Thema: Spielkonzepthilfe

[Menthir]

Letzten Samstag kamen wir nach langer Zeit endlich wieder zum Spielen. Ein Spieler musste leider kurzfristig absagen, weil er das Wochenende arbeiten musste, doch konnte ein weiterer Spieler für das Projekt gewonnen werden.

Ich werde versuchen die neuste Spielzusammenfassung bis Ostermontag fertigzustellen.
War auf jeden Fall ein recht angenehmer und spannender Abend, auch wenn keine neuen Erinnerung freigespielt werden konnten, da das Sturmflutszenario beendet wurde.

Der dazugekommene Spieler hat einen sehr kontrastierenden Charakter eingebunden und ich bin gespannt, wie sich das auf die Runde auswirkt. Während die Gruppe eher eine kampfungeübte Runde darstellte, ist der neue Charakter Marinesoldat und Schläger aus Leidenschaft.

Mehr dazu im Spielbericht am Montag. 

[Menthir]

Wie versprochen die Zusammenfassung des letzten Spielabends. Ist viel Material geworden, ich habe versucht, es einigermaßen gestrafft zusammenzufassen, ohne die für das Spiel spannenden und/oder wichtigen Details außen vor zu lassen.
Die angegebenen Fußnoten sind in der Form drinne, weil sie tatsächlich so im Bericht standen. Das mit dem Gewichtsverlust durch Amputation ist wegen der zweiten Erinnerung von Karl Frey (also dass er in Organskandale verwickelt war) vielleicht von Bedeutung.

Wer die Warnung ignoriert oder zu viel Zeit hat, dem wünsche ich viel Spaß bei der Lektüre! 

Warnung vor den 9.300 Wörtern (Anzeigen)

Untersuchung 6 - Kurzprotokoll (Nicht in Hauptprotokoll an Schölling eingegliedert)

[geschwärzt] - 16:06

Schölling war ungehalten wegen der Streitereien, welche es in meinem Projekt geben soll. Er hat mir eine Wochenfrist gegeben, um meine Papiere auf Vordermann zu bringen und zwischen Verhulst und Haasmann zu vermitteln. Das fällt mir außerordentlich schwer, zumal Verhulst einen weiteren Patienten mit an den Spieltisch gebracht hat. Er hatte sie mit Y-1 und Y-2 angegeben, da sie zuerst unwillig waren, sich an diesem Spiel zu beteiligen. Y-1 hat sich aber am gestrigen Tag zur Verfügung gestellt und fügte sich nahtlos ein, auch wenn noch keine Erinnerungen freigespielt werden konnte, da Verhulst zuerst das Szenario beenden wollte. Es ist möglich, dass Y-1 auch an der Sturmflut in Hamburg beteiligt war, aber Verhulst hält es nicht für möglich, das Szenario nochmal komplett durchzuspielen, da die Patienten sich ja an das im Spiel Erlebte lebhaft erinnern und es sie in der Art langweilen würde. Vielleicht lässt sich aber über spätere Erinnerungen eine Brücke bauen.
Ich verzichte vorerst bei Danko Seiler weitestgehend auf eine Charakterisierung, da ich ihn erst in einer Spielsitzung beobachten konnte, aber ich stelle seine Entscheidungen gleich an den Anfang. Festgehalten werden muss, dass Y-1, also Danko Seiler, sich sehr schnell in das Spiel eingefunden hat. X-3 ist am gestrigen Abend allerdings ausgefallen, dadurch musste Verhulst ein paar Pläne umwerfen, aber die Improvisation hat ausgereicht. An diesem Abend wurde zudem das Szenario beendet, sodass wir in der Untersuchung 7 ein neues Szenario erleben werden und eine neue Chance, Erinnerung freizuschaufeln.

Teilnehmende Patienten: X-1, X-2, Y-1 | Y-2 und X-3 waren in keinem passenden Geisteszustand, um am Spiel teilzunehmen

Danko Seiler ist nach den bisherigen Information der abgehärtete, teils verhärmte, vor allem sehr aggressive Sohn eines Trinkers, der zu früh erwachsen werden musste, um sich zu versorgen. Er hat ein Leben in Gewalttätigkeit kennengelernt und ist dementsprechend sozialisiert. Er zeichnet sich durch einen kurzen Geduldsfaden aus und löst seine Konflikte entweder durch Aggression, Drohung oder Gewaltausübung. Er fühlt sich in militärischen Hierarchien wohl, ist jedoch auch in der Lage in unterschiedlichen Situation zu improvisieren, vor allem was Provokation und Waffenwahl angeht. Verhulst erwartet, dass anhand dieses Zuwachses eine neue Gruppendynamik einsetzen wird. Eine Dynamik, welche interessant zu beobachten sein wird, um ihr Sozialgefüge zu bewerten, sollten die Patienten sich tatsächlich gekannt haben.
 

Frage	Y-1
Hat deine Figur ein grobes Thema?	Mean Machine
Welchen Schauspieler würdest du für deine Figur casten?	Vinnie Jones
Welche fiktive oder historische Person könnte als Vorbild dienen?	Ajax
Welches Lied beschreibt deine Figur am besten?	Manowar - Warriors of the World United
Welchen Akzent/Dialekt würdest du deiner Figur am ehesten geben?	Keine Antwort
Welches Tier wäre deine Figur?	Stier
Welches Accessoire ist für deine Figur am wichtigsten?	Flachmann
In welche Epoche passt deine Figur am besten?	19. Jahrhundert
Welches (Lebens-)Motto hat deine Figur?	"Schläge sind die Fortsetzungen von Gesprächen, nur mit anderen Mitteln." (frei nach Clausewitz)

-	Danko Seiler
1. Aspekt	Gewalt erzeugt Gegengewalt.
2. Aspekt	Sie haben mir meine Kindheit gestohlen!
3. Aspekt	Elf Freunde müsst ihr sein, wenn ihr Siege wollt erringen.
4. Aspekt	Death by Tea Cup
5. Aspekt	Berührung der Tiefe

Am heutigen Morgen wunderte ich mich über die Namenswahl, welche Y-1 traf, weil er so gar nicht zu den Namen der anderen passte. Zwar passte der Nachname durchaus, aber der Vorname - Danko - erschien doch unpassend. Haasmann machte einen Witz, dass wir uns ja auch noch um eine weitere Pseudowissenschaft, die Namenspsychologie, bemühen könnten. Ich teile die Zweifel an der Namenspsychologie, dennoch kann der Name in diesem Punkt eine Deutungserleichterung sein, vor allem wenn wir den Namen abgleichen können. Während wir mit Karl (Mann, Ehemann oder der Freie), Sebald (Abkürzung von Siegbald/Siegbold: kühner Sieger) und Heinrich (Hausherr, Herr im Haus) klassische altdeutsche Namen haben, welche nicht nur im deutschen Mittelalter verankert sind, sondern auch in vielen Familien des klassischen Bürgertums weitergegeben werden, ist Danko ("Gegebener" und "Heller" oder als Kurzform von Bogdanko (Gottgegebener, vgl. das lateinische Adeodatus)) ein slawischer Name, der heute vor allem in bosnisch-serbischen Gebieten gängig ist, aber in allem slawischen Ländern vorkommt. Wir kennen den Grund der Namenswahl von Y-1 nicht, dennoch kann durch das geschätzte Alter von Y-1 (60-75 Jahre) davon ausgegangen werden, dass er entweder im Königreich Jugoslawien, im Demokratischen Föderativen Jugoslawien oder nach dem Krieg in der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien geboren wurde. Dagegen spricht sein sehr akzentfreies Deutsch, aber dies ist maximal ein sehr loses Indiz, da Karl Frey auch ein akzentfreies Deutsch spricht, aber in seiner Erinnerung von der CIA sprach und zudem als Charakter einen arabischen Einschlag hat. Verhulst machte mich darauf aufmerksam, dass wenn er in Jugoslawien groß geworden wäre, das Jahr 1968 eine entscheidende Rolle gespielt haben könnte, da in diesem Jahr die BRD einen Anwerbevertrag für Gastarbeiter mit Jugoslawien geschlossen hatte. Vielleicht lässt sich das überprüfen. Ohne hier die unzähligen Theorien vom Frühstückstisch wieder aufzuwühlen, ist die Namenswahl von Danko doch so ungewöhnlich, dass jugoslawische Wurzeln oder doch zumindest ein näherer Umgang mit dem Land Jugoslawiens eine Rolle gespielt hat im Leben von Y-1. Verhulst gab dabei letztendlich zu bedenken, dass Deutschland und Italien Jugoslawien 1941 besetzten und auflösten. Vielleicht spielt das auch eine Rolle? Vielleicht kam er oder seine Familie so nach Deutschland oder war daran beteiligt?

