Leise, aber dennoch deutlich, erklangen die Worte des Fährmanns in Iranas Ohren. Dann sprach auch Meleanda. Dennoch verfiel sie nicht in Hast, als sie -würdevoll aufgerichtet, mit langsamen, eleganten Schritten- wieder aus dem Wasser stieg, sich ein wenig abtrocknete und sich gemeinsam mit Meleandas Hilfe wieder ankleidete, besonders bei ihrer Rüstung war es stets hilfreich, eine helfende Hand zu haben.
Endlich hatte sie wieder eine Gelegenheit gefunden, sich mit ihrem Herrn zu verbinden. Dies spürte sie in ihrem Körper ebenso wie in ihrem Herzen. Nun fühlte sie sich gestärkt, den Gefahren des Waldes gegenüberzutreten.
Freundlich erwiederte sie Meleandas Lächeln, bevor sie ihre Gedanken wieder auf ihre bevorstehende Aufgabe lenkte.
Die verschwundene Zauberin, Jenneleth hatte laut der Aussage eines Bewohners darauf verzichtet, ihren verzauberten Gürtel mitzunehmen. Somit hatte sie offenbar nicht mit einer Gefahr gerechnet. Und diese Sorglosigkeit war ihr vielleicht zum Verhängnis geworden, vielleicht musste sie dafür bereits mit ihrem Leben bezahlen.
Doch Irana wünschte niemandem einfach so den Tod. Sie hatte sich dafür ausgesprochen, die Räuber der Hand des Gesetzes auszuliefern.
Doch wenn man ihren Zorn weckte, schreckte auch Irana nicht davor zurück, Blut zu vergießen oder gar zu töten.
An dem Tag, an dem die Klerikerinnen Zon-Kuthons über ihren Tempel hergefallen waren, hatte sich Irana aus dem Blutvergießen zunächst herausgehalten, stattdessen Gozrehs Sturmböen gegen ihre Gegnerinnen geschickt und den anderen Klerikern den Kampf überlassen. Doch dieser Kampf in der Defensive war in jenem Moment vorbei gewesen, als eine der Frauen eine Gozreh-Priesterin direkt vor Iranas Augen erschlagen hatte. Mit der Geschwindigkeit eines tosenden Sturms hatte Irana gespürt, wie sie von Trauer und gleichzeitig von Zorn heimgesucht wurde. Dann war sie auf die Priesterin zugestürmt, hatte mit ihrem Dreizack ausgeholt, gespürt, dass sie Haut statt der Rüstung getroffen hatte und ihren Dreizack immer tiefer in den Körper der Geweihten Zon-Kuthons getrieben hatte. "Gefällt es Euch, so wie sie zu leiden?", rief Irana ihrer Gegnerin entgegen, die keine Antwort heraus brachte, sondern schrill und buchstäblich wie am Spieß schrie, als Irana den Dreizack aus dem Bauch der Priesterin gezogen und einen Sekundenbruchteil später deren Arm gebohrt hatte. Ebenso wie bei Irana hatten sich in den Augen der Frau, die sich der Dunkelheit geweiht hatte, mit Tränen gefüllt, ihre Tränen waren nur Tränen des Schmerzes, aufgrund körperlicher Wunden, gewesen.
Doch Iranas Tränen, die nach diesem blutigen Duell zu Boden gefallen waren, waren zwar ebenfalls Tränen des Schmerzes gewesen, doch sie hatte nicht wie ihre tote Glaubensschwester, über die sie sich nun gebeugt hatte, die Stachelketten der Angreiferinnen gespürt. Irana hatte häufig mit ihr den Kampf trainiert...doch dazu würde es keine Gelegnheit mehr geben. Die Glaubensschwester hatte diesem Hieb so viel entgegenzusetzen gehabt, wie ein Blatt, welches von einem Windstoß erfasst worden war - nichts.
Iranas Schmerz über ihren Verlust saß tief im innern. Es fühlte sich an, als ob die Angreiferinnen ihr einen Teil ihres Herzens aus dem Körper gerissen hätten. Tränen waren einem Regen gleich auf den Körper ihrer verstorbenen Glaubensschwester gefallen, so viele, dass sie fast gehofft hatte, alle diese Tränen könnten die Leere in ihrem Herzen wieder füllen, so wie eine versiegte Quelle wieder neues Wasser hervorzubringen vermochte, doch es schien aussichtslos.
Dann erschien unwillkürlich Meleandas Gesicht vor ihrem inneren Auge, spürte die Wärme, mit der sie die Verbindung erfüllte. Dann durchfuhr sie jedoch fast gleichzeitig ein plötzlicher Gedanke, so schnell und kaum spürbar wie ein kurzer Luftzug: Ich werde nicht noch einmal zulassen, dass eine enge Freundin erneut vor meinen Augen sterben muss. Sowahr ich Gozreh diene, schwöre ich bei Meer und Himmel: Wer auch immer Meleanda töten will... muss zuerst mich erschlagen.
Unwillkürlich lehnte sie sich sanft an Meleandas Schulter, legte einen Arm um sie und spürte, wie einige stumme Tränen auf ihr Gesicht und die Schulter der anderen Halb-Elfe fielen.