und musste bei dem Gespräch über „Fäden“ , „Schauspieler“ und „Pfeife tanzen“ sofort mit einer komischen Grimasse einen Marionettenspieler imitieren, der wohl die Fäden seiner Marionetten verheddert hatte und diese nun zu befreien versuchte.
Die Darstellung dauerte aber nicht allzu lange an, denn plötzlich hielt der Entdecker des kosmischem Klangs inne. Den Kopf mit nachdenklicher Miene in der gewohnten Schieflage, überkam ihn eine weitere, wesentlich schalkhaftere Idee. Rasch holte er etwas Papier und Tinte aus seinem Rucksack und begann fieberhaft zu schreiben.
Den Stift setzte er nur ab, wenn er zu seiner Panflöte griff und einige Tonfolgen ausprobierte.

Mauron war mit seiner Arbeit fast fertig, als Mephala zu reden begann. Am Anfang hatte er sie noch überhört, zu leise die Stimmte, zu vertieft in seiner Idee. Überrascht nahm er ihre Rede zur Kenntnis. Sie hatte sich in der letzten Zeit – ähnlich ihm selbst – recht stark zurück gehalten und die anderen reden lassen. Und nun schwang sie eine große Rede darüber, kein Werkzeug mehr sein zu wollen, kein Teil einer Prophezeiung. War das noch die selbe Frau wie jene, die ihm erklären wollte, dass genau diese Prophezeiung und die damit verbundene Aufgabe ihr ganzer Sinn und ihr alleiniger Existenzgrund sei? Hatte er das mit seinen Worten bewirkt, oder lag es an ihrer Situation und dem Alb? Zumindest waren ihre Ansichten nun weniger fanatisch, das war immerhin ein guter Anfang.
„Wenn sie jetzt noch endlich etwas sinnvolles unternehmen würden, könnte ich den Tag fast als Erfolg verbuchen...“

„Nun, wie es scheint habt ihr euch in eurer Ansicht zum besseren gewandelt, wenn ich auch nicht in allen Punkten mit euch übereinstimme.“ Mauron deutete eine Verbeugung an. „So sagt denn an, wie ihr euch diesen eigenen Weg vorstellt. Wie wir ihnen zeigen sollen, was Untod bedeutet."

Alvanon

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Ein langer Sonnenuntergang
« Antwort #7 am: 03.08.2012, 00:51:12 »

Den Regen auf seiner Haut zu spüren, es war etwas, was ihn zugleich erfreute und bedrückte. Das Gefühl war zu gedämpft, als dass es eine wahre Empfindung sein konnte, vermutlich hervorgerufen durch die Magie seines Daseins als Untoter. Wahrscheinlich würde er das wahre Gefühl von echtem Regen auf seiner Haut niemals wieder spüren. Der Gedanke hatte eine Endgültigkeit, die niemanden glücklich machen konnte, der Wert darauf legte, das Leben nicht nur zu leben, sondern es auch zu empfinden und in vollen Zügen zu genießen. Nichtsdestotrotz war es für jemanden, der lange Jahre tot war ein Geschenk, dass er die Erinnerungen von den Gefühlen – denn nicht mehr schien es zu sein, was der Regen auf seiner Haut hervorrief- wieder erleben durfte.

“Es ist doch nur Regen, du törichter Narr! Willst du bei jedem neuen Gefühl gleichermaßen erstaunt sein?“ Er schüttelte den Kopf und damit auch die Gedanken ab. Er brauchte einen klaren Kopf, wenn er überleben wollte. Sentimentalitäten waren hier nicht von Vorteil sondern konnten gefährlich für seine Existenz sein. Missmutig stellte der Schauspieler fest, dass ein dichter Nebel aufzog. Kurz dachte er, dass es von Vorteil sein könnte, denn er war die perfekte Deckung, um ungesehen von einem Ort zum nächsten zu kommen. Allerdings konnten sie dem Ort nicht entkommen, und so war es wahrscheinlich, dass man sie irgendwann aufgreifen und für ihren Fluchtversuch auf irgendeine Art bestrafen würde. Abgeschlagene Körperteile, oder der Raub eines Sinns. Der Nebel war zum Vorteil der Alben, nicht der Untoten. Das war klar. Sie konnten mit den Ängsten der Könige spielen und ein wahres Schattenspiel aufführen.

Alvanon musste daran denken, wie er einst ein Schattenspiel aufgeführt hatte. Es war die Kunst, etwas verschleiert darzustellen, um dem Beobachter das Gefühl zu geben, er würde etwas völlig anderes sehen. Wenn der Darsteller mit seinen Mitteln einen Hasen aufzeigt, würde der unwissende Beobachter wirklich an den Hasen glauben. Ebenso verhielt es sich mit Gefahren, die im Nebel lauern konnten. Sie mochten untot sein, doch ihr Geist war noch immer sterblich und dachte in diesen Bahnen. Selbst wenn sie von dem Spiel wussten, konnten sie nie genau wissen, wo sie nun vorsichtig sein mussten. Ob die Alben das nutzen würden, um sie gefügig zu machen? Er konnte darauf keine Antwort geben.

Die Wachen, die um sie herum lauerten, konnten jedoch. Man sah in ihnen also schon eine Gefahr und unterschätzte sie nicht, so wie man es vielleicht von dem Verhalten ihres Gastgebers schließen konnte, der sie alleine zurückließ. Für den Moment waren die Wachen jedoch egal. Es gab zu viele offene Fragen, die beantwortet werden mussten. Und das konnte vornehmlich ihr Gastgeber, der soeben wahrscheinlich sein Kind wegbrachte.

Als er die Eindrücke in sich aufsog, hörte er, wie Mephala unter den Tönen von Maurons Instrument zu sprechen begann. Er deutete auf jeden der entdeckten Wachmänner, um ihnen zu signalisieren, dass sie sich nicht weiter verstecken brauchten, und trat einen Schritt zurück in die Hütte. Er wollte ihnen damit zeigen, dass er sich von den Wachen nicht einschüchtern ließ, und auch, dass sie keinesfalls so gut versteckt waren, wie sie vielleicht zu sein glaubten. Er wandte sich Mephala zu und antwortete: “Vielleicht habt ihr Recht, Mephala, vielleicht manipuliert er uns aufgrund unseres noch sterblich denkenden Geistes. Aber was sollen wir denn eurer Meinung nach tun? Ihr schlagt vor, dass wir uns widersetzen sollen. Und dann? Natürlich, ich habe es doch selbst gesagt, ich will mich auch nicht herumschubsen lassen, ich will die Kontrolle zurückerlangen. Doch mal ehrlich, was wisst ihr über diesen Wald? Was wisst ihr über diese Gegend und die Geschehnisse, die uns nun überkommen?“ Er machte eine tiefe Verbeugung.

“Ihr habt meine Anerkennung, wenn ihr euch durch diesen Wald schlagen wollt, gefangen in der Barriere und bald von den Alben gejagt. Ich beneide euch darum, dass ihr euren Überlebensinstinkt ablegen konntet, denn ohne ihn scheint man sehr viel entspannter zu denken.“ Er tippte sich mit dem Nagel seines rechten Zeigefingers an die Stirn, der typische Gruß des Elbenprinzen Onaron aus einem Theaterstück, und zitierte ihn sogleich: “Ihr glaubt, eine Beerdigung zu besuchen, doch in Wahrheit kommt ihr zu einer Geburt!“ Er verstellte seine Stimme dabei, kehrte währenddessen in Gedanken zurück an den Moment, in dem er es auf der Bühne aufgeführt hatte. “Seht ihr das ebenso, Mephala? Dass dieser Tod eine Geburt ist? Ich denke, dass wir das zu schätzen wissen sollten, denn ich glaube wahrlich, dass wir eine zweite Geburt erlebt haben, nur ohne das jungfräuliche Gedächtnis eines Kindes. Ihr seid vielleicht keine Lebende mehr, aber ein Wesen, welches existiert. Und vor der Vergänglichkeit solltet ihr noch immer Angst haben! Ansonsten bringt es euch nichts, dass ihr mehr oder weniger lebt! Ihr seid weder unverwundbar noch den Alben überlegen, denkt nur, was mit Morgrim geschehen ist!“ Er machte eine Pause, um durchzuatmen. Es war reine Gewohnheit, denn er stellte bald aufs Neue fest, dass es nicht notwendig für ihn war.

