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Autor Thema: Geisterstadt  (Gelesen 92180 mal)

Beschreibung: Episode 1.2

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Sternenblut

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Geisterstadt
« Antwort #15 am: 27.02.2014, 21:53:26 »
Wieder zuckte das Mädchen nur mit den Schultern, folgte Schnüffler aber gehorsam.

Mentaru sah sich um. Als er das Gebäude sah, schüttelte er traurig den Kopf. "Das meiste, was man dort finden konnte, verdient kaum den Namen Kunst. Aber ein paar der Stücke dort waren echte Meisterwerke. Es ist ein Jammer."

Er starrte noch einen Moment auf das Gebäude, riss sich dann aber los und sah zu dem großen, aus übereinander geschichteten Baumstämmen geformten Tor. "Da müssen wir raus. Das Tor führt auf die Frühlingsallee, dort fanden praktisch jeden Tag irgendwelche Feiern statt. Wir müssen damit rechnen, dass... dass es hier viele Leute gab, als das alles los ging."
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

Schnüffler

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Geisterstadt
« Antwort #16 am: 02.03.2014, 14:56:25 »
"Schöne Scheiße", kommentierte Schnüffler Mentarus Hinweis und ließ offen, ob er damit das Schicksal der Leute meinte oder die Schwierigkeiten, die sie haben würden, in das Sanatorium zu kommen. Auch er blickte einen Moment nachdenklich auf das Tor. Schließlich fasste er seine Gedanken in Worte. "Also, wenn ich es recht überblicke, dann können wir versuchen, das Tor zu öffnen und dann schnell unseren Weg zu suchen. Das wäre ziemlich riskant und ich glaube kaum, dass wir es schaffen, ohne dass einer von Euch draufgeht. Wir könnten auch versuchen, erst einmal die Lage auszukundschaften. Die Baumstämme dort drüben müssten eigentlich leicht zu erklettern sein. Vielleicht können wir dann auch eine Ablenkung arrangieren."
"Die Grausamkeit der meisten Menschen ist Phantasielosigkeit, und ihre Brutalität Ignoranz."
Kurt Tucholsky

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Sternenblut

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Geisterstadt
« Antwort #17 am: 02.03.2014, 18:05:21 »
Und so machte sich Schnüffler daran, das Tor zu erklimmen, und vorsichtig einen Blick auf die Straße dahinter zu werfen. Die Frühlingsallee. Sie musste einst ein schöner Ort gewesen, vor der halben Ewigkeit, zu der die letzte Nacht geworden war. Im Abstand von etwa fünf Metern standen verbrannte Bäume zu beiden Seiten der Straße, die etwa sechs Meter breit war.
Die Gebäude der Umgebung waren zum größten Teil heruntergebrannt. Einige davon hatten steinerne Außenmauern, die als schwarz verrußte Skelette übrig geblieben waren. Bei den meisten allerdings war nicht einmal das geblieben. Überall in den Ruinen lagen verbrannte Körper. Mentaru hatte wohl Recht gehabt, allerdings waren die armen Teufel keine Gefahr mehr - wenn sie überhaupt je eine gewesen waren, das ließ sich nicht mehr feststellen.

Etwas weiter die Straße herunter lief noch eine kleine Gruppe wandelnder Toter durch die Straßen. Vier konnte Schnüffler zählen. So langsam und ungelenk sie sich bewegten, würden sie keine große Gefahr darstellen. Darüber hinaus konnte Schnüffler keine Gefahr feststellen.
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Schnüffler

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Geisterstadt
« Antwort #18 am: 05.03.2014, 17:40:18 »
"Holla, das muss ja ein Höllenfeuer gewesen sein, auf der Allee.", murmelte Schnüffler, als er seinen Blick über die Straße hinter dem Tor schweifen ließ. Nachdem er die Lage zur Genüge ausgekundschaftet hatte, ließ er sich wieder zu Boden fallen und kehrte zu seiner Gruppe zurück.

"Okay, ich kann Entwarnung geben. Die ganzen armen Teufel sind verbrannt und es ist niemand zu sehen. Lediglich eine kleine Truppe von Zombies schlurft in einiger Entfernung dahin. Wir können unseren Weg machen zum Sanatorium, aber kein Grund zum trödeln. Wenn wir dort sind, dann sollten wir Evilia erstmal einen fetten Truthahn stiften, oder was man da so macht."

