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Autor Thema: Eine neue Ordnung  (Gelesen 24374 mal)

Beschreibung: Einstieg für Will und Arjen

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Arjen Bucalo

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Eine neue Ordnung
« Antwort #180 am: 08.04.2015, 16:37:15 »
Arjen hört Jeanas Ausführungen mit aschfahler Miene zu. Es will ihm immer noch nicht so recht gelingen, zu akzeptieren, dass diese Frau nicht gerettet werden kann. 'Da finden wir endlich jemanden, dem wir helfen könnten, aber auch hier sind wir zu spät.'

Doch dann hört er die Geschichte von der Reststadt - ein Refugium, an dem Überlebende Schutz suchen und Widerstand leisten. Das ist genau das, wonach er gesucht hatte. Genau das, wonach er Luca gefragt hatte: Und es schien diese Ort tatsächlich zu geben.

Etwas rührt sich in ihm. Der altvertraute Drill der Armee, sich zur sicheren Rückzugslinie zurückzuziehen, gepaart mit dem Beschützerinstinkt eines Ehemannes und Vaters, der in dieser Rolle kläglich versagt hat. Plötzlich schöpft er neue Hoffnung: 'Oh, ihr Götter. Lasst ihr mich deswegen nicht zu meiner Familie? Muss ich vorher meine Schuld tilgen, in dem ich andere Unschuldige zu retten versuche?'

Dem Krieger ist klar, dass er trotz all seiner Mühen, immer noch in den Dogmen des Heeres denkt. Nur ein Soldat könnte meinen, die Götter lassen ihn weiter auf Erden, damit er weiter Krieg führen kann. Es ist wohl eine bequeme, eine allzu bequeme Erklärung, die sich ihm aufdrängt. Aber zumindest ergibt sie ein wenig sinn in diesem sinnlosen Chaos um sie herum.

Als er Jeanna von dem Buch sprechen hört, nickt er. "Wartet bitte. Ich suche danach." Damit wendet er sich ab und beginnt damit, zwischen den Leichen und dem Blut Ausschau zu halten nach etwas, was dem beschriebenen Buch ähnlich sehen könnte. Doch er ist zu aufgewühlt und es ist zu viel Blut Schlimmeres über den Dachboden verteilt, als dass er es schnell ausmachen könnte. Und so beginnt er noch einmal systematisch mit der Suche und versucht, sich mehr Zeit zu lassen, um ja nichts zu übersehen.[1]
 1. Perception: 3; Daraufhin Take 20

Sternenblut

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Eine neue Ordnung
« Antwort #181 am: 08.04.2015, 18:13:08 »
"Ihr seid es, die mir Mut machen", gab die junge Kriegerin lächelnd zurück. "Ich hatte die Hoffnung schon beinahe aufgegeben."

Es dauerte eine Zeit, doch schließlich fand Arjen, wonach er gesucht hatte: Ein schwarzgefärbter, lederner Rucksack, blutgetränkt wie alles hier auf dem Dach, in dem mehrere größere und kleinere Gegenstände untergebracht waren. Der Rucksack war mit einer geschickten Schnürung verschlossen, so dass der Inhalt vermutlich von den Spuren des Kampfes verschont worden war.

Jeana nickte ihm zu, als Arjen die Tasche brachte. "Öffnet sie. Es muss ein Buch darin sein, und ein Kristall. Betet, dass er intakt ist. Wenn ja, ist er euer Weg hier heraus."

Nachdem Arjen den Rucksack geöffnet hatte, brachte er die Gegenstände darin zum Vorschein. Ein schweres Buch in braunem Ledereinband und ohne Beschriftung war das Erste, was er hervorholte. Jeana nickte erneut. "Das ist das Buch. Es enthält Zauber, die dem Zirkel helfen sollen, die Ursachen der Seuche zu ermitteln, und auch solche, die gegen die Toten eingesetzt werden können."