Er schaute kurz nach draußen, um die Entwicklung des Nebels zu verfolgen. “Wenn ihr mich fragt, warten wir, bis die Barriere verschwunden ist. Dann schlagen wir zu und rächen uns dafür, dass sie uns auf eine Weise gefangen genommen haben, die den Königen von Zhuras unwürdig ist! Lasst uns die Zeit bis dahin nutzen und so viel wie möglich an Informationen herausbekommen, die wir hinterher nutzen können, um ihnen ein wenig Ärger zu bereiten.“Er schaute dabei wieder rein und zu Mephala, in der Hoffnung auf ihrem Gesicht erkennen zu können, wie sie über den Plan, den Alben etwas vorzuspielen und ihnen am Ende wehzutun, dachte. Auch Nicos Meinung interessierte ihn, denn er war schon seit längerem untot und hielt große Stücke auf diesen Zustand. Ob er sein Dasein wohl weniger stark aufs Spiel setzte? Widerstand mochte verlockend sein, doch auch selbstmörderisch, solange die Barriere noch existierte, denn sie konnten lange nicht alle Alben auslöschen, ehe der letzte Lebensfunke der Könige erlöschen würde.

Er wandte sich Mauron zu, als dieser sprach: “Fühlt ihr euch auch so überleben, dass ihr den Alben zeigen wollt, was der Untod bedeutet? Ich denke es bedeutet vor allem Fäulnisgeruch und verfälschte Sinne sowie Bedürfnislosigkeit.“ Er seufzte schwermütig. “Verzeiht, ich vergesse immer wieder, dass es für euch Menschen nicht selbstverständlich ist, mehrere Jahrhunderte zu leben.“ Er beließ es dabei und ging nicht weiter darauf ein.

“Oder hat noch jemand das Bedürfnis, sich draußen im Neben mit den Wachposten anzulegen? Wenn wir friedlich sind, sind sie auch vorerst friedlich. Nicos, ihr hattet scheinbar einen guten Draht zu dem Alb, nutzt das doch bitte aus, sobald er wieder da ist. Ich werde wahrscheinlich nur unfreundlich.“ Er schaute wieder hinaus, der aufkommende Nebel faszinierte ihn. “Wir wurden erwartet, sie sind auf diese Situation vorbereitet. Neben der Barriere ist das ihr größter Vorteil.“

Menthir

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Ein langer Sonnenuntergang
« Antwort #8 am: 03.08.2012, 09:30:30 »
10. Jantus 1214 - Ein langer Sonnenuntergang - 17:11 Uhr

Mephala hörte den beiden untoten Königen zu, doch kein Nicken und kein Verständis war in Mephalas untoten Augen zu sehen, sie sparte sich Mimik und auch jede Form eines zustimmenden Nickens oder sonstiger Bekräftigung der Worte. Mauron hatte in einer Hinsicht Recht, Mephala hatte diese Prophezeiung als einzigen Sinn ihren neuen Existenz bezeichnet. Doch damit war der Grund gemeint und auch Mephalas jetzt erstmal dezidiert dargelegte Meinung stellte dies nicht in Frage, auch wenn Maurons selbstfokussierte Wahrnehmung ein Einknicken sehen wollte. Und auch Alvanons wehmütiges Klammern an sein altes Leben. Wie sehr zeigten sie doch, dass sie gar nicht beabsichtigten, sich auf die neue Situation einzustellen. Wie sehr zeigten sie doch, dass sie im Geist noch immer die Könige waren, die an ihrer Hybris und ihren Unfähigkeit zugrunde gingen. Sie bemühte sich dennoch um Worte, welche nicht wie Schwerter schnitten.

"Die Existenz ist ungleich dem Wort Leben, Alvanon. Ein im Boden liegendes Skelett existiert auch, ebenso wie ein geknickter Baum oder gefallenes Laub existieren. Der Widerstand ist ungleich dem Wort Konflikt oder Angriff. Ihr legt viel Interpretation in meine Worte, was nicht an eurem Geist, sondern an dieser ungewöhnlichen Situation liegen kann. Aber es ehrt mich, dass ihr mich für so törricht wie den zwergischen Statthalter erachtet. Meinethalben haltet es mit dieser Einschätzung, aber sein wir eingedenkt der Tatsache, dass Morgrim Eisenschild auch daran zugrunde gegangen ist, dass wir zu furchtvoll waren, um überhaupt zu handeln. Das erhöht seine selbstmörderische Tat nicht, aber wir haben die Situation auch nicht anderweitig genutzt. Wir hätten in den Alben oder den Söldnern Verbündete oder Diener finden können, hätten wir nur einen Funken Geist bewiesen. Stattdessen haben wir uns von Roker ausnehmen lassen und uns von einem Gefangenen gefangen nehmen lassen, ob er uns nun erwartet hat oder nicht. Er lag in unserer Hand, ehe wir in seiner lagen."

Mephala hielt dabei die Gesichtszüge und ihren Körper still, lediglich der Mund bewegte sich, weil ihre Magie nicht reichte, um wie der Gesichtslose zu sprechen. Sie blickte in die Leere des Raumes, als würde sie dort etwas sehen, auch wenn dort nichts außer die nackte Holzwand zu sehen war. "Dafür, dass die Theatralik euch viel bedeutet, werter Alvanon, nutzt ihr eure Worte sehr leichtfertig. Ihr sprecht von dem «Bedürfnis» sich mit den Alben anzulegen, obwohl ihr dem Untod Bedürfnislosigkeit zusprecht. Und ihr schlagt vor, den Alben mit Hinterhältigkeit zu begegnen. Ein Volk, welches auch ihr Brudermörder schimpft. Ich erkenne keine Weisheit in eurem Weg. Nur, dass ihr euch fürchtet, das Heft in des Handelns in die Hand zu nehmen und euch weiter wie ein Schaf durch den albischen Hirten durch den Wald treiben lasst, in der Hoffnung, dass die Götter euch in diesem Leben noch einmal zum Wolf werden lassen. Doch was, wenn sie es nicht tun? Werden Alben nicht mit Perfidität rechnen? Warum sollte ein Volk der Schatten die Schatten vergessen? Das wäre so, als würde ein Schauspieler vergessen, dass auch die anderen Personen auf der Bühne durchaus Schauspieler sein könnten. Nein. Ihr klammert euch an die spärlichen Überreste, die Dhurek euch ließ. Oder lasst es mich drastischer, dramatischer ausdrücken. Ihr habt nicht nur physisch euer Gesicht verloren, Johannes."

Mephala blieb weiter bewegungslos und verharrte in dieser Position, weiter in die Ecke schauend. Nur kurz flackerten ihre Augen nach links und rechts, um die Lebensspuren der Alben, die sie umzingelten, wahrzunehmen. Mephala sah, dass Mauron und Alvanon nur Hüllen waren. Ausgesaugt von einer Spinne des Untods, die perfide genug war, ihnen genug Erinnerung an ihr Leben zu lassen, dass sie das Wort Untod wahrscheinlich einmal durchdringen konnten. Wie sollte sie ihnen also ihren Plan erklären? Sie hatte das Gefühl, als würde sie zu Kindern sprechen, so altklug Alvanon sich aufgrund seiner Herkunft auch gab. Sie war froh, dass man ihre Gedanken nicht lesen konnte und begann wieder zu sprechen.