Dies gesagt ging Schnüffler zum Torflügel. Er wartete darauf, dass ihm seine Gruppe ein Zeichen gab, bereit zu sein. Dann öffnete er das Tor.
« Letzte Änderung: 05.03.2014, 17:40:53 von Schnüffler »
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Sternenblut

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Geisterstadt
« Antwort #19 am: 10.03.2014, 00:08:42 »
Der Rest der Gruppe folgte ihm, Katarina jedoch nicht, ohne ein weiteres Mal verächtlich zu schnauben, als Schnüffler Evilia erwähnte.

Draußen lauerte tatsächlich keine ernste Gefahr auf sie - zumindest noch nicht. Sie liefen weiter durch die Straßen, folgten dabei Mentarus Anweisungen. Der alte Mann konnte nicht sehr schnell laufen, doch selbst wenn sie gewollt hätten, konnten sie ihn nicht zurücklassen: Nur er kannte den Eingang zum geheimen Tunnel, der sie zum Sanatorium bringen würde.

Mehrfach mussten sie andere Wege nehmen, weil die Straßen durch eingestürzte Gebäude versperrt waren. Die Stadt war zerstört, anders konnte man es nicht sagen. Ruinen, die man nicht einmal wiederaufbauen konnte: Sollte jemand die Stadt wieder aufbauen wollen, müsste man zuerst alles dem Erdboden gleich machen. Der beißende Geruch von Rauch hing in der Luft. Schnüffler erinnerte sich noch gut, wie ihm die Luft zu schaffen gemacht hatte, bevor er auf die kleine Gruppe gestoßen war.

Schließlich kamen sie auf einen kleinen Hinterhof. Festbänke standen in einem Kreis um einen bemalten, fünf Meter hohen Baumstamm, den man im Boden verankert hatte. Auf dem Boden und auf den Bänken lagen die verbrannten Überreste von bestimmt vierzig oder fünfzig Humanoiden. "Eine Hochzeit", erklärte Mentaru. "Das ist ein Hektorsbaum. Wer in seinem Namen heiratet, aber nicht im Wald lebt..."

"Genug Unterricht, alter Mann", unterbrach Katarina ihn. "Wo ist der Eingang?"

Mentaru sah sie einen Moment verärgert an, entschloss sich aber dann offenbar, nicht mit ihr zu streiten. Er sah zu dem Gebäude, auf dessen Hintereingang sie blickten. "Aloars Gaststätte und Kräutergarten. In seinem Keller befindet sich der Zugang."

Und so ging die Gruppe hinein in die Gaststätte. Es war dunkel in dem Gebäude. Im Gegensatz zu vielen anderen war es nicht eingestürzt, und die geschlossenen Fensterläden waren zwar verrußt, aber noch intakt.  Im Schankraum führte eine Wendeltreppe nach oben und nach unten. Der Geruch von verbranntem Fleisch kündigte die weiteren Leichen an, die sie hier erwarteten.

Ohne Zeit zu verlieren, ging Schnüffler voraus die Treppe herunter. Unten lag ein weiterer Schankraum, der zu besseren Zeiten äußerst gemütlich gewesen sein musste. Gut hundert Gäste hätten hier Platz gehabt. Die verkohlten Leichen von mindestens dreißig lagen über den ganzen Raum verteilt, auf dem Boden, auf den Stühlen, auf den Tischen.

Eine einzelne, geschlossene Tür hinter der Theke führte in einen Nebenraum.

"Seht ihr das?" Mentaru sah sich um. "Der Raum ist ganz aus Stein, ebenso wie die Treppe. Die Leute hätten am Rauch ersticken können, aber... wie kam die Feuersbrunst hier herunter?"

Die Tür hinter der Theke öffnete sich. "Eine sehr gute Frage."