Das nächste war ein Kristall, etwa faustgroß und mattweiß. Er war natürlich gewachsen und wies am mehreren Punkten Bruchstellen auf, doch konnte Arjen keine Bruchstücke in dem Rucksack finden. "Das ist er. Er ist noch intakt, gut. Wenn ihr... hier fertig seid, dann stellt ihn auf den Boden, und berührt ihn mit den Händen. Keine Handschuhe, ihr müsst ihn direkt berühren! Sprecht die Worte: Arith Shezai Eanlith. Dadurch aktiviert ihr die in ihm gespeicherte Magie. Er öffnet ein Dimensionstor, durch das ihr an unseren letzten Stützpunkt gebracht werdet. Ein abgesichertes Gebäude auf halbem Weg zur Reststadt. Zwei aus unserer Gruppe, Filias und Orek, warten dort auf unsere Rückkehr."

Nach dem Kristall brachte Arjen noch eine Phiole mit einem bläulich schimmernden Trank zum Vorschein. Erneut erschien ein Lächeln auf Jeanas Gesicht. "Wer hätte gedacht, dass das übersteht... ein Heiltrank. Er hilft euch nicht, wenn ihr gebissen werdet, aber normale Verletzungen könnt ihr damit heilen. Ein kleiner Schatz, der hiermit euch gehört."

Das letzte, was Arjen aus dem Rucksack hervorholte, war eine Schale aus weißer Keramik. Der Deckel war mit einer einfachen Schnur festgebunden worden. "Und noch etwas Nützliches", erklärte Jeana. "Jede Waffe, die ihr damit einreibt, erhält für kurze Zeit magische Kräfte. Ob Bogen oder Schwert, ihr werdet besser treffen und mehr Schaden anrichten. Aber geht sorgsam damit um, es ist nicht mehr viel übrig."
« Letzte Änderung: 08.04.2015, 18:16:36 von Sternenblut »
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

William Marlowe

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« Antwort #182 am: 09.04.2015, 19:19:33 »
"Dann haben wir Glück und einen Plan! Das ist mehr, als wir noch für wenigen Augenblicken hatten."

Während Jeanas langer Rede war er vor ihr auf und abgegangen, um den sich ankündigenden Krampf im Bein zu lösen, doch nun ging er wieder vor ihr in die Hocke.

"Über Dimensionstore habe ich auch schon einmal etwas gelesen, aber ich hätte nie gedacht, dass ich einmal durch eins hindurchtreten würde! So, und die gelehrten Herrn Gelehrten wissen also auch nicht, was hier passiert ist? Das ist der Grund, warum ich am zweiten Teil der tragischen Trilogie arbeite: um den ersten schreiben zu können, müsste ich das nämlich wissen.

Aber wenn du jetzt alles gesagt hast, was du meinst, dass wir hören mussten, dann bleibt eines noch: dein letzter Wunsch. Was können wir für dich noch tun, Jeana, das wir nicht schon versprochen haben? Eine Nachricht an einen Freund oder Verwandten überbringen, oder an Filias und Orek? Oder soll ich dir mit einer Geschichte oder mit hübschen Versen die Zeit vertreiben, oder—die Götter stehen uns allen bei—für dich würde ich sogar meine eingerostete Singstimme herausholen, wenn es ein Lied ist, von dem du dir wünschst, es möge das letzte sein, was du von dieser Welt erfährst. Lissie würde mich jetzt schimpfen für mein unsensibles Gerede, aber anders weiß ich keinen Trost zu spenden. Was soll man auch sagen, wenn alle Worte vergebens sind, wenn sie doch nichts ändern können? Hohle Phrasen sind mir ein Greuel. Was mich wirklich am Herzen rührt, vermag ich nicht gleich in Worte fassen. Das kann mein Kamerad hier besser. 'Verdammt!' sagt er einfach und meint es so. Und du siehst ja, wieviele Worte ich brauch, um dasselbe zu sagen. Verdammt, ich wünscht, wir könnten mehr für dich tun!"

« Letzte Änderung: 09.04.2015, 20:01:32 von William Marlowe »
Hell hath no limits, nor is circumscribed
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Sternenblut

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« Antwort #183 am: 09.04.2015, 20:12:47 »
Jeana nickte, als Will von Verwandten sprach. "Es gibt tatsächlich jemanden. Meine kleine Schwester, Irithil, sie ist noch in Reststadt. Irithil Enriel. Wir haben ein Haus in der Sonnenstraße bezogen. Sie ist erst sechzehn, und wenn ich... sie ist dann allein. Ich möchte nicht, dass sie alleine ist. Sie braucht eine Familie."

