Dana beoabachtete Ichabods Wutanfall mit kritisch hochgezogener Augenbraue. Aber das war sie von ihm gewohnt. Sie kannte diese Neigung, lautstark seinen Ärger kundzutun, genauso wie seine Besessenheit von seinen Haaren.
"Oh, welch Spaß es wäre, ihm weiszumachen, dass seine Frisur immer noch nicht säße", dachte Dana in Gedanken sarkastisch - sarkastisch nicht, weil es ihr unter Umständen nicht wirklich Spaß machen würde (sie hatte diese Vorgehensweise schon früher einige Male benutzt, um ihn abzulenken), sondern, weil sie einfach schlecht gelaunt und nicht in Stimmung für solcherlei Scherze war.
Dana war, wie Ichabod, der Ansicht, dass Vater Grimburrow den Ernst der Lage verkannte. Wahrlich, der alte Mann schien wirklich keine Eile walten lassen zu wollen, wenn er sich erst am Nachmittag um die Angelegenheit zu kümmern gedachte.
Als ihr Exmann sie jedoch wie selbstverständlich in seinen Plan involvierte, zeigten sich kurz missbilligende Falten auf ihrer Stirn. Es stimmte, was sie Grimburrow gegenüber gesagt hatte: nichts lag ihr ferner als grabschänderisch tätig zu sein. Sie respektierte die Ruhe der Toten, genauso wie sie sich als selbsterkannte Ärztin für das Leben einsetzte. Doch dem Professor schienen die Gerätschaften wichtig gewesen zu sein und dieser hatte oder hätte scheinbar selbst nicht davor zurückgeschreckt, deswegen die Krypta zu "entweihen". Wahrscheinlich waren sie, auch wenn es angebracht gewesen war, Vater Grimburrow zu informieren, ungeschickt vorgegangen. Vielleicht hätten sie sich zuvor die Krypta ansehen sollen - heimlich, selbstverständlich.
"Ich kann nicht sagen, dass ich das gutheiße", antwortete Dana schließlich.
"Und wenn Vater Grimburrow davon erfährt, wird er uns garantiert zur Verantwortung ziehen wollen. Vielleicht wird er uns alle Diener des Tempels und auch die Dörfler auf den Hals hetzen, wenn wir in die Krypta eindringen." In ihren Ohren hörte sich das nicht wirklich verlockend an. In der Macht des Priesters lag dies sicherlich. Und aus hintergangenen Klerikern wurden leicht religiöse Fanatiker - und diese sollte man immer mit Vorsicht genießen.
"Dennoch kann ich dich nicht allein gehen lassen", sagte Dana, fast schon aus Gewohnheit. Doch Sorgen um Ichabod machte sie sich weniger, auch wenn damit zu rechnen war, dass der Flüsternde Weg sie beobachtete - vielmehr sorgte sie sich darum, dass ihr Exmann eine Katastrophe herbeiführen könnte. Das war ihm zuzutrauen.
"Am schnellsten wäre es, der Straße nach Norden folgen", antwortete Dana weiterhin, ohne groß darüber nachzudenken, denn sie wusste, dass die Krypta in der Nähe von Professor Lorrimors Grab lag, welches in dieser Richtung außerhalb des Ortes zu finden war.
[1] "Ob das am unauffälligsten ist, sei dahingestellt - zumindest wenn du Angst hast, dass Vater Grimburrow gerade noch ein Auge auf uns hat. Kendras Haus liegt immerhin in der entgegengesetzten Richtung. Wenn du diesen Umweg bevorzugst, sei dir aber bewusst, das dieser durch das ganzen Ort und über den Dorfplatz führt." Sie hatte zumindest keine andere Möglichkeit als die zwei Brücken im Norden und im Süden Ravengros gesehen, den Fluss zu überqueren. Viele Auswahlmöglichkeiten hatten sie nicht.
"Durch die Felder werde ich aber mit Sicherheit nicht waten", erwähnte sie noch, bevor Ichabod auf die Idee kam, von ihr zu verlangen, abseits der Straße herumzuschleichen. Sie versank ja schon auf den angelegten Wegen tief im vom Regen aufgeweichten Boden.
Dann trat Dana einen Schritt auf ihren Exmann zu und fügte noch mit gedämpftem Stimme etwas an, das nur für ihn bestimmt war:
"Übrigens...", säuselte sie beinahe schon überfreundlich, und rückte scheinbar beiläufig seinen Kragen zurecht, denn nicht nur seine Frisur war vorhin etwas verrutscht, wobei im Laufe des folgenden Satzes ihr Tonfall deutlich härter wurde:
"Sollten sich deine Hände noch einmal an meinen Körper verirren, werde auch ich dich anfassen - aber das wird dir sicher nicht gefallen."Vor Vater Grimburrow und Viktor hatte Dana ihm vorhin im Tempel keine Szene machen wollen, aber Ichabod brauchte gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen. Sie nannte sich nicht ohne Grund wieder "Dana Gray". Etwas provozierend bedachte sie Ichabod noch mit einem kecken Blick und einem Schmunzeln, bevor sie wieder etwas Abstand zu ihm einnahm, um Viktor interessiert dafür, was dieser nun wohl zu sagen hätte, anzuschauen.