Ein alter Mann in schwarzem Umhang betrat den Raum. Er mochte etwas jünger sein als Mentaru, aber alt war er nichtsdestotrotz. Nur wenige graue Haare waren ihm verblieben, und sein Gesicht war von Falten gezeichnet. Seine blauen Augen waren vom Alter milchig geworden, seine Gestalt, ohnehin nur von mittlerer Größe für einen Menschen, leicht gebeugt. Er stützte sich auf einen Gehstock ab.

"Hier war Magie am Werk. Hier und überall sonst in der Stadt."

Er sah die Gruppe an, musterte jeden Einzelnen von ihnen. "Verzeiht, ich vergesse meine Manieren. Ich bin Vater Udeon, Priester des Ältestenzirkels von Aguas. Und bevor Fragen oder Anschuldigungen aufkommen, ich versichere euch, dass mein Herr Aguas die Schrecken dieser Nacht nicht herbeigerufen hat. Auch unser Tempel wurde überrannt, fast alle Priester und Kleriker getötet."

Sein Blick fiel auf Schnüffler. "Ich bin auf der Suche nach einem sicheren Ort. Darf ich mich eurer Gruppe anschließen? Ich biete euch im Gegenzug an, die mir von Aguas gegebenen Kräfte zu eurem Schutz einzusetzen. Auch wenn die untoten Kreaturen dort draußen nicht von Aguas gerufen wurden, so unterwerfen sie sich doch seiner Macht."
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Sternenblut

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Geisterstadt
« Antwort #20 am: 13.03.2014, 22:07:31 »
Nach einer kurzen Diskussion entschloss sich die Gruppe, den fremden Aguas-Priester mit aufzunehmen. Sie hatten immerhin auch Katarina dabei, wie viel schlimmer mochte dieser Udeon schon sein? Immerhin war er ein gebrechlicher alter Mann, der einen Krückstock brauchte.

Mentaru führte sie zu dem Tunneleingang, der im Vorratsraum hinter der Theke versteckt war, und so gelangten sie wieder in die Tunnel. Und wieder führte der alte Mann sie. Er schien jede Biegung, fast sogar jeden Stein in diesen Gängen auswendig zu kennen.

Udeon erzählte auf dem Weg ein wenig von sich. Auch wenn man es gerade von einem Aguas-Priester nicht erwarten mochte, brach er damit die Spannung innerhalb der Gruppe.

"Hattet ihr auch so viel Glück auf eurem Weg? Ohne Glück hätte ich nicht überlebt. Ich habe ja noch geschlafen, als das alles los ging. Eine junge Priesterin hat mich geweckt. Eine ganze Horde von den wandelnden Toten stand vor unseren Toren, und als sie dann in den Tempel gelangt ist, ist das Mädchen glatt durchgedreht. Sah mich an, als wär ich einer von denen, und ist panisch geflüchtet, nur einen Moment später als der junge Adept, der sie begleitet hat."

Er zuckte mit den Schultern. "Es geht wohl jeder anders mit sowas um. Aguas hat mich gelehrt, dass Angst eine Illusion ist, die man überwinden kann. Mit seiner Macht konnte ich den Tempel unverletzt verlassen. Ich habe die letzten Stunden vor allem versucht, herauszufinden, was eigentlich passiert ist, aber nun bin ich doch müde und brauche einen Platz zum Schlafen."

Sein faltiges Gesicht wurde ernst. "Aber es ist schon seltsam. Es gab keine einzelne Quelle, von der all das ausgegangen wäre. Es gab keine Spuren klassischer Zauberei, ob nun aus göttlicher oder arkaner Quelle. Das Ganze hat eher etwas... wie soll ich sagen... von einem Naturereignis. Aber vielleicht hat auch nur jemand seine Spuren besonders gut verwischt. Sollten Sterbliche dazu in der Lage sein, so etwas hervorzurufen, haben sie sicher auch die Macht, magische Spuren zu verwischen."

Udeon erzählte noch weiter, sprach davon, wie er versucht hatte, die "Toten", wie er sie nannte, mit einfachen Zaubern zu beherrschen - und gescheitert war. Er hatte die Kreaturen schließlich dazu gebracht, sich von ihm abzuwenden oder ihn zu ignorieren, aber die üblichen, einfachen Zauber, die gegen Untote wirkten, hatten versagt. Das war vermutlich auch der Grund dafür, dass seine Tempelbrüder und -schwestern getötet worden waren: Sie hatten sich auf ihre Magie verlassen und waren von den hungrigen Toten überrumpelt worden.