"Zuerst einmal bedeutet Widerstand sich unbeeindruckt von den Einschüchterungen durch die Alben zu zeigen. Untod bedeutet dies glaubhaft zu machen, denn auch wenn euer Geist noch an die Abbilder eurer Erlebnisse glauben mag, sind sie im Gegensatz zu geknickten Bäumen und gefallenem Laub inexistent. Sie sind Illusion, die euer sehnsüchtiger, vom Leben verblendeter Geist erzeugt, um euch mit trügerischen Begriffen wie Hoffnung zu erfüllen. Soll ein Alb euch Schmerzen zufügen können?" Mephala trat zum Feuer und hielt ihre Hand hinein, bis sie Feuer fing, erst dann erstickte sie die Flammen wieder. "Ich bezweifel, dass sie das könnten. Ihre einzige Hoffnung ist es also, uns mit unserem Tod zu bedrohen, denn dies scheint das einzige, was uns schrecken kann. Und es setzte noch voraus, dass diese Alben überhaupt soweit denken. Genau an dieser Stelle sollten wir dafür sorgen, dass sie das glauben. Wenn wir uns von nichts beugen lassen, bleibt ihnen nur die Erkenntnis, dass wir an unserer puren Existenz interessiert sein." Mephala blickte jetzt das erste Mal wieder zu ihren Gefährten. "Eine Situation ist wie die Mathematik oder die arkane Magie eines Magiers. Je mehr Variablen ihr in einer Handlung lasst, desto schwerer ist sie zu lösen und die Wahrscheinlichkeit groß, dass ihr das Ergebnis erraten müsst. Je wohl definierter eure Gleichung ist, je mehr ihr die Variablen eingrenzt, desto wahrscheinlicher ist es, dass ihr die Aufgabe zu lösen imstande seid. Wenn die Alben also davon ausgehen müssen, dass nur das Auslöschen unserer Existenz ein mögliches Druckmittel ist, dann lässt sich ihr Verhalten deutlich präziser diagnostizieren und vorhersagen als wenn wir anfällig wider Macht, Gold, Freunde oder Hass scheinen. Wenn wir so das Verhalten der zwielichtigen Alben bestimmen können, müssen wir nicht nur reagieren und uns sie Schafe treiben lassen. Dann können wir diese ganze Chose umkehren, ohne all die Informationen über den Wald, die Alben und ihre Pläne haben zu müssen. Denn die Alben sind klug genug zu erkennen, dass sie das Wissen, was sie uns zukommen lassen, filtern müssen, um uns zu manipulieren und auf ihre Fährte zu bringen."
Mephala blickte wieder zu Alvanon.
"Es ist mir also gleich, ob ihr meint, ich würde mich überlegen halten oder ob ihr euch überlegen haltet. Es ist mir gleich, ob ihr die stille Hoffnung tragt, dass man euch wieder ein Gesicht oder gar ein Leben schenkte. Es ist mir gleich, ob ihr euch überhaupt für untot haltet. Aber eines ist mir nicht egal: Ich will, dass alle hier sich so benehmen, wie man es von Untoten vermuten möchte. In diesem Zustand werden wir die Schwäche der Alben analysieren, die Gleichung feststellen, wenn man so möchte. Ein Angriff alleine gegen eine Übermacht wäre Selbstmord, weil ich auch davon ausgehen muss, dass ihr mich einfach endgültig verrecken lassen würdet. Ich sage auch nicht, dass mein Geist keine Bedürfnisse mehr hat. Wahrscheinlich sogar viele, welche mit dem Leben verwurzelt sind. Aber die Alben müssen das nicht wissen und sie müssen anderes denken. Darum geht es und nur so gewinnen wir Souveränität über unsere Handlungen."

Mephala entfernte sich wieder vom Feuer und blickte wieder in die Leere. "Im Genauen heißt dies, dass wir uns entweltlich und unmenschlich zeigen müssen. Wir müssen den Worten des Alben mit Logik beikommen, frei von jeder Emotion und jeder sterblichen Regung. Wenn wir Zhuras für sie zerstören sollen, wäre dies nicht damit getan, dass wir nichts tun? Sollte dem nicht so sein, müssten wir Zhuras also aktiv zerstören. Warum sollten wir es dann tun? Und schon müssten sie, nachdem sie unseren Untod erkannt haben, auch erkennen, dass sie uns nur mit dem Tod drohen können. Und wenn ihr den Worten des Alben bisher gelauscht habt und dann lauscht und zwar mit Obacht, dann werdet ihr seinen Hochmut zerschneiden können wie warme Butter. Dass ist es, was wir tun müssen. Souverän in unserem Handeln werden, nicht getrieben von Ängsten, wie ein kleines Mädchen, welches sich vor dem Orkenmann im Schrank versteckt."

Mephala hoffte, dass sie jetzt genauer verstanden hatten, was die ehemalige Königin beabsichtigtete. Sie mussten den Alben zeigen, dass sie weiter, intelligenter, kälter und überlegener waren, ob dies nun der Wahrheit entsprach oder nicht. Nur dann würden sie nicht mehr wie Vieh oder Werkzeug behandelt werden.
« Letzte Änderung: 14.08.2012, 19:09:22 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Nicos

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« Antwort #9 am: 03.08.2012, 13:23:28 »
Der subjektiven Meinung Nicos' nach hielt er es für etwas verrückt von Mauron gerade jetzt ein Instrument zu spielen. Es gab immerhin wichtige Sachen zu bereden, auf die man sich voll und ganz konzentrieren sollte. Nicos folgte dann der nachfolgenden Diskussion sehr aufmerksam. Auch wenn sich Mephala nicht wie Morgrim benahm, war Nicos etwas enttäuscht von ihr. Vorher war sie ganz sympathisch, aber jetzt philosophierte sie herum und kam nicht zum Punkt. Ihr letzten Worte hätten der Meinung des Nekromanten nach etwas konkreter sein können. Auch übersah sie ein paar wichtige Sachen.

Nicos sprach dann folgendes zu seinen Gefährten:
"Zuerst möchte ich einmal folgendes sagen: Wir waren in einer Situation wie Gefangene, denen eine Folter bevorstand. Kennt Ihr diese Geschichte von den Gefolterten? Ich bin mir nicht ganz sicher, ob sie bloß in meiner Zeit aktuell war, aber ich erzähle sie für diejenigen, die sie nicht kennen. Zwei Reiche führten Krieg gegeneinander. Ein Reich nahm vom Gegner Gefangene. Sie versuchten durch Folter wichtige Informationen zu bekommen. Man hatte den Vorteil, dass man viele der Gefangenen sogar zu Tode foltern konnte. Man erzählte jedem Gefangenen, dass ein anderer seiner Leute schon reden würde, wenn er nicht redet. Vorsichtshalber wirkte man bei jedem Gefangenen Erkenntnismagie, ob seine Aussagen auch richtig waren. Selbst der letzte lebende Gefangene hatte es nicht so einfach. Auch ihm hätte man ja erzählen können, dass die anderen noch leben würden und wegen der Folter schon auspacken würden, wenn er es nicht tun würde. Man lockte außerdem mit der Option frei gelassen zu werden. Leben, Freiheit und körperliche Unversehrtheit sind für viele Wesen eben wichtig. Und sei der Strohhalm auch noch sein klein, an den man sich klammert.

Wir waren in einer Situation, die auswegloser war. Ja, wir hätten den Alb töten können und die Barriere Barriere sein lassen können, aber die Alben wären vermutlich zurückgekommen und hätten uns verfolgt. So schwächlich sind die Alben vermutlich auch nicht wie das Schicksal von Morgrim zeigt. Eines Tages hätten sie uns vielleicht erledigt. Aber das Schlimmste wäre für mich das Eingesperrtsein. Eingesperrt könnten wir nichts bewegen.

Ich sprach an vielen Stellen in der Vergangenheitsform, weil sich unsere Situation etwas geändert hat. Ich bin gespannt, was ein Schluck aus dem Erkenntnisbrunnen offenbart. Das einzige Risiko wäre womöglich wieder sterblich zu werden, was so manchem gefallen würde aus unserer Runde hier, mir aber nicht. Trotzdem würde ich dieses Risiko einfach eingehen. Töten wird uns ein Schluck nicht. Wenn Môr Tahâs uns hätte töten wollen, dann hätte er es mit einer großen Masse aus Alben schon längst getan. Vielleicht sind wir für ihn wirklich wichtig. Vielleicht will er das Reich Zhuras wirklich vernichtet sehen und glaubt, dass wir das irgendwie anstellen könnten. Unsere Situation hat sich wirklich gebessert und alles, was er uns verraten, waren wertvolle Informationen. Es ist nämlich schon auffällig, dass ein Alb aus dem Wald so viel über das Reich Zhuras weiß. Meiner Meinung nach müssen wir nichts besonderes tun Mephala, sondern zunächst einmal nur mitspielen. Ihr macht Euch zu viele Gedanken meiner Meinung nach. Wir sind keine Marionetten oder Werkzeuge. Wir haben mehr Freiräume als dieser Alb denkt, obwohl er glaubt uns vollkommen unter Kontrolle zu haben."