Diese ganze Diskussion hatte noch eine andere Wendung. Nachdem wir Haasmann in seinem Lachen über die Namenspsychologie gezähmt hatten, sprachen wir tatsächlich noch über psychologische Erkenntnismöglichkeiten. Tatsächlich kam als weiteres Thema eine weitere Pseudowissenschaft auf, die Graphologie oder auch Schriftpsychologie. Obwohl davon auszugehen ist und auszugehen bleibt, dass das Schriftbild eines Menschen keine umfassende Auskunft über seine komplexe Persönlichkeitsstruktur geben kann, schlägt Verhulst vor, trotzdem Schriftproben von den Patienten zu sammeln. Möglicherweise sind in den Büchern, welche den Personen nicht zugeordnet werden können (Siehe Seite 5), persönliche Markierungen und diese könnten dann verglichen werden. Gleichzeitig, und da gab sogar Haasmann uns recht, ist das Schreiben ein Akt der Selbstvergewisserung und gedanklichen Verarbeitung. Demnach wäre es möglich, dass alleine das Ansehen des eigenen Schriftbildes Erinnerung an etwas wecken können oder die Männer dafür empfänglicher machen können, Dinge zu erinnern, wenn sie mit ihrer eigenen Schrift konfrontiert werden. Höchstwahrscheinlich werden wir keine Schriftstücke aus der Vergangenheit der alten Männer finden, doch ausschließen wollen wir es nicht.
Verhulst schlägt zudem vor, es mit ihrer Aufgabe, die er am Ende des letzten Spielabends vergeben hat - die Charaktere haben 1000 Silbermünzen bekommen und sollen sich überlegen, was sie in einer Spielpause innerhalb des Spiels von etwa sechs Wochen, was dort 60 Tagen entspricht, mit diesem Geld und ihrer Zeit anstellen - zu verbinden. Anhand eines Schriftbildes kann man mit Sicherheit nicht den Intellekt der Männer beurteilen, aber doch kann man Eindrücke über die Kreativität und die Ordnungsfähigkeit gewinnen. Wir haben beschlossen, den Männern eine kurze Hausaufgabe zusätzlich zu geben. Sie sollten den Hintergrund ihrer Charaktere handschriftlich auf einer halben bis ganzen DIN-A4 Seite zusammenfassen, das war die erste Idee. Doch auf einmal widersprach Haasmann und schlug stattdessen vor, sie bei derselben Seitenlänge die Motivation ihrer Charaktere festlegen zu lassen. So könnte Verhulst die Charaktere leichter anspielen und nach der Motivation auch eher gezielte Erinnerungen anvisieren. Verwundert sahen Verhulst und ich uns an und gaben Haasmann recht. Haasmann drückte dennoch aus, dass er noch immer nichts von dem Vorgehen hielte, er aber Kompromisse suchte, um die Zusammenarbeit nicht unnötig zu verkomplizieren. Zudem gab er eine handschriftliche Medikamentenliste ab.
 

Ein Flüstern weckte Sebald und dann darauf auch Karl. Die Jubelrufe zu ihren Ehren waren bereits wieder verklungen. Waren sie nur eine trügerische Erinnerung aufgrund des Deliriums und der Schmerzen? Sebald stöhnte auf. Wo auch immer er lag, es war nur dämmrig hier. Vielleicht ging die Sonne gerade auf. Und es war nass. Es tropfte von der Decke. Er blinzelte ins flackerhafte Talglicht, welches in dem großen Zelt aufgestellt worden war. Karl gab auch ein Stöhnen von sich. Dann schreckten beiden hoch. Ihre Wunden waren geheilt? Sebald war sich sicher, dass sein Arm gebrochen gewesen war und in merkwürdigsten Winkeln abgestanden hatte, nachdem das Steuerrad ihn zertrümmert hatte. Er spürte durchaus noch das Jucken in den Knochen, als würde es abheilen. Das musste ein Wunder sein? War er tot? Auch Karl spürte kein Stechen mehr in der Lunge und auch keine Übelkeit. Wie konnte es sein, wo doch um sie herum Männer mit gebrochenen Gliedern lagen oder Frauen sich noch immer geschlucktes Wasser aus dem Leib husteten? Ein ewiges Husten, Schnaufen, Nießen und Schniefen war aus der Umgebung zu hören, nebst dem Geräusch brechender Knochen, welches von einer stämmigen, kleinen Frau stammte, welche in einen schwarzweißen Habit mit rotem Schleier gekleidet war. Eine Nonne der Triade. Sie mussten im St. Johannis-Kloster liegen. Das Kloster war das nächste, große Gebäude, welches in der Nähe des Rispendammes als Lazarett genutzt werden konnte.

Karl und Sebald standen langsam auf und kleideten sich wieder in ihre nasse, unangenehme Kluft und stellten sich ans Feuer, auf dem eine Hühnerfettsuppe vor sich hinblubberte, um die vielen Verletzten und Flüchtlinge immerhin etwas von innen zu wärmen. Sie sprachen die Nonne an, doch die zeigte sich weder verwirrt darüber, dass sie so einfach wieder aufstanden, noch war sie an sich sonderlich gesprächig. Wenn sie mehr wissen wollten, hätten sie den Feldscherer zu fragen. Sie sprach den Berufstitel mit einer gewissen Verachtung aus, dies mochte aber an dem Stress liegen, unter dem sie stand. Karl und Sebald erkannten, dass die Nonne sich um die Kranken zu kümmern hatte und ihnen wohl kaum Zeit widmen würde. Doch bevor sie aufbrachen, nahmen sie erst einmal von der Fettsuppe, um etwas Wärme in ihre Körper zu bringen.

Nur mehrere hundert Meter Luftlinie entfernt, sowohl vom Kloster als auch vom Rispendamm, prangte der blaue Thurm. Eine Art Befestigungsturm, der gleichzeitig als Deichfried an dieser Stelle fungierte. Es war der Prachtturm des Landesherren, sein Burgersatz an diesem Ort. Der blaue Thurm war leicht erkennbar und eines der Wahrzeichen der Stadt, denn war dieser Klinkerbau mit blau glasierten Ziegelsteinen gebaut wurden, sodass sich die Sonne darin spiegelte und der blaue Turm aus großen Entfernungen zu erkennen war, trotz seiner relativ geringen Turmhöhe von knapp zwanzig Metern. Warum das repräsentative Gebäude des Landesherren genau diese Höhe hatte, war nicht bekannt. Es war höher als ein gewöhnlicher Burgfried und doch kleiner als die vielen Kirchtürme in Treva.
Danko Seiler war das herzlich egal. Er durfte den Turm sowieso nicht betreten, nicht einmal in das Innere der Mauern durfte er. Stattdessen waren er und seine Kameraden, die Windpeitscher, seit bereits sechs Wochen in der Stadt. Es war alles anders und vieles egal. Ihr Kapitän, Franco Hamann, war verbittert und wollte sich nicht vom Schiff trennen. Der erste Maat Hagedorn lag mit gebrochenem Rückgrat im Stroh und wurde rund um die Uhr von den Mannschaftern betreut und davon waren es nicht mehr viele. Da war Käpt'n Hamann, der auf ihrer Aushilfskogge ausharrte trotz des unglaublichen Sturmes, der noch immer tobte, dann war da der zweite Maat Oleg Bleischläger, ein gescheiterter Handwerker und sadistischer Antreiber, der sich auf dem Schiff hochgearbeitet hatte durch unbarmherzige Loyalität gegenüber Hamann und großartigen Enterkünsten, dann waren da noch sieben Mannschafter und schließlich er, der Bootsmann, der Aufseher der Mannschafterbande, wovon die meisten noch sehr grün hinter den Ohren waren. Danko Seiler war ungern hier an Land, auch wenn es bis zum Fluss nur ein paar Duzend Schritte waren. Es schlug auf seine Laune. Dieser unklare Auftrag auch. Ihr Schiff, ihr wirkliches Schiff war am Takebelt gesunken, ihr Aushilfsboot war auf dem Onyxmeer fast zerlegt worden. Er wusste selbst kaum, wie er überlebt hatte. Er wusste nur, dass Hamann seitdem anders war. Er wusste auch, dass er seitdem anders war. Seitdem war vieles anders. Sie hatten es aber überlebt. Sie bekamen eine windschiefe Kogge und eine neue Mannschaft. Nur Oleg, Franco, Hagedorn und er waren noch von der alten Mannschaft da, die Neuen waren alle noch keine zwanzig Winter alt. Und jetzt war der Auftrag irgendwas mit Rekrutenausbildung und Sichten der Situation in Treva. Ihr Käpt'n gab selten Befehle, Oleg übernahm nur widerwillig die Aufgabe vom meist bewusstlosen Hagedorn und Danko verbrachte die Tage mit Saufen und Spielen. Bis gestern. Verdammte Sturmflut. Nun saß er auf feuchtem Stroh neben dem ersten Maat und langweilte sich zu Tode. Draußen tobte der Sturm und Danko konnte geradezu spüren, wie es in Oleg brodelte. Oleg hätte Pirat werden sollen, er plünderte lieber als für den Landesherren zu segeln. Aber die Windpeitscher hatten einen Auftrag und ihnen wurde gesagt, dass sie die Stadt nicht gegen sich aufbringen sollten. Unter das Volk mischen, beobachten und die Rekruten ausbilden. Oleg brodelte. Heute Morgen war er spazieren gegangen, um sich abzulenken. Währenddessen hatte Danko seine letzten drei Silberlinge gegen die beiden Mannschafter verloren, die sich bisher am besten machten: der junge, starke Luftikus Mannfred und sein meist schweigendes Anhängsel Elvin. Sie verstanden sich gut und ohne Worte, vor allem beim Kartenspiel. Das war das Verhängnis für Dankos Silberbörse.