Schließlich kam die Gruppe an einem großen Gatter an. Mentaru betätigte einen Mechanismus an der Seite, und das Gatter ging mit einem Klack auf. "Wir sind fast da", erklärte der alte Mann, "in gut hundert Metern geht es nach oben, und dann kommen wir in einem Lagerraum im Sanatorium heraus."

Und so war es dann auch. In dem Raum fanden sich Vorräte - die meisten aus der Gruppe bedienten sich gleich an Obst, Brot und Wasser, bevor die Gruppe den Raum verließ.

Auf dem Gang begegnete ihnen ein Mann, der offensichtlich zum Wachpersonal des Sanatoriums gehörte. Er war sehr überrascht über das plötzliche Auftauchen der Gruppe. Als Mentaru ihm den Zugang zum Tunnel zeigte, wurden seine Augen noch größer, und er bestand darauf, den Tunnel gleich abzudichten - er schob einen schweren Schrank darauf, damit keine Gefahr bestünde, dass Untote über den Tunnel in die Festung kommen würden.

Der Mann, der sich als Timbar vorstellte, erklärte, dass es noch eine weitere Gruppe Überlebender ins Sanatorium geschafft hatte. Die Leute schliefen inzwischen alle, und er wollte sie nicht weiter stören. Er war aber bereit, auch die neue Gruppe in den Aufenthaltsräume zu führen. Auf dem Weg dorthin erklärte er, dass auch das Sanatorium angegriffen worden war. Nur er und einer der Heiler hatten überlebt - und natürlich die Insassen, um die sie sich nun kümmern mussten.

Doch Schnüffler hatte kaum die Aufmerksamkeit für die Erzählungen Timbars. Der Raum, in den Timbar die Gruppe geführt hatte, war so prachtvoll ausgestattet, wie er es nur in prachtvollsten Herrenhäusern gesehen hatte, in die er eingestiegen war. Es roch nach Blumen, es gab reichlich zu essen, und ein ganzes Heer an weichen Kissen war auf dem Boden ausgelegt worden - es lud geradezu dazu ein, es sich hier bequem zu machen. Damit nicht genug, bot Timbar den Neuankömmlingen sogar an, die daneben gelegenen Waschräume zu benutzen. Nur um eines bat er sie: Leise zu sein, damit sie die Schlafenden nicht weckten...

Es dauerte nicht lange, dann lag auch Schnüffler auf den Kissen ausgebreitet, und die Erschöpfung einer ganzen Nacht zwang ihn in den Schlaf. Es war geschafft, die Nacht war überstanden...
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Sternenblut

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Geisterstadt
« Antwort #21 am: 13.03.2014, 22:23:11 »
Geisterstadt



Die Nacht war vorüber. Der Albtraum aber war noch nicht vorbei. Omrah, der gehofft hatte, in Aradan Zuflucht zu finden, war von den Schrecken der Vergangenheit eingeholt worden, und nun hatte dieses Grauen sogar die Schillernde Stadt verschlungen.

Rhamedes hatte statt Antworten und einem Abschied nur noch mehr Fragen und Sorgen gefunden, und sein Schlaf war, wenn auch dringend benötigt, äußerst unruhig. Gelirion... er hatte sich aufrecht gehalten, bis zuletzt. Er hatte auf einer weichen Decke auf dem Boden gelegen und nach oben gestarrt. Immer wieder sah er vor sich die Szene, wie seine Schwester - oder was auch immer aus ihr geworden war - ausrutschte und die Mauer herab fiel. Er hatte sie verloren. Er hatte alles verloren. Und er hatte versagt. Erst, als der Letzte seiner Gefährten auch eingeschlafen war, liefen die Tränen über sein Gesicht.

Esulilde war von den anderen noch einmal geweckt worden, und war mit der neuen Unterkunft sehr zufrieden. Kaum im neuen Raum angekommen, legte sie sich bereits wieder schlafen. Sie war nicht bereit, die unterschwelligen Ängste zum Vorschein kommen zu lassen, die durch ihre Erinnerungen an die heutige Nacht nach oben drängten. Und doch, sie waren da, und das ärgerte sie. Für sie war der Schlaf auch eine Möglichkeit, sich damit nicht mehr auseinandersetzen zu müssen. Jedenfalls dachte sie das...