Dann schaute Nicos direkt zu Alvanon und sprach zu diesem:
"Die Zeit der Rache ist noch nicht gekommen, Alvanon. Wir haben Zeit für so etwas, denn wir sind untot. Manchmal muss man sich auch beherrschen können und Geduld aufbringen. Entschuldigt, dass diese Worte von einem ehemaligen Menschen kamen, aber eine vorzeitige Rache klang mir nach etwas Ungeduld, wenn man eben in größeren zeitlichen Dimensionen denkt.

Wenn es sein muss, werde ich wieder mit dem Alben reden. Aber er hat uns ein paar Antworten versprochen. Erst einmal werde ich aufmerksam beobachten und zuhören. Wenn dann immer noch geredet werden muss, tue ich das."
 

Menthir

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Ein langer Sonnenuntergang
« Antwort #10 am: 05.08.2012, 15:07:03 »
10. Jantus 1214 - Ein langer Sonnenuntergang - 17:15 Uhr

Die Erkenntnis, dass die Alben koordiniert vorgingen, lag auf der Hand. Es waren keine fünf Minuten vergangen, da hatte Alvanon bereits entdecken können, dass die Alben das einfache Haus umkreisten mit ihrer Schlingentaktik. Es vergingen keine weiteren fünf Minuten, da sah der gebürtige Elb auch, dass Môr Tahâs zurückkehrte und ihr Gespräch unterbrach. Sein Sohn war nicht mehr an seiner Seite, er bewegte sich wieder etwas selbstbewusster, weniger gebrochen. Ein Zeichen dafür, dass die Alben dieses Waldes über die Kenntnis von Heilmagie verfügten und sie auch einsetzten. Einen Menschen oder Elben, der die arkanen Künste kannte, konnte dies kaum verblüffen, doch der Volksmund war seit jeher davon ausgegangen, dass die Alben keine Heilmagie nutzen könnten. Ausgerechnet die Elben verstärkten dieses Glauben, denn sie sprachen davon, dass keine heilende Hand einen Alben heilen könnte. Das Elbenvolk sprach davon, dass ihre Magie dreierlei grobe Kategorie kennen würde, Licht, Zwielicht und Schatten. Reine Heilmagie sei eine Magie des Lichts und Licht würde die Schatten vertreiben, wo es hinfällt, die Alben jedoch sind Wesen der Schatten und so müsse Heilmagie sie vertreiben wie die Mittagssonne die Schatten des Tages. Diese Geschichte kannte beinahe jedes Wesen, welches im Reiche Zhuras lebte. Andere behaupten jedoch, dass die Alben sich heilen könnten. Denn auch Schatten brauchen, um zu existieren,  Licht, doch wie ein Schatten etwas braucht, um das Licht abzublocken und so einen Schatten zu werfen, benötigten die Alben auch ein solches Medium bei einer Heilung. Was genau das bedeutete, das wusste kaum jemand. Die Gerüchte gingen von Menschenopfern bis zu magischen Kristallen, welche aus der Lichtmagie Schattenmagie machte und einen Alben dergestalt heilen konnte. Unter den Arkanisten des Reiches war dies immer eine umkämpfte Frage gewesen, die kaum ein Gelehrter glaubhaft beantworten geschweige denn die Antwort dann beweisen konnte, sodass die Empfänglichkeit und die Art des Nutzen der Heilmagie durch die Alben im Obskuren lag, wie fast alles, was ihr Volk betraf.

Der Alb hatte einen einfachen, braunen Wams übergeworfen und trug ein schmuckloses Langschwert mit brünnierter Klinge und einem rotumwickelten Griff an seiner Seite, wie die Schmiede des Reiches Zhuras in Massen für das kleine, dauerhafte, stehende Heer des Reiches herstellten. Das Eisen kam aus dem Ollaggebirge und wurde von den Zwergen abgebaut, es wurde zu Stahl verhüttet und dann von den Zwergen zu sehr harten Schwertern geschmiedet. Sie entstammten einer besonderen Schmiedetechnik der Zwerge. Sie waren durch ihe Härte und ungewöhnliche Schärfe ideal dazu Knochen, Muskel und Sehnen zu durchtrennen, allerdings waren die Schwerter für durch ihre ungewöhnliche Härte splitternd und brüchig, wenn sie genutzt wurden, um auf härtere Materialien zu schlagen. Sie waren deshalb berüchtigt, weil sie im Volksmund Henkersschwerter hießen, da viele tyrannische Fürsten und Könige diese Waffen allzuhäufig einsetzten, um Aufstände niederzuschlagen. Es ist ein Schwert, welches oftmals gegen das eigene Volk geführt wurde. Vielleicht trug der Brudermörder, wie die Alben auch genannt wurden, dieses Schwert aus Überzeugung, vielleicht auch aus Spott. Er kam alleine und eine Aura der Selbstsicherheit umgab ihn. Es war an seinem Schritt, an seiner Schulterhaltung zu sehen. Er hatte für einen Elben- beziehungsweise Albenblut einen sehr muskulösen Körper und erinnerte vom Körperbau fast mehr an einen Menschen. Nur seine Langgliedrigkeit und sein Gesicht ließen ihn deutlich als Alben erkennen, nebst der spitzen Ohren.

Gemessenen Schrittes betrat er seine Hütte und blickte auf das Feuer, welches auch ohne seinen Sohn weiter geschürt wurde und die Hütte mit wohliger Wärme füllte. Er bewegte sich wie selbstverständlich zwischen die vielen Arme und Augen seiner Gäste und blickte sich langsam und in Seelenruhe zwischen den Anwesenden um. "Es ging doch schneller, als ich erwarten konnte.", sagte er jovial. Eine offene und deutliche Lüge. Ihm musste klar sein, dass die alten Könige bereits erkannt haben mussten, dass sie umstellt waren; dass dieses verlassene, schmucklose Nest aus Alben besser koordiniert war als ein durchschnittliches, menschliches Dorf es hätte erwarten lassen. Die Alben waren wahrscheinlich aus einem langen Überlebenskampf gestählt, oder das Gerücht, dass Alben sich durch die Schatten unterhalten konnten, waren wahr.

Môr Tahâs setzte sich an seinen Tisch, nicht ohne das Schwert aus der Halbscheide zu nehmen und die komplett brünnierte Klinge zu präsentieren und dann auf den Tisch vor sich zu legen. "Nehmt mir das Henkersschwert nicht übel. Aber ich fühle mich besser, wenn ich nicht nackt durch die Welt laufe. Es reicht schon, dass ich nackt geboren wurde." Ohne die Schmerzen wirkte der Alb deutlich lockerer, auch wenn erkennbar war, dass er noch immer sehr aufmerksam war. Sein Gesicht wurde auch dementsprechend schnell wieder ernst. "Ich sagte, ich würde mit Fragen wiederkommen. Doch lasst mich vorher etwas erläutern. Wir haben vor Tagen einen Inquisitor der Kirche gefangengenommen, der den Auftrag hatte, Dhurek zu vernicht..." Ein weiblicher Schmerzensschrei unterbrach den Alben und aus den tiefen Nebelbänken kam eine Person, geführt von zwei Alben, angewankt. Erst wurde nur ihre Silhouette sichtbar. Sie musste fast 1,90m groß sein, war aber von sehr schlanker Gestalt. Das war erkennbar, obwohl die Person noch ihre Rüstung trug. Es waren lange, fast weißblonde Haare, welche ihr kaltes Gesicht umrahmten. Sie hatte ein angenehmes, wenn auch kühles Äußeres. Der Stolz war ihr ins Gesicht gemeißelt wurden und je näher sie kam, desto deutlicher wurden ihre eisblauen Augen, welche ihr Gesicht dominierten. Ihre Rüstung war blutverschmiert, weil zwei Pfeile in sie eingeschlagen waren. Rechtes Schlüsselbein und linkes Schlüsselbein. Dass sie von vorne getroffen wurde, sprach dafür, dass sie sich dem Feind gestellt hatte und die Alben nicht aus dem Hinterhalt agieren konnten. Aber es zeugte auch von der Bogenmeisterschaft ihrer Häscher, da die Treffer dafür sprachen, sie nicht töten zu wollen. Sie war jetzt auf zehn, fünfzehn Meter an der Tür herangekommen, als die beiden Alben ihr unsanft auf die Knie halfen. Ihre spitzen Ohren kamen jetzt deutlich zu Geltung[1], aber die Inquisitorin versuchte ihren Schmerz herunterzuschlucken und sich zu wehren, doch der Druck auf die lädierten Schlüsselbeine reichte, um sie gefügig zu machen. Jetzt konnten die in der Barriere Gefangenen die Rüstung der Elbin in Augenschein nehmen. Sie war übersät mit Segnungssprüchen, welche strahlenförmig von dem elbischen Wort für Sonne abgingen. Eine Segenssonne. Alvanon kannte sie. Die Elben, welche Seheiah abschworen, bezeugten so ihren Vecorglauben, nachdem die goldene Sonne Vecors im Cro verboten wurde. Seit jeher trugen elbische Vecorianer dieses Zeichen mit Stolz, als Zeichen der Kraft und des Widerstandes. Ihr Blick war ungebrochen, die Sonne gab ihr auch jetzt noch Kraft. Dennoch musste die stolze Elbin im Schmutz vor der schmucklosen Hütte knien. Sie wagte es nicht, zu sprechen.