Dann lächelte sie. "Sie wird furchtbar wütend auf mich sein. Ich..." Auf einmal weiteten sich ihre Augen, und sie sog tief die Luft ein. Einige Sekunden lang verkrampfte sich ihr Oberkörper, dann entspannte sie sich wieder.

Starr sah sie geradeaus. "Nein... ich will nicht so werden..." Ihr Blick richtete sich wieder auf Will. "Ich habe nicht mehr viel Zeit. Ich möchte gehen, bevor ich mich noch mehr verändere."

Ihr Blick fiel wieder auf den Kristall. "Wiederholt die Worte. Ich möchte sichergehen, dass ihr sie richtig sagt." Ihre Augen blieben auf den Kristall gerichtet, und füllten sich mit Tränen. "Und... es wäre schön, wenn ich als Letztes ein Lied hören würde. Etwas sanftes. Ein Liebeslied vielleicht, aber nichts tragisches."

Auch wenn Jeana es schaffte, dass ihre Gefühle sich kaum in ihrer Stimme widerspiegelten, liefen nun die Tränen über ihre Wangen. "Und sagt Irithil, dass ich sie immer lieben werde."
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William Marlowe

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« Antwort #184 am: 09.04.2015, 21:57:49 »
Will schluckte, als er von der kleinen Schwester erfuhr. "Sie soll nicht allein sein", versprach er leise. "Ich sorg dafür. Ich weiß noch nicht wie, aber ich sorg dafür."

Er schauderte erneut, als Jeana sagte, sie wolle gehen bevor... Das hieß ja, sie wollte, dass man sie... also während sie noch lebte... Will keuchte vor Entsetzen. Schwer genug wäre es ihm gefallen, dem toten Angelo den Schädel einzuschlagen, aber einer lebenden Frau...

Seine Augen waren noch immer vor Schreck geweitet, als er auf Jeanas Wunsch brav die Formel wiederholte, die den Kristall aktivierte, und zwar in haargenau derselben Intonation wie Jeana sie aufgesagt hatte: "Arith Shezai Eanlith. Arith Shezai Eanlith. Arith Shezai Eanlith."

Dann sah er auf die weinende Frau und zwang sich—war er es, der sich zwang, oder zwang ihn etwas dazu?—ihr sanft die Tränen aus den Augenwinkeln zu wischen.

Nichts tragisches? Das fragt sie mit tränenüberströmten Gesicht den bekanntesten Tragödienschreiber dieser Stadt und des Jahrhunderts?

Will überlegte eine geraume Weile lang, bis ihm endlich ein Liebeslied einfiel, in dem es nicht um Schmerz und Liebesleid ging, sondern um Glück und Musik und Sonnenschein. Er stand auf, räusperte sich, dachte sich die Leichen um ihn herum weg, statt dessen ein Publikum, nein, besser noch einen Balkon, er unten, sie oben, und Efeu dort an der Wand, das er gleich erklimmen würde, doch zuvor auf ein Knie hinab, Hände auf die Brust und...

"Dein ist mein ganzes Herz!
Wo du nicht bist, kann ich nicht sein.
So, wie die Blume welkt,
wenn sie nicht küsst der Sonnenschein!
Dein ist mein schönstes Lied,
weil es allein aus der Liebe erblüht.
Sag mir noch einmal, mein einzig Lieb,
oh sag noch einmal mir:
Ich hab dich lieb!

Wohin ich immer gehe,
ich fühle deine Nähe.
Ich möchte deinen Atem trinken
und betend dir zu Füßen sinken,
dir, dir allein! Wie herrlich schön
ist dein leuchtendes Haar!
Traumschön und sehnsuchtsbang
ist dein strahlender Blick.
Und deiner Stimme Klang,
ist die schönste Musik.

Dein ist mein ganzes Herz!
Wo du nicht bist, kann ich nicht sein.
So, wie die Blume welkt,
wenn sie nicht küsst der Sonnenschein!
Dein ist mein schönstes Lied,
weil es allein aus der Liebe erblüht.
Sag mir noch einmal, mein holdes Lieb,
nur einmal sag es noch:
Ich hab dich lieb!"
[1]

In der ersten Strophe klang Wills Stimme noch kratzig und unsicher, in der zweiten schon deutlich zuversichtlicher—mit besonderem Schmelz gelang ihm das "traumschön und sehnsuchtsbang", hauchzart das "ist die schönste Musik"—während er die dritte Strophe bereits mit einer Inbrunst daherschmetterte, als stünde er in einer Konzerthalle oder einer Kirche, die es bis in die hintersten Zuschauerreihen mit Musik anzufüllen gelte.[2]

