Als Tami am Morgen Schleicher in seiner Hütte abholte, holte sie auch den Sack mit den beiden Kästchen und dem Schinken aus Laroks Haus aus dem Versteck und füllte die kleine Grube wieder mit Erde auf. Später half sie ihrem Onkel, der Angst vor Dieben hatte, die ihm sein Handwerkszeug klauen würden, eine einfache Geräuschsfalle aufzubauen.
[1] Das mit der Schlinge, das er vorschlug, lehnte sie ab als nur schwer machbar.
"Außerdem geht sowas nur im Wald. Das kann man mitten in einem Dorf doch nicht machen! Stell dir vor, Kinder spielen hier rum oder jemand will den Wagen bloß beiseite schieben, weil er hier trotz allem im Weg steht. Nein, besser, es macht nur gewaltig Krach, dann kommt derjenige, ob Kind oder Dieb, mit einem Schrecken davon."Das Frühstück über zappelte sie vor Aufregung und als es endlich losging, benahm sie sich fast so unbändig wie ihr treuer Begleiter. Doch Kälte und Dauerregen drückten ihre Stimmung bald. Anfangs plappernd, wurde sie still und konzentrierte sich darauf, den trockensten Weg durch den Morast zu finden. Tatsächlich schaffte sie es, nahezu trockenen Fußes selbst die sumpfigsten Areale zu umgehen, was sie allerdings einiges an Kraft kostete, da sie hierzu etwa doppelt so viel Wegstrecke zurücklegte wie die beiden Erwachsenen. Denen ersparte sie allerdings auch so manches Schlammloch, das die beiden sicherlich hüfthoch oder mehr hätte einsinken lassen, durch ihre gebellten Warnungen.
[2]Am späten Mittag war Tamis Stimmung—vor Erschöpfung und der ständigen Verantwortung—derart schlecht, dass sie sogar richtig bös mit Schleicher schimpfte, wenn er an ihr hochspringen wollte. Schleicher, der das ganze natürlich als Jagdausflug ansah, sprang nämlich hemmungslos durch den Morast, während er alles verfolgte, was huschte, hoppelte oder flatterte, und war schon bald in Schlamm gebadet. Dies Schicksal wollte Tami nicht unbedingt mit ihm teilen. Ihr reichte das Wasser von oben.
Während der gesamten Zeit beäugte sie die rothaarige Frau mal aus dem rechten, mal aus dem linken Augenwinkel, mal von weitem, mal aus der Nähe, mal hörte Cassandra sie gar schnüffeln: die leicht erhobene Nase verstärkte den Eindruck, als würde das Kind sie hier tatsächlich beriechen! Etwas unauffälliger als der Wolf, der immer mal wieder vorbeistrich und sie ganz ungeniert beroch, aber dennoch unverkennbar! Oder ahmte sie nur das Gebaren ihres tierischen Begleiters nach?
Es war nämlich ein Mädchen, erkannte Cassandra, als man noch gar nicht lange unterwegs war. Zum einen nannte Ferygan das Kind, kaum war man zum Tor hinaus, nicht mehr Tamlin, sondern Tami, zum anderen passten einige der Anmerkungen, die Tami während der ersten Tageshälfte machte, nicht zu einem Jungen. Auffällig war außerdem, dass "Onkel" und "Neffe" kaum etwas voneinander zu wissen schienen und sich überhaupt in ihrem ganzen Umgang miteinander wenig vertraut gaben: fast so, als hätten sie sich soeben erst getroffen.
Tami dagegen kam zu gar keinem Schluss über die seltsame Frau. Das einzige, was ihre Zustimmung fand, war der Adler. So ein schönes Tier! So etwas hatte sie ja noch nie aus der Nähe gesehen. Und ein wildes Tier, ein Raubtier, ganz wie ihr Schleicher! Kein Singvogel im Käfig oder Katze, die den ganzen Tag vorm Ofen schläft und nur hin und wieder mal mit der Tatze nach einer Maus schlägt. Ha, die Frau tat so nett und harmlos, aber jeder, der ein wildes Raubtier zähmen konnte, in dem steckte selbst eines! Neugierig trat sie heran, um Flamma näher zu betrachten. Ob die sich wohl streicheln ließ, später einmal, wenn man sich besser kannte?
Am Abend war Tami so erschöpft, dass sie sich nur noch unter ihrer Decke zusammenrollen wollte, doch Schleicher hatte etwas gehört oder gerochen, das ihm die Nackenhaare in die Höhe stehen ließ. Tami sah sich ebenfalls um und schnüffelte auch in alle Richtungen.
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