"Seht die Dame als Geschenk unsererseits an. Wir stellen sie euch zur freien Verfügung, als Zeichen unseres Wohlwollens.", führte Môr Tahâs weiter aus. "Ich denke, es wird noch eine Vorbereitung brauchen, ehe ihr den Brunnen besuchen könnt und ich würde mich dagegen verwehren wollen, dass ihr euch unter irgendeinem Zwang seht, der über jenen herausgeht, das Leben meiner Person und meines Volkes unangetastet zu lassen. Deswegen solltet ihr die Geschichte vielleicht aus der Sicht einer Vecorianerin hören." Die Faktenlage wurde deutlicher. Es durfte langsam keinen Zweifel mehr daran geben, dass die Alben von der Wiederankunft der untoten Könige wusste, doch wie weit ging die Ehrlichkeit der Alben? Was wusste der Mann sonst noch? Es schien unmöglich, dass der Alb seine Macht nur geopfert hat, um alleine die Untoten in den Wald zu zwingen. Der Alb hatte ein ernstes Gesicht, obwohl Süffisanz seinem Gesicht sicher auch gestanden hätte. Aber sein Gesicht wirkte nachdenklich und ruhig, interessiert, wie die Gefangenen auf sein Geschenk reagieren würden. "Bevor ich meine Fragen an euch richte, möchte ich, dass ihr mir vorher nochmal dringende und drängende Fragen stellt und euch dann mit der Vecorianerin beschäftigt. Aber nach wie vor gilt, dass ich ernsthafte und intelligente Fragen hören möchte."
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« Letzte Änderung: 14.08.2012, 19:09:36 von Menthir »
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Alvanon

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Ein langer Sonnenuntergang
« Antwort #11 am: 09.08.2012, 13:48:05 »
Der Elb in der Schreckensgestalt stöhnte leise. Das Gespräch mit Mephala wurde anstrengend. Hielt sie ihm bloß einen Spiegel vor und er selbst war ebenso spitzfindig wie sie, oder war sie wirklich so und er hatte es bislang bloß noch nicht gemerkt? Er nahm es sich allerdings zur Pflicht, sie über den zugehörigen Hintergrund aufzuklären: “Mephala, ich verstehe diesen Drang, der in Euch herrscht. Ihr wollt überlegen wirken, so hat es zumindest den Anschein. Ich bitte um Verzeihung dafür, dass ich diese eure Sprache nicht beherrsche wie die meine, allerdings muss ich zu meiner Verteidigung sagen, dass es in dieser Sprache nicht so leicht ist, Dinge präzise auszudrücken. Im Elbischen gibt es Worte, die genau das ausdrücken, was ich meine. Der Unterschied zwischen Existenz und Dasein. Es ist nur verständlich, dass sich ein kurzlebiges Volk wie die Menschen nicht so sehr damit auseinandersetzt und deswegen Begriffe nutzt, die nicht immer eindeutig beschreiben, was gemeint ist. Beizeiten kann ich Euch sagen, wie wir Elben diese Begriffe definieren, aber diese Zeit muss erst noch kommen."

Er wunderte sich über den belehrenden Ton des nächsten Satzes, denn er hatte vor nicht ganz zehn Minuten das gleiche gesagt. “Oder habe ich das nur gedacht? Ich bin mir eigentlich sicher, dass ich mahnend angemerkt habe, wie uns die Situation entglitten ist, als uns der Gefangene zu seinen Gefangenen gemacht hatte.“ Aber es war ja dennoch nicht falsch, was sie sagte, und er freute sich, dass sie es auch erkannte.

Schließlich musste er sich jedoch wundern und er lachte leise, als Mephala ihn für seine Nutzung von Bedürfnissen und Bedürfnislosigkeit rügte. Erkannte sie denn den Spott nicht, mit dem er nach dem zweifelsfrei nicht vorhandenen Bedürfnis gefragt hatte? Sie war wohl zu verbissen, als dass sie es hätte erkennen können. Aber das war nicht sein Problem. Ohnehin ging er davon aus, dass er im Grunde bereits gewonnen hatte, und ein weiteres Indiz dafür war, dass sie ihn noch Johannes nannte. Er hätte müde gelächelt, wenn es ihm möglich gewesen wäre. Er hatte die Rolle des Johannes bereits angenommen und sich damit abgefunden und so konnte sie ihn nicht mehr damit verletzen, wie es in der Höhle noch möglich war. Es war bloß ein unangenehmes Beigefühl, doch kein stechender Schmerz. Er schob es auf ihre verletzte Eitelkeit, dass sie ihn noch einmal verletzen wollte, solange es noch ging.

“Aber ich will noch einmal den Punkt ansprechen, dass die Alben unter Umständen Hinterhältigkeit erwarten würden. Sicherlich besteht die Gefahr, jedoch haben wir uns bisher nicht so verhalten, dass wir unbedingt wie die großen Intrigenspinner dastehen. Und wenn ich das so sagen darf… Würde ein Zwerg erwarten, dass ein Mensch gierig ist? Oder würde ein Halbling in einem Ork einen Mutterkomplex vermuten? Ein Mensch würde doch auch nicht unbedingt erwarten, dass andere ebenso naiv sind wie er? Die Alben halten sich für große Intrigenspinner und sind dazu noch mit dem Hochmut unserer beiden Völker gesegnet, der an mir zum Glück vorbeigegangen ist. Ich will nicht sagen, dass jeder kleine Hinterhalt sofort zum Erfolg führt, es muss wohl geplant sein, doch es ist wohl möglich.“

Zuletzt musste er über ihre Worte nachdenken, dass man sich mehr wie ein Untoter verhalten und sich nicht von den Alben herumschubsen lassen sollte. Sicherlich ging es ihm gegen den Strich unter Alben zu sein und ihre Anweisungen zu befolgen, doch es gab einen wichtigen Punkt, den sie alle beachten mussten, wenn sie das hier überleben wollten: Sie durften nicht wertlos erscheinen und mussten somit zwangsweise kooperieren. Alben kannten keine Skrupel. Wenn man sie nicht mehr zufrieden stellen konnte, war man möglicherweise schneller Tod, als man selbst merken konnte, dass man nicht von Nutzen war. Sie waren zu fünft, und somit im Einzelnen noch entbehrlich.

Nicos kritisierte Mephalas Ansichten ebenfalls, das beruhigte Alvanon. Ohnehin glaubte er mittlerweile, dass er mit Nicos besser auskommen würde. Dieser war nicht mehr berauscht von der plötzlichen Langlebigkeit und dachte klarer, wie auch sein Beispiel mit den Gefangenen zeigte, auch wenn Alvanon nicht so ganz verstand, worauf er hinauswollte, denn sie waren nicht getrennt gefangen und wussten um das Schicksal der jeweils anderen – außer Tutari. Vielleicht hätten sie sie doch töten sollen? Es wäre zumindest sicherer gewesen. Am Ende seiner Worte musste Elb nicken und ihm zustimmen. “Ihr habt wohl Recht. Übereilt sollte die Rache nicht kommen, das macht Sinn. Es gibt noch wichtigeres, als die Rache.“

Als dann der Alb wiederkehrte, endete das Gespräch leider, aber interessant würde es wohl weiterhin bleiben. Interessant waren vor allem die Wunden, die sich geschlossen hatten. Das wirkte merkwürdig auf Alvanon, denn bislang hatte er nicht davon gehört, dass die Alben sich auf diese Art der Magie verstanden. Ob sie wohl Gefangene hatten, die das für sie übernahmen? Vielleicht lag es auch an der Barriere, mit deren Erscheinen das Land ein wenig an Trostlosigkeit verloren hatte. Alvanon wusste es nicht, aber er würde es wohl in Kürze ergründen. Er schüttelte den Kopf. Es hieß zwar, dass man seinen Feind kennen sollte, aber so viel wollte er von den Alben nicht erfahren. Er wollte eigentlich nur aus diesem Wald raus.

