Die Bettlermeute quiekte auf, als die Katzendame die Münzen vom Wagen warf - wie die Aasgeier stürzten sich die Ärmsten der Armen auf die Kupferstücke. Aber nicht Gier füllte ihre Blicke, sondern Hunger, Not und Elend. Dankbare Rufe machten sich breit und sie priesen die beiden Reisenden in verschiedenen Sprachen und riefen allerhand Götter an. Allen voran natürlich Desna - göttliches Glück und eine gute Reise!
Genauso schnell wie sie allerdings aus ihren Löchern gekrochen waren verschwanden die Obdachlosen auch wieder in den Schatten der Ruinen. Langsam lenkte Gelik Ebberschwinge den Wagen weiter. Vorbei an den Kapuzenmännern - er war sich scheinbar sicher, dass sie ihnen zu zweit und auf einem Planwagen nichts anhaben wollen würden.
Aber ansonsten lag Echo-im-Halbdunkel mit ihrer unguten Vorahnung durchaus richtig. Sie konnte zwar keine verborgenen Räuber oder dergleichen in der Dunkelheit ausmachen, aber auch an den kommenden Straßenecken tummelte sich zwielichtiges Volk!
Opportunisten warteten hier in Kalabuto nur darauf ahnungslose Besucher in die Klauen von Schlägern oder sogar Sklavenhändlern zu locken! In kleinen Ansammlungen von Hütten die hier und da zwischen den steinernen Ruinen zu erkennen waren wurde offenbar noch ein ganz anderes Gewerbe betrieben und auch der Handel mit verbotenen Kräutern, Tränken und Tinkturen florierte in der Stadt. Neben zahlreichen Tavernen, die müden Reisenden Rast und Schutz boten gab es hier auch genug sumpfige Straßengräben in denen man schnell den Tod finden konnte: Und die Stadt selbst war auch nicht völlig frei von Wildtieren.
In der Ferne heulte ein Wolf auf - doch man konnte glücklicherweise nichts von ihm sehen. Außerdem waren hier am Hafenviertel zu viele Menschen unterwegs in den frühen Abendstunden!
Viele Verkaufsstände säumten die dreckige Hafenstraße von Kalabuto, Läufer gingen umher und zahlten die letzten Einnahmen des Tages aus. Tand und Alltagswaren, aber auch zahlreiche Händler für Naturalien: Seltene Weine aus dem Süden und gepökeltes Fleisch aus dem fernen Norden! Es schien als könnte man hier beinahe alles erwerben, was es auf dieser Welt gab. Auch Lagerhäuser, Handelsgesellschaften und kleine Bootswerkstätten gab es, doch diese waren größtenteils schon geschlossen für den heutigen Tag. Es roch nach fauligem Fisch und ranzigem Fett und das Wasser schimmerte selbst im Mondlicht dreckig bräunlich daher. Kein schöner Ort, aber ein rege besuchter, offensichtlich!
Plötzlich springt ein kleines Mädchen, vielleicht zehn, elf Jahre alt vor den Planwagen auf die Straße und reißt die Arme hoch:
"Haltet ein liebe Reisende!"
Die Kleine war allen Anscheins nach eine Zenji-Bettlerin und würde ihnen jetzt sicherlich irgendeinen Kram verkaufen wollen. Und so kam es dann auch, nachdem Gelik die Ochsen gestoppt hatte.
"Danke, Danke! Ich bin Kibi- und ihr müsst aus dem Westen kommen, ja? Alle kommen aus dem Westen und niemand bleibt lange hier! Alle gehen in den Dschungel, und wir bleiben alleine hier. Meine Eltern sind fort, meine Geschwister sind fort, meine Freunde: Aber ich habe Hunger!"
Schüchtern blickt sie zu den beiden Reisenden empor. Gelik Ebberschwinge zieht bereits eine Augenbraue besonders weit nach oben und stupst Echo in die Seite - er grinst.
"Schaut!"
Das Mädchen hält ein Bündel kleiner Holzamulette hoch.
"Handgeschnitzte Glücksamulette! Im Dschungel braucht man die, die Wilden dort erkennen euch dann als Freunde! Wollt ihr welche kaufen? Bitte! Nur ein paar Kupfermünzen, was sind sie euch wert, wieviele braucht ihr!"
Bettelnd tippelt die Kleine auf den Planwagen zu und streckt Echo und Gelik die Glücksamulette entgegen. Ihre großen Augen sind gerötet und das vernarbte Gesicht zeugt von einer nicht gerade glücklichen Kindheit.