Hinter dem Fass musste ein weiterer Raum liegen, in dem jemand aufgeregt diese grausliche Rede hielt, die Will in einer Deutlichkeit verstand, die eigentlich nicht hätte sein dürfen.
[1] Seit seiner Zeit im Straflager war sein linkes Ohr fast taub und es rauschte und fiepte beständig darin, dass er gar nicht mehr wusste, was 'Stille' war, und Flüstern nur noch schwer vernahm, weil die eingebildeten Geräusche ihm lauter schienen. Doch in diesem Augenblick hörte er mit beiden Ohren und was er hörte, war die Stimme eines Wahnsinnigens. Da gab es überhaupt keinen Zweifel, schließlich hatte er für sein
Massaker seinerzeit monatelang in den Irrenhäusern der Stadt recherchiert: hier sprach der Wahn.
Doch mit wem sprach der Wahn? Hoffentlich mit den beiden Männern, die Arjen und er hier treffen wollten.
"Da will ein Verrückter ein Elfenkind opfern", wisperte er Arjen ins Ohr, "damit eine alte grausame Göttin, die es noch vor den Himmelsgöttern gegeben haben soll, ihm große Macht verleihe, und diese wolle er dann nutzen, die magische Kraft irgendeines Artefaktes zu stärken, über das er herausgefunden haben will, mit ihm ließe sich, wenn die ihm geopferte Lebenskraft nur ausreiche, den Untoten bis nach Othun und Eschmerat der Seelenfunke austreiben. Er ist wahnsinnig! So eine Magie gibt es überhaupt nicht
[2], und wenn ich so eine grausame alte Gottheit wäre, ich wär' beleidigt, dass die Menschen mich verraten und vergessen haben, ich würd' denen nicht helfen, wenn sie nach ein paar Jahrtausenden plötzlich ankämen und gleich frech um Hilfe bäten, weil sie mit den neuen Göttern doch nicht so gut gefahren waren. Ha! Wenn es solche Götter überhaupt gab—ich zumindest hab noch nie von ihnen gehört—dann stecken die wohl eher
hinter dieser Sache! Eine Rache, seit der Urzeit sorgfältig geplant... Das Kind! Zida würde niemals zulassen... ich bin kein religiöser Mensch, Arjen, beileibe nicht, aber gerade schaut mir der kindliche Gott über die Schulter, das weiß ich gewiss. Wir müssen das Kind vor diesem Wahnsinnigen retten!"
Wenn Will sich hier auf Zida berief, so mochte es daran liegen, dass sein Gesicht und seine Sinne tatsächlich von einem Fieber glühten, das ihn sonst nur in der hitzigsten Schaffensphase oder während einer besonders gelungenen Aufführung überkam: wenn Zidas schöpferische Macht in seinen Adern floss und seinen Geist durchtobte, ihn auf leichten Schwingen trug und dabei doch gnadenlos vorwärtsdrängte, ihm einerseits, ohne dass er selbst die Mühe spürte, den nächsten Satz, die nächste Geste, die nächste Idee eingab, ihn andererseits atemlos und bis zur völligen
Erschöpfung diesen Einfällen hinterherjagen ließ, um sie auch alle einzufangen, damit ihm bloß keiner durchginge, damit er nur ja nichts verpasse und vergesse... Doch eines gab es während dieser Zeit nicht: Zweifel. Weder an sich, seinem Werk, seiner Berufung, noch an der Richtigkeit seines Tuns. Er tat genau das, zu dessen Zweck er geboren war.
Will holte tief Luft und setzte noch hinzu: "Wenn das Jeanas Kameraden sind, mit denen er da redet, vielleicht helfen sie uns. Wir müssen uns nur recht zu erkennen geben. Nicht, dass sie uns für Plünderer oder gar dessen Gefährten halten."