Oleg, der eigentlich Helge hieß, aber seine ostwärtige Variante mehr schätzte, kam aufgeregt in den Pferdestall, in dem die Windpeitscher ihren Unterschlupf vor dem blauen Thurm gefunden hatten, geeilt. Oleg, der immer in einer aggressiven Sprache verhaftet war, bekam sich kaum ein, fing sich jedoch und bellte Befehle an Danko weiter. Das Schiff vom Käpt'n wäre in den Deich gegangen und er läge im Lazarett im Kloster gegenüber. Danko sollte sich zwei Mannschafter schnappen und zusehen, dass er den Käpt'n aus den Griff der Stadt befreite, denn wenn dieser identifiziert würde als Feind der Stadt, würde man ihm umgehend den Prozess machen. Obwohl Danko hörte, dass der Kapitän, unter dem er auch noch am meisten gesegelt war und die härtesten Aufgaben meisterte, sogar das Onyxmeer[1], beim Sinken des Schiffes und dem Aufprall des Schiffes nahe des Deiches wohl ein Bein verloren habe, lächelte er. Es waren schlechte Nachrichten, aber immerhin gab es endlich was zu tun. Er nahm Mannfred und Elvin mit und machte sich mit einem Ruderboot, um den sehr leibvollen Kapitän zu transportieren, auf den Weg.

Er erkannte ihn wieder. Danko erkannte diesen Mann, der müde und abgekämpft aus dem Kloster stiefelte und die Hand vor dem peitschenden Regen vor die Augen hielt wieder. Er war kaum gealtert seitdem, war aber durchaus zwei, drei Kilo leichter geworden. Er erinnerte sich an Sebald, den er vor Räubern beschützt hatte. Ja, das war eine Geschichte, als er eine ganze Gruppe von Männern mit Fässern verprügelte. Sebald erkannte auch Danko wieder. Dieser stellte auch Karl vor. Ein kurzer Plausch, ein kurzer Austausch. Danko erinnerte Sebald daran, dass dieser bei ihm seit der Fasssache, und das war hunderte Kilometer entfernt auf der Sonneninsel passiert, noch immer etwas schuldig war. Was für ein Zufall, dass man sich gerade in Treva wiedertraf. Sebald stimmte zu. Danko eröffnete, dass er Käpitan Hamann aus dem Lazarett schaffen musste. Karl und Sebald tauschten vielsagende Blicke, dennoch stimmten sie zu.

Fünf Wachmänner, sie trugen Trevarer Kleidung, wachten über die Verletzten und halfen dabei, Verwundete in die fünf Zelte im Innenhof des Klosters zu schaffen. Sie halfen allerdings auch dabei, dass ein vielleicht drei Zentner schwerer Mann mit nur noch einem Bein[2] entführt werden konnte. Anfangs hatten sie sich mutig gezeigt und einer von ihnen fragte, warum Danko eindrang. Geistesgegenwärtig hatten die Windpeitscher damit gerechnet, beobachtet zu werden, und hatten auf dem Weg einfache Bürger dazu gebracht, ihnen Hemden zu geben, damit sie nicht in Uniform der Windpeitscher in das Kloster eindringen mussten. Danko hatte der Wache unmissverständlich in deutlicher Sprache klar gemacht, dass jeder Konflikt gegen die Wache ausgehen würde. Zwei Wachen blieben argwöhnisch, doch waren dann abgelenkt, als Sebald sie mit endlosen Geschichten über das Nichts und das Alles ablenkte und so missachteten alle Wachen jenes, was dort passierte. Danko und seine beiden Mannschafter holten Kapitän Hamann aus einem der Zelte. Er war amputiert wurden, hatte sein Bein aber nicht durch den Unfall verloren, sondern durch ein wundbrandiges Geschwür im Bein. Die Nonne in diesem Zelt, eine jüngere, aber nicht weniger resolute Dame, war auch hier abweisend gewesen, tat aber auch nichts gegen die Entführung. Sie bekam sie auch nicht mit, da sie gerade operierte und die Schreie des Unbetäubten lauter waren als das Gestöhne unter dem Gewicht des dicken Mannes.
Kurz mochten die Wachen nochmal Mut sammeln und sich dem großen, fast sechs Fuß messenden Mann der Danko war entgegenstellen wollen, doch als Danko den schweren Kapitän trotz des tiefen, matschigen Bodens alleine auf die Schultern nahm, weil seine beide Kameraden erschöpft waren, überlegten sie sich die Sache doch anders und unterhielten sich stattdessen freundlich mit Karl.
Danko lachte. Die Wachmänner würden nichts von dieser Aktion berichten. Sie hatten zu viel Furcht vor Danko, und selbst wenn nicht, würden sie dies niemals so erzählen und sich selbst vor ihren Vorgesetzten zu Eseln machen. Danko wusste, wie sich das mit militärischen Hackordnungen verhielt. Wahrscheinlich würden sie erzählen, dass eine ganze Bande, wenn nicht gar eine Zwanzigschaft kam, um den Kapitän zu stehlen, wenn sie überhaupt wussten, wer denn dort gestohlen wurde. Danko war auf der sicheren Seite. Keiner machte sich freiwillig für die Wahrheit zur Lachnummer der Stadt. Zufrieden zogen Sebald, Karl, Elvin, Mannfred und Danko ab, während der dicke Mann auf das Boot verfrachtet wurde. Fast hätten ihre Wege sich wieder getrennt, aber das Schicksal wollte es nicht so.

Oleg wies zwei der anderen Mannschafter, Ole und Otfried, dazu an, sich um den Kapitän zu kümmern. Helge Bleischläger ließ dem Bootsmann aber jetzt keine ruhige Minute. Sie sollten sich in der Stadt nützlich machen, während er sich selbst darum bemühte, dass der Kapitän nicht länger im Nassen liegen musste. Der Kapitän war schon immer ein Pfundskerl gewesen, doch inzwischen war er einfach nur noch fett. Seine Haut war von Schuppenflechten belegt, sein verbliebenes Auge - Danko hatte ihn immer nur mit einem Auge gekannt und wusste nicht, wie er dies verloren hatte - war gräulich gefärbt. Er war erblindet, wahrscheinlich durch eine Infektion[3]. Danko wusste, dass der Käpt'n immer Probleme mit einem juckenden Auge gehabt hatte und irgendwann hatte er mal was gesagt im Suff. Irgendwas davon, dass ein Pfaffenarzt ihn davor gewarnt hatte, dass wenn er sich nicht auskurierte, die Krankheit ihn blind machen könnte. Tags darauf waren sie zum Takebelt gesegelt. Während Oleg in seiner bewährt forschen Art ans Tor bollerte, um den Kapitän ins Trockene zu bringen, sprach Mannfred das an, was alle sicher schon gedacht hatten. Er sprach an, dass sie sich tatsächlich in den Dienst der Stadt stellen sollten, wie dieser Sebald schon bei ihrer Trennung angedeutet hatte. Sie brauchten aufgrund ihrer Spielschulden einfach das Silber und es würde ihren Ruf aufpolieren. Der Bootsmann nickte es ab und wenige Minuten später hatten sie das Ruderboot das dritte Mal über den angeschwollenen Wasserarm gesteuert. Mannfred und Elvin fühlten sich sicher, jeder wusste, was für ein Tier Danko war.

Karl und Sebald hätten vom Kommandanten erst einmal eine weitere Stunde Pause bekommen, da er die Truppen für den Tag einzuweisen hatte, doch ein Melder unterbrach ihr Gespräch. Der Kommandant bat um Verzeihung, dass er im Moment die große Leistung von Karl und Sebald nicht ausreichend würdigen könne. Karl betonte, wie selbstlos seine Hilfe sei. Sebald und Karl zeigten sich beide nicht bestürzt darüber, wohl aber über die Worte des erschöpften Melders, der noch ein sehr junger Kerl von vielleicht vierzehn oder fünfzehn Jahren war. Im Brauereiviertel sei ein Armenhaus fortgespült wurden, lediglich geringe Teile des Hauses stünden noch. Der Kommandant fragte nach der Anzahl der Opfer, die der Melder nicht beantworten konnte. Doch er merkte an, dass im Haus noch mindestens fünf oder sechs Kinder sein. Der Kommandant musste Karl und Sebald auch noch ihre Pause nehmen. Er gab ihnen vier Reservisten mit und einen Prahm mit. Schnell brachen sie auf.

Kurz vor dem Prahm trafen sie sich wieder. Karl und Sebald trafen Danko wieder. Mannfred merkte an, dass sie eine Heuer mit dem Kommandanten aushandeln wollten, doch Danko erkannte das Gebot der Stunde. Er war ein Kamerad und Sebald und Karl hatten ihm eben ohne mit der Wimper zu zucken bei der Entführung von Kapitän Franco Hamann geholfen und so würde er es ihnen auch vergelten, dass er sich ihnen ohne großes Brimborium anschloss, um den Kindern zu helfen. Mannfred und Elvin[4] beschwerten sich nicht und schlossen sich an. Die Prahm setzte sich mit den neun Helfern in Bewegung, angetrieben von einem kräftigen Danko, der die Hauptlast des Stakens übernahm.

