Als sich die Tür hinter Leofe schloss, sah sie Jared gerade in Richtung Bad verschwinden. "Jared!" rief sie gedämpft aus. Als der Mann nicht stehen blieb, lief sie ihm hinterher.
Leofe fand Jared im Bad, wo er sich, mit nacktem Oberkörper, das Haar schnitt. Rasierzeug lag auch schon bereit; außerdem ein kleiner Tiegel mit einer scharf riechenden schwarzen Paste.
Die Elfe ignorierte den Ort und die Umstände vollständig.
"Eins muss ich schon sagen, Ihr haltet einen Vortrag, dass es nicht nur schwarz und weiss gibt, aber wenn es darum geht, was andere von Euch halten oder wie sie zu Euch stehen, kennt Ihr selbst nur schwarz und weiß."
Leofe seufzte "Schaut Jared, Nebin macht gerade eine schwere Zeit durch. Ihm läuft die Zeit davon und er kommt nirgends wirklich weiter. Geschlafen hat er auch so gut wie nicht, und was er dann als letztes hören wollte ist, dass er unfähig ist und alles anders machen sollte", erklärte Leofe.
"Übrigens", fuhr Leofe fort. "Nur falls Ihr das angenommen habt: ich gebe Euch keinerlei Schuld daran, dass unsere Nachforschungen ein gefährliches und in meinem Fall schmerzhaftes Ende genommen haben. Ihr konntet nicht wissen, dass die Herren zur Zeit übervorsichtig sind. Und dass genau in dem Moment, in dem wir in der Verkaufshalle waren, eine Razzia stattfindet, ist einfach Pech - ich wusste ja ganz genau, wo ich war zum Einkaufen und welche Gefahren das birgt", schloss Leofe flüsternd, damit niemand ihr Gespräch mithören konnte.
"Ja, also, das hätte mir sehr leid getan, wenn Ihr verhaftet oder gar getötet worden wärt", gab Jared kleinlaut zu. "Warum die Flussratten so nervös waren habe ich ja immerhin herausgefunden, aber was in die Stadtwachen gefahren ist, das soll mir mal einer erklären! Normalerweise dulden sie die Flussratten so halb, weil Kelson seine Leute halbwegs im Zaum hält. Verbrechen gibt es immer, aber so lange er das Sagen hat, bleibt die Sache relativ gewaltfrei. Das würde der Fürst-Kommandant natürlich niemals öffentlich zugeben! Na ja, was soll's."
Er griff zur Seife und schäumte sich sein Kinn ein. Dann beugte er sich über den kleinen Wandspiegel, nahm ein Messer und begann, seinen Bart abzunehmen.
Als er damit fertig war, schmierte er sich die schwarze Paste dick in sein frischgeschnittenes Haar, dann auf die Augenbrauen. Danach fuhr er fort: "Jedenfalls benötigen die anderen meine Hilfe nicht, ein Ritualbuch zu finden, und ich habe ja wirklich etwas besseres zu tun. Nebins Worte haben mich nur aus unserem Vertrag entlassen. Es waren Ramars Worte, die mir gezeigt haben, dass ich mich in der Sache doch nur auf mich selbst verlassen kann. Ich habe nämlich an der Wand gelauscht, als er Eure Wunde versorgt hat, und daher mitbekommen, wie er Euch gescholten hat, dass Ihr so dumm wart, mir dabei helfen zu wollen, einen verschwundenen Einbrecher, Erpresser oder gar Mörder zu finden. Angst hatte er, dass man Euch bei der Stadtwache erkennen würde, nicht etwa um Euretwillen, sondern weil es ihm peinlich wäre! Weil es seinem Ruf schaden könnte, wo er doch nur durch rühmliche Taten von sich reden mache! Und das alles nur wegen... nun ja, wegen meinem Mentor. Nein, Ihr könnt sagen was Ihr wollt: darum kümmer ich mich doch besser allein."
"Nun, vielleicht ist es ja wirklich etwas was Ihr allein tun müsst", entgegnete Leofe nachdenklich. Dann blickte sie das schwarze Zeug an, das Jared benutzte, um seine Haare zu färben.
"Funktioniert dieses Zeug auch bei meinen neuen Schuhen?" wollte die Elfe plötzlich wissen.
"Ich fürchte nein", sagte Jared. "Die Paste geht irgendwie eine alchemische Verbindung mit Haar ein; genau habe ich nicht verstanden, was der Alchemist, bei dem ich das Zeug gekauft hab, mir da erklären wollte, aber es geht wirklich nur mit Haar.
Wo wir gerade von Euren neuen Schuhen reden: ich glaube, Ihr braucht Euch keine Sorge machen, der Gefallen, den Kelson von Euch einfordern will, könnte illegal sein. Der Grund, warum er und seine Leute so nervös waren, ist nämlich der: es sind etliche Flussratten spurlos verschwunden. Hauptsächlich unter den Bettlern und auch ein paar der Straßenjungen – also Leute, die nachts keine Bleibe haben. Und wenn ich sage: spurlos, dann meine ich: keine Spur, die einer ihrer Kameraden finden oder verfolgen konnte. Das wird sein, was Kelson sich von Euch erhofft, wenn das nächste Mal jemand verschwindet."
Er beugte sich über die Waschschüssel und goss sich warmes Wasser über den Kopf, bis die schwarze Schmiere aus seinem Haar ausgewaschen, das Haar aber immer noch pechschwarz war. Dann zog er sich von Kopf bis Fuß frische Klamotten an – völlig ungeniert ob der Gegenwart einer Dame – und packte sein Zeug wieder zu einem handlichen Bündel zusammen. Als letztes gurtete er seine Waffen um.
"Also, viel Glück. Und passt auf Euch auf, ja?"
Und lasst Euch von Ramar nicht ausreden, Kelson zu helfen, sonst könnte der Mensch doch ziemlich ungemütlich werden, wollte Jared noch hinzufügen – aber er vertraute darauf, dass Leofe dies bewusst war.