• Drucken

Autor Thema: Die Nacht des Blutes  (Gelesen 29197 mal)

Beschreibung: Episode 1.1

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Sternenblut

  • Moderator
  • Beiträge: 7375
    • Profil anzeigen
    • Aradan - Stadt der Toten
Die Nacht des Blutes
« am: 11.08.2013, 21:09:52 »
Die Nacht des Blutes

Prolog - Tag Null der Toten

Die Wolken am Himmel waren tiefdunkel, und selbst Elendras Mond- und Sternenlicht waren nicht zu erblicken. Das einzige, was den Nachthimmel gelegentlich erhellte, waren ferne Blitze. Leichter Regen prasselte auf die Dächer Aradans, gerade genug, damit es für die armen Seelen, die auf den Straßen der Stadt übernachten mussten, kalt und ungemütlich wurde. Der späte Herbst war in diesem Jahr nicht besonders gnädig.

Das Wetter drückte auch die Feierlaune, und so tönte in der ersten Stunde nach Mitternacht nur noch aus wenigen Gasthäusern  das Lachen der Gäste und die Musik der Spielleute. Hier, im Wirtsviertel, war von den Stadtmauern wenig zu sehen, auf denen immer mehr Laternen aufflammten. Die Musik übertönte noch den fernen Lärm, und die Nacht verhüllte alles, was eine Warnung hätte sein können. Im Wirtsviertel von Aradan herrschte noch für wenige Minuten Frieden, ein ungemütlicher Frieden, aber immerhin.

Eine einzelne Kerze brannte, nur knapp vor dem Regen geschützt, während Omrah unter einer Treppe, die zu einem der Verbundhäuser hoch führte, schlief. Seine Kleider waren durchnässt, und ihm war kalt, doch die Alpträume, die ihn seit Tagen plagten, ließen ihn auch in dieser Nacht nicht los. Er sah die Gesichter seiner Eltern, sah im Schlaf den kalten Hunger in ihren Augen, während die Kerze neben ihm Minute für Minute kleiner wurde und das geschmolzene Wachs sich auf dem Boden und an seiner Hand sammelte, um dort zu erkalten.

Esulilde hingegen war an einem Ort, der für sie komfortabler kaum hätte sein können: Die kuppelartige Schwarze Halle des Aguas, dem hochheiligsten Raum ihres Gottes im Tempel von Aradan. In der Halle, die Platz für einige Hundert Gläubige bot, war sie im Augenblick ganz allein, denn die Priester führten draußen ein Ritual durch. Der Boden aus schwarzem Marmor war kalt, es gab keine Stühle oder andere Bequemlichkeiten, nur den Altar aus schimmerndem Obsidian, eine große schwarze Kerze auf ihm. Das sanfte Licht erhellte das Leinentuch, groß wie eine Bettdecke, das über dem Altar hing und das von Leid und Leidenschaft erfüllte Gesicht ihres Gottes zeigte.

Ähnlich wie Omrah verweilte Rhamedes noch im Land der Träume, und auch seine Träume waren unruhig – wenn auch eher verworren, als von Schrecken erfüllt. Er beobachtete Szenen, von denen er wusste, dass sie nicht seinen eigenen Erinnerungen entsprangen: Wirre Traumsequenzen oder Szenen aus dem Leben eines Fremden? Er wusste es nicht, er mühte sich nur, dem Netz der Träume zu entkommen, oder zumindest eine beruhigende Klarheit in ihnen zu finden, doch es mochte ihm nicht gelingen.

Als einer der wenigen fand Gelirion ruhigen Schlaf. Die Nähe der Tiere, die er selbst jetzt noch spürte, gab ihm Ruhe, ebenso wie ihr langsames, rhythmisches Atmen. Er träumte von seiner Heimat, dem Land, das er liebte und das er verlassen hatte für seine Schwester, die er noch weit mehr liebte, um sie zu ihrem zukünftigen Ehegatten zu bringen.

Was Areo erlebte, war hingegen kein normaler Schlaf. Sein Mentor hatte so etwas als Innere Reise bezeichnet, ein mystisches Erlebnis, welches den Traum als Vehikel benutzte, um dem Träumenden eine Botschaft zu übermitteln. Er stand vor den Toren Aradans, und sein Mentor – um einige Köpfe größer, als er ihn in Erinnerung hatte – sprach mit sanfter Stimme zu ihm. Doch was Tyr ihm erzählte, gefiel Areo nicht, denn es mochte bedeuten, dass es viel länger dauern würde, bis er in seine Heimat zurückkehren könnte, als er es angenommen hatte.

