Brotfrage (Anzeigen)Die Argumentation lehnt sich eng an Dostojewskis Novelle vom Großinquistor - eine großartige Anthropologie und ich glaube, dass uns die Brotfrage noch heute lähmt.
Ich teile deine Einschätzung über das Stück. Aber der Nachsatz nach dem und. Inwiefern lähmt uns das? Weil wir die Möglichkeit hätten, diese Brotfrage eben ausreichend zu lösen und es mutwillig nicht tun? Deswegen die Bitte um Verzeihung. Ich hätte mit Groués darauf eingehen wollen, aber ich hatte Bammel, mich nochmal in das schöne Ende einzuschalten.
In der Art der Frage macht es für mich schon Sinn, klar auch im Zusammenhang, weil Paul ihnen ja die Nahrung bringen will, sie versorgen will, sodass sie sich nicht um die Brotfrage kümmern brauchen (ein Stück weit). Aber mich interessiert deine Auslegung da, falls du sie hier schon anreißen willst, auch wenn ich denke, dass es uns im Spiel noch häufiger begegnen wird.
Nunja, das ist keine besonders spektakuläre Argumentation. In der Auslegung Dostojewskis zeigt der Satan Jesus in der Wüste auf, wie er für alle Menschen zum Sohn Gottes werden kann. Er argumentiert, dass der normale und d.h. der "schwache" Mensch erst von seiner Sorge um sein Notwendigstes erlöst werden muss, bevor er seine Sinne auf das Wort Gottes richten kann. Jesus weist dies zurück mit dem Schriftzitat: "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht." - und meint damit, dass das Wort Gottes vor der Existenzsicherung steht. Der Gedanke taucht dann übrigens ganz explizit in der Bergpredigt auf, in Mt 6-7 auf, wo es heißt, dass der Mensch das Gottesreich suchen soll und Gott den Mensch ernährt. Wegen der Abfolge ist es auch kein Widerspruch, dass Jesus in Mt 14 5.000 Menschen mit Brot und Fisch speist - diese glaubten zuerst und wurden dann von ott versorgt.
Warum meine ich aber, dass das auch heute noch sehr bedeutend für uns ist? Man könnte meinen, die Brotfrage verliere ihre Bedeutung, wenn eine Gesellschaft so reich ist, dass jeden Tag viele Tonnen Lebensmittel weggeworfen werden. Doch die moderne Gesellschaft schafft es trotzdem nicht, ein höheres Ziel anzustreben, sei es nun die Verwirklichung eines irdischen Gottesreiches oder einer nichtchristlichen Utopie
[1]. Das Geldsystem hat sich als die gewaltigste Macht der Geschichte erwiesen. Weil Geld immer auch einen temporalen Aspekt hat, also sozusagen "für die Zukunft gespeichertes Brot" ist, kann ich jetzt mehr als genug Brot haben und will trotzdem keines abgeben. Eben wegen der Sorge um das Morgen.