Der Regen hatte nachgelassen und ebenso der Wind, doch das Wasser lief immer noch mit Kraft und Gewalt durch die Straßen. Sie brauchten fast eine Viertelstunde, um bis zum Haus zu kommen, welches sehr leicht zu erkennen war. Ein vierstöckiger Klinkerbau, der an allen Seiten eingerissen schien und nur noch durch die letzten drei stützenden Pfeiler gehalten wurde. Das Wasser stand in diesem Viertel über zwei Meter hoch, und schwappte durch die Wellen sogar bis ins erste Stockwerk. Die Kinder hatten sich im zweiten Stockwerk verkrochen. Angespornt von den Angstschreien gaben die Reservisten, diese vier waren ältliche Handwerker in der typischen rotweißen Tracht der Treva-Recken, alles. Doch plötzlich schreckten sie auf, als sich unweit von ihnen ein Fenster öffnete. Ein alter Mann mit einer Stirnglatze, tiefen Denkfurchen in der Stirn, einer kleinen, umso kostbareren Brille und abgewetzten, nassen Klamotten sprang ans Fenster. Er brüllte die Männer an, sie müssten ihm helfen. Ein Disput entstand. Der Mann wollte, dass sie sofort halfen, um den Keller mit Sandsacken zu sichern. Es würde um viel Bier gehen. 375 große Fässer müssten geschützt werden. Die Männer hörten die Schreie der Kinder, sie wollten weiter. Bier war zweitrangig. Der ältere Mann, der verzweifelt war, schrie schriller. Es ging auch um die Brauausstattung, es würde um die Bierversorgung des nächsten Vierteljahres gehen. Er wurde ausfallend. Kinder konnte man jederzeit wieder ansetzen, doch ohne Ausrüstung gäbe es kein Bier mehr, brüllte er verzweifelt. Er bot Silber. 100 Silber, 150 Silber, 200 Silber pro Kopf, nur das jemand sein Bier rettete. Sie müssten nur Sandsäcke schleppen und die Ausrüstung bergen. Er wurde verzweifelter, doch er lockte die ersten Reservisten, zwei wollten reinklettern und helfen. Sebald wurde fuchsig. Angespornt durch das Geschrei der Kinder verteidigte er das Lebensrecht der kleinen Wesen, die noch so viel Leben vor sich haben könnten. Die Reservisten nickten, und kletterten zurück. Vielleicht hatte er ihr Herz erweicht, vielleicht hatten sie auch gemerkt, dass sie zu zweit nicht den Braukeller sichern konnten, vielleicht hatten sie auch realisiert, in wessen Auftrag Sebald und Karl handelten. Der Mann begann zu schreien und zu weinen, während der Prahm abgestoßen wurde. Sie würden helfen, sobald die Kinder in Sicherheit waren. Der Mann knallte die Fensterläden zu, sie fielen von der Wuchtt wieder auf. Der Mann mit Stirnglatze verschwand aus dem Sichtfeld.

Dennoch hatte diese Diskussion Zeit gekostet. Sebald erkannte, dass das Gebäude nicht mehr lange dem strömenden Wasser standhalten würde. Wie zur Bestätigung stürzten Teile des Dachstuhles samt gefährlich streuender Schindeln herab. Eine Lehmschindel zerbarst auf der Prahm und verletzte einen der Reservisten um ein Haar. Es würde eine gefährliche Rettung werden. Danko gab Anweisungen. Die Reservisten sollten sich gegen die Flut stemmen und den Prahm auf Kurs halten. Mannfred und Elvin bereiteten die Knoten für ein Rettungsseil vor, Danko selbst steuerte den Prahm, um ihn zu schützen und Karl und Sebald kümmerten sich um die Kinder, welche sie geborgen hatten. Sie steuerten das Haus an und waren jetzt in Reichweite. Mannfred, der auch sonst als Draufgänger tat, musste das Gebäude hochklettern und die Kinder über das Seil sichern. Sechs Kinder waren noch dort, alle zwischen vier und dreizehn Jahren. Es roch abscheulich aus dem Armenhaus, wahrscheinlich hatte die Kinder sich vor Angst auch eingenässt und es roch irgendwie süß, fast verwesend. Die Kinder harrten dort nun fast zwei Tage aus. Die ersten Kinder waren schnell gerettet, doch zwei Kinder weigerten sich. Sie wollten ihre Tante mitnehmen. Mannfred brüllte, dass eine tote Frau auf dem Boden lag. Die Kinder schrien. Danko brüllte gegen Wind, Wasser und Geschrei an, dass Mannfred die Kinder, koste es, was es wolle, runterbringen sollte. Ein Mädchen und ein Junge war noch dort. Das Mädchen stürzte sich weinend auf die tote Frau, Mannfred packte den Jungen und wollte ihn auf die Prahm absetzen. Ein lautes Rumpsen. Ein von der Flut transportiertes Trümmerstück traf die Prahm. Aufgeregtes Gebrüll, Sebald fiel fast über Bord, die Reservisten bestätigten, dass der Prahm kein Leck geschlagen hatte. Alle bestätigten, dass sie noch da waren, alle bis auf Karl.

Wieder Wasser im Körper. Karl kämpfte gegen den Brechreiz als er wieder das Brackwasser schmeckte, in das er gefallen war. Erinnerung an die letzte Nacht wurden wach. Er bekam Angst. Hektisch versuchte er dem Prahm entgegenzuschwimmen. Ein weitere Schindel stürzte vom Dach und traf ihn schmerzhaft am Bein. Er brüllte auf und schluckte wieder Wasser, er griff am Holz der antriebslosen Fähre vorbei, das Wasser trug ihn wieder ein Stück weg. Das Gebäude stürzte jetzt ein, immer mehr Trümmer fielen herab. Der Junge wurde auf dem Prahm abgesetzt, Mannfred lief wieder in das zusammenstürzende Haus, nachdem die Männer gemeinsam brüllten, dass er das Mädchen holen musste. Danko wich mit der Hilfe der Reservisten behände dem restlichen, herabstürzenden Dachstuhl aus. Geschrei, dann musste Danko es wagen, den Stackstock aus der Flut ziehen und ihn Karl entgegenrecken, damit er zugreifen konnten, ehe die Flut ihn wegtrug oder Trümmerteile ihn mitrissen. Karl tauchte auf, Danko und Sebald zogen ihn ran und auf die Fähre. Karl erbrach sich. Eine Wand brach weg. Schreie von drinnen und von der Prahm. Immer mehr Trümmer stürzten herab, dann tauchte Mannfred an der Öffnung auf, während die Decke über ihm einstürzte. Mit letzter Kraft warf er das Mädchen an Bord, welches die Männer gemeinsam auffingen. Dann ließ Mannfred sich nur noch ins Wasser fallen, ehe das Haus ihn zermalmte. Dabei hielt er das Seil fest, welches an die Fähre gebunden war. Schnell zog er sich ran und wurde von den Männern hochgezogen. Danko und die Reservisten kämpften mit brennenden Armen und heiseren Stimmen, versuchten aus der Gefahrenzone zu kommen, während das Haus gänzlich in sich zusammenbrach. Doch sie konnten sich der Flut nicht erwehren, das Haus drohte sie zu erschlagen, als plötzlich der Flutstrom nachließ und der Prahm einen Schub in die rettende Richtung machte. Die Trümmer schlugen hinter den Männern in das Wasser ein.

Die Männer jubelten und klopften sich auf die Schultern und auf die Rücken, während sie zurück in die Richtung des Wachturmes steuerten. Erstmals ließ Danko sich beim Kraftaufwand ablösen und genoss wie alle den Jubel an Bord des Prahm. Wer konnte schon wissen, dass er nun anders war, dass die Tiefe ihn berührt hatte im Onyxmeer. Dass er nun Mächte besaß, die er selbst nicht kontrollierte, noch verstand, und welchen Preis dies hatte...
Die Kinder wurden betreut und beruhigten sich langsam, auch wenn sie noch deutlich mitgenommen waren. Danko konnte sich sicher sein, dass die Windpeitscher jetzt einiges für ihren Ruf getan hatten, doch auch Sebald und Karl durften sich dessen bewusst sein. Was auch in den nächsten Stunden noch passieren mochte, sie würden fortan sicher geachtete Neubürger Trevas sein. Ihr Mut würde ein Leitbild sein und ihre Taten würden sich rumsprechen. Erst den Damm gehalten und dann ein halbes Duzend Kinder aus dem zusammenstürzenden Armenhaus gerettet. Es würde ihren Geschäftsplänen zuträglich sein und so ihre ersten Unternehmungen ankurbeln. Über das Hochgefühl konnte auch das letzte Bild des Schreckens nicht hinwegtäuschen. Während die Reservisten und die Windpeitschermannschafter noch jubelten, sahen Karl, Danko und Sebald den Brauer, der ihre Dienste kaufen wollte, aufgehängt an einem Strick vor dem Fenster. Sein Keller war vollgelaufen, die 375 Fässer[5] Bier verloren. Schnell steuerten sie weiter, um den Kindern diesen Anblick zu ersparen. Im Gefühl das Richtige getan zu haben, ging es zurück zum Kommandanten mit einem kleinen Umweg über den Gasthof am Berg, welcher Karl gehörte, um dort die Kinder in die Obhut der Alten zu geben, ein Bier zu trinken und für Karl, um Sha'Ira für ihre Mühe zu danken.

