Doch Lucia kann, auch wenn sie im ersten Moment mit zusammengekniffenen Augen und zusammengepressten Lippen dasteht, und sich als erstes mit den Händen durchs Gesicht streicht, um sicherzugehen, ihre Augen gefahrlos öffnen zu können, selbst nur über ihr Missgeschick amüsiert sein. So erzielt Levin Jasper Constantin von Mendenhalls empörte Tirade vermutlich nicht den Effekt, den er sich erhofft haben könnte (etwa, dass sie sich dümmer als ein Höllenritter fühlte oder sich versuchte zu rechtfertigen oder sogar zu entschuldigen), sondern sie verfolgt dessen wütenden Erguss mit aller, ernsthafter Aufmerksamkeit. Selbst die Beleidigungen und die Forderung, die Reinigung von von Mendenhalls Kleidung zu bezahlen scheinen vollkommen an ihr abzuprallen. Sie beobachtet sein kleinkindhaftes Gestampfe, seinen auf sie gerichteten Finger, seinen bösen Blick und sein echauffiertes Gehabe. Doch schließlich kann sie sich ein Schmunzeln und ein darauf folgendes Lachen, als ihr Blick den ihres Bruders sucht und kreuzt, nicht verkneifen. Dass ihr ein Fehler unterlaufen ist, empfindet sie an dieser Stelle keinesfalls beschämend, Fallen gehören nun einmal zum Berufsrisiko einer Detektivin, die sich von Türen und anderen Hindernissen nicht aufhalten lässt. Der Umstand, dass sie selbst nun über und über mit sehr hartnäckiger Farbe bedeckt ist, trägt sie sichtbar mit Humor – außerdem sieht Levin aus wie ein wütend-wettender Imp.
„Hätten wir nun Zeit, würde ich einige Mittelchen an Euch austesten, die helfen könnten“, wendet Lucia sich belustigt an den eingefärbten Adeligen und deutet damit zumindest an, dass sie etwas von Alchemie versteht, aber tatsächlich fällt ihr auf Anhieb kein wirksames alchemistisches Gegenmittel ein und sie müsste sich wohl wirklich in einer ruhigen Minute damit befassen, „doch erst einmal sollten wir von hier verschwinden, meint Ihr nicht auch?“
Sie lässt sich durch Levin keineswegs beunruhigen.
„Und wir drei sollten die Crandels lieber nicht aufsuchen, bevor wir sämtliche Hinweise beseitigt haben, dass wir hiermit etwas zu tun hatten“, gibt sie mit einem wechselnden Blick zwischen Liliana und Levin zu bedenken und muss schon wieder schmunzeln. Dabei zieht sie schon ein kleines Fläschchen aus einer ihrer Taschen und entkorkt es, während sie weiterspricht.
„Immerhin wissen wir nun, dass die Crandels vermutlich nicht in akuter Gefahr sind – sonst hätten sie nicht Zeit gehabt, ihre hübsche Überraschung beim Verlassen des Hauses zu aktivieren. Schaut nicht so verdrossen drein. Es ist ein schöner Tag, um auf den Markt zu gehen.“
Sie zwinkert dem erzürnten Levin zu, dann setzt sie das Fläschchen an ihre Lippen an und trinkt. Beinahe sofort setzt die Wirkung an. Die rote Farbe auf ihrer Haut, ihrem Haar und ihrer Kleidung scheint erst etwas zu verblassen und dann vollkommen zu verschwinden.
[1]Zu verschwinden, das gedenkt Lucia nun auch zu tun. Den „Tatort“ zu verlassen, war vermutlich erst einmal das beste, bevor noch die Stadtwache auf sie aufmerksam werden würde. Dennoch würde es nicht ausreichen, wenn sie allein erst einmal durch die Wirkung ihres Trankes getarnt sein würde. Gerade Liliana als Halbelfe sollte mit der roten Farbe keiner Wache unterkommen. Aber erstmal wäre für Lucia auch Levins Reaktion sehr interessant.