Inesaya verließ langsam die Dunkelheit, die sie bei ihrer Meditation, die sich nun dem Ende zuneigte, stets umgab und erfüllte. Nun bin ich so weit fokussiert, um zu meinem Meister zu beten.
Sie öffnete eine zunächst unscheinbare Kiste, die jedoch (neben den Teilen eines tragbaren schwarzen Altars, den sie sich kurz nach der Weihe der Teufelin von einem Handwerker hatte anfertigen lassen) ein heiliges Symbol enthielt. Doch dieses Symbol zeigte nicht die in Talingard verehrte Göttin Iomedae - dieses Symbol repräsentierte den Fürsten Asmodeus, ihren Herrn und Meister. Den einzigen Herrn und Meister.
Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass die Fenster mit Vorhängen verdunkelt und die Tür verschlossen war, sodass niemand ihre Kammer betreten konnte, sprach sie einige Worte, formte dazu kleinere Gesten und ließ nach und nach ihre neun Kerzen, die jeweils zu dritt am linken, hinteren und rechten Rand aufgestellt waren, magisch entflammen. Der Spiegel, durch den sie das erste mal mit jener Erinye, die Inesaya damals zur Gläubigen Asmodeus' gemacht hatte, gesprochen hatte, lag auf dem Altar in der Mitte, neben ihm Asmodeus' heiliges Symbol, am Rande leuteten die magisch entzündeten Kerzenstummel. Doch seit dieser schicksalhaften Nacht ihrer Initiation leuteten ihre Kerzen nicht mehr mit orangen Flammen. In Zweisamkeit mit ihrem Herrn und Meister hatten sich die Flammen weinrot gefärbt, deren Licht der untergehenden Sonne, die Inesaya bei ihrer Weihe durch die Flammenpeitsche des Ascheflügels (durch welche sie seitdem -mit Stolz- eine Brandnarbe auf der Stirn trug) mit ihrem Licht durchdrungen hatte und auch ihrer nach der Weihe gekauften passenden Kleidung glich.
Dann kniete sie sich vor den Altar, beugte das Haupt und begann ihr Gebet in der infernalischen Zunge:
"Oh Erz-Unterweltler und Meister der Hexen, Prinz von Hölle, Teufeln und Dunkelheit, Oh erster, mein einziger Herr und Meister. Erneut kommt mit der Dämmerung der Vorbote deiner Dunkelheit, erneut werden deine Schatten dort wandeln, wo das Licht erlischt. Mögen auch in jener Nacht die Anhänger von Licht und Gerechtigkeit deinen Anhängern und Legionen zum Opfer fallen, mögest du gegen die Streitkräfte der Engel ebenso triumphieren wie gegen die Streitkräfte der Dämonen." Nur Asmodeus war als ihr einziger Herr und Meister, derjenige, dem sie solch Unterwürfigkeit entgegengebracht hatte, seit sie ihre Ausbildung an der Akademie erfolgreich abgeschlossen hatte. Zur Zeit bot sie sich häufig als wandernde Söldnerin an und manche Aufträge hatten ihr die eine oder andere hübsche Summe eingebracht. Doch auch wenn sie es genoss, ihren Krummsäbel gegen verschiedene Feinde zu führen und damit stets vergleichbar kurzfristige Ziele -jene ihrer Auftraggeber- zu erfüllen schien es, als würde ihr etwas fehlen. Diesen Punkt sprach sie nun im Gebet an, sie hatte Asmodeus erneut ihre Unterwürfigkeit ihm -und nur ihm gegenüber- bewiesen. "Herr, ich bitte dich, zeige mir den Pfad, welchen ich für dich beschreiten soll." Kurzzeitig schloss sie ihre Augen, visualisierte Asmodeus Gestalt in den Raum, in dem sie saß, wartete geduldig, ob sich Bilder, die ihr die Zukunft zeigen würden, vor ihren Augen abzeichnen würden.
Doch obwohl sie geduldig wartete, schien ihr Herr ihr erneut nicht einmal einen kleinen erhellenden Funken zu schicken.
Vielleicht hat er andere Pläne mit mir dachte Inesaya, während sie in der Verbundenheit mit ihrem Herrn badete und seine Macht ihr erneut Stärke verlieh.
"Gelobt sei Asmodeus, mein einziger Herr und Meister." sprach Inesaya und erhob sich. Dann löschte sie die Kerzen und packte diese zusammen mit dem Altar und dem Unheiligen Symbol in eine unscheinbare Kiste.
Dann zog sie ihr Kettenhemd an, welches ihre Kleidung zu einem guten Teil verdeckte und ihr neben weiteren verzauberten Gegenständen, darunter ein Amulett, ein Umhang, einem Ring oder Armschienen, Schutz in einer gefährlichen Umgebung bot. Dann befestigte sie noch ihre Waffen - einen Krummsäbel und eine Peitsche - an ihrem Waffengurt und schritt würdevoll aufgerichtet aus ihrem Zimmer in den Schankraum, stets darauf vertrauend, dass Asmodeus ihr den Weg weisen möge.