Und so erlebte jeder diese Nacht auf seine ganz eigene Weise, noch nicht ahnend, das bald, sehr bald, alles anders werden würde.
« Letzte Änderung: 29.08.2013, 13:14:22 von Sternenblut »
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

Sternenblut

  • Moderator
  • Beiträge: 7375
    • Profil anzeigen
    • Aradan - Stadt der Toten
Die Nacht des Blutes
« Antwort #1 am: 29.08.2013, 00:15:41 »
Tyr sah mit ernstem Blick auf Areo herab. Erst jetzt fiel dem jungen Druiden auf, dass sein Mentor tatsächlich sprach – auch, wenn er keine Worte hören konnte. Er musste nicht mühsam in den Sand schreiben, sondern verstand, was Tyr ihm sagen wollte, auch wenn er keinen Laut hörte. Und doch fühlte er die Worte, ihre Sanftheit, ihre Güte.
„Was dich in dieser Stadt erwartet, ist nicht, was du erwartet hast. Dinge sind geschehen, die nicht hätten geschehen dürfen. Zuflucht findest du im Wahn, und die Wildnis kennt nur noch den Tod.“
Dann zeigt er in Richtung der Stadt. „Dies wird für die nächste Zeit deine Heimat sein. Lehne den Ort nicht ab, denn ein Ort ist wie der andere. Alles ist verbunden.“
Er senkte den Arm, und sah Areo tief in die Augen. „Du hast nun eine Frage, die du mir stellen darfst. Nur eine, nicht mehr. Aber frage mich nichts über die Zukunft – dies ist die einzige Bedingung.“
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

Sternenblut

  • Moderator
  • Beiträge: 7375
    • Profil anzeigen
    • Aradan - Stadt der Toten
Die Nacht des Blutes
« Antwort #2 am: 29.08.2013, 00:15:56 »
Gelirion schrak auf. Er war eingeschlafen, fest eingeschlafen, und nur das unruhige Wiehern der Pferde hatte ihn aufgeweckt. Er stand auf, noch schlaftrunken, und versuchte kurz vergeblich, die Pferde zu beruhigen. Dann schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. Seine Schwester… war mit ihr alles in Ordnung? Er griff nach seiner Waffe. Im gleichen Moment kam die Erinnerung – sie lag in seinem Zimmer im Gasthaus, so wie seine Rüstung.
Dann hörte er ein Geräusch – ein Rütteln an der hölzernen Tür der Stallungen, gefolgt von einem Stöhnen. Nur ein Betrunkener? Oder jemand, der Hilfe brauchte?
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

Sternenblut

  • Moderator
  • Beiträge: 7375
    • Profil anzeigen
    • Aradan - Stadt der Toten
Die Nacht des Blutes
« Antwort #3 am: 29.08.2013, 00:16:20 »
Das Alte Mühlrad war ein Gasthaus, das Rhamedes sofort angesprochen hatte. Es war rustikal, doch der Wirt kümmerte sich um sein Haus, so gut er es vermochte. Und die Betten waren weich, was den müden Knochen des alten Tunichtguts sehr entgegen kam.
Seit seinen Erlebnissen auf der Hinreise hatte er jede Nacht wirre Träume, doch in dieser Nacht waren sie besonders heftig. Immer wieder sah er das Gesicht eines jungen Mannes, den er nie zuvor gesehen hatte, da war er sich sicher. Der Mann hatte etwas fürchterliches getan, oder zumindest war er dafür verurteilt worden. Doch wann immer er sah, was die Träume ihm zeigten, verschwand nur einen Moment später die Erinnerung daran. Zurück blieb nur das Gefühl des Grauens, und des Verlustes, ein Gefühl, das Rhamedes nur allzu gut kannte.
Dann, ganz plötzlich, wurde er wach. Er fühlte sich erfrischt wie seit Wochen nicht mehr, klar – und doch verwirrt, wenn er an den seltsamen Traum zurückdachte, der schon jetzt seiner Erinnerung zu entgleiten drohte…
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

