Razhans Muskeln spannten sich erneut, als sein Körper auf die giftige Flüssigkeit des Trankes reagierte. Er wuchs, unter den magischen Befehlen des Gemisches, und wie beabsichtigt veränderte sich seine Statur. Die Sehnen spannten sich, als seine riesigen Hände, gleich der Pranken einer Werflußratte in die Fluten griffen und den Alchemisten nach Oben zogen. Ein Umriss streifte sein Blickfeld, und der zum Hünen gewordene Wissenschaftler brauchte erst einen Augenblick, um zu realisieren, dass es sich dabei um den Körper eines Koboldes handelte, welcher einem Welpen gleich - mit Händen und Beinen in alle vier Richtungen gestreckt, wie wahnsinnig paddelte, um gegen die Strömung unter Wasser anzukommen. Ohne lange zu überlegen griff er zu und erwischte das kleine Wesen am Nacken, als ein zweiter Kobold dumpf mit seinem linken Schienbein kollidierte.
Die Kräfte Razhans waren schier endlos in jenem schicksalhaften Augenblick, als der - zum Thor gewordene - Tränkemischer auch den zweiten Bold packte und mit an die Oberfläche riss.
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Lavinia trat mit aller Kraft in die Fluten und krallte sich dabei an Tanakas Körper fest, um den gefesselten Barden verzweifelt über Wasser zu halten. Es war ein Kampf gegen die Urgewalt der Elemente, doch ohne die Hilfe des jungen Mannes hätte die Schurkin verloren. Isamu Tanaka tat, was er konnte. Obwohl er niemals wirklich gelernt hatte, sich im Wasser zu bewegen, half sein Unterbewusstsein und das Adrenalin in seinem Blut dabei, der Diebin bei ihrer Rettungsaktion nicht zur Last zu fallen. Tatsächlich bewegten sie sich vorwärts, während Wellen ihnen ins Gesicht schlugen und sie immer wieder kurzzeitig unter Wasser drückten.
Das Lagerfeuer wurde heller. Das Ufer kam näher.
Abrahams Sinne begannen zu schwinden... Die Dunkelheit erfasste ihn, während seine Glieder taub wurden und er den sehnlichst erflehten Lichtpunkt aus den Augen verlor. Die Anstrengungen des Acquisitors waren erfolglos. Sein Gewand, der Rucksack und die Ausrüstung an seinem Körper wogen einfach zu schwer. Die kalten Fluten umschlossen ihn bis zur Gänze mit ihrem tödlichen Griff... Während nicht weit weg, ohne das er es wissen konnte, sein Schicksal nun an der nächsten Entscheidung einer Fremden hing.
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Flinkhands Blickfeld verschwamm immer mehr. Den Griff des Alchemisten spürte er nur hohl, kaum merkbar auf der bereits taub werdenden Haut. Doch in dem Moment, als sein Kopf die Wasseroberfläche durchbrach, traf ihn die frische Luft wie ein Hammerschlag. Ein riesiger Mann mit beeindruckendem Schnauzbart stemmte ihn nach Oben. Und plötzlich erkannte er den zweiten Bold, welcher kaum mehr als einen Lidschlag später, ebenfalls aus den Fluten brach.
Wild strampelnd, boxend und tretend bemerkte Haze erst, dass er auftauchte, als seine Glieder den Widerstand des Wassers verloren und die als Schwimmbewegungen gedachten, traurigen Fuchteleien durch die kalte Luft sausten. Er war gerettet! Ein riesiger, bärtiger und grimmiger Thor hatte ihn gerettet!
Lavinias Hände fanden endlich Halt am steilen Ufer, welches hauptsächlich aus Lehm, gesplitterten Felsbrocken und modrigem Mauerwerk bestand. Doch bevor sie und Tanaka den Versuch wagen konnten, sich an Land zu ziehen, ertönte plötzlich eine fremde Stimme aus der undurchsichtigen, nahen Umgebung.
Ein Kobold schälte sich aus den dunklen Nebelschwaden und warf sich direkt über ihnen auf die Knie, bevor er sich nach vorne beugte. Zwei grüne Augen starrten Besorgnis erregt durch eine runde, randlose Brille und blickten direkt hinab auf die beiden, gar ahnungslosen Brigadiere. Glattes, blondes Haar, gepaart von zwei stattlichen, bis an die Grenzen der Wangen gestutzten Koteletten umsäumten ein kühn dreinblickendes, nicht unfreundliches Gesicht, welches schließlich in einem großen Spitzbart endete.
Der Bold streckte Lavinia seinen einen Arm entgegen, während er sich mit dem anderen an einem großen Stein festhielt und rief:
"Wartet! Lavinia, Tanaka! Ich helfe euch! Schnell, raus da! Aber bitte passt auf! Steigt nicht auf die arme, alte Ina, sonst rutscht ihr noch aus und landet wieder in dem dämlichen Graben!"