Eine Stunde Ruhe war ihnen endlich gegeben und nach dieser Anstrengung brauchten sie diese Pause auch. Danko und seine Mannen handelten eine Heuer mit dem Kommandanten aus und bekamen vom Zahlmeister alleine für den Tag den Sold einer Woche, also zehn Silber. Danach ruhten sich alle aus, ehe Kommandant Schmied schon mit der nächsten Aufgabe für sie kam. Sie hatten nur etwas warmes Bier zu sich genommen, um überhaupt etwas Warmes im Magen zu haben. Und nun bekamen sie, ohne feste Nahrung zu haben, denn die gab es in diesen Stunden kaum, eine gefährliche Aufgabe. Schmied wollte, da sie schon so viele gefährliche Dienste für die Stadt geleistet hatten, dass sie das Gebiet um die Unnütze Straße patrollierten und das Ungeziefer der Stadt davon abhielten, gerade in den Gebieten der Armen und Verstoßenen zu plündern. Während Sebald und Karl überlegten, ob diese Aufgabe nach den letzten Erlebnissen mit gewalttätigen Personen etwas für sie war, hatte Danko schon für sie zugesagt. Die Verlockung auch mal wieder die Fäuste schwingen zu können, erfüllten den stämmigen Mann mit Vorfreude, und auch Mannfred schien erfreut bei dem Gedanken daran. Elvin, der schmächtigste der Windpeitscher, aber immer noch stämmiger als Sebald und Karl, zuckte mit den Schultern. Damit war es beschlossen, zudem konnte Sebald so schauen, wie seine Werkstatt die Flut verwunden hatte.

Sie konnten den Weg fast wieder zu Fuß zurücklegen. Das Wasser war nur noch knietief und die Strömung war weitestgehend abgerissen. Das Wasser würde noch einige Tage so hoch stehen. Das Wasser war jetzt auch zu flach, um den Prahm einigermaßen sinnvoll steuern zu können. Sie ließen die Fähre aber nicht zurück, als Transportmittel konnte der Prahm noch immer hinter sich hergezogen werden. Sie mussten oftmals Trümmerresten ausweichen, Unrat und Tote trieben durch das Wasser. Das Gefühl des Erfolges schwand wieder, es schrumpfte zusammen. Was konnte ein Mensch gegen die Naturgewalten tun? Es waren diese Szenen, welche den Menschen bescheiden werden ließen oder die ihn daran erinnerten, warum göttliche Ordnungen, selbst wenn von Menschen propagiert, auf so fruchtbaren Boden fielen. Wer mochte Dour nur so erzürnt haben, dass dieser einen solchen Sturm auf Treva hetzte? In den Straßen, wo die Menschen langsam ihre Habe wieder zusammensuchten oder nach Überlebenden und Toten suchten, hörte man Gespräche und Sorgen. Wie ging es den anderen Städten, welche vom Meer befallen werden konnten? Was war mit der Hauptstadt - Herrenwyk - oder mit Vrysgard und der nördlichsten Stadt Ykernaeburgh? Manche Bewohner hatten dort Verwandte und sie fürchteten sich um ihre Sicherheit. Was war mit der, der Provinz vorgelagerten Insel, Dours Wall und der dazugehörigen Hauptstadt Dourstols? Die Kaufmänner sorgten sich um ihre Lagerhallen, aber auch um ihre Schiffsanteile, ihre Ladungen, um die Sicherheit der Wasserwege und um die Absatzmärkte. Sogar die durch die Straßen wandernden Klerikalen, ob nun Ahava, Vidar, Dour, Manhêl oder welchem Gott auch sonst zugetan, zeigten Sorge. Und wo war der Rat? Und wie ging es dem Rat? Wie würde es weitergehen?

Eine Bewegung. Sebald war sich ganz sicher, dass er eine Bewegung in seiner Werkstatt sah. Seine Mitpächter waren garantiert nicht während der Sturmflut heimgekehrt. Der erste Plünderer, den sie trafen, ausgerechnet in seiner neuen Werkstatt! Sebald rannte los. Er hörte ein Poltern in seiner Werkstatt. Er rief wütend hinein, dass die Figur sich zeigen sollte und rammte gegen die Tür. Er horchte wieder rein, Stille. Er rammte nochmal gegen die Tür. Er bekam sie wegen des noch knöchelhohen Wassers nicht auf. Die Tür hing schief in den Angeln und hatte sich verkantet. Danko prüfte die Tür mit einem geringschätzigen Blick, nahm drei Schritte Anlauf. Mit einem Krachen riss die Türzarge auseinander, die Angeln rissen aus und Danko verschwand mit der Tür im Inneren der Werkstatt. Unsanft spürte er, wie die Tür dabei auf Widerstand prallte, ihn dann jedoch auch überwand. Karl und Sebald eilten hinterher. Karl sah zuerst das Blut, welches an der Tür sich mit Wasser verband. Danko mühte sich wieder auf. Blutete er? Danko verneinte mit geschürzten Lippen und einem knappen, ablehnenden Kopfschütteln. Er nahm die Tür auf und tatsächlich, unter der Tür lag ein bewusstloser Mann, noch ein Säckel mit gestohlenen Werkzeugen unter den Arm geklemmt. Ein Plünderer, der sich just in dem Moment hinter der Tür zu verstecken versuchte, in der Danko sie aus den Angeln riss. Zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Mannfred fesselte den Mann und sie verbrachten ihn auf den Prahm, während Sebald den Schaden durch die Flut abschätzte. Der Wind hatte in seinem Schlafzimmer über der Werkstatt doch noch das Fenster eingeschlagen, vieles Werkzeug musste ausgebessert werden, viel Lagerholz hatte schwere Feuchtigkeitsschäden erlitten, die einfachen Fenster in der Werkstatt waren durch die Flut eingedrückt. Sebald rechnete kurz nach und konnte zumindest einschätzen, dass er für etwa 100 Silber die Werkstatt wieder einigermaßen und vorübergehend auf Vordermann bringen konnte. Doch woher nehmen? Er schuldete alleine dem Bankhaus Rover & Mercus noch 100 Silber. Würden sie ihm noch weitere 100 Silber leihen? Er müsste er irgendwie aus Scheiße Gold machen, so viel war klar.

Eine weitere Stunden reisten sie durch das Viertel und sahen viele Menschen, Halbork-Bastarde und Zwerge, welche ihre Habseligkeiten zusammenkratzten. Es war nicht leicht Plünderer von Heimbesitzern, die vor ihrer restlichen Existenz standen, zu unterscheiden. So beschlossen sie, auf jene Fälle zu achten, wo die Beteiligten sich sonderbar oder zu professionell verhielten und so schoben sie den Prahm von einer Straße zur nächsten. Eine zweite Stunde ohne erkennbare Erfolge. Es hatte keinen Sinn mehr immer weiter danach zu suchen. Es war inzwischen Mittags und durch das kalte Wasser froren die Beinen, die Füße waren inzwischen vor Kälte taub.
Sie brauchten einen trockenen Ort und vor allem etwas zu essen. Die Kräfte erlahmten langsam und Dankos Hoffnung auf eine zünftige Schlägerei hatte sich auch noch nicht erfüllt. Und während der darüber nachdachte und überlegte, wie er vor Oleg verschwieg, dass sie Plünderer aufhielten statt selbst eine Prise zu machen, denn das war Olegs eigentliche Lebenslust, hörte Karl Schreie in der Ferne. Hohe, schrille Schreie von Frauen, das hörte Karl sofort. Und irgendwie war es von Grunzlauten durchdrungen, wie von übergroßen Schweinen. Ein Bollern, wie auf schweres, hohles Metall. Der Prahm kam an der letzten Hausecke vorbei, welche ihre Sicht auf die St. Catharinen-Kirche, einer Kirche Ahavas, der Göttin der Familie und der Liebe, verstellte. Eine Gruppe grünhäutiger, größerer, menschenähnlicher Orks, wahrscheinlich weitere Bastarde dieser Völker, versuchten scheinbar mit Langschwertern die Tür aufzubrechen. Schnell verließen sie den Prahm und stürmten auf die Halborks zu. Danko ließ erfreut die Fäuste knacken, aber da Karl wusste, was Frauen wollten - in diesem Fall Rettung - übernahm er die Wortführung. Schnell forderte er die Grünlinge auf, die Kirche freizugeben, da er sonst wütend würde. Schnell sahen sie, dass die Orks scheinbar toten Soldaten ihre Waffen abgenommen hatten. Feindlichkeiten brausten auf, doch drei der vier Orks versuchten weiter die Tür zu öffnen, während der Älteste von ihn mit gebrochener Sprache sich verständlich zu machen suchte. Es sei ein Missverständnis, sie wollen die Frauen im Inneren retten. Da sein Plünderer, welche die Nonnen und Priesterinnen im Inneren der Kirche vergewaltigen wollten. Sebald spürte, dass die Männer zu verzweifelt schienen, als dass sie lügen konnten.
Während Karl und Sebald ein Bleiglasfenster einschlugen, um zu sehen, was sich dort genau zutrug, versuchte Danko die Tür einzudrücken. Die Tür war zu fest und zu schwer. Karl brüllte die Männer im Inneren an. Er sah acht Männer, welche weibliche Priester und halborkische Nonne, mindestens zwölf, umkreisten und manche schon provokativ ihre Hosen geöffneten hatten und ihre Geschlechtsteile in der Hand hielten. Karl berichteten und Danko wurde wütend und gab sich noch eine Chance. Gemeinsam mit den Orks rammte er gegen die Tür, ein Krachen, und wieder schlugen Angeln aus, das Tor schwang auf und verblüffte Männer schauten sich, teils schon halbnackt und mit den Händen an einer Nonne, um. Wütend stürmte Danko in den Raum, griff sich einen großen, massiven, mannshohen Kerzenständer und rannte auf die Meute zu. Einer der Männer zog sich gerade pöbelnd die Hose hoch und zog ein stumpfes Messer, doch ehe er die Waffe erhoben hatte, schlug Danko ihn bereits mit dem massiven Kerzenständer nieder. Ohne Verhandlung entbrannte ein kurzer, aber für die halbnackten Männer schmerzhafter Kampf. Während Karl die Nonnen zu sich holte und die Tür sicherte, warfen sich die Halborks mit den Schwertern, Sebald mit seinem Nierendolch und Danko mit allem, was er fand, auf die Männer, welche diese die Gunst der Stunde ausnutzen wollte, um Ahavapriesterinnen zu entehren. Es waren abgehalfterte Gestalten, die auch nur mit stumpfen Messern, abgebrochenen Holzstücken und Nagelkeulen bewaffnet waren. Sie sahen verhungert und verhärmt aus. Der Kampf war ungleich und nur drei Minuten später lagen sie bewusstlos, halb getötet oder ergeben auf dem Prahm.
Karl und Sebald konnten nur lächeln, da sie nun auch noch eine Kirche vor Ungemacht bewahrt hatten. Und während Danko glücklicherweise davon freigesprochen wurde, die ganzen Zerstörungen, die er in der Kirche an den Kerzenständern und Gebetsbänken angerichtet hatte, zu bezahlen, bedankten sich die Nonnen und Orks überschwänglich für die Hilfe. Jetzt hatten sie genügend Plünderer auf dem Prahm, es war Zeit sie der Wache zu übergeben und endlich eine lange Mittagspause einzulegen.