Areo... er war zerrissen zwischen Hoffnung und dem Schrecken, den die Bilder dieser Nacht in ihm hinterlassen hatten. Und noch etwas beschäftigte ihn. War das, was passiert war, auf Aradan und seine Umgebung beschränkt? Oder passierte etwas derartiges auch in seiner Heimat? Er hoffte, dass die Träume ihm Antworten bringen würden.

Schnüffler wollte sich, nun, da er endlich schlafen konnte, um niemanden außer sich selbst mehr kümmern. Dummerweise legte sich das Mädchen wie selbstverständlich genau neben ihn. Sie sprach nicht, aber sie sah ihn an. Und, das ärgerte ihn vielleicht am meisten, irgendetwas hinderte ihn daran, sie deswegen anzuschnauzen. Er wartete, bis dem Mädchen endlich die Augen zufielen... doch das geschah einfach nicht. Sie sah ihn an, mit diesen großen, blauen Augen. Irgendwann war es ihm zu viel, und er drehte sich auf die andere Seite. Schlafen, endlich schlafen...
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Sternenblut

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Geisterstadt
« Antwort #22 am: 13.03.2014, 22:38:24 »
Rhamedes' Schlaf war noch unruhiger als in der Nacht zuvor. Selbst im Traum merkte er, wie er sich erschrak: Er träumte die gleichen Dinge wie in der letzten Nacht. Er sah eine Zelle vor sich, spürte, wie seine Arme in etwas gefangen waren. "Hier wirst du verrotten, du verrückter Elternmörder!" Dann stieß er gegen die Wand.

Er sah sich um, während er auf den Boden sackte. Hier, in dieser Zelle, würde er wohl den Rest seines Lebens verbringen. Im Sanatorium von Aradan, dem Ort, an dem man die schrecklichsten und gefährlichsten Verbrecher der Stadt wegschloss, damit sie nie wieder das Licht der Sonne sehen sollten - so jedenfalls hieß es. Und nun war er hier gelandet, weil er getan hatte, was er tun musste.

Er... nein, er wollte nicht daran denken. An das, was er getan hatte. An das, was er gesehen hatte. Er wollte sich nicht erinnern.

Seine Gedanken flüchteten vor den fremdartigen Erinnerungen, und so zogen die Traumbilder an ihm vorbei, und er floh tatsächlich, floh durch die Straßen Aradans, verfolgt von hungrigen, wandelnden Toten und von Bildern, die er nicht sehen wollte.
« Letzte Änderung: 13.03.2014, 23:23:15 von Sternenblut »
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Sternenblut

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« Antwort #23 am: 13.03.2014, 22:44:52 »
Areo sehnte sich fast nach seinen Träumen, hoffte darauf, erneut Tyr zu sehen und mit ihm zu sprechen. Doch seine Hoffnung wurde nicht erfüllt. Wovon er träumte, das war die Dunkelheit. Er lief durch eine Welt, deren Boden nichts als Schwärze war. Es gab keine Wände, keine Gegenstände, keine Natur. Oder nein, das war nicht ganz richtig: Die Natur dieses Ortes war die Schwärze.

Er fühlte sich verloren, wie ein Eindringling, der vernichtet werden würde, wenn man ihn entdeckte. Doch wer war es, der ihn entdecken sollte? Wer oder was mochte an einem solchen Ort existieren?

"Du."

Er wusste nicht, woher die Stimme kam oder wem sie gehörte. "Du, und die anderen, die überlebten. Ihr lebt nun hier, inmitten der Dunkelheit."

Es wurde kälter. "Spürst du das?"

Areos Atem gefror. Er fröstelte, und schlang die Arme um seinen Körper. "Du kannst dich entscheiden, zu gehen, jederzeit. Es kann aufhören. Oder du entscheidest, zu bleiben. Spürst du es? Dann, immerhin, spürst du etwas..."
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« Antwort #24 am: 13.03.2014, 22:59:32 »
Esulilde lief ins Haus ihrer Eltern. Ihre Nase blutete, und ihr ganzer Körper tat weh. "Mama! Papa!"