Sein Blick fiel auf das Schwert an der Seite des Alben. Er musterte es interessiert. Woher mochte es wohl stammen? Es war höchste Schmiedekunst, wie es bloß die Zwerge vollbringen konnten. Allerdings war es unwahrscheinlich, dass die Zwerge Handel mit den Alben trieben. Soweit Alvanon wusste, trieben die Zwerge bestenfalls Blutzoll unter den Alben ein. Er wunderte sich, wie die Klinge wohl den Weg in den Wald gefunden hatte und wie der Alb wohl auf ihren Verlust reagieren würde? Eine ekelhafte Symbolik schwang auf jeden Fall mit bei dem Schwert, das oft gegen das eigene Volk geschwungen wurde. Ob er die Elben wohl noch zum eigenen Volk zählte?

Er achtete dieses Mal mehr auf das Verhalten des Alben und er konnte bestätigen, dass sich der Alb arrogant und überheblich verhielt. Wie er sich betont langsam bewegte und umblickte, und auch die Seelenruhe, die er nach außen vorgab im Kreis seiner bewaffneten Gefangenen. Dass er sein Schwert offen zur Schau auf den Tisch legte, verstärkte den Eindruck noch. Alvanon wünschte sich, dass jemand Rost an das Schwert zauberte. Er wollte unbedingt wissen, wie der Alb darauf reagieren würde.

Doch ehe der Wunsch in ihm so stark werden konnte, dass er ihn zu eigenmächtigem Handeln bewegte, bemerkte er, wie die Inquisitorin herangeschafft wurde. Alvanon seufzte. Es war vermessen gewesen zu glauben, dass die ganze Sache unbemerkt bleiben würde. Ihr Unleben war bereits bekannt, das würde sie ohnehin zu gejagten machen. Diese Inquisitorin zeigte das, denn es wurde bereits ihr Urheber gejagt.

Als Alvanon erkannte, was die Inquisitorin war, wirkte er angewidert. Eine Elbenfrau, die das eigene Volk verließ, um in den Dienst Vecors zu treten, war etwas, was er nicht verstehen konnte. Erst Frauen wie sie machten den Gott stark, indem sie ihm zulaufen, so wie Motten nachts in das Licht flogen. Es war gut, dass sie gefangen genommen wurde. Sie hatte sein Volk verraten und er gönnte ihr keinen Erfolg im Dienste der Sonne. Er spürte den Drang, auch die Elbenfrau mit dem Schwert des Alben zu töten, und er erschrak vor sich selbst. Er hoffte, dass es nur die Anspannung war, die ihn so denken ließ. Allerdings glaubte er, dass sie ohnehin sterben würde, sobald sie ihre Fragen beantwortet hatte.

Er schaute zu Alben und beschloss, freiheraus die erste Frage zu stellen. “Wenn Euch die Frage nicht zu banal erscheint – Eure Wunden sind geschlossen, obwohl man den Alben nachsagt, dass sie keine Heilmagie sprechen können. Hat das etwas mit der Barriere zu tun? Seit sie leuchtet, hat sich hier etwas verändert, und ic kann nicht genau ergründen, was das sein mag.“

Menthir

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Ein langer Sonnenuntergang
« Antwort #12 am: 10.08.2012, 00:46:26 »
10. Jantus 1214 - Die vergessene Gruft - 17:16 Uhr

Alvanon hatte den unbeschreiblichen Vorteil, dass sein Blick nicht wirklich - selbst wenn er durch Masken willkürliche Augenbewegungen zu beherrschen schien - verfolgt werden konnte. Vielleicht reichte reichte einer dieser unsäglich enttarnenden Identifikationszauber, um Magie zu analysieren, aus, um seinem nur magisch existenten Blick zu folgen. Doch der Alb besaß solche Fähigkeiten nicht, zeigte sie nicht oder wusste zumindest nicht um diese mögliche Nutzung, so sie denn wirklich möglich war. Die Magie war ein defiziles Gebilde, dessen Ganzheit kein Sterblicher und wahrscheinlich nicht einmal die Götter verstanden. Doch eine Meinung hatte sich als grobe Richtung herauskristallisiert über die vielen Jahrhunderte und Jahrtausende, in denen es mehr oder minder zivilisiertes Leben auf diesem unseglichen Kontinent namens Bàsa Katorga gab. Als die Götter um die Schöpfung stritten und zu viel Schöpfungskraft in ihren Widerstreit stecken, ein jeder Gott den anderen übertrumpfen wollte, reichte diese überschüssige Energie nicht nur, um die Enwe darselbst zu erwecken, es gab noch so viel überschüssige Kraft, welche die Götter verschwendeten, sodass diese Kraft noch heute über die Enwe waberte und durch Magier und ihresgleichen zu bündeln war. Das sei auch der Grund, warum die Götter nicht mehr selbst auf der Erde wandeln könnten, nachdem die Enwe ihren plastischen Schöpfer Drakhtar[1] fraß. Es war, folgte der Kundige den Lehrtraditionen Vecors und anderer großer Kirchen, die Geburtsstunde der Kleriker und Priester, den Mittlern zwischen Götterwelt und Enwe. Für manche war es belanglose Mythologie, für andere der epische Kampf zwischen Götterwelt und Enwe. Für manche war es ein Gute-Nacht-Märchen, an anderen Orten starben Tausende für diese Visionen. Wie die Wahrheit auch sein mochte, Magie war nichts, das auf die leichte Schulter genommen werden sollte oder gar mit einfachen Sätzen, nicht einmal mit wohlgesetzte Aphorismen, auch nur ansatzweise zu erläutern war.