Von wegen Mittagspause. Schmied hieß sie gar nicht herzlich willkommen und gab die Frage nach der Übergange der Gefangenen an einen Hauptmann weiter. Ohne sich lange zu erklären, hielt er Karl Frey ein Schreiben vom Rat unter diese Nase und fasste sich genervt an den Kopf. Karl wurde schnell klar, dass die Laune des Kommandant nicht an ihnen und ihren Leistungen lag, sondern an der Entscheidung des Rates. Karl verlas das Schreiben vor den im Raum Anwesenden. Eine sofortige Enthebung aus dem Posten und die Aufforderung sich noch innerhalb der nächsten Stunde vor dem Rat zu melden.
Alle schauten geschockt, wieso sollte man jemanden, der die Stadt vor Unheil bewahrte, sofort beim Abflauen des Windes abziehen? Wer wusste schon, ob die Flut zu diesem Zeitpunkt bereits überstanden war? Was, wenn der Sturm nochmal anhob? Schmied hatte kaum geschlafen, seit der Sturm anfing zu toben, doch müde dankte er Sebald, Karl, Mannfred, Danko und Elvin nochmals für den Dienst an der Stadt und bat sie um eine letzte Sache. Er sei zu müde und nicht in der Position, sich zu verteidigen, weshalb er sie gerne als Zeugen für das Geschehene, die sie keine Soldaten sind, mitnehmen wollte, damit sie an seiner statt berichteten. Obwohl alle hungrig waren, durstig, froren und auch nicht so gekleidet waren, dass es sich ziemte vor den Rat zu treten, sagten sie zu. Schmied ließ seinen Adjutanten seine Sachen weiter zusammenräumen, während sie aufbrachen zum Schwarzen Rathaus.

Das Schwarze Rathaus war ein großer, fein verzierter Blockbau, der dem Wasser aufgrund seiner erhöhten Position gut getrotzt hatte. Er war ähnlich verklinkert wie der Blaue Thurm, nur dass hier schwarzglasierte Ziegel im oberen Bereich den repräsentativen Stil unterstrich. Der tragende Bereich war jedoch mit dunkelgebrannten Ziegeln gebaut wurden. Das Gebäude hatte zwei Stockwerke und war von bunten Fenster geziert. Der obere Ratsraum, die geheime Kammer, wegen der wichtigen Verhandlungen, in denen das Volk ausgeschlossen ist, so genannt, war von außen eingerahmt von kleinen Türmchen mit grünoxidierten Runddächern. Das Rathaus vermittelte den Eindruck von stoischer Ruhe und eben jener Standfestigkeit, welche den Trevarern nachgesagt wurde. Doch Schmied und seine Begleiter gingen nicht in die geheime Kammer, in die auch nur Ratsmitglieder durften, sondern in den großen Gerichts- und Anhörungssaal, welcher im Erdgeschoss untergebracht war. Ein junger Verwalter wies ihnen der Weg, vorbei an vielen Hilfsarbeitern, welche das restliche Wasser mit Schwämmen und Tüchern aufnahmen und den dunkel gefliesten Boden wischten.
Unwillkürlich fielen die Blicke auf die Galerie voller Gesichter ehemaliger Bürgermeister und dem der Tür nächsten Bildnis von Marcus Ahle, dem jetzigen Bürgermeister. Er hatte die sofortige Außerdienststellung von Waldemar Schmied unterschrieben. Dieser ernst blickende Syndikus konnte also nicht nur höflich sein, wie er es Karl und Sebald im ersten Gespräch gegenüber gewesen war. Unwillkürlich blickte Karl dabei zu dem am Türrahmen mit Blattgold angebrachten Spruch, der in vielen Rathäusern im Norden zu war, aber hier direkt über dem Gerichtssaal ein gewisses Geschmäckle hatte. "Jedem Menschen Recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann." Karl fragte sich, ob das an dieser Stelle beabsichtigt war oder ob dieser Raum früher eine andere Funktion hatte. Vielleicht war es auch einfach ein Eingeständnis, dass kein Mensch die Weisheit hatte, immer eine richtige Entscheidung zu treffen. Vielleicht versteckte der Rat sich hinter dieser Floskel?

Fünf, dunkle Tische standen in einem Fünfeck um eine abgesenkte Fläche aufgestellt. An jedem Tisch fanden vier Männer Platz. Als sie reinkamen, waren die Stühle bereits besetzt. Alle zwanzig Ratsmitglieder hatten sich eingefunden. Sie blickten alle auf die abgesenkte Fläche, wenn sie sich nicht gerade unterhielten, wo ein einzelner Stuhl wie auf dem Präsentierteller stand. Schmied beantragte, dass Karl Frey, Danko Seiler und Sebald Drexler für ihn aussagen durften. Der Rat ließ es zu, schickte jedoch Mannfred und Elvin vor die Tür, um dort zu warten. Ein Gehilfe brachte drei weitere Stühle in die Mitte und verließ den Saal. Marcus Ahle saß nicht exponiert zwischen den anderen Ratsmitglieder. Sie alle trugen schwarze Talare und hatten schwarze Hüte, eine Art Schlapphut, auf. Manche Männer sahen so aus, als würde sie ein genussvolles Leben führen, wie Melavin Großmann, während Marcus Ahle fast schon asketisch wirkte mit seinem knotigen, alten Körper. Fünfzehn Menschen saßen im Rat, zwei Zwerge, ein Elb, ein Halbelb und ein Halbling, der auf einem erhöhten Stuhl saß, sodass er auf Augenhöhe mit den anderen Ratsmitglieder sprechen konnte. Doch die meisten hielten sich in dieser Frage zurück. Der Wortführer der Anhörung war Melavin Großmann, der hie und da von Marcus Ahle unterbrochen wurde, während Dinkmut Eisenmeister insofern auffällig war, dass er ungemein uninteressiert an diesem Fall schien. Mit einem kurzen Nicken registrierte er die Anwesenheit von Danko Seiler. Danko hatte Eisenmeister kurz gesehen, wenn auch nicht mit ihm gesprochen, als der reiche Reeder dem Landesherren und den Windpeitschern die Ersatzkogge ohne Entgelt zur Verfügung stellte. Obwohl Danko nur ein Bootsmann war, hatte Dinkmut sich dessen Erscheinung wohl gemerkt.

Die Anhörung gewann an Fahrt, jedoch ließ Melavin Großmann, der augenscheinlich bestimmter, aber nicht freiwilliger Wortführer dieser Versammlung war, sich nicht von der Art und Weise wie Sebald Drexler vom Thema abdriftete, ablenken. Die Argumentation drehte sich darum, dass man Schmied einen Bruch der Stadtverfassung vorwarf, indem er regelrechte Soldaten im Inneren einsetzte, die Angehörten verwarfen dies jedoch und verteidigten Schmied vehement. Sie stellten heraus, dass nur Reservisten oder freiwillige Bürger oder Soldaten des Landesherren innerhalb der Stadt eingesetzt wurden, über die Kommandant Schmied keine Befehlsgewalt hat und ihnen den Aufenthalt in der Stadt auch nicht verbieten kann. Sie verschwiegen, dass Schmied Drexler selbst in Uniform in der Stadt eingesammelt hatten. Großmann versuchte Löcher in der Argumentation zu finden, Drexler versuchte sie zu verteidigen. Obwohl Heinrich Störtebecker bei dieser Anhörung nicht anwesend war, weil er sich um die Sicherheit seiner Wohnung im Brauereiviertel bemühen musste, wäre er stolz gewesen. Obwohl Danko eher abwesend war, weil diese Unterredungen nichts für ihn waren, schafften Karl und Sebald es, die Aussagen und Vorwürfe Großmanns so zu relativieren, dass es für den Moment zu einem Aussage gegen Aussage-Stillstand gekommen war. Auch die Versuche, das Gespräch auf das Verschwinden Kapitän Hamanns aus der Obhut der Stadt zu bringen, waren für den Rat nicht von Ertrag, sodass nach einer Weile Dinkmut Eisenmeister vermittelnd in die aus Sicht der anderen Ratsmitgliedern eher zähen und nur zeitintensiven Anhörung eingriff. Er schlug vor, Schmied nicht des Amtes zu entheben, sondern ihn nur solange auf Eis zu legen, bis mehr Aussagen getroffen werden können. Zudem stünde Schmied auch ein ordentliches Verfahren zu. Die Versammlungen einigte sich darauf, nachdem Marcus Ahle nochmal feststellte, dass dies auch nicht anders sein kann, da Sebald Drexler und Karl Frey als ehrenwerte Bürger bekannt wären und als solche nicht ohne Grund an ihren Aussagen zu zweifeln sei. Melavin Großmann bekräftigte dies, führte aber mit Ahle zusammen an, dass man nicht dem Trugschluss erliegen sollte, dass nur Schmied und die Wache sich um die Stadt bemüht hätten. Der Rat vertagt die endgültige Entscheidung und beschließt sich den Aufräumarbeiten und der Sicherung der Deiche zu widmen, während Schmied, Drexler, Frey und Seiler den Ratssaal verlassen dürfte.