Sternenblut

  • Moderator
  • Beiträge: 7375
    • Profil anzeigen
    • Aradan - Stadt der Toten
Die Nacht des Blutes
« Antwort #4 am: 29.08.2013, 00:16:38 »
Esulilde war in einem tiefen Gebet versunken, fast eine Meditation. Die Dunkelheit umschloss sie wie eine schützende Hülle, gab ihr das Gefühl von Endlosigkeit und Ewigkeit. Schon als Kind hatte sie die Verbundenheit zu dieser Dunkelheit gespürt, hatte sich in ihr geborgen gefühlt und Kraft daraus geschöpft. Und so betete sie selten, weil sie Aguas für irgendetwas um Unterstützung bat, sondern vielmehr, um sich ihm verbunden zu fühlen. Und gerade heute spürte sie die Verbundenheit mit besonderer Kraft.
Die feinen Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf, und sie glaubte fast, eine körperliche Präsenz zu spüren. Natürlich war es Unsinn zu glauben, Aguas selbst würde ihr erscheinen, aber vielleicht einer seiner Engel oder der Geist eines Heiligen..? Sie schüttelte den Kopf. Das waren kindische Gedanken.
Sie wollte gerade wieder die Augen schließen, als Arameas, einer der Adepten des Tempels, die Treppen zur Schwarzen Halle herunterkam. Er schien aufgewühlt, blieb aber aus Ehrfurcht auf der letzten Stufe stehen, hin- und hergerissen, ob er Esulilde nun ansprechen sollte oder nicht.
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

Sternenblut

  • Moderator
  • Beiträge: 7375
    • Profil anzeigen
    • Aradan - Stadt der Toten
Die Nacht des Blutes
« Antwort #5 am: 29.08.2013, 00:17:00 »
Omrah war froh, aus seinen Träumen geweckt zu werden. Für einen kurzen Moment sah er noch das Gesicht seiner Mutter vor sich, starrte mit weit aufgerissenen Augen in ihre Augen, bis… bis er bemerkte, dass es nicht die Augen seiner Mutter waren, sondern die von Ryffa. Er erwartete, sie lächelnd zu sehen, oder besorgt. Aber irgendetwas war anders. Sie schien… Angst zu haben. „Omrah, steh auf. Wir müssen hier weg, so schnell wie möglich.“
Sie hielt seinen Arm, teils, um ihn mitzuziehen, teils – das spürte er –, um sich an ihm festzuhalten.
Als sie einen Schritt zur Seite trat, gab sie die Sicht frei auf einige Männer, die offenbar miteinander kämpften. Sie waren vielleicht zehn Meter von ihm entfernt, auf der anderen Straßenseite, aber in der tiefen Dunkelheit dieser Nacht waren sie kaum mehr als Silhouetten.
War es eine Straßenschlägerei? Hier, im Wirtsviertel, passierte das öfter mal – aber warum sollte Ryffa dann so erschrocken sein? Dann sah er, wie einer der Männer ein Schwert zog und es einem der anderen in die Brust rammte. Ein ersticktes Gurgeln war zu hören. Doch der Erschlagene fiel nicht einfach um… er griff nach dem Bewaffneten, packte ihn und… er schlug seine Zähne in dessen Arm.
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

