Elrynor schaut Sanjan ruhig an. Der Halbblut spricht wie selbstverständlich davon, dass er mit ihnen reisen werde. Wie kommt er eigentlich darauf? Warum sollte sich ein Elf - und dazu ein Ivsaar - mit diesen Leuten abgeben? Doch das sind müßige Gedanken. Noch sind sie nicht raus aus dem Machtbereich von Jaylin, und auch wenn es ihm nicht passt, er und diese Leute sind aufeinander angewiesen.
"Ich würde einen Haken nach Westen schlagen - vielleicht zwei Meilen", sagt er. "
Das sollte reichen, um die Blutumhänge zu verwirren. Aber wir müssen leise sein. Aber warum sollte ich euch zu den Kargi folgen? Damit mich die Grünhäute aufknüpfen, gleich nachdem ich den Meinen entkommen bin?""
Nicht aufknüpfen", ertönt die rissige Stimme von Barkas. Der Kargi ist auf Ragnars Pferd gestiegen und lässt es zu Sanjan und Elrynor traben. Er schaut den Elfen direkt an, wärend er spricht - auf dem Rücken des stolzen Rappens wandelt sich sein Bild: er ist nicht mehr der geschundene Gefangene ohne Hoffnung, sondern ein gezeichneter Krieger, der immer noch aufrecht steht. Die Blutergüsse und Schnitte, die seinen Körper bedecken, sind nicht länger Zeichen der Niederlage, sondern wirken nun wie die Beweise überstandener Schlachten.
"
Nicht aufknüpfen", wiederholt Barkas. "
Deine Prinzessin hat mich gehen lassen. Du wirst Gast sein in Kezhdal. Ein Zeichen für sie, das wir auch suchen keinen Streit."
Da zerreißt plötzlich das Geheul Grimnirs die Nacht und die Männer schrecken auf. Als sie zum Wolf schauen, sehen sie wie dieser die Zähne fletscht und geifernd in den Wald hineinstarrt. Sind die Blutumhänge etwa schon da? Doch nein - als die Gefährten Grimnirs Blick folgen, erkennen Sie ein paar orangener Pupillen, dass ihnen aus dem Dickicht entgegenstarrt und vernehmen ein wütendes Fauchen. Dann löst sich der anmutige Schatten einer Raubkatze aus den Schatten und entblößt scharfe Reißzähne - stählernes Weiß im Mondschein. Es ist ein Luchs - und die verbindet mit den Wölfen gegenseitige Abneigung, wie leicht zu erkennen ist.
Einen Augenblick lang scheint es, als würden die beiden Raubtiere gleich aufeinander losgehen - sie umkreisen sich und fauchen sich an. Barkas zieht Ragnars Bihänder zur Hälfte aus der am Sattel hängenden Scheide.
Doch da schneidet Elrynors helle Stimme durch die Nacht: "
Tháron - zu mir!" Der Luchs hält inne - beendet das Vorspiel zum Kampf. Immer noch fauchend und die glimmenden Augen auf Grimnir gerichtet trottet die Raubkatze zum Elfen und setzt sich neben dessen Pferd auf.
Da lässt Barkas den Bihänder wieder in die Scheide sinken. "
Dein Freund kann auch mit", sagt er.
Als Tarqetik zu ihm spricht und auch Manik seine Meinung kundtut, nickt der Krieger. "
Der Nordmann hat recht. Nach Norden heißt durch Gebiet der Aster - das geht nicht. Müssen jetzt nach Süden sowieso. Von dort können wir suchen die Angreifer. Die Ukhtark werden helfen, wenn es so entschieden wird."
Da auch die Mehrheit der Gruppe dieser Meinung ist
[1], bricht selbige kurze Zeit später auf. Es ist ein schneller und harter Ritt. Ein halbes Dutzend Mal drohen die Pferde zu stolpern und sich die Beine zu brechen. Herabhängende Äste peitschen den Männern ins Gesicht und kratzen scharfen Krallen gleich ihre Schultern und Arme, sowie die Flanken der Pferde auf. Doch auch wenn die Versuchung groß ist, die Geschwindigkeit zu drosseln, schlägt keiner das vor. Stattdessen ziehen die Männer die Köpfe tiefer ein und treiben die Reittiere weiter an.
Denn immer wieder vermuten die Gefährten hinter sich Verfolger, drehen sich nach verdächtigen Geräuschen oder einem erhaschten Schatten um. Immer wieder glauben sie das Sirren eines zielsicher abgeschossenen Pfeils hinter sich wahrzunehmen, oder die Hufschläge der Elfenkavallerie. Haben sie sie abgehängt, oder war alles bloß der Trug der eigenen überreizten Sinne? Wie dem auch sei - Geräusch und Schatten wandeln sich nicht zur Fleisch und Blut. Das Vermutete bleibt im Schatten und wird nicht zur Gewissheit. Die Männer verlassen das Gebiet der Elfen unbehelligt.
