Zugang zu Geschichtlichkeit
Die amerikanische Filmwissenschaftlerin Vivian Sobchack ist im Hinblick auf Hollywood-Geschichts- und Sandalenfilme einmal zu ganz ähnlichen[1] Ergebnissen gekommen. In diesen Filmen, so Sobchack, gehe des darum, der weißen amerikanischen Mittelschicht einen Zugang zu Geschichtlichkeit anzubieten, der sich nicht durch das Lesen geschichtlicher Abhandlungen öffnet, sondern im Erlebensmodus des Konsumismus erschlossen wird. Die klassische Geschichtswissenschaft und ihre Vorgänger waren immer mit staatstragenden Fragen zur Legitimität von Herrschaft befasst und dienten mehr oder weniger ihren Nationalstaaten. Nun, um Historienfilm, geht es darum, die Position in der der Zeit für diejenigen zu bestimmen, die sich nicht der Gelehrtenrepublik zurechnen, sondern deren Kultur sich über die Zirkulation von Waren und körperliches Erleben formiert. Für Sobchack ist dabei entscheidend, dass es bei Spektakeln dieser Art nicht um sachliche Richtigkeit im traditionellen Sinne geht. Ob also römische Soldaten bestimmte Waffen schon getragen haben können, ob man in diesem bestimmten griechischen Stadtstaat über diese und jene Werkzeuge verfügte, ist nicht entscheidend. Es geht hier nicht um die Wiedergabe konkreter historischer Ereignisse, sondern um die Konstruktion einer allgemeinen Ereignishaftigkeit und die Möglichkeit, dass die Zuschauer/innen geschichtlicher Bewegtbilder sich darin als historische Subjekte vorstellen können. Es geht darum, einen historischen Raum vorstellbar und erlebbar zu machen, der in jedem Fall größer ist als der Raum der unmittelbaren individuellen Erfahrungen.[...]
Ich wollte mal wieder etwas aus der Theorie teilen. Jetzt weiß ich, dass dieses - gerade bei euch als Spieler - nicht voll auf unser Medium zutrifft, da ihr keine reinen Konsumenten seid, doch dennoch ist hierin sicher eine gewisse Wahrheit sowie Überschneidung vorhanden. Dementsprechend viel Spaß beim Nachvollziehen des Gedankens.
Ich teile nicht alle Gedanken, vor allem diese Unterscheidung zwischen "Gelehrtenrepublik" und "Konsumrepublik" nicht, denn ich denke, dass diese beide dieser Tage freilich Hand in Hand gehen. Ich hatte in der Vergangenheit bereits auf Punkte des History-Entertainments aufmerksam gemacht, wie bei der Völkerschlacht. Zudem ist konsumorientierte Gelehrsamkeit sicher nicht grundsätzlich abzulehnen, im Gegenteil, ist sie wahrscheinlich sogar eine grundsätzlich notwendige Lesart- und Denkart in materialistischen Zeiten. Gleichzeitig ist in dem dazugehörigen Artikel dieser Punkt etwas schnell gelesen und geliefert, denn partizipatorisches Erlebnis und konsumorientiertes Erlebnis werden allzu leichtfertig gleichgesetzt, auch wenn sie in unserer Zeit deutliche Parallelen oder Ähnlichkeiten haben (denken wir an Cosplay und bestimmte Merchandising-Sparten).
In unserem Fall - das mag eigene Selbstüberschätzung sein - stehen diese beiden Sachen (Aktive Teilnahme und reiner Konsum) sich nicht konträr gegenüber, Gelehrsamkeit und eine gewisse Form von Infotainment sind ebenso nicht einander ausschließend. Sie sind oftmals und häufig genug Grundlage dessen, dass wir uns überhaupt mit etwas auseinandersetzen wollen. Interesse weckt in den seltensten Fällen ein Thema selbst, sondern was wir damit verbinden, wie wir es anpacken können und wie es verpackt ist. Es ist also in gewisser Sinne immer mit einem Grundmaß an Nutzen verbunden, ohne dass Nutzen gleich in irgendeine Form von ökonomisch-genutzter Freizeit übersetzt werden muss. Denken wir an Attribute wie Spaß, geistige oder schriftliche Herausforderung, die Freude daran, Themen zu erarbeiten und unterschiedliche Perspektiven zur Verfügung zu stellen, uns selbst in unsere Charaktere fließen zu lassen, und unsere Charaktere in uns fließen zu lassen; dem ganzen auch mit jener Mühe und jenem Pflichtbewusstsein zu versehen, welches weit darüber hinaus geht, dass von einem Nutzen im ökonomischen Sinne gesprochen werden könnte. Dass wir aber in diesem Fall - selbst wenn nur Spaßkonsumenten - von einer gewissen Gelehrsamkeit gleichsam ausgeschlossen sind, oder sein wollen, trifft wohl in den seltensten Fälle zu.