Ein deutlich erleichterter Schmied bedankte sich bei seinen freiwilligen Helfern und deutet an, dass er gar nicht wisse, wie er ihnen danken solle. Er aber dafür sorgen würde, dass die richtigen Leute von ihren Taten hören würden. Karl Frey merket wieder an, dass es ihnen nicht um Ruhm ginge, sondern alleine um das Wohl ihrer Mitbürger. Schmied rieb sich das inzwischen von einem stoppeligen Bart bedeckte Kinn und grummelte. Er betonte, dass Männer, die ihre Ehrenhaftigkeit immer wieder betonten, meist etwas verbargen. Dennoch dankte er ihnen nochmals. So trennten sich ihre Wege vorerst und die Männer konnten endlich in aller Ruhe irgendwo ein Mittagessen einnehmen.

Es war schon düster, als an den Türen von Sebald und Karl und im Stall bei Danko, also auch in der Wohnung von Heinrich Wachmänner ankamen. Es nieselte draußen leicht, aber es war fast windstill. Das Wasser floss langsam ab. Der Sturm war überstanden. Sie waren trotz aller mutigen und wahnwitzigen Taten am Leben geblieben und ihr Mut hatte vielen Mitbürgern das Leben gerettet. Wie der Dank der Stadt aussehen würde, das würde nur die Zeit zeigen. Wie sich Schmied bedankte, zeigte sich jedoch durch die Anwesenheit der Wachmänner, welche jeweils kleine, lederbeschlagene Truhen, gefüllt mit 1000 Silberlingen, übergaben. Sie dankten nochmals im Namen des suspendierten Kommandanten und drückten des Kommandanten Wünsche aus, dass diese Silber hoffentlich reiche, um ihre Verluste in der Sturmflut etwas zu lindern.
Zufrieden konnten die Helden der Sturmflut von Treva in ihre Betten sinken.

ENDE VON SZENARIO 1

Für das nächste Mal sollen die Patienten handschriftlich ihre Charaktermotivation niederlegen und sich überlegen, was ihre Charaktere in einer sechswöchigen Pause innerhalb der Spielwelt von Treva unternehmen, ehe Szenario 2 startet.
Zum Abschluss hatte Verhulst nochmals erklärt, wie Erfahrungspunkte funktionieren und nochmals Erfahrungspunkte verteilt. Alle Patienten haben sich dazu entschieden, die Erfahrungspunkte nicht nach Beteiligung zu verteilen, sondern gerecht und gleichmäßig an alle zu verteilen.
Für mich bleibt noch die Analyse der Charaktergenerierung von Y-1, wie ich es auch bei den anderen Patienten getan habe. Darüber werde ich mich jedoch noch mit Verhulst absprechen.

Ende des Kurzprotokolles: [geschwärzt] - 02:58 Uhr

1.	Anm: Die Meere sind auf der Enwe in drei Bereiche geteilt. Das Türkismeer ist leicht zu besegeln und dort findet die Schifffahrt statt, das Saphiermeer war deutlich gefährlicher und wurde nur von großen Schiffen und erfahrenen Seemänner besegelt, das Onyxmeer jedoch wird von den Bestien des Dour beherrscht und wer sich dorthin verirrt, wird niemals wiederkehren. Gleichzeitig gibt es die Hoffnung, dass jene, welche das Onymeer überqueren könnte, unbekannte Reiche entdecken würden.
2.	Es gab eine Diskussion, wie viel Gewicht ein Mann verlieren würde, wenn er ein Bein verlöre. Angegeben sind bei einigermaßen ebenmäßiger Proportion jeder Arm mit 9% des Körpergewichts und jedes Bein mit 18% des Körpergewichtes. Wenn Kapitän Hamann also 160kg wog vor der Amputation, wog er nach der Amputation noch etwa 131 kg.
3.	Anmerkung aus Ärztesicht: Klingt nach einer Art Chlamydia Trachomatis.
4.	Da wir bei Namensbedeutungen schon waren: Mannfred und Elvin heißen Mann des Friedens und Freund. Ole ist eine Abkürzung von Olaf und bedeutet der Alte oder Erstgeborener, Otfried heißt Beschützer seines Erbgutes, Oleg ist eine Variante von Helge und bedeutet der Heilige und Franco eine Variante von Frank (Der Tapfere).
5.	Gerechnet wurde hier in 375 Durchschnittsfässern. Ein Durchschnittsfass fasst 200 l. Verloren wurden also 75.000 l Bier.

Mailverkehr

Dr. rer. biol. hum. Haasmann [geschwärzt]
Gesendet: [geschwärzt] 06:18
An: undisclosed-recipients:
Betreff: Pseudowissenschaften

Sehr geehrte Herr Kollegen,

ich brauche Sie nicht daran zu erinnern, dass ich alle Versuche einer zu ernsthaften Graphologie schlichtweg ablehne. Gerade Sie als Psychologe, Dr. Pfeifer, sollten sich mit den fachlichen Grenzen und den angrenzten Pseudowissenschaften ausreichend auseinandergesetzt haben. Sie werden mir zustimmen, dass wir hier in einem ehrenwerten Haus arbeiten und nicht an irgendeiner Esoteriker-Universität in Frankfurt an der Oder.

Zum eigentlichen Thema: Ich habe keine Ahnung, wo unsere Risperidon-Bestände sind. Allgemein ist unser Bestand von Neuroleptika außerordentlich gering. Wer ist in der Verwaltung dafür zuständig?
Dr. Verhulst, selbst Sie müssen die Gefahr hierbei erkennen. Wenn die alten Männer keine Demenz haben sollten, doch andere psychische Krankheiten, welche für ihren Zustand sorgen, ist es oberste Pflicht, dass wir Neuroleptika bereithalten, um einer Vertiefung schizophrener Verhaltensmuster entgegenwirken zu können und eventuelle auftretende manische oder psychotische Episoden abfedern zu können.
Dr. Pfeifer, ich appelliere an Ihre Menschlichkeit, die alten Patienten, so sehr Ihnen deren merkwürdiges Krankheitsbild zu schaffen macht, nicht zu Labormäusen verkommen zu lassen. Und dementsprechend beantrage ich, dass Sie die Spielrunden unterlassen, ehe wir genügend Medikamente dafür haben.

Ich verbleibe mit freundlichen Grüßen
Dr. rer. biol. hum. Steffan Haasmann

Roy Verhulst [geschwärzt]
Gesendet: [geschwärzt] 11:17
An: undisclosed-recipients:
Betreff: RE: Pseudowissenschaften

Wegen der Medikamentenverwaltung. Ich kenne jemanden in diesem Projekt, den ich jetzt nicht angucken will (weil ich ihn virtuell auch nicht angucken kann), der für die Medikamentation der Patienten dieses Projektes zuständig ist. Meines Wissens nach arbeitet diese Person auch mit einem zugeteilten Budget und handelt Sonderfälle mit den Kassen aus oder wendet sich an eine höhere Verwaltungsinstanz, um dort Medikamentenbestellungen zu beantragen.

Alfons hat alles Notwendige zu den Gefahren von Pseudowissenschaften in seinem Protokoll genannt. Deswegen braucht darauf nicht tiefgehender eingegangen werden. Deutlich werden sollte in Alfons kurzer Anmerkung, dass wir uns auf einzelne Wissenschaften und Pseudowissenschaften per se nicht verlassen können, um die alten Patienten zu bewerten, wir aber möglichst viele, scheinbar auch abstrus auf Sie, Herr Haasmann, wirkende Methoden, die uns wenig Schmerzen bringen und leicht zu vollziehen sind, benötigen, um möglichst viele Informationen über die Patienten zu sammeln.

Des Weiteren schlage ich vor, dass wir die Patienten körperlich nochmal unabhängig und ganzheitlich prüfen lassen und ein Gesundheitsraster erstellen zu lassen. Dann könnten wir auch Probleme mit Altersmisshandlungen, die sie vorher erlitten haben könnten, geprüft werden und weitere Krankheitsfälle aus ihrem Leben überprüft werden. Ich schlage zu diesem Zweck Dr. David Bernstein vor. Bernstein ist nicht nur praktizierender Arzt, sondern hat auch noch nachträglich einen Master of Medicine, Ethics and Law (M.mel.) abgeschlossen. Seine Expertise an der Schnittstelle zwischen Medizin, Ethik und Recht wird uns neben der Untersuchung an sich auch helfen, Dr. Haasmanns Angst, dass wir unethisch handeln könnten, etwas zu beruhigen. Um weitere Baldriantabletten in der Runde zu verteilen, Dr. Bernstein hat bei den direkten Schülern von Heinrich Bürkle de la Camp gelernt und war zwanzig Jahre als Unfallchirurg tätig, eher er in die Rechtsberatung wechselte und seitdem nebenbei noch seine eigene Praxis betreut.