"Den Alben sagen Menschen, Elben und andere Wesen so einiges nach. Selbst Alben sagen Alben Dinge nach, welche irgendwo zwischen törricht und plausibel sind. Dass meine Wunden verheilt sind, hat etwas mit einer Art Heilmagie zu tun. Aber sie hat nichts mit der Barriere oder dergleichen zu tun. Die Barriere ändert nichts, außer dass niemand sie betreten oder verlassen kann, und dass sie das Gebiet aufwärmt, wie das Feuer meiner Hütte meine kalten Glieder nun wärmt. Der Wald wird dadurch früher blühen, die Erntezeiten werden verschoben werden und vielleicht werden törrichte Einzelgänger, welche sich dem Lauf der Zeit nicht anpassen können, Missernten erleben und an ihrer Anpassungsunwilligkeit sterben. Das jedoch - und da erzähle ich gescheiterten Königen, die vom eigenen Volk drangsaliert und mit der damnatio memoriae gedemütigt wurden - nichts Neues. Entweder ich habe die Kraft, dass man sich mir anpasst, oder ich muss mich anpassen.", antwortete der Alb mit ruhiger Stimme, obwohl er Alvanon dabei nicht anschaute. "Falls ihr nicht farbenblind seid, wie die meisten Zwerge, die ich kenne, hat sich vor allem die Farbe des Himmels in bernsteinfarbene Töne verwandelt und den grauen Alltag für die Zeit ihres Daseins durch einen orangenen Alltag ersetzt." Der Alb kratzte sein Kinn und beschloss es mit unvermittelter Offenheit zu versuchen. "Ich kenne nicht einen Alben, der es schaffte, seine Herkunft auf magischen Weg so zu manipulieren, dass er Imbrâsîls[2] Erbe abwerfen konnte und durch die alte Lichtmagie der Elben zu heilen gewesen wäre. Auch die Magie des Sonnengottes reicht nicht aus, um einen verwundeten Alben zu heilen. Alles Licht verdrängt den Schatten, versehrt die Schatten, die in unserem Geiste und unserem Herzen wohnen. Ihr kennt die Geschichte, wie der Elbenfürst Imbrâsîl ein Teil des Elbenvolkes um sich scharrte und seinen Brüder entsagte, um die Strafe der Götter abzuschütteln und die Unsterblichkeit wiederzuerlangen?[3] Er verband sich zusammen mit seinem mächtigsten Diener, einem mächtigen Elbenkönig namens Urath Da'il, und zusammen sollen sie es geschafft haben, die Macht der Schatten aus der Kralle ihres schwachen Hüters zu entreißen, der Aedon[4] geheißen wird. Sie verbanden sich mit den Schatten und um diese Macht zu bändigen, mussten sie noch mehr ihres Lebensfunken geben. Seitdem versuchen die Alben die Schatten zu beherrschen, denn sobald sie dies tun, werden sie die Unsterblichkeit wieder erreichen. Das zumindest erzählt sich mein Volk. Falls ihr mich fragt, war es eher eine List Aedons, denn er nahm uns noch mehr Leben für eine zweifelshafte Gegenleistung. Die Schatten sind kein besonders treuer Verbündeter. Die Magie, welche die Menschen und die Elben also nutzen, sie ist Lichtmagie und jene vertreibt die Schatten in unseren Herzen. Da unsere Herzen aber nicht mehr gereinigt werden können, weil wir einen tödlichen Pakt mit den Schatten eingingen, oder viel mehr mit Aedons Diener Llanthu, wie der personifizierte Schatten genannt wird. Unsere Herzen sind vielmehr lebender Schatten in fleischlicher Form. Wenn Licht in sie dringt, ist es, als würde ein Schwert in eines Menschen Herz gestoßen. Alleine deswegen müssen wir unsere Heilung aus Quellen ziehen, die kein Licht kennt. Bäume und die oberflächliche Natur, sie nährt sich durch Licht. Aber in den Tiefen der Zwerge gibt es auch Leben, wo kein Licht scheint. Leider können wir doch auch dort nicht existieren, denn Schatten gibt es nur dort, wo auch Licht ist, aber es reicht, um uns zu behandeln, wenn auch für einen Preis. Die Schatten selbst haben keine Schule der Heilung, soweit ich weiß. So handeln wir mit den Zwergen. Einer von ihnen lebt sogar unter uns."
Jetzt, da seine Schmerzen vorüber waren und er - zumindest gefühlt - die Kontrolle über die Situation gewonnen hatte, schien der Alb deutlich gesprächiger. Sein Blick blieb jedoch weiterhin ernst und aufmerksam.
 1. Drakthars kurze Untergangsgeschichte ist in seinem Eintrag zu finden.
 2. Imbrâsil zur Erinnerung
 3. Wissen (Geschichte, Religion oder Arkanes) SG 25, um mehr zu wissen, als er hier sagt
 4. Aedon
« Letzte Änderung: 10.08.2012, 01:05:22 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Robin Brighthide

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Ein langer Sonnenuntergang
« Antwort #13 am: 12.08.2012, 14:04:58 »
Schweigend hörte Clavius seinen Gefährten zu. Eine solche Runde an Sturköpfen, die schon dadurch aneinander gerieten, dass sie Worten andere Bedeutungen zuschrieben, sollte gemeinsam über das Schicksal eines Reiches entscheiden. Er schüttelte den Kopf. Ob dieser Plan Erfolg haben mochte, war mehr als zweifelhaft. Clavius sah vor seinem inneren Auge, wie die verdammten Könige Schritt für Schritt ihr Ziel verfolgten, und immer wieder durch Streitereien zunichte machen würden, was sie zuvor erreicht hatten.

Vielleicht hatte Mephala Recht. Der Untod, diese schmerzlose Ewigkeit, die ihnen geschenkt worden war, konnte auch eine Gelegenheit sein, sich von den unbedeutenden kleinen Gefühlen zu lösen, die sie einst als Sterbliche bewegt hatten. Sie waren einst Monarchen gewesen, und gewohnt, in großen Dimensionen zu denken. Diese Grenzen mussten sie nun noch einmal erweitern. Ihnen standen Jahrhunderte, Jahrtausende zur Verfügung. Und sie stritten über die nächsten Tage, sogar über die nächsten Minuten.

Clavius entschloss sich zur Zurückhaltung. Er hatte seine Vorschläge und Meinungen eingebracht. Er hatte kein Interesse daran, sich irgend jemanden in dieser Runde zum Feind zu machen. Er würde sich einbringen, wenn ein wirklich unterstützenswerter Vorschlag aufkam, oder wenn sich etwas ganz und gar in die falsche Richtung entwickelte. Bis dahin sollten sich die Anderen aneinander die Hörner abstoßen.

Als dann der Alb zurückkehrte, und die elbische Vecorpriesterin brachte, blieb er überraschend emotionslos. Er sah die Frau an, und ihr Schmerz berührte ihn ebenso wenig, wie Schmerz seinen eigenen Körper erfasste. Tief in seinem Inneren spürte er Genugtuung, aber ihm wurde klar, dass er nur die Wut auf seine eigene betrügerische Frau auf diese Elbin übertrug. Er würde den Betrug nicht vergessen wollen, aber diese Gefühle musste er in eine andere Richtung lenken, um zu verhindern, dass sie ihn zu falschen Entscheidungen trieben.

Ohne auf die anderen zu achten, ging er auf die Frau zu. "Ich gehe davon aus, dass ihr wisst, wer wir sind. Und dass Vecor unsere Existenz duldet, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Erzählt also eure Geschichte, und dient damit eurem Gott."

Weitere Worte hielt er für unnötig. Wenn sie zu dem verrückten alten Priester gehört hatte, gäbe es keinen Grund für sie, nicht zu erzählen, was sie wusste. Es sei denn, ihr verletzter Stolz wäre wichtiger für sie als ihr Glaube.

Mauron

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Ein langer Sonnenuntergang
« Antwort #14 am: 13.08.2012, 18:46:48 »
Mit einem Hauch von Verärgerung drehte sich Mauron von Alvanon weg hin zu Mephala. Er wollte eine Antwort von ihr und konnte auf das Gerede des Elben verzichten.
Konnte oder wollte dieser Elb ihn nicht verstehen? Wieso musste er stets falsche Bedeutung in seine Worte legen? War es für ihn so schwierig, den Unterschied zwischen wiederholten Worten anderer und der eigenen Ansicht zu erkennen? „Nur weil ich den Sinn hinter dem von anderen Gesprochenen hinterfrage, stellt dies noch lange nicht meine eigene Meinung dar. Was bildet sich dieser Elb eigentlich ein? Auch wenn diese Elben hunderte von Jahren leben können, so macht sie das augenscheinlich nicht automatisch weiser und schon gar nicht fehlerfrei. Er braucht gar nicht glauben, mich mit einem Blick einschätzen zu können, zu wissen was ich denke und fühle.
Vielleicht wird es Zeit, dass ihn jemand von seinem hohen Ross holt und ihm seine Arroganz aus dem Gesicht schlägt.“

Aber diese Person würde nicht Mauron sein....zumindest noch nicht.

Ebenso überraschend, wenn auch nicht ganz so ärgerlich stimmten ihn die Erläuterungen Mephalas. Nachdenklich studierte er ihre ausdruckslose Miene und suchte nach dem, was er dort zuvor gesehen geglaubt zu haben. Hatte er sie falsch eingeschätzt, oder hatte sie sich bereits in ihrer kurzen Zeit des Untodes verändert? Die Ideale, die sie nun predigte, schienen sich in ihr bereits voll und ganz festgesetzt zu haben. Unweigerlich musste Mauron darüber nachdenken, ob sie nicht vielleicht in bestimmten Punkten recht haben könnte. Als sie ihre Hand in das Feuer hielt, zuckte er gedanklich zusammen, denn noch immer verband er dies mit Schmerzen. War das wirklich nur noch ein Reflex aus seinem „alten Leben“ ? Etwas dass er wie eine alte Angewohnheit ablegen sollte, ja gar ablegen musste, wenn es nach Mephala ging? Mussten sie sich alle tatsächlich „entweltlich und unmenschlich" zeigen? Und mit dem "zeigen" würde es dann ja auch nicht getan sein, sie würden wirklich so werden müssen, um dies auf Dauer glaubhaft vermitteln zu können.

