• Drucken

Autor Thema: Heiliger Boden  (Gelesen 116785 mal)

Beschreibung: Kapitel 1

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Sternenblut

  • Moderator
  • Beiträge: 7375
    • Profil anzeigen
    • Aradan - Stadt der Toten
Heiliger Boden
« Antwort #765 am: 23.07.2015, 20:54:52 »
Schnell war Jurij wieder oben, wo Roca ihn erwartete. Der Ganove musterte ihn, sagte aber nichts weiter. "Wenn du mich nicht mehr brauchst, kümmere ich mich wieder um meine Geschäfte."

Jurij kehrte daraufhin schnell zu seinen Gefährten zurück, die im Eingangsbereich des Haupthauses zusammen mit Gelin auf ihn warteten.
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

Henry

  • Beiträge: 139
    • Profil anzeigen
Heiliger Boden
« Antwort #766 am: 24.07.2015, 16:31:38 »
Henry atmete innerlich auf, als Jurij wieder zu ihnen zurückkam. Er hatte schon gedacht, dass sie aufgeflögen wären. "Ist alles in Ordnung? Lass uns von hier verschwinden. Es läuft alles ein wenig zu glatt und ich fürchte, dass mit uns gespielt wird.", sagte er leise und auf Englisch zu seinem Gefährten. Er sah auch zu Harry, auf dessen Zustimmung hoffend,
"Be just, and fear not: Let all the ends thou aim'st at be thy country's, Thy God's, and truth's." - Shakespeare: King Henry VIII., Act 3, Scene 2

Jurij Klee

  • Beiträge: 1305
    • Profil anzeigen
Heiliger Boden
« Antwort #767 am: 06.08.2015, 08:49:44 »
Zuerst wirkte Jurij wie in Gedanken. Er musste an die Frau denken, die er zurücklassen musste. Jeden helfen, dass konnte er nicht. Das wusste er aber das Mädchen einfach sterben lassen? War das der richtige Weg, war das der Weg den er gehen wollte?

Tief sog er die Luft ein, atmete sie langsam wieder aus und richtete seinen Blick auf Gelin, welcher für die die etwas wollten, Getränke gebracht hatte. „Gelin, warum stehen meine Freunde noch hier rum?“ wieder sog Jurij die Luft durch die Nase lautstark ein. Innerlich war er wütend, wütend auf sich und das war schlecht zu unterdrücken. „Was solls? Erweise ihnen wenigstens noch den Respekt und führe sie in meine Gemächer. Denn ich werde ihnen nicht die Tür öffnen. Das ist deine Aufgabe, Gilin!“ Jurijs Blick wanderte zu Henry. Glatt lief hier kaum was und dass das Mädchen sein eigen war, konnten die Anderen noch nicht ahnen. Dann blickte er wieder zu dem Bandenmitglied, welcher offensichtlich deutlich Jurijs innere Wut durch die Worte heraus lesen konnte.[1] „Wenn du damit fertig bist. Bring mir meine Lanicasgöre? Los!“ Jurij atmete weiter tief ein und aus. Zählte dabei von zehn hinunter. Er musste schnell wieder einen klaren Kopf bekommen. Schnell, um mit den Anderen zu entscheiden was sie machen würden. Der Anführer dieser Wolfseinheit war alleine im Keller. Egal wie stark er war, vielleicht konnten sie ihn überwältigen?
 1. Einschüchtern 23
Wenn du etwas machst, mache es mit jeder Faser deiner Selbst. -Status-

Sternenblut

  • Moderator
  • Beiträge: 7375
    • Profil anzeigen
    • Aradan - Stadt der Toten
Heiliger Boden
« Antwort #768 am: 23.08.2015, 16:22:16 »
Gelins Gesichtsfarbe wechselte binnen eines Moments von leicht gebräunt zu schneeweiß, als Jurij ihn anfuhr. Leicht stotternd antwortete er. "Ich... ich... sie ist... in deinem Zimmer, Oba. Wie du wolltest, sie bereitet den Raum vor."

Sichtlich unsicher, wie er reagieren sollte, blieb er einen Moment nervös stehen, begab sich dann aber an die Spitze der kleinen Gruppe. "Folgt mir... bitte."