Ihre kurzen Beine - sie war keine sechs Jahre alt - liefen schnell durchs Haus, bis sie endlich ihre Mutter fand. "Mama!" rief sie weinend. "Joras, er hat mich gehauen! Er hat mich ganz feste gehauen! Er war so gemein!"

Joras, das war ihr Nachbarsjunge, und er hatte immer drei oder vier Freunde dabei.

Ihre Mutter, gekleidet in die dunklen Gewänder einer Aguaspriesterin, legte ihr die Hand auf den Kopf und drückte sie an sich. "Weine, wenn du weinen musst", sagte sie ihr, "aber beschwere dich nicht, dass irgendjemand gemein zu dir war."

Sie sah auf zu ihrer Mutter, die Augen voller Tränen. "Aber er war..."

Ihre Mutter schob sie von sich, legte ihr beide Hände auf die Schultern, und sah sie ernst, aber liebevoll an.

"Erinnerst du dich an die Katze gestern? Wie sie die Maus gefangen und dann ihren Kindern zu fressen gegeben hat?"

Esulilde nickte. Noch immer liefen die Tränen, aber sie hörte aufmerksam zu.

"Die kleinen Katzen haben die Maus nicht gleich gefressen. Das hätten sie tun können. Stattdessen haben sie mit ihr gespielt. Das weißt du noch, oder? Aber was denkst du, wie das für die Maus war?"

Darüber hatte Esulilde noch gar nicht nachgedacht. Die Katzen hatten die Maus geschlagen, sogar in sie hinein gebissen, und sie hatte trotzdem noch sehr lange gelebt. Gleich wurde der Strom an Tränen noch etwas größer.

"Nein, nein", beruhigte ihre Mutter sie. "Das ist nunmal die Natur der Katzen. Und es ist die Natur der Maus, die Beute der Katzen zu sein. So wie die Katze sie gefangen hat, hat die Maus vorher andere Tiere gefangen. Und ist genauso gemein zu ihnen gewesen. Verstehst du, was ich meine?"

Esulilde versuchte, versuchte wirklich, zu verarbeiten, was ihre Mutter ihr erzählt hatte. Ein Mädchen aus der Nachbarschaft hatte ihr neulich etwas von Hektor erzählt... "Du meinst, dass nunmal alle Tiere Nahrung brauchen, und das eben der Lauf der Natur ist?"

Ihre Mutter lächelte, schüttelte aber den Kopf. "Nein, das ist nicht, was ich meine. Obwohl es durchaus wahr ist, aber das ist eben nicht alles. Was ich meine, ist folgendes: Selbst in den süßesten Tieren steckt etwas ganz Gemeines. Es ist in uns, in jedem einzelnen Lebewesen, egal wie klug oder dumm oder süß oder hässlich es ist. Die Leute auf der Straße, die sich nett lächelnd begrüßen, sie tragen nur Masken, und hoffen Tag für Tag darauf, dass es niemandem gelingt, dahinter zu schauen. Joras war gemein zu dir? Nein, er hat nur seine Maske abgelegt. Er hat dir gezeigt, dass er eben auch gemein sein kann. Verurteile ihn nicht deshalb. Du bist es, die zugelassen hat, dass er dich wie eine Maus behandelt."

Und jetzt verstand sie. "Du meinst..."

"Genau, mein Schatz. Wenn du es willst, kannst du eine wunderschöne, süße, aber eben auch gemeine Katze sein. Du musst nur klug genug sein, um zu wissen, wie du das anstellst."
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« Antwort #25 am: 13.03.2014, 23:02:42 »
Blumenduft. Omrah stand in dem kleinen Garten, den seine Mutter angelegt hatte, und roch an den Lilien. Er liebte den Frühling, und seine Mutter liebte den Frühling auch. Auf dem großen Stein an der Straße sah er Ryffa sitzen. Sie lächelte und winkte ihm zu.

"Mama, schau mal, da ist Ryffa!"