Gelirion

  • Beiträge: 1337
    • Profil anzeigen
Die Nacht des Blutes
« Antwort #6 am: 29.08.2013, 13:20:20 »
„Bei Ceriva, ich komme gleich.“ rief Gelirion in Richtung der Tür. Innerlich schimpfte er mit sich selbst. Er schimpfte, dass er eingeschlafen war, dass seine Rüstung im Gasthaus lag und dass er nicht einmal eine einzige Waffe hier in der fremden Stadt trug. Die Reise hatte ihn wohl doch noch mehr erschöpft als er dachte.
Während er sich weiter ärgerte, sah er sich im Stall um. Er suchte zumindest nach einem Knüppel oder sonst irgendetwas, denn dass die Pferde unruhig waren gefiel ihm nicht. In der großen Steppe hieß es immer auf die Tiere zu achten, denn sie hatten ein besseres Gefühl als alle anderen Lebewesen. Sie schienen zu ahnen wo Wasser ist, was gegessen werden konnte oder wann Gefahr herrschte. „Heu, Schrott, noch mehr Heu, Stroh, Holz … Holz ah.“ zählte er auf was er sah. Der Stall war nicht gerade groß, reichte aber offensichtlich für die Pferde und andere Dinge wie Stroh, Heu, Gerümpel und eben auch Holz. Einen Holzscheit wollte er aber nicht nehmen, er hatte etwas Besseres gesehen. Einen Baumstumpf zum Holzkleinmachen und eine Holzfälleraxt die darin steckte. Es brauchte schon etwas Kraft um die Axt zu lösen, doch dann hatte er sie in den Händen. Ein einfaches Ding aber es genügte. Mit Glück war es nur ein Betrunkener der Hilfe brauchte, und dann war die Aufregung umsonst gewesen. Beim Durchatmen, um die letzte Schlaftrunkenheit zu vertreiben, viel sein Blick auf einen Schild der im Gerümpelhaufen lag. Ein einfacher Holzschild, nichts Besonderes, und noch dazu mit zwei abgebrochenen Pfeilen gespickt. Da es nichts schaden konnte, und ein Schild eh besser dazu taugte einen Betrunkenen auf Abstand zu halten, schnappte er ihn sich und betrachtete die Gurte auf der Rückseite. Sie waren noch einiger maßen in Tackt. Nachdem die Gurte geweitet waren, zog er sich den Schild über den linken Arm, nahm die Axt, welche er auf den Boden gelegt hatte, in die Hand und ging zur Tür des Stalls. „Ich bin gleich da. Was gib ist los?“ fragte er nach draußen, während er die Tür mit gebührender Vorsicht öffnete.

Sternenblut

  • Moderator
  • Beiträge: 7375
    • Profil anzeigen
    • Aradan - Stadt der Toten
Die Nacht des Blutes
« Antwort #7 am: 29.08.2013, 13:27:47 »
Im ersten Moment dachte Gelirion, dass er es tatsächlich mit einem Betrunkenen zu tun hatte. Der Mann kniete auf allen Vieren, und hielt sich dabei mit einer Hand den Bauch, als sei ihm übel. Erst einen Moment später, als der Mann zu ihm aufsah, erkannte der Paladin, dass etwas nicht stimmte. Es war Hennes, der Stallmeister, und in seinem regennassen Gesicht waren Blutspuren zu sehen. Erst dann begriff er, warum sich Hennes den Bauch hielt. Blut tropfte auf den Boden. Der Mann hatte eine schreckliche Verletzung, und mit seiner Hand versuchte er verzweifelt, sein Innerstes in seinem Körper zu halten. Jemand oder etwas hatte ihm den Bauch aufgerissen...
« Letzte Änderung: 29.08.2013, 13:28:00 von Sternenblut »
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

Gelirion

  • Beiträge: 1337
    • Profil anzeigen
Die Nacht des Blutes
« Antwort #8 am: 29.08.2013, 13:41:51 »
„Ceriva!“ rief Gelirion erschrocken aus. Ihm wurde übel und er merkte deutlich wie ihm seine Nackenhaare zu Berge standen. Rasch blickte er in die Dunkelheit. Was hatte diesen armen Mann so zugerichtet.[1] Viel Zeit ließ er sich nicht zum Umsehen. Jetzt musste schnell gehandelt werden. So steckte er die Axt an den Gürtel und ging in die Hocke. „Hennes, richtig? Komm ich helf dir rein. Bei der wandelnden Göttin was ist passiert?“ fragte er den Mann. Dabei legte er die Hände auf dessen Schultern. Er hatte vor ihn vorsichtig umzudrehen und dann rücklinks hinein zu ziehen. Mit Glück war es nur ein Schnitt eines … Seine Gedanken überschlugen sich. Er musste an seine Schwester denken. Er hoffte das nichts passiert ist und Allas und Zeron sie gut bewachten.
 1. Wahrnehmung: 22 - ein Blick in die Dunkelheit, mehr Zeit läßt er sich nicht
« Letzte Änderung: 29.08.2013, 13:43:52 von Gelirion »

Sternenblut

  • Moderator
  • Beiträge: 7375
    • Profil anzeigen
    • Aradan - Stadt der Toten
Die Nacht des Blutes
« Antwort #9 am: 29.08.2013, 14:29:24 »
Auf den ersten Blick konnte Gelirion in der Dunkelheit nichts erkennen, aber er nahm nicht allzu weit entfernt aufgeregte Stimmen wahr. Irgendetwas schien heute nacht in der Stadt vor sich zu gehen.

