Also doch. Viktor war nicht einfach fortgegangen, sondern hatte sich angehört, was Dana ihm in Wut, Sorge und Verzweiflung nachgeschleudert hatte. Ihr gefiel nicht, was der junge Priester ihr erwiderte, doch das nützte ihr herzlich wenig. Viktor mochte ein Sturkopf sein, doch hatte er Dinge bedacht, die Dana in ihrem Zustand nicht in den Sinn gekommen waren. Wenn Dana sich auch durch die Antwort des Priesters verbal entwaffnen ließ, behielt Viktor wohl das letzte Wort, da er sich nun endgültig auf den Weg machte.
Doch ohnehin kam Dana nicht dazu, noch etwas zu erwidern oder erneut die Stimme zu erheben, um Viktor etwas hinterherzurufen, denn Ichabod erwachte in diesem Moment – zu ihrer Erleichterung – und lenkte sie damit ab. Schon prasselte ein Schwall Worte ihres Exmanns auf die mitgenommene Dana ein und er war sofort auf Trab, um Viktor nachzusetzen, wie es schien.
Dana war Ichabod dankbar, dass er zurückkehrte und sich nicht allein ließ – denn auch wenn sie nicht verletzt gewesen wäre, wollte sie an diesem Ort nicht einsam zurückbleiben.
Ihr Gesichtsausdruck verlor an Härte, während er mit ihr sprach und schließlich lächelte sie müde, bevor sie ihm antwortete.
„Es geht mir wohl den Umständen entsprechend, denke ich, aber ich werde es überstehen“, versuchte sie, ihn etwas zu beruhigen und ihm damit seine Frage, ob es ihr gut ginge, zu beantworten.
„Es ist nichts, was ein Bad und etwas Ruhe nicht wieder herrichten könnten.“ Dana war immer noch etwas durcheinander nach ihrer Bewusstlosigkeit und wahrscheinlich merkte Ichabod ihr das an. Etwas ausgelaugt fühlte sie auch körperlich. Tatsächlich hatte die Reinlichkeit und Ordnung liebende Varisianerin das Bedürfnis, sich zu säubern – auch wenn ihre Verwundung wohl ihre größte Sorge, was ihre eigene Person betraf, sein dürfte und war.
„Keine Sorge, ich bin nicht wütend auf dich. Ich möchte dir für das danken, was du für mich getan hast. Es tut mir leid, es ging alles so schnell.“ Die heftigen Angriffe der Untoten hatten sie unvorbereitet getroffen und Dana fand es furchtbar, dass sie Ichabod durch ihr Versagen in Gefahr und eine missliche Lage gebracht hatte.
„Ich bin erleichtert und froh darüber, dass wenigstens du wohlauf bist – du hast mir gerade eben einen großen Schreck eingejagt“, gab sie zu, auch wenn sie schnell wieder zum Thema, warum sie wütend aussah (und war), zurückkehrte. Vielleicht war es sogar die Angst und voreilige Trauer um Ichabod, als sie ihn regungslos neben sich liegend entdeckt hatte, die ihr gefühlt am meisten zu schaffen gemacht hatte, aber das wollte sie ihn nicht unbedingt wissen lassen.
„Nein, es ist Viktor und diese ganze Situation, ich…“, erklärte Dana und unterbrach sich kurz, denn das Sprechen strengte sie an – aber sie war schon längst mitten in einem Redeschwall.
„Ich hasse es, dass er Recht hat. Die Dorfbewohner werden uns in der Luft zerreißen, wenn sie erfahren, dass wir hier gewesen sind, und wir nichts in der Hand haben, um sie zu beschwichtigen. Diese verblendeten Bauern werden vielleicht uns noch unterstellen, die Untoten eigenhändig erweckt oder beschworen zu haben, wenn es uns unglücklich trifft. Viktor hofft, dass die Untoten, wenn sie denn nicht schon weggeschafft wurden, zusammen mit meinem Zustand Entschuldigung genug für unser Eindringen in die Krypta ist“, erklärte sie Ichabod und blickte ihn verzweifelnd an.
„Wie sollen wir Kendra, uns und die restlichen Menschen hier beschützen, wenn man in uns das Übel sieht? Kendra von hier fortzuschaffen, wenn es das ist, worüber du dir gerade den Kopf zerbrichst, können wir ihr nicht antun, Ichabod. Der Professor ist gerade erst unter der Erde und der Schmerz ist noch viel zu frisch. Wir können sie weder allein lassen, noch jederzeit mitnehmen.“
Sie seufzte, bevor sie die Gedanken, die sie gerade hatte, mit ihrem Exmann teilte.