Selbst die Wiedergänger, die am Gitter drängten, unterbrachen ihr Raunen—oder vielleicht sang Will einfach nur lauter als sie raunen konnten.
 1. Franz Lehár, Dein ist mein ganzes Herz, aus "Land des Lächelns", anzuhören z.B. hier => klick!;
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 2. perform (sing) = 18;
« Letzte Änderung: 12.04.2015, 16:58:08 von William Marlowe »
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Sternenblut

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Eine neue Ordnung
« Antwort #185 am: 10.04.2015, 12:31:48 »
Jeana schloss die Augen, und lauschte dem Lied des Barden. Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, und sie schien sich zu entspannen. Nur kurz öffnete sie die Augen wieder, als Will etwa bei der Hälfte des Liedes angekommen war. Sie sah zu Arjen, und flüsterte ihm mit sanfter Stimme zu: "Ich bin soweit."

Dann schloss sie die Augen wieder.
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Arjen Bucalo

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« Antwort #186 am: 12.04.2015, 13:48:00 »
Schweigend hörte Arjen dem Zwiegespräch zwischen Will und Jeanna zu und registrierte den besonderen Fund, den er gemacht hatte. "Vielleicht wird diese Salbe einst lebenswichtig für uns sein - wer weiß, ob nicht einige dieser Kreaturen immun gegen einfachen Stahl sind?", sagte er schließlich.

Als er von ihrer kleinen Schwester erfuhr, ging ein weiterer Stich durch sein Herz. Will hatte schnell geantwortet und der sterbenden Soldatin versprochen, sich um Irithil zu kümmern. Arjen kamen die Worte nicht so leicht über die Lippen. 'Wie soll ich es versprechen? Ich konnte nicht einmal meine eigene Familie schützen, und das, als dieser Wahnsinn die Welt noch nicht befallen hatte', dachte er. Und weiter: 'Und die beiden Töchter von Luca haben wir ebenfalls wehrlos zurückgelassen. Ja - ihr Vater wollte es so, aber ändert es viel daran?'

Doch diese Gedanken waren wirr und unpassend, schalt er sich. Da lag ein Mensch im Sterben und das mindeste, was sie tun konnten, war ihm seinen Tod zu erleichtern. Genau das tat Will, als seine Stimme zwar leise, doch bestimmt und melodisch über das Dach hallte. Arjen kam alles um ihn herum so unwirklich vor. Eine Welt - im Untergang begriffen. Eine Welt voller Blut, und Worte, die von Liebe sprachen. Die Stimme seines Kameraden wurde auf grotestke Weise vom gräßlichen Krächzen der Wiedergänger im Hintergrund begleitet - ein Kontrast, der Arjen schaudern ließ.

Doch dann zeigte sich wieder Wills Talent. Irgendwie gewann seine Stimme die Oberhand über die Nebengeräusche. Für einige Augenblicke verblasste die schreckliche Wirklichkeit und schenke nciht nur Jeanna, sondern auch Arjen Ruhe.

Schließlich war das Lied zu Ende und die Kriegerin schaute zu ihm hinüber. Er tat sein möglichstes, den Schmerz in seinen Gesicht vor ihr zu verbergen. Dann hörte er ihre Aufforderung. Er fasste die Klinge fester und trat ein paar Schritte vor. Bis zuletzt rang er mit sich, und entschied sich dann doch für das Versprechen. "Ich finde deine Schwester. Sie bleibt nicht allein. Das verspreche ich dir, Jeanna."

Dann hob er sein Schwert. "Vielen Dank für alles. Gehe in Frieden." Mit diesen Worten schloss er die Augen und ließ die Klinge mittig auf die Stirn der Frau niederfahren. Als die Klinge den Schäden durchbrach und die Arbeit getan war, sank er auf die Knie und ließ das Heft des Schwertes los. Er dachte, er würde schreien, doch das tat er nicht. Er saß nur mit starrem Blick dar. Vor seinem inneren Auge vermischten sich die Bilder: Diana und Lukas, tot auf der Anhöhe vor ihrem Haus. Die Bäuerin und das kleine Mädchen, aufgespießt auf seinem Schwert. Oder war es Diana, der sein Pferd den Brustkorb zerschmettert hatte? War es das kleine Mädchen, dass er auf der Anhöhe beerdigt hatte? Die Bilder vermischten sich auf groteske Weise in seinem Kopf.