Langsam drehte Gelirion den schwer verwundeten Mann auf den Rücken. Die Wunde an seinem Bauch stammte definitiv nicht von einer Klinge - die Wunde sah eher nach einem wilden Tier aus, das sich in ihn verbissen hatte. Aber wie konnte so etwas mitten in der Stadt passieren?

Auf dem Rücken liegend, röchelte der Stallmeister noch einige Male heftig, und hielt sich dabei mit einer Hand verkrampft an Gelirions Arm fest. Ein Zittern durchfuhr ihn - und dann wurde er plötzlich still. Schlaff fiel die Hand zu Boden, und die leeren Augen starrten den Paladin an, noch immer weit aufgerissen, aber reglos.
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

Rhamedes

  • Beiträge: 353
    • Profil anzeigen
Die Nacht des Blutes
« Antwort #10 am: 29.08.2013, 17:05:53 »
Es musste noch Nacht sein? Konnte das sein? Wieso war noch kein Tag? Er fühlte sich ungewöhnlich fit, trotz der wie immer sehr quälenden Träume, die ihn normalerweise viel Kraft kosteten. Es musste demnach zumindest nicht weit vom nächsten Morgen entfernt sein? Rhamedes drehte sich im Bett liegend so, dass er das Fenster sah. Es hangen keine Vorhänge davor, die er hätte zuziehen können. Es war tatsächlich tiefe Nacht.

Mit dem Knacken seiner alten Kniegelenke setzte er sich auf und zog seinen weißen Thrawb über und setzte seinen quastenlos Fes wieder auf, rieb sich kurz die Augen, um dann aufzustehen und an das Fenster zu treten. "Merao. Wie habe ich dich verärgert, dass meine Erinnerungen bleich wie welkende Lilien, mein Kopf mürbe wie alter Teig und meine Beine bleiern wie Harz sind. Wie habe ich das nur vollbracht?", sprach er in die Nacht, die sich vor ihm ausbreiteten und öffnete das Fenster, um etwas Luft hereinzulassen. Der Raum lag dunkel hinter ihm und die Nacht nur wenig heller vor ihm. Vorsichtig hatte er sich dem Fenster genähert, mit seinem typischen, kurzen Schritten, die den Boden abtasteten und nicht sehr raumgreifend waren. Er brauchte nicht immer Licht, wenn er genügend Zeit hatte, sich auf seine Umgebung einzustellen. Er atmete tief ein und ließ seinen Blick über die Umgebung schweifen[1].

"Ich frage mich, was diese Träume zu bedeuten haben. Sie haben doch etwas zu bedeuten? Habe ich früher auch so viel geträumt und so klar geträumt? Mhm. Vielleicht ist es einfach die Nähe zur alten Heimat, die so viele Erinnerungen hervorspült, deren ich mir nicht völlig bewusst bin. Das wird es sein. Hachja. Morgen ist es soweit. Der große Tag. Der letzte Gespräch. Endlich Abschied..."
 1. Wahrnehmung 9
« Letzte Änderung: 29.08.2013, 17:06:16 von Rhamedes »

Areo

  • Beiträge: 329
    • Profil anzeigen
Die Nacht des Blutes
« Antwort #11 am: 29.08.2013, 17:21:54 »
Areo kniete vor seinem Meister, welcher in solch sanften Licht erstrahlte, dass es all seine Sorgen für einen Moment vergessen lies. Geborgenheit, Liebe und Führsorge ersetzten für jenen, schicksalshaften Augenblick die Zweifel in seinem Herzen. Als er die gutmütigen Worte in seinem Kopf vernahm, übermannten ihn die Tränen. Er musste träumen. Es war nicht das erste Mal in seinem bisherigen Leben, dass er im Zwielicht des Schlafes, geweckt durch seine Gefühle, die Gabe des Hörens, des Sprechens, verliehen bekommen hatte. Freilich war er sich nicht klar darüber, wie es sich wirklich anfühlte, seinen Meister zu hören. Doch für jemanden wie Areo, dessen Welt die Stille war in die er geboren wurde, waren jene Träume wie ein Geschenk der Götter selbst. Das höchste Maß an Glück und Zufriedenheit, welche er sich überhaupt vorstellen konnte. So lies er seiner Freude freien Lauf, wie er es seit Jahren nicht mehr konnte. Tränen wuschen ihm die Wangen, während er über die warmen Worte nachdachte.