„Ich schätze, wir brauchen jemanden, dem wir vertrauen können, der sie bewacht. Brann ist – widersprich mir ja nicht“, fügte sie mahnend ein, da ihr noch immer deutlich bewusst war, dass Ichabod nicht gut auf den Söldner zu sprechen war, „– ein fähiger Beschützer und Kendra ist in seiner Obhut sicher gut aufgehoben, doch wüsste ich ihn gern an unserer Seite. Seine Muskelkraft kann uns in Anbetracht dessen, was uns bereits widerfahren ist, sicherlich dienlich sein und auch in anderer Hinsicht scheint er sich mit seinem Handwerk auszukennen. Selbst wenn wir in die Lage kommen, uns nur auf uns beide gegenseitig verlassen zu können: Weder du, noch ich sind zum Kämpfen geschaffen, wenn es brenzlig werden sollte. Die Begegnung mit den Untoten hat nur mit Glück kein allzu übles Ende genommen“, versuchte Dana Ichabod nahezulegen, Vorteile an Branns Gesellschaft zu sehen, ohne ihren Exmann und seine schwächliche Statur dabei kritisieren zu wollen. Er wusste ja selbst, dass seine Waffen sein Verstand und seine Zunge waren – stärkere Waffen als Muskelkraft, wie Dana fand, aber solche war manchmal, zum Beispiel im Umgang mit Untoten, einfach vonnöten. Sie gab Ichabod mit ihrer Äußerung aber auch zu verstehen, dass sie ihm trotz allem, was zwischen ihnen passiert war, vertraute.
„Wir könnten mit der nächsten Postkutsche nach Hilfe von außerhalb schicken“, schlug Dana dann vor, ohne zu wissen, dass Ichabod auf diesen Gedanken bereits gekommen war, als sie nicht bei Sinnen gewesen war.
„Jedoch fürchte ich, dass sich die Dinge hier viel zu bald zuspitzen werden.“ Darauf verlassen, dass rechtzeitig Hilfe eintreffen würde, konnten sie nicht, aber einen Versuch war es wahrscheinlich wert. Selbst, wenn sie scheitern würden, würden diejenigen, die nach ihnen kämen, sich der Totenbeschwörer annehmen.
„Was unsere jetzige Situation betrifft, ist den Friedhof hinter uns zu lassen, sicher keine schlechte Idee, wenn wir nicht noch einem wütenden Mob gegenüberstehen wollen“, äußerte sie schließlich, „aber die Gelegenheit, die uns hier bietet, ist einmalig, nehme ich stark an. Wie sollen wir sonst an die Gerätschaften gelangen, die uns der Lösung des Rätsels um des Professors Tod sicherlich näherbrächten?“ Dana war hin und hergerissen.
„Viktor scheint dies nicht einzusehen und weder er, noch die anderen Pharasmiten oder der Rest von Ravengro dürften gnädig mit uns umspringen, wenn wir nun noch tiefer in die Krypta vordringen. Heimlich wird dies nun kaum mehr möglich sein, denn Viktor will schon bald zurückkehren. Du kennst mich, ich ehre Pharasmas Gesetze und diene der Herrin auf meine Weise, doch weiß ich, dass es manchmal notwendig ist, Gesetze zu beugen.“ Dana konnte Ichabods Denkweise folgen und unterstützte sein Vorgehen gewissermaßen sogar, doch könnte die Entscheidung, sich doch noch in der Krypta umzusehen, falls sie diese denn trafen, als großer Fehler erweisen.
„Wie ich das sehe, ist diese Krypta bereits entweiht, doch vielleicht sollten wir es dabei belassen und darauf hoffen, dass uns nun endlich Gehör und Unterstützung von Seiten des Tempels aus geschenkt wird.“ Ihrer Stimme war allerdings anzuhören, dass sie nicht wirklich daran glaubte, dass dies geschehen würde.
„Versuchen wir, Viktor von seinem Vorhaben, uns bei Vater Grimburrow anzuschwärzen, abzubringen“, schlug Dana deswegen vor.
„Er scheint es wirklich nur gut zu meinen und nun Schadensbegrenzung betreiben zu wollen, allerdings könnte er damit auch erst der Auslöser eines weiteren Unglücks sein. Ich könnte es nicht ertragen, wenn Kendra unseretwegen etwas zustoßen würde. Der Professor bat uns ausdrücklich, auf seine Tochter achtzugeben, aber das bedeutet nicht nur, dass wir sie beschützen, sondern auch, dass wir nicht selbst das Holz für unseren eigenen Scheiterhaufen aufschichten.“
Dana hielt Blickkontakt mit ihrem Exmann. Sie war in diesem Moment dankbar für seine Gesellschaft, die ihr wie in früheren Zeiten Sicherheit gab, ohne dass sie sich dessen bewusst wurde. Unter anderem lenkte Ichabod sie auch etwas von ihrer körperlichen Verfassung ab.
Jedoch war sie genauso ratlos wie er, denn eine befriedigende Lösung ihres Problems sah sie nicht. Ihre Lage war schwierig und Dana hatte Mühe damit, sich zu konzentrieren.