Er hatte Unschuldige getötet, ohne es zu wissen. Er war deswegen aus der Armee ausgetreten, um es nie wieder tun zu müssen. Seine unschuldige Familie hatte man ihm genommen. Und jetzt hatten die Götter eine ganze Welt in den Untergang gestürzt und ihn in eine Situation gebracht, in der er wieder eine Unschuldige töten musste - bewusst. Weil es das beste war, was er für sie tun konnte.

Plötzlich hob er den Kopf und schrie den Himmel an. "Ist es das, was ihr von mir wollt? Wie viel denn noch?" Keine Antwort - natürlich nicht. Nur das beständige Ächzen der Wiedergänger - das einzige Hintergrundgeräusch, das Aradan noch kannte.

Will musste ihn wohl für verrückt halten. Und vielleicht stimmte das ja auch. Arjen stand langsam auf, ging zu Jeannas totem Körper und schloss ihr sanft die Augen. Dann legte er ihre Hände behutsam auf ihrer Brust zusammen und legte ihr Schwert mit dem Schaft nach oben darüber. 

Dann schaute er zum Stückeschreiber hinüber. "Das war ein sehr schönes Lied, Will", sagte er. "Ich denke, wir sollten jetzt den Zauber nutzen und versuchen, in die Reststadt zu kommen."

William Marlowe

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« Antwort #187 am: 12.04.2015, 17:30:23 »
Der letzte Ton vibrierte noch in Wills Kehle, da trat Arjen schon vor, das Schwert in der Hand. Schneller, als Will begreifen konnte, was geschah, fuhr die Klinge auf Jeana nieder. Vor Schreck machte er einen Satz nach hinten. Tränen, die während der letzten Strophe seine Augen gefüllt hatten[1], verschleierten gnädigerweise seinen Blick, doch das wenige, was er sah, reichte um ihn würgen zu lassen. Fast hätte er sich die blutigen Hände vor den Mund geschlagen. Sich im letzten Moment eines besseren besinnend, wischte er sie statt dessen hektisch an seiner Hose ab. Neben ihm sank Arjen in die Knie und schrie seinen Zorn den Göttern entgegen. Will wusste nicht, was er sagen sollte. Das war sein Versprechen gewesen, welches Arjen da so selbstverständlich für ihn eingelöst hatte. Hätte ich das überhaupt geschafft? Er schluckte mehrmals.

"Danke", brachte er schließlich heraus. "Und ja, lass uns hier verschwinden. Lass uns nur schleunigst hier fort."

Er wollte schon nach dem Kristall greifen, da dachte er an die kleine Schwester. Er würde ihr die Nachricht vom Tod der Schwester überbringen müssen. Das wollte er nicht auch noch Arjen aufbürden. Wie würde das Mädchen reagieren? Welche Fragen würde sie stellen, welche Verwünschungen ausstoßen? Würde sie fragen: "Und ihr habt sie dort zurückgelassen, auf dem Dach, wo die Raben ihr die Augen auspicken, allein, so weit weg von mir, wo ich nicht einmal an ihrem Grab weinen kann?" Oder würde sie schreien: "Sie ist nicht tot! Ihr lügt, ich glaub euch nicht! Solange ich ihren Leichnam nicht gesehen habe, ist sie nicht tot."

Er betrachtete das Schwert, das Arjen auf der Toten bettete wie auf einem Kriegerdenkmal, und zögerte, doch schließlich nahm er seinen Mut zusammen.

"Irithil wird es haben wollen", sagte er. "Sie wird... etwas von ihrer Schwester haben wollen. Ein Schwert wird doch gern vom Vater auf den Sohn vererbt und von der Mutter auf die Tochter, nicht wahr? Wenn das Mädchen nur halb so viel Mut und Kampfgeist wie die Schwester hat, wird sie das Schwert haben wollen."

Auf Arjens Zustimmung wartend—er würde das Schwert nicht ohne seine Zustimmung ergreifen—warf er auch noch einen raschen Blick über das Schlachtfeld, ob