Zuflucht findest du im Wahn, und die Wildnis kennt nur noch den Tod. Hallte es erneut durch die Unendlichkeit des Träumers.

Was versucht er mir mitzuteilen? Ist meinem Zuhause etwas zugestoßen? schoß ihm durch den Kopf. Wieso wünschte sein Meister sich, er würde diesen verruchten Ort seine >>Heimat<< nennen? Er war hier, weil er endgültig frei sein wollte. Er musste diese eine Sache hinter sich bringen, damit sein Herz endlich den Frieden finden konnte, welcher nötig war um die Elfen des Westens zu führen.


Du hast nun eine Frage, die du mir stellen darfst. Nur eine, nicht mehr. Aber frage mich nichts über die Zukunft – dies ist die einzige Bedingung.


Aber er hatte so viele Fragen! Er wollte sich mehr mit Tyr unterhalten. Er wollte die Gabe des Sprechens nicht voreilig vergeuden und der Nacht zurückgeben, bevor ihn das reale Leben wieder in diese eisige Klaue einer Stadt sperrte, welche seine Mutter tötete. Verwirrt wandte er kurzzeitig den Blick ab und starrte in die ewige Dunkelheit, welche sich jenseits des Strahlen seines Mentors erstreckte. Eine Frage. Nur eine, nicht mehr. "Vielleicht geht es hier um weit mehr, als nur meinen Wissensdurst zu stillen." Wurde Areo plötzlich bewusst. Vielleicht ging es nur um diese eine Frage, welche ihn stets zögern lies. Furcht machte sich in seinem Geiste breit, Angst vor der Antwort, welche ihm das Abbild Tyrs vielleicht entgegnen würde. Dennoch hob Areo mutig den Kopf, richtete seine Augen auf das Anlitz seines Mentors, dem Führer der Elfen, welches so hell strahlte, dass es ihn zweifellos ausserhalb der Welt der Träume geblendet hätte.

Ein kalter Schauer fuhr durch seinen Körper, als er das Glück verspürte, seine Lippen öffnen zu dürfen um Worte zu formen.

"Bin ich denn wirklich stark genug, um der zu sein, den du in mir siehst?"

Vielleicht mag jene Frage nicht plausibel erscheinen, für jemanden der die Szene hätte betrachten können. Doch um den Sinn wirklich zu verstehen, müsste man wohl erst selbst am eigenen Leib erfahren, was Areo erfuhr. Die Last, die Tragweite seiner Bestimmung auf den Schultern spüren, obwohl er sich Zeit seines Lebens immer fragte, ob sein Platz wirklich unter den Stämmen der Elfen war. Ob sie ihn jemals trotz seiner Schwäche als einer der ihren sehen werden. Natürlich bestätigte ihre Liebe zu ihm die Tatsache, dass er sie leiten solle. Doch die Zweifel verschwanden nicht, seit er die Ankündigung vernahm, der Nachfolger seines Meisters zu werden. Im Gegenteil zweifelte er an ihrer Entscheidung. Selbst an dem Willen Tyrs. Denn was konnte schon ein taubstummer Bastard, geboren aus den Sünden Aradans, wirklich bewirken?

Vielleicht hoffte sein Herz auf Worte des Trosts, welche seinen Kummer und seine Angst hinwegfegen konnten, wenn er sich an sie erinnerte.

Vielleicht wünschte sich Areo in diesem Traum nicht sehnlicher, als Zuspruch und Vertrauen. Damit er stark genug sein würde, für den Wahn, der scheinbar bald seine Welt verändern würde.
« Letzte Änderung: 29.08.2013, 17:22:23 von Areo »