Sie sah zu ihm, und lächelte. Doch dann... ihre Haut fiel ein. Ihre Augen wurden milchig, und Blut spritzte aus einer Wunde an ihrem Hals. Aber noch immer lächelte sie. "Geh zu ihr, mein Schatz", sagte sie mit kratziger Stimme, "spielt ruhig ein wenig. Ich komme dich holen, nachher, wenn es Zeit ist. Ich komme dich holen..."
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« Antwort #26 am: 13.03.2014, 23:06:57 »
Schnüffler stand auf der Straße, er war gerade aus dem brennenden Gebäude geflüchtet. Den Boss hatte er zurück gelassen. Es interessierte ihn auch nicht, was mit ihm passiert sein mochte.

Dann sah er das Mädchen. Rotznase. Nicht gerade ein Name, den er seinem eigenen Kind geben würde, aber er passte irgendwie. Er lächelte, und nahm sie an der Hand.

"Sie gehört nicht dir."

Er erschrak. Er sah sich um, doch er war alleine auf der Straße.

"Sie gehört nicht dir."

Der Griff des kleinen Mädchens wurde fester. Zitterte sie sogar? Dieses furchtlose kleine Mädchen, das mit ihm eine ganze Nacht lang vor menschenfressenden Toten geflüchtet war?

"Sie gehört nicht dir."
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Sternenblut

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« Antwort #27 am: 13.03.2014, 23:16:15 »
Gelirion hatte lange gebraucht, bis ihn endlich der Schlaf übermannt hatte. Er träumte von Ina, davon, wie sie das Blut schluckte, das Blut des Halbogers, das durch seinen Schlag durch den Raum gespritzt war. War er dafür verantwortlich? Hatte er es nicht nur nicht geschafft, sie zu beschützen, sondern sogar...

Er sah sie vor sich. Verwandelt, in eine grauenhafte, schreckliche Kreatur. Was würde sein Vater, seine ganze Familie sagen, wenn er es irgendwann schaffte, zurückzukehren? Würden sie ihn verstoßen?

Er träumte von Sheriak. Der junge Mann hatte geahnt, was passieren würde, und hatte einen kleinen Stamm durch seine eigene Hand gestoßen, um das Monster in ihm zu fesseln. Auch Cederon hatte es geahnt.

Hatte Ina es geahnt? Hatte sie es vielleicht sogar gewusst?

Als er am nächsten Morgen aufwachte, wurde ihm bewusst, dass es nicht das erste Mal war. Fünf, sechs Mal war er bestimmt wach geworden, wenn nicht häufiger. Der Schlaf hatte seinem Körper zwar die Möglichkeit gegeben, Kräfte zu sammeln, doch sein Geist war noch immer erschöpft.
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« Antwort #28 am: 13.03.2014, 23:22:45 »
Die Tür ging auf, und Timbar kam herein. "Hallo zusammen. Es gibt bald etwas zu essen. Wenn ihr möchtet, dann könnt ihr in zehn Minuten in die Eingangshalle kommen. Ich habe dort eine Tafel aufgebaut. Da können wir alle zusammen essen."

Er zog die Tür wieder zu, zögerte dann aber noch einmal. "Es hat noch weitere Überlebende gegeben. Nachdem ihr eingeschlafen seid, ist eine weitere Gruppe gekommen. Sie schlafen zwei Räume weiter."

Dann erst schloss er die Tür, und ging zu dem Raum, in dem Schnüffler und die anderen Überlebenden schliefen. Er zog auch diese Tür auf. "Es gibt Essen. Ihr habt etwa zehn Minuten, dann sehen wir uns in der Eingangshalle. Ich habe dort eine Tafel aufgebaut."