War es überhaupt möglich, seine Menschlichkeit in so kurzer Zeit abzulegen? Mauron waren viele Geschichten bekannt, in denen Personen, die einst blühende, hilfreiche Mitglieder der Gesellschaft waren, sich von dieser abwandten und auf den Pfaden der Bösartigkeit schritten. Aber diese Geschichten hatten gemeinsam, dass dieser Wandel immer langsam von statten ging. Schritt für Schritt, zunächst immer von einem Zögern begleitet, ein Zurückschrecken vor den Grenzen, die in jedem normalen Menschen verankert waren. Auch fasste in diesen Geschichten keiner den direkten Entschluss, so werden zu wollen. Im Gegenteil, viele hatten sich vorgenommen, nie so werden zu wollen, nur um dann am Ende, wenn sie endlich ihr eigentliches Ziel erreicht hatten, festzustellen, dass sie genauso geworden sind. Nie wachte eine normale Person auf und war plötzlich genau gegenteilig zu seinem sonstigen Verhalten.
Allerdings musste sich Mauron auch eingestehen, dass er noch nie eine Geschichte über Personen, die plötzlich als Untote auferstanden sind, gehört hatte.
Führte der Untod hier also zwangsläufig zu einem anderen Ergebnis? War es möglich, diese Gefühle einfach wie einen Schalter abzuschalten? Und wenn dem so war, woran lag es dann genau?

War es nur der nächste Schritt - unterbewusst bei den einen, ganz bewusst bei anderen, der von einem nichts fühlenden Körper hinweg führte? Er selbst hatte ja schon bemerkt, dass er keine wirklichen Schmerzen mehr fühlte, sondern nur einen dumpfen Nachklang dessen, das einmal da gewesen war. Mit der Zeit würde auch dieser Nachklang verblassen, wie eine Erinnerung aus alter Zeit. So lange, bis er nur noch wusste, dass da irgendwann mal etwas war, aber schon gar nicht mehr was genau. Aber auch dies würde dann wieder einen längeren Vorgang darstellen und nicht plötzlich stattfinden. Sollte es auch möglich sein, diese Gefühle einfach zu bewusste zu unterdrücken, ganz so wie man auch eine Erinnerung verdrängen konnte? Hatte Mephala dies eben in aller Deutlichkeit demonstriert?
Führte nun dieses Fehlen von physischem Schmerzempfinden unweigerlich auch zum Verlust von menschlichen Emotionen, emotionalem Schmerz? Würden ohne einen fühlenden Körper auch bei einem normalen Menschen die Emotionen derart abstumpfen? Lag es also lediglich an dem Gefühl des eigenen Körpers, dass ein Mensch in der Lage war, Gefühle auf emotionaler Ebene zu entwickeln? Würde man einem Untoten wieder Gefühle für seinen Körper geben, würde er dann auch emotional auf eine menschliche Ebene aufsteigen?
Oder waren Untote, wie man gemein hin glaubte einfach von Grund auf böse, ohne eine Möglichkeit sich zum guten zu entwickeln? Vom Schicksal gezeichnet, von den einen Göttern geduldet, ja sogar erstrebt, von den anderen bis in alle Ewigkeit verhasst? Die von dem Kosmos bestimmten Gegenspieler zu den von Natur aus guten Wesen?
Der Gedanke hatten einen bitteren Nachgeschmack für Mauron und wollte dadurch auch nicht recht plausibel erscheinen. Für den Entdecker des kosmischen Klangs sollte nichts vorherbestimmt sein,  durfte nichts vorherbestimmt sein, ja war auch nichts vorherbestimmt! Es war einfach nicht glaubhaft, dass so etwas einfach vorgeschrieben war, ohne dass jeder einzelne es für sich selbst bestimmen konnte.
Aber wenn nun jeder für sich bestimmen konnte, ob er seine Gefühle abschaltete oder nicht und es trotzdem diese feste Überzeugung, ja Überlieferung in der normalen Bevölkerung gab, dass Untote von Grund auf böse wären, würde dies nicht bedeuten, dass auch der Großteil aller Untoten tatsächlich böse sind und sich dementsprechend für diese Seite entschieden hatten? Oder musste er hier unterscheiden, zwischen den Untoten, die noch selbstständig Denken konnten und denen, die dies nicht mehr vermochten? Wäre eine solche Differenzierung nicht zu simple, zu sehr auf das gewünschte Ergebnis bezogen? Gab es nicht auch Tiere, die von Natur aus eher sanftmütig waren und sich lediglich verteidigten wenn sie bedroht wurden? Inwieweit also unterschieden sich solche Tiere von den gedankenlosen Untoten?

Fragen über Fragen drängten sich weiter in seinem Kopf, drehten sich im Kreis, widersprachen sich mal und stimmten sich das nächste mal zu. Nur zu gerne hätte er seine Überlegungen mit irgendjemandem diskutiert. Sein Blick schweifte kurz über die anderen Könige. Nein, sie würde er erst gar nicht darauf ansprechen müssen. Von ihnen würde er wohl keine hilfreichen philosophischen Auseinandersetzungen erwarten können, das hatte sich bereits bei der letzten Diskussion gezeigt. Auch waren sie in ihren Ansichten einfach zu festgefahren. Alvanon würde sich hochmütig und als Elb dem allem von vornherein überlegen geben. Mephala, mit ihrer neuen Ansicht, würde solche Überlegungen als sinnlos und schwächlich abtun. Bei Nicos konnte er wohl in keiner Frage eine Antwort erwarten, die tatsächlich dessen eigener Meinung entsprach und nicht nur für alle anderen Anwesenden aufgesetzt war. Clavius letztlich schätze er einfach nicht als Mann für solche Diskussionen ein, er schien zu sehr auf das tatsächliche,  eben praktisch orientiert zu sein.
Mauron seufzte. Also würden wohl auch diese Überlegungen ungehört verblassen. Vielleicht sollte er sie beizeiten niederschreiben, auf das ein anderer in ein paar Jahrhunderten sich damit befassen könne.

Mit seinen Gedanken nun wieder im hier und jetzt, bemerkte Mauron, dass Nicos in der Zwischenzeit wohl etwas gesagt hatte. Anscheinend erwartete er jedoch von ihm direkt keine Antwort, sodass sich Mauron einfach vornahm, dessen Gesagtes aus den Reaktionen der anderen herzuleiten. Viel nütze ihm dies freilich nicht, da kurz darauf der Alb wieder in den Raum zurück kehrte und ihnen so gleich seine Gefangene präsentierte.
Interessiert ging Mauron auf die elbische Vekorianerin zu und betrachtete sie eingehend, fast so, wie man es mit einem seltenen, exotischen Tier tun würde. Eine Elbin, die Seheiah zu Gunsten von Vecor abgeschworen hatte, war wohl nichts, das man alle Tage zu sehen bekam. Direkt begannen seine Gedanken über die diversen Götterkonzepte zu sinnieren und deren Einfluss auf das Verhalten des Einzelnen zu analysieren. Jedoch hatte er bereits einen Teil des Gesprächs verpasst und wollte sich nicht weiter aus dem Geschehen ausschließen, sodass er beschloss, diese Überlegungen auf später zu verschieben.
Zum Glück für Mauron, denn so war es ihm möglich, die Worte des Alben zu vernehmen. Die Geschichte des Elbenfürsten Imbrâsîl kam ihm seltsam vertraut vor, jedoch entzogen sich die Einzelheiten noch seinem Gedächtnis. Vielleicht würden diese Erinnerung später wieder wie aus dem Nichts erscheinen, wer mochte das schon sagen. Zu oft verliefen Maurons Gedanken in diesen wirren Bahnen und nicht selten konnte er sich nicht erklären, woher ein bestimmter Gedanke plötzlich geflogen kam.
Die Geschichte über die Alben und das Licht wies eine gerade zu ironische Parallele zu den Untoten auf, den so wie Mauron es verstanden hatte, würden sie von einer solchen Licht-Magie ebenfalls verletzt werden. Umso interessanter war diese Magie der Zwerge, die auch die Alben heilen konnte. Auch der Umstand, dass die Alben mit den Zwergen Handel betrieben erstaunte Mauron. Und ein Zwerg sollte unter den Alben leben? Meinte der Alb das so, wie er es sagte, oder war das seine Formulierung für einen Gefangenen?
Was es auch war, Gast oder Gefangener, Mauron würde nur zu gerne die Möglichkeit nutzen, sich mit diesem zu unterhalten. Mochten seine Gefährten denken was sie wollten und ob der Alb die Frage als ernsthaft und intelligent erachtete oder nicht.

"Wäre es möglich, das wir uns später mit diesem Zwerg unterhalten könnten?"