Gelirion

  • Beiträge: 1337
    • Profil anzeigen
Die Nacht des Blutes
« Antwort #12 am: 29.08.2013, 17:37:12 »
Gelirions Hand ruhte auf der Hand des Stallmeisters, welche sich krampfhaft festhielt. Er versuchte ihm in den Letzten Momenten Halt zu geben, für ihn und sich selbst. Seine linke, freie Hand zitterte. Auf seinen Missionen hatte er schoneine Hand voll Menschen sterben sehen, aber es berührte ihn immer wieder. Diese Wunde, diese abscheuliche Wunde war zu schwer. Selbst ein Priester mit dem Segen Cerivas hätte Probleme diese Wunde zu schließen. Mit viel Selbstdisziplin schluckte die Galle wieder hinunter, welche ihm im Hals hochgestiegen war. Dann murmelte er ein leises Gebet. „So wie es einen Anfang gibt, muss es das Ende geben. Nichts währt Ewig. Keine Träume aber auch kein Leid. Mögest du mit Ceriva reisen, zu dem Ort wo deine Seele Frieden finden möge.“ Während des Gebetes blickte der Paladin den Mann in die Augen. Als der Funken des Lebens aus ihnen verschwand fügte Gelirion „Schlafe wohl Hennes“ an. Gelirion seufzte tief, diese Bestie musste gefunden werden. Als letzte Ehre für den Toten schloss er dessen Augen und legte ihm die zu Boden gefallene Hand auf die Brust. Dann stand er auf, nahm die Axt wieder zu Hand und war im Begriff in den Regen hinaus zu gehen. Er musste hinüber zum Gasthaus und nach seiner Schwester sehen.

Sternenblut

  • Moderator
  • Beiträge: 7375
    • Profil anzeigen
    • Aradan - Stadt der Toten
Die Nacht des Blutes
« Antwort #13 am: 29.08.2013, 19:14:37 »
Die Nacht war so finster, dass Rhamedes durch den Regen kaum etwas erkennen konnte. Stimmen waren zu hören, aber das waren vermutlich nur die Betrunkenen auf dem Weg nach Hause. Direkt unter seinem Fenster lagen einige reglose Körper, vermutlich weitere Betrunkene, die dort ihren Vollrausch ausschliefen.

Während er noch nach draußen sah, hörte er hinter sich, vom Flur hinter seiner Zimmertür, ein Poltern. Einer der Betrunkenen hatte es also offenbar bis in dieses Gasthaus geschafft. So wie der Mann stolperte, war aber wohl keinesfalls sicher, dass er auch sein Zimmer erreichen würde.
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

Sternenblut

  • Moderator
  • Beiträge: 7375
    • Profil anzeigen
    • Aradan - Stadt der Toten
Die Nacht des Blutes
« Antwort #14 am: 29.08.2013, 19:25:35 »
Tyr lächelte bei der Frage Areos. "Es gibt so viel, was ich dir auf diese Frage antworten könnte, doch das meiste bezieht sich auf die Zukunft. Es ist mir verboten, darüber zu sprechen. Eines aber kann ich dir sagen."

Er legte dem jungen Druiden die Hand auf die Schulter - und seine Hand war tatsächlich riesig, viel größer als in der Realität. "Du bist stark genug, der zu werden, der du sein kannst, und das ist alles, was von dir erwartet wird. Gib nicht nach, weder der Angst, noch der Schwäche, noch dem Zweifel. Diese und andere Gefühle werden dich begleiten, aber das ist nicht schlimm. Lass sie zu, verdränge sie nicht. Aber unterwirf dich ihnen nicht, sondern wachse über sie hinaus."

Sein Lächeln verschwand, und er zog seine Hand zurück. "Ich muss nun gehen. Gib auf dich acht, Areo. Große Gefahr erwartet dich. Handle klug und besonnen, und lerne, wie ein Anführer zu denken. Aber das Wichtigste für einen Anführer ist, dass er überlebt."

Das helle Leuchten, das seinen Mentor umgab, wurde nun noch heller, so strahlend und wunderschön, dass es irgendwann seine ganze Sicht umfasste. Dann wachte Areo auf.

Er lag in seinem Bett in der Gaststätte. Das Alte Mühlrad, erinnerte er sich an den Namen. Es war dunkel, fast schon zu dunkel, wenn man bedachte, dass kein Blätterdach über der Stadt lag. Es musste noch mitten in der Nacht sein, und entsprechend müde fühlte sich Areo auch noch. Trotzdem spürte er, dass er jetzt nicht wieder einschlafen konnte.

Der junge Druide richtete sich auf, und wollte gerade aufstehen, als er eine Silhouette an der geöffneten Tür wahrnahm. Jemand stand in seinem Zimmer, vermutlich eine Frau oder ein Mädchen, wenn er nach der Körperform ging. Sie trug etwas in ihrem Arm, eine Art Korb. Mehr konnte er bei diesem Licht nicht sehen, außer, dass die Person regungslos da stand.
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

  • Drucken