Ich komme etwas später heute zur Arbeit. Ich habe verschlafen und dann noch diese Mail hier schreiben müssen.

Dr. rer. biol. hum. Haasmann [geschwärzt]
Gesendet: [geschwärzt] 11:31
An: undisclosed-recipients:
Betreff: RE: RE: Pseudowissenschaften

Sehr geehrte Herr Kollege Verhulst,

ich danke Ihnen herzlich für die Aufklärung über meine Aufgaben. Ohne Sie wäre ich mir derer fast nicht bewusst gewesen. Meine Frage bezog sich natürlich eher darauf, wer mir in der Verwaltung sagen könnte, wer Zugriff auf unsere Vorräte nehmen kann, ohne dass ich darüber informiert werde?

Ich habe mir die publizierten Arbeiten von Dr. Bernstein angeschaut. Meist nur Wiedergaben praktischer Verfahren. Das klingt nach geringer, theoretischer Arbeit. Die hat er wohl erst in seinem Masterstudiengang im höheren Alter auf rechtlicher Art und Weise aufgeholt. Ich bin dagegen das Projekt aufzupusten mit Ärzten, die nicht zu unserem Institut gehören.

Ich schlage deswegen vor, dass wir Dr. Frank-Hartmut Felkner mit einem längeren Untersuchungszeitraum beauftragen. Dr. Felkner steht erstens im Vertrauen von Professor Schölling, zweitens hat Felkner Erfahrung mit der Psychogenie, da vor allem mit psychosomatischen Erkrankungsmustern und -Entwicklungen. Er hat zum einen darüber auch theoretisch publiziert, zum anderen auch einige Jahre auf dem Gebiet gearbeitet. Zum Beispiel die letzten 21 Jahre in unseren Institut!

Für die Rechtsberatung im Haus ist Frau Margot Aschoff zuständig.

Ich verbleibe mit freundlichen Grüßen
Dr. rer. biol. hum. Steffan Haasmann

Frank-Hartmut Felkner [geschwärzt]
Gesendet: [geschwärzt] 11:55
An: undisclosed-recipients:
Betreff: Gesundheitskartei (X-1 bis Y-2)

Alfons,

Ihr Kollege Herr Haasmann schrieb mich eben an, dass vielleicht neue Grunduntersuchungen, und zwar Volluntersuchungen, für ihre Patienten notwendig würden.

Ich habe heute meinen letzten Arbeitstag, dann bin ich vier Wochen auf den Malediven (in Malé, dort wo sie vor drei Jahren auch waren. Danke für den Hinweis! Ein sehr schönes Hotel!). In der Zwischenzeit wird wie gewohnt vertretungsweise Dr. Hauptmann aus dem Universitätskrankenhaus die Betreuung übernehmen, so die Schwestern dazu nicht in der Lage sind. Wenn es ein dringendes Verdachtsmoment wegen akuter Krankheitsbilder gibt, sollten Sie Dr. Hauptmann ansprechen. Wenn es nur um die Vollständigkeit Ihrer Akten geht, werde ich mich nach meinem Urlaub darum kümmern.

Da es jedoch einigermaßen dringlich schien, habe ich mir erlaubt die Anfrage Ihres Projektes, die mir Dr. Haasmann mitgeteilt hat, an Dr. Hauptmann weiterzuleiten. Seine Mailadresse ist [geschwärzt]

Wir sehen uns nach meinem Urlaub.
Felkner

Untersuchung 6 - Zusatz zum Kurzprotokoll (Nicht in Hauptprotokoll an Schölling eingegliedert)

[geschwärzt] - 12:34

Haasmann hat seine Mail wegen der Anfrage der Grunduntersuchung bereits an Schölling weitergeleitet und dieser hat Eingang und Anfrage einer neuen Grunduntersuchung bestätigt, sodass ich wohl oder übel mit Dr. Hauptmann vorliebnehmen muss. Ich habe Haasmann wegen seiner eigenständigen Handlung zum Rapport um 15:15 Uhr bestellt. Die Grunduntersuchung ist für Freitag, 16:00 Uhr angesetzt.

Verhulst wurde von mir darum gebeten, sich dennoch um die Dienste von Dr. Bernstein zu bemühen.

Nachtrag zum letzten Protokoll - Charakterisierung der Charaktererschaffung

Im Vergleich zu den Patienten X-1 bis X-3 ließ sich bei Y-1 eine weitere, zu unterscheidende, wenn auch ähnelnde Herangehensweise erkennen.
Y-1 war ähnlich wie X-2 und X-3 determiniert in seiner Herangehensweise und hatte schnell ein relatives festes Idealbild vor Augen. Er hielt sich aber in der Erschaffung zwischen X-2 und X-3 auf, so waren manche Elemente so geartet, dass er sie unbedingt verbaut sehen wollte und dies auch eigenständig vorantrieb, andererseits schwamm er wie X-2 in der großen Leere, wenn er zu wenig Informationen zu haben glaubte. Dabei nahm er aber wie X-1 gerne Hinweise aus der Patientenrunde und von Verhulst gerne auf, wenn er sie mit seinen Zielvorstellungen verbinden konnte. In der Hinsicht wirkte er also wie eine Synthese aus den drei vorhergehenden Patienten, dennoch unter dem Leitstern fester Vorstellungen, denen er gerecht zu werden versuchte. Deswegen und aufgrund des spielerischen Auftretens ist eine militärische Sozialisierung anzunehmen. Im Gegensatz zu X-3 zeigte sich hier keine gutbürgerliche Bildung, sondern vor allem eine auftragsbasierende Direktheit. Als solche kann auch die Charaktererstellung charakterisiert werden. Es scheint als habe Y-1 die Hierarchie von Verhulst schneller anerkannt und den Charakterbau als Auftrag mit selbstgesteckten optionalen Missionsparametern erkannt. Dementsprechend sorgte er eine Erfüllung dieser Punkte nach diesem Schema und anhand bekannter Informationen. Dabei zeigte er eine überdurchschnittliche Kreativität, ließ sich manchmal aber von kompletter Eigenverantwortung in der phantastischen Auslegung einschüchtern. Klare Vorgaben waren hier sehr hilfreich. Verhulst schätzt aber, dass neben der militärischen Sozialisierung auch eine deutsch-bürokratische Sozialisierung möglich sein könnte und Y-1 ihn bei der Charaktererschaffung an einen Sachbearbeiter erinnerte, so lenkte Y-1 den kreativen Prozess immer wieder selbstständig zurück in eine Ordnung, nämlich die chronologische Erstellung des Charakters nach den Punkten auf dem Charakterbogen. Als erstes Merkmal kann trotz des chaotisch dargestellten Charakters eine gewisse Ordnungsliebe nicht abgestritten werden. Der Charakter spiegelt das in den Aspekten wieder. Er verbindet ein ordnungsstiftendes Leben (Militär beim Landesherren) mit immer wieder chaotischen Ausbrüchen (Kurzzeitiges Befreien von sozialen Normen). Er scheint die Grundordnung als Lebensordnung zu schätzen, will aber die Freiheiten haben, darüber hinauszuwirken, wenn es ihm opportun erscheint. In der Darstellung lassen sich opportunistische Züge nicht verleugnen.

Ende des Kurzprotokolles: [geschwärzt] - 12:58 Uhr

David Bernstein [geschwärzt]
Gesendet: [geschwärzt] 13:17
An: undisclosed-recipients:
Betreff: Roys Anfrage

Hey,

Roy war wortkarg, wollte nicht viel verraten, weil es ein ungewöhnliches Projekt sei.

Mein Interesse ist geweckt. Telefonnummer ist [geschwärzt].

Ruf mich am besten von privat an, nach 21:00.

DB

Dr. rer. biol. hum. Haasmann [geschwärzt]
Gesendet: [geschwärzt] 15:33
An: undisclosed-recipients:
Betreff: Entschuldigungsbitte

Sehr geehrter Kollege Pfeifer,

ich möchte mich nochmal schriftlich für meinen Alleingang entschuldigen. Ich war zu erzürnt wegen der Mail von Dr. Verhulst. Ich werde künftig wieder alles mit Ihnen absprechen.

Ich verbleibe mit freundlichen Grüßen
Dr. rer. biol. hum. Steffan Haasmann

[Cayden Cailean]

  Hm, ich frage mich... wenn du hier so viel schreibst... warum du dann keine Zeit für eine Runde hast   

[Menthir]

Genau deshalb, weil ich so viel Energie in die spärlichen Tischrunden stecke und den Bau der Welt rundherum stecke, bleibt mir neben den beruflichen und außerberuflichen Pflichten keine Zeit, momentan regelmäßig Runden zu betreuen. Ich habe aber die Hoffnung, dass es ab diesem Sommer wieder bergauf geht.

Edit: Es muss dabei angemerkt werden, dass ich das Schreiben im Gate schon ziemlich vermisse.