Weiter geht es gen Süden nach Kezhdal und die Dämmerung nimmt ihren Lauf. Das Schwarz und Dunkelblau am Blätterdach weicht dem Grün, Gelb und Magenta des Morgens. Der Ritt schien nur Minuten gedauert zu haben und gleichzeitig scheint der Schein der Sonne eine Ewigkeit her zu sein. Da halten die Gefährten - Sanjan und Manik haben die Führung übernommen - zielsicher auf die Lichtung zu. Schon von weitem sind das Schnauben vieler Pferde und rauhe Stimmen zu vernehmen. Doch eine von Ihnen übertönt sie alle, intoniert - es ist eine Rede, die dort gehalten wird. Und es ist Magos Stimme.
"
Das ist mein Bruder", ruft Barkas und treibt seinen Rappen weiter nach vorn. Dann sind laute und aufgeregte Ausrufe vorne zu hören. Anscheinend haben die Vorposten der Kargi die Reiter entdeckt. "
Aka doon! Barkas!"
[2], ruft Barkas aus und treibt sein Pferd weiter an.
Dann ist es so weit - die Gefährten brechen zwischen den Bäumen auf die Lichtung hervor. Und finden sich vor einer Speerstarrenden Phalanx wieder. Gut fünfzig Krieger sind in vier Reihen zu über zehn Kämpfern aufgestellt. Diszipliniert halten sie die Ordnung und orientieren sich sofort Richtung Neuankömmling. Jeder deckt mit dem Schild auch den Nebenmann. Die Speere sind aufgerichtet, als hätten kalamarische Ingeneure sie vermessen und angeordnet. Mit schmerzlicher Klarheit demonstrieren diese Männer, warum die Schlachtreihen der Kargi in ganz Tellene gefürchtet sind. Die schreckliche Wildheit der Goblinoiden kombinieren die Kargi mit überlegenem Verstand, eiserner Disziplin und erprobter Taktik und werden somit zu einem selbst für elfische Krieger ernstzunehmenden Feind.
Rechts und links von den Hopliten - an den Flanken - sind jeweils zwei Kavallerieeinheiten in Keilformation postiert. Zwei Dreiecke zu je knapp zehn Reitern. Der Mann an der Spitze des rechten Dreiecks - gerade eben stand er noch mit dem Rücken zum Wald und dem Gesicht zu den Truppen - hebt die linke Hand und ruft laut: "
Itigil!"
[3]Es ist Mago - und die Männer gehorchen. Gespannte Bögen in den hinteren beiden Reihen der Phalanx werden abgesenkt und die Pfeile von der Sehne genommen. Die Gefährten sehen sich um. Basilio erkennt Maru auf einer Stute, rechts neben der Phalanx, hinter der von Mago angeführten Kavallerieeinheit. Ein lauter Jubelruf aus derselben lenkt die Aufmerksamkeit von Tarqetik und Manik auf Hasdru. Derweil bemerkt der Koraker auch zwei der Männer, die ihn und Dihal am Tor empfangen hatten in der Phalanx. Aber Khenu und sein Vater sind nirgendwo zu sehen.
Barkas gibt seinem Pferd die Sporen und reitet vor. Er hebt beide Arme, um die Männer weiter zu beruhigen:
"Aka doon! Barkas", wiederholt er. Und Jubel bricht in der Menge aus. Mago lässt sein Reittier auch vortrotten und neben dem seines Bruders anhalten, so dass die beiden Männer sich schräg gegenüber sind. Dann reicht er dem Jüngeren die Hand zum traditionellen Kargi-Gruß und dieser schlägt ein.
[4] Mago zieht seinen Bruder zu sich und umarmt ihn. "
Sinumpa mong anak sa labas!"
[5], ruft er aus und sowohl beide Brüder, als auch die Männer hinter ihnen brechen in Gelächter aus.
Da lässt Mago seinen Bruder los und wendet sich lächelnd an die übrigen Gefährten, um diese zu begrüßen, als ein lauter Ausruf durch die Lichtung schneidet:
"Aster!" Dieses Wort kennen inzwischen alle Gefährten: Kargi für 'Elf'. Im selben Augenblick rucken alle Köpfe in der Menge Richtung Elrynor. Einen Lidschlag später deuten ein halbes Dutzend Pfeile aus verschiedenen Richtungen auf den Elfen. Beängstigende Stille ist eingekehrt über der Lichtung und das Klirren von gezogenen Schwertern lässt bei den Gefährten die Nackenhaare sich aufrichten.
"
Itigil! Itigil!", ruft nun Barkas, um die Menge zu beruhigen. "
Dieser Elf kein Feind!", ruft er in der Handelssprache, damit auch Elrynor ihn versteht. Doch der Luchs ist keiner Sprache der Menschen mächtig. Er faucht die Streitmacht vor sich an, drückt sich an den Boden und entblößt immer wieder in Drohgebärden die Zähne.