Er führte sie die Treppe hinauf ins oberste Stockwerk. Hier wich der Schachbrettboden einem weichen Teppich, in dem die Füße förmlich versanken. Kunstvolle Malereien hingen in goldenen und silbernen Rahmen an den Wänden des Gangs. Am Ende des Gangs angekommen, deutete Gelin auf die Tür. "Wir sind da. Soll ich..." Er sah kurz zu Jurij, griff dann, ohne auf eine Antwort zu warten, nach der Klinke, und öffnete die Tür. "Kann... kann ich dann gehen? Oder brauchst du mich noch?"
Nachdem Jurij ihn entlassen hatte, machte sich Gelin sichtbar erleichtert von dannen.

Hinter der Tür erwartete sie ein prachtvoll eingerichtetes Zimmer. Ein großer Bankett-Tisch, der Platz für zwölf oder mehr Personen bot, gefertigt aus dunklem, massivem Holz, war prall gefüllt mit Schalen von Obst und Gebäck, Karaffen mit Wein, Wasser und Säften. Zwei silberne Kerzenständer vervollständigten das Bild, die Kerzen darin brannten.

Ein Kaminofen war in der gegenüberliegenden Wand angebracht, links und rechts davon führte je eine Tür in weitere Räume. Hinter dem Tisch befand sich eine Sitzecke, ein Sofa und drei Sessel um einen runden Tisch, in dessen Mitte ein großer Humidor stand. Weitere Gemälde verzierten die Wände, außerdem zwei Paar gekreuzter Klingen - einmal Säbel, einmal Schwerter -, deren reichhaltige Verzierungen zeigten, dass es sich nicht um gewöhnliche Waffen handelte.

Die hintere Tür öffnete sich, und eine junge Frau kam herein. Sie war jung, vielleicht sechzehn, höchstens achtzehn Jahre, mit langen blonden Haaren, die ihr bis zur Hüfte reichten. Einige Strähnen hatte sie zu einem Haarkranz geflochten, der sich um ihren Kopf zog. Sie trug ein hübsches, eng anliegendes weißes Kleid, mit einem deutlichen, aber nicht übertriebenen Ausschnitt, eine silberne Halskette mit einem wertvoll aussehenden weißen Stein, und hielt ein Tablett mit Gläsern und einer Flasche mit einer hellbraunen Flüssigkeit in der Hand.

Als sie Jurij erblickte, blieb sie erschrocken stehen. Das Tablett, das sie nun mit beiden Händen hielt, zitterte kurz. Dann fiel ihr Blick auf Jurijs Begleiter, und schließlich wieder auf Jurij. Sie zwang sich zu einem Lächeln, machte einen höflichen Knicks, und stellte dann das Tablett auf dem runden Tisch ab.

"Willkommen zurück, mein Herr", sagte sie leicht zitternder, heller Stimme. "Es ist alles vorbereitet. Kann ich noch etwas für euch tun?"
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

Sternenblut

  • Moderator
  • Beiträge: 7375
    • Profil anzeigen
    • Aradan - Stadt der Toten
Heiliger Boden
« Antwort #769 am: 23.08.2015, 17:02:42 »
Rillfarsell wusste, dass er nicht viel Zeit hatte, also beeilte er sich. Es ging vor allem darum, einen schnellen Überblick zu bekommen und herauszufinden, wo Obayifos Gemächer waren. Er umrundete einmal schnell das Gebäude, eigentlich nur auf der Suche nach einem offenen Fenster. Doch was er dort sah, ließ ihn kurz stocken. Zwei Männer, in schwere Lederkleidung gehüllt, waren gerade damit fertig, ein Loch auszugraben. Neben dem Loch lag ein Bündel von der Größe eines Menschen, gehüllt in weiße Leinentücher, mit zwei großen roten Flecken - Blut, wie das Feenwesen vermutete. Die Männer hievten die Leiche in das Loch und begannen, es wieder zuzuschaufeln. Dabei machten sie Witze darüber, dass sie dem Toten vielleicht selbst ein wenig Geld hätten geben sollen, damit er seine Schulden bezahlen konnte - so hätten sie sich die mühevolle Arbeit heute erspart. Als einer der beiden erklärte, er hätte allerdings auch nicht auf den Spaß verzichten wollen, ihm eine "endgültige Lektion" zu erteilen, lachte der andere laut auf.

Die Personen in diesem Gebäude kannten keine Gnade, so viel war klar. Rillfarsell musste vorsichtig sein und durfte sich auf keinen Fall erwischen lassen. Zu seinem Glück fand er ein Fenster im ersten Stock, das offen war, und flog dadurch ins Gebäude. Er kam in einen Raum, der ein wenig den Schlafzimmern in der Gaststätte entsprach: Ein großes Bett, ein Spiegel an der Wand mit einer kleinen Kommode davor, eine Sitzecke mit zwei Sesseln und einem kleinen Tisch. Eine junge Menschenfrau saß auf einem der Sessel. Auf dem Tisch stand eine seltsam geformte, bauchige Flasche in einem silbernen Ständer. Eine kleine Kerze brannte unterhalb der Flasche und erhitzte die violette Flüssigkeit darin. Am oberen Ende war ein Schlauch angebracht, den die junge Frau in der Hand hielt und daran sog.

Ihr Blick fiel auf Rillfarsell, der noch immer unsichtbar war, und sie lächelte. "Eine Fee. Eine echte Fee. Lelyna, kannst du sie sehen?" Sie blickte zu dem leeren Sessel neben sich. "Ich sehe die Magie, aus der sie gemacht ist. Wunderschön."

Rillfarsell blieb jedoch keine Zeit, sich mit der jungen Frau zu beschäftigen. Er flog zur Tür, hing sich mit seinem ganzen Gewicht an die Türklinke und öffnete die Tür so. Schnell flog er nach draußen auf den Gang. Er wusste nicht, in welche Richtung er fliegen sollte, also entschied er sich einfach für eine - nach links. Er flog den Gang entlang, und stieß dabei auf eine weitere Gruppe Männer - drei an der Zahl, die an einem Tisch saßen, den man an die Gangwand gestellt hatte, und Karten spielten.

"Was meint ihr, was der Boss mit der Kleinen macht, die ihn umbringen wollte?"
"Mit Sicherheit nichts, was ihr gefällt", antwortete sein Gegenüber böse lachend.
"Da wäre ich mir nicht so sicher", ergänzte der Dritte um Bunde, und die anderen lachten schallend.

Dann ließ der erste Sprecher seine Karten sinken und sah zu den anderen beiden. "Am Ende wird er vermutlich... ihr wisst schon. Was Obayifo ihm gezeigt hat. Ihr Leben für seine Unsterblichkeit."

Die anderen beiden Männer vermieden es, seinen Blick zu erwidern. Einer von beiden schüttelte den Kopf. "Das ist nicht ri..."

Der dritte Mann schlug mit einer Hand auf den Tisch. "Wir sind doch keine Waschweiber. Hört auf zu schwätzen und konzentriert euch aufs Kartenspiel."

Es herrschte einen Moment Schweigen, dann legte der erste Redner eine Karte auf den Tisch. Sie zeigte eine farbenfroh gekleidete junge Frau mit schwarzen Haaren. "Ich beginne mit der roten Hexe. Zehn als Einsatz. Wer geht mit?"

Der zweite Mann zögerte einen Moment. "Hört mal zu. Obas Mädchen oben in seinem Zimmer, das ist eine Sache. Sie ist eine Gefahr, aber ich kann das akzeptieren. Aber..."

Wieder schlug der andere Mann mit der Hand auf den Tisch. "Genug jetzt!" Er zückte eine Karte aus seinem Blatt, und schleuderte sie auf die bereits auf dem Tisch liegende. Sie zeigte einen Mann in schwarzer Kutte, der sich auf einen runenbedeckten Stab stützte. "Der Totenbeschwörer, ich erhöhe um zehn."

Rillfarsell hatte genug gehört. Obas Raum lag also im obersten Stock. Und der Anführer der Wölfe war offensichtlich unsterblich, durch etwas, das Obayifo ihm gezeigt hatte.

Schnell flog Rillfarsell nach oben, und flog von Tür zu Tür, um einen Blick durchs Schlüsselloch zu werfen. Leider konnte er daraus relativ wenig ableiten - welcher Raum Obayifo gehörte, wusste er noch nicht. Doch er hatte Glück. Er sah, wie eine der Türen sich öffnete, und ein weiterer der Gauner heraustrat. Er schloss die Tür hinter sich, und fluchte dann laut. "Als ob ich Obayifos Laufbursche bin. Kommt hier an, zieht den Boss durch irgendwelchen finsteren Magiekram auf seine Seite, und jetzt fängt er auch noch an, uns rumzukommandieren. Verdammt nochmal."

Dann war dies wohl Obayifos Raum. Aber er musste sichergehen. Schnell flog er zu der Tür, und öffnete sie - erneut unter Einsatz seines ganzen Körpergewichts. Er huschte hinein, sah sich kurz um und bemerkte eine junge Frau, die gerade die Kerzen in einem silbernen Kerzenständer anzündete. Das musste Obayifos Gefangene sein. Aber es gab zwei weitere Räume. Er entschloss sich, sie zu erkunden, damit es keine bösen Überraschungen gab.

Das Mädchen sah verwundert zur Tür, und ging hin, um sie wieder zu schließen. Rillfarsell nutzte die Gelegenheit, zur nächstgelegenen inneren Tür zu fliegen und sich in den Raum dahinter zu schleichen.

Es handelte sich um ein Schlafzimmer, mit einem bequem wirkenden Himmelbett mit dunkelvioletten Vorhängen ausgestattet. Ein massiver Schrank und eine große, mit einem schweren Schloss versehene Kiste standen an der dem Bett gegenüberliegenden Wand, und ebenfalls violette Vorhänge verdeckten ein bodentiefes Fenster (was Rillfarsell nach einem kurzen Blick hinter die Vorhänge herausfand).

Rillfarsell sah sich so genau er konnte in dem Raum um, fand aber nichts, das ihm von besonderer Bedeutung erschien, dann machte er sich auf den Weg in den zweiten Raum. Es handelte sich um ein zweites Schlafzimmer, jedoch deutlich freundlicher eingerichtet. Auch hier fand sich ein Himmelbett, allerdings mit weißen, durchsichtigen Tüchern versehen, ebenso wie die weißen Gardinen vor dem Fenster. Eine Schminkkommode stand an der Wand, und eine menschengroße Figur trug ein weißes, kunstvoll gearbeitetes Kleid. In einer Ecke stand eine Staffelei mit einem halbfertigen Bild darauf: Die Zeichnung eines Pferdes in vollem Galopp.

Ein kleinerer Schrank in der Ecke enthielt weitere Damenkleider - vermutlich war dies der Schlafraum der jungen Frau, die drüben den Tisch vorbereitete.

Rillfarsell flog zurück zur Tür, und huschte vorsichtig in den ersten Raum zurück. In diesem Moment öffnete sich die Eingangstür - und Jurij und die anderen kamen herein. Das Mädchen war sichtlich erschrocken über Jurijs Ankunft, und sprach einige Worte zu ihm. Sie hielt ihn offenbar für Obayifo.
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

Jurij Klee

  • Beiträge: 1305
    • Profil anzeigen
Heiliger Boden
« Antwort #770 am: 23.08.2015, 21:18:03 »
Überweltigend dieser Luxus und er. Obayifo ließ es sich in den Nächten sehr gut gehen. Dekadenz war anscheinend eine Eigenart der Dämonen. Jedenfalls sah es gerade danach aus. Noch dazu, hatten die Leute Angst vor ihm. Beim Gelin gerade war es deutlich zu spüren. Der Mann hatte Angst um sein Leben. Wie grausam musste Obayifo doch sein und wie wüttend Jurij gerade auf sich selbst, dass er diese Aura nachahmen konnte.
Im Zimmer stapfte er also einige Schritte auf das Mädchen zu. Blieb dann aber abrupt stehen und schloss die Augen. Innerlich brachte er sich zur Ruhe. Zählte bis zehn und sagte sich immer wieder, dass er nicht den Kopf verliehen durfte. Dann öffnete er wieder die Augen und blickte zum zitternden Mädchen. „Willst du frei sein? Ja, ich meine es ernst. Ich will dich zur Gerichtswache bringen.“ Irgendwie hoffte Jurij, dass Obayifo sie nicht gezwungen hatte bei ihm zu sein, doch so wie sie zitterte glaubte er nicht wirklich daran.
Wenn du etwas machst, mache es mit jeder Faser deiner Selbst. -Status-

Sternenblut

  • Moderator
  • Beiträge: 7375
    • Profil anzeigen
    • Aradan - Stadt der Toten
Heiliger Boden
« Antwort #771 am: 23.08.2015, 21:30:36 »
Das Mädchen sah ihn unsicher an. Sie wurde ein wenig bleich, öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Ihr Blick fiel erneut auf Jurijs Gefährten, dann wieder auf ihn. Sie wollte antworten, doch fand sie offenbar keine Worte.

Neben seiner eigenen Wut spürte Jurij noch etwas anderes. Ein Gedanke, der sich aus seinem tiefsten Innern nach oben drängte, wie dunkle Wellen über ihn herschwappte. Sie gehört mir! Sie gehört mir! Du hast kein Recht dazu. Sie gehört mir! Sie gehört mir! Sie gehört mir...
« Letzte Änderung: 23.08.2015, 21:30:59 von Sternenblut »
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

Henry

  • Beiträge: 139
    • Profil anzeigen
Heiliger Boden
« Antwort #772 am: 24.08.2015, 14:22:55 »
Henry sah sich im Versteck und im privaten Gemach Obas um. Die offensichtliche Verschwendungssucht, die nur aus kriminellen Mitteln finanziert sein konnten, sowie die Selbstverständlichkeit, mit der Menschen hier als Diener und Lustobjekte degradiert wurden, machten ihn ärgerlich. Er spürte eine wachsende Ungeduld in sich, diesen Ort hier auseinanderzunehmen. Doch er fragte sich auch, wie viel Raum er diesem Gefühl geben dürfte. Die ersten Christen hatten die Mittel der Gewalt prinzipiell abgelehnt und waren der Meinung gewesen, dass man lieber Gewalt erdulden als Gewalt tun müsse. Seit der ausgehenden Antike jedoch hatte das Christentum immer mehr staatstragende Funktion erlangt, und das hieß insbesondere: Gewalt zum Zwecke der Herrschaft zu legitimieren, im Austausch für die Möglichkeit der freien und sicheren Religionsausübung und -verbreitung. Luthers reformatorische Position war im Prinzip eine Mittelstellung, indem er sagte, dass man für seinen eigenen Schutz keine Gewalt anwenden dürfe, aber das gebot der Nächstenliebe dazu zwänge, Gewalt zum Schutz eines anderen einzusetzen. Letztere Argumentation hatte etwas für sich und trotzdem war da ein Haken, das spürte Henry instinktiv.

Diese Gedanken gingen ihm innerhalb weniger Minuten, da sie zu dem Raum geführt wurden, durch den Kopf. Er sah die junge Frau an und dann Jurij und dann wieder die junge Frau: "Bist Du das Mädchen, das vor Kurzem entführt wurde?", fragte er.

Er wandte sich wieder zu Jurij: "Ich stecke gerade in einem echten Gewissenskonflikt. Dass es dieses Räuberversteck gibt, dass hier offensichtlich gestohlen, gemordet und versklavt wird, verletzt meine Sicht einer guten und gerechten Welt, wie sie von Gott gewollt ist. Und sehe ich diese Menschen, dann gebietet mir mein Gewissen, nicht erst auf das Gericht am Ende aller Zeiten zu warten, sondern die Armen und Geknechteten selbst zu retten. Andererseits ist das Christentum eine Kraft von Liebe und Vergebung. Nun, Jurij, Du hast mal etwas von Deiner Religion - der Zen-Religion? - erwähnt. Wie siehst Du das? Darf man Gewalt zur Rettung der unschuldig Leidenden einsetzen, oder nicht?"
« Letzte Änderung: 24.08.2015, 14:58:27 von Henry »
"Be just, and fear not: Let all the ends thou aim'st at be thy country's, Thy God's, and truth's." - Shakespeare: King Henry VIII., Act 3, Scene 2

Harry Webster

  • Beiträge: 822
    • Profil anzeigen
Heiliger Boden
« Antwort #773 am: 24.08.2015, 15:18:18 »
Als Harry sah, wie der hübschen jungen Frau vor Zittern schier das Tablett aus den Händen glitt, hatte er einen Satz auf sie zugemacht, um ihr zu helfen, doch bis er bei ihr war, stand es längst sicher auf dem Tisch—und er viel zu nah an ihr dran. Rasch trat er wieder einen Schritt zurück oder vielmehr zur Seite und betrachtete sie von dort aus. Ihr scheuer Blick galt allein Jurij, also fiel es ihr vielleicht nicht auf, wie genau Harry sie betrachtete. Er kam zu dem beunruhigenden Schluss: Obayifo und er hatten offenbar den gleichen Geschmack bei den Damen: oh blonde Unschuld! Natürlich im weißen Kleid. Die Aufmachung dezent, aber nicht zu verschämt... eine Knospe kurz vorm Erblühen...

Wie gut, dass sie eh da waren, um das Mädchen zu retten! Harry würde nicht hier fort, ohne die holde Maid in Not vor dem großen bösen Drachen zu retten. Beziehungsweise Dämon. Egal, jedenfalls was mit D.

Allerdings bezweifelte er, dass die Gerichtswache das Mädchen (und ihre Familie) vor Obayifo würde beschützen können—oder irgendjemand außer vielleicht ein anderer Dämon. Oder ein ebenso mächtiges Wesen? Ein Drache vielleicht? Also ein echter, ausgewachsener... Der Drache in Asemna? Doch diese Gedanken behielt er erst einmal für sich. Also wirklich ganz für sich.[1]

"Jimmy", sagte Harry, wobei er noch einen Schritt zurücktrat und den Hut abnahm. "Und wer bist du?" Seine Stimme klang ein wenig heiser.
 1. obfuscation (plan) = 21  vs. DC 13
My name is Harry Aleister Mulholland Webster. Conjure by it at your own risk.

Paranoid? Probably. But just because you're paranoid doesn't mean that there isn't an invisible demon about to eat your face.

Henry

  • Beiträge: 139
    • Profil anzeigen
Heiliger Boden
« Antwort #774 am: 24.08.2015, 16:10:20 »
Henrys ernste Miene wurd etwas erheitert, als sein Blick Harrys ungeschickten Verhalten folgte. Unwillkürlich lächelte er und er zwinkerte Harry zu. "Oh boy! Ich kann kaum fassen, wie ernst und zurückhaltend ich geworden bin. Vielleicht wäre es besser, einfach zu tun, statt nachzudenken.", sagte er, mehr zu sich selbst als zu Jurij.
"Be just, and fear not: Let all the ends thou aim'st at be thy country's, Thy God's, and truth's." - Shakespeare: King Henry VIII., Act 3, Scene 2

Jurij Klee

  • Beiträge: 1305
    • Profil anzeigen
Heiliger Boden
« Antwort #775 am: 24.08.2015, 16:34:00 »
„Bejahe das Leben und töte nicht. Verwirkliche Harmonie und vermeide den Zorn.“ Fing Jurij an auf Henrys Frage zu antworten. Dabei rieb er sich die Stirn. „Egal ob in unserer Welt oder dieser wir alle sind lebende Wesen und gleich. Niemand gibt uns das Recht jemand anderen zu töten, schon gar nicht im blinden Zorn. Jedoch, heißt es nicht alles Böse einfach zu ertragen. Denn wenn wir einfach weck sehen, beflecken wir unser selbst mit der gleichen Schuld. Wir sollten Lehrer und Vorbilder sein die zeigen, dass es auch anders geht. In der Not, und das ist mein Boshido, ist es an denen die es können, andere zu Schützen die es nicht können.“ Jurij  schluckte. So deutlich hatte sein Dämon noch nicht mit ihm gesprochen. Hatte er Angst, ja. War es ihm egal, ebenfalls ja. Denn am Tag war es sein Leben. Sein Blick war fest auf Henry gerichtet. „Henry, der Rüdelchef foltert gerade eine Frau im Weinkeller. Er wird sie vergewaltigen und danach umbringen. Ich fühle mit dir, so sehr. Alleine…“ er schüttelte den Kopf und blickte zu Boden. Seine Fäuste waren geballt und die gespannten Muskeln der Unterarme verrieten, wie angespannt Jurij momentan insgesamt war. Dann blickte er wieder zum Mädchen. Sie hatte immer noch nicht geantwortet und die dunklen Wellen in ihm verebbten nicht. "Nun, da sind zwei Fragen?" Hagte er nach.
« Letzte Änderung: 24.08.2015, 16:34:17 von Jurij Klee »
Wenn du etwas machst, mache es mit jeder Faser deiner Selbst. -Status-

Henry

  • Beiträge: 139
    • Profil anzeigen
Heiliger Boden
« Antwort #776 am: 24.08.2015, 16:51:23 »
Henry nahm die letzte Information Jurijs mit zermartertem Ausdruck auf. Er vergewisserte sich, dass Harry es auch mitbekommen hatte. Seine Blicke formulierten eine Frage an seinen Freund.
"Be just, and fear not: Let all the ends thou aim'st at be thy country's, Thy God's, and truth's." - Shakespeare: King Henry VIII., Act 3, Scene 2

Harry Webster

  • Beiträge: 822
    • Profil anzeigen
Heiliger Boden
« Antwort #777 am: 24.08.2015, 17:10:51 »
Harry verstand die Frage nicht. War es eine philosophische? Er hatte nicht so genau hingehört. "Well, um, y'know, there's the good guys, and then there's the bad guys." Für ihn war die Sache damit klar: natürlich durften die guten Jungs den bösen eins überbraten, das war ja quasi ihre Aufgabe. "We're the good guys", fügte er noch hinzu, nur damit auch wirklich kein Missverständnis aufkommen konnte.
« Letzte Änderung: 24.08.2015, 17:15:28 von Harry Webster »
My name is Harry Aleister Mulholland Webster. Conjure by it at your own risk.

Paranoid? Probably. But just because you're paranoid doesn't mean that there isn't an invisible demon about to eat your face.

Henry

  • Beiträge: 139
    • Profil anzeigen
Heiliger Boden
« Antwort #778 am: 25.08.2015, 12:06:07 »
Henry stellte sich zwischen die junge Frau im weißen Kleid und Jurij. "I guess, we have to make a decision. Was Du sagst, macht mich nachdenklich. Ist es wirklich nur eine Sünde, was ich durch meine Hände oder mein Denken an meinen Mitmenschen verschulde? Oder ist es nicht auch eine Sünde, wenn ich tatenlos eine Sünde gegen andere geschehenlasse, obgleich es doch in meiner Macht war, sie zu verhindern? Wir sollten eine Entscheidung treffen.", wiederholte er noch einmal.

"I guess, I made my decision."
"Be just, and fear not: Let all the ends thou aim'st at be thy country's, Thy God's, and truth's." - Shakespeare: King Henry VIII., Act 3, Scene 2

Jurij Klee

  • Beiträge: 1305
    • Profil anzeigen
Heiliger Boden
« Antwort #779 am: 25.08.2015, 14:14:32 »
Jurij atmete tief ein als sich Henry ins Blickfeld schob. Die Wut des Dämons und auch seine eigene vermischten sich langsam. Er wollte etwas machen, egal was und wusste doch, dass er es alleine nicht tun konnte. „Meines erachtens hast du vollkommen Recht Henry. Es gibt Dinge gegen die wir nichts machen können aber auch Dinge die wir zum besseren wenden können. Und auch mit dem Wir hast du Recht. Denn alleine sind wir schwach. Zu schwach um etwas zu ändern.“ Jurijs Blick wanderte zu Kara, die von dem ganzen Gerede in der fremden Sprache nichts verstand. Mit dem Blick zu Kara, wendete er sich noch einmal an das Mädchen. „Diese Frau kann dich zur Gerichtswache bringen. Mein Freund hier und ich werden später nachkommen. Wir haben hier noch etwas Geschäftliches zu erledigen, oder?“ Sein Blick wanderte zurück zum christlichen Krieger. So wie es sich anhörte, hatte dieser die Untätigkeit langsam auch genug. Er fragte sich was Harry wohl machen würde. Würde er mitziehen oder wollte er mit Kara gehen. Wieder rieb sich Jurij die rechte Schläfe. Wenn sie kämpfen, dann musste er diesen Zorn los werden. Denn ein Mörder wollte er nicht werden.
Wenn du etwas machst, mache es mit jeder Faser deiner Selbst. -Status-

  • Drucken