Nach diesen Worten, schloss er die Tür wieder. Rotznase rieb sich die Augen, und sah Schnüffler dann erwartungsvoll an. "Essen klingt gut", gab sie mit einer noch müden Stimme von sich, die mädchenhafter war als alles, was er bisher von ihr kennengelernt hatte. Erwartungsvoll sah sie ihn an, ihr Haar zerzaust, ihr Blick hungrig.
« Letzte Änderung: 13.03.2014, 23:29:49 von Sternenblut »
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Gelirion

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« Antwort #29 am: 14.03.2014, 14:01:37 »
Rasch war Gelirion auf den Beinen. Er wollte nicht mehr liegen und die Decke anstarren, so wie er es nach dem letzten Erwachen getan hatte. Er wollte etwas machen. Irgendetwas, einfach nur um die Fragen, die Anschuldigung des Traumes zu vergessen. Dabei wusste er, dass er sie nicht vergessen konnte. Zu schwer waren die Anschuldigungen, die sein Traum an ihn stellte. Zu klar das offensichtliche. Schließlich hatte er nach dem Erwachen genug Zeit um sich dem bewusst zu werden. Er hatte Versagt. Er hatte als Bruder versagt und seine Schwester nicht nur verloren, sondern war auch noch dafür verantwortlich sie verloren zu haben. Hätte er in der Taverne mehr aufgepasst, dann, ja dann würde sie noch leben. Es war sein Fehler, seine Unaufmerksamkeit, seine Nachlässigkeit die ihm eine der wichtigsten Personen seines Lebens genommen hatte. Er konnte es einfach nicht von sich weisen.
Und nun, nun konnte er nicht zurück. Er konnte die Zeit, das Schicksaal nicht ändern aber er konnte auch nicht einfach nach Hause zurück. Wie sollte er es seinem Bruder und der ganzen Familie erklären. Jedenfalls nicht ohne leere Hände. Wenn er nur wüsste wer dafür verantwortlich war oder wie so ein Chaos verhindert werden könnte, ja dann könnte er zurück und seiner Familie wieder in die Augen sehen.

Bevor er den Raum verließ, weckte er Areo und deutete ihm an, dass es essen gab. Er nutzte dafür die einfachen Gesten von etwas kauen und danach den Bauch streicheln. Dabei fragte er sich, wie wohl Areo normalerweise mit anderen sprach. Ob es nur über das Schreiben ging oder es auch einen anderen Weg gab. In einer kämpfenden Gruppe gab es einige Zeichen die alle kannten, aber wie sollte Areo sie lernen oder wusste er schon einige. Ein Stubser an seine Wade löste die Gedanken. Gelirion blickte zum Hund hinunter. Schweigend sah er das Tier an und ging dann in die Hocke um ihn kurz zu kraulen, so er dies zuließ.

Dann machte sich Gelirion auf in den Waschbereich. Verwundert merkte er wie Areo ihm folgte. Es musste eindeutig ein besserer Weg gefunden werden, um mit den stummen Halbelfen zu kommunizieren. Aber sei es drum.
Trotz der Ruhe schmerzten seine Muskeln und die Blessuren taten bei Berührung weh aber insgesamt fühlte es sich besser an als noch vor dem Schlafen. Dafür merkte er rasch, dass sein Geist noch nicht ganz bei der Sache war. Im Bad rutschte ihm Schöpfkelle einfach aus der Hand. Einen Moment stand er einfach da und fluchte innerlich über das Missgeschick und auch das Areo es mitbekommen hatte. Doch er musste sich zusammen reißen. Er wollte den anderen nicht zeigen wie tief verletzt er wirklich war, er wollte sich nicht mehr die Blöße geben. Nachdem er fertig war sich frisch zu machen, schnappte er sich seine Sachen, welche er vor dem Schlafen gehen noch gereinigt hatte. Sie waren noch nicht durchgetrocknet und lagen klamm auf seiner Haut, doch war das meiste Blut der letzten Nacht verschwunden.
Als es um das Anlegen der Waffen ging, hielt er kurz inne. Den Schild und den Säbel hatte er im Zimmer bei den anderen gelassen. Nur das Schwert von Sheriak führte er gerade bei sich. Er betrachtete das Schwert und seine Spiegelung in der Klinge. Ja so verzerrt wie er sich dort sah, so fühlte er sich gerade. „llorar“ murmelte er in seiner Heimatsprache. In der der Handelssprache hieß es so viel wie -Tränen vergissen- und dies sollte nun der Name dieses einfachen Langschwertes sein. Dann steckte er es sich an den Gürtel. Straffte seinen Körper und ging hinaus zum Frühstückstisch. Er war gespannt auf die anderen Flüchtlinge.
« Letzte Änderung: 19.03.2014, 17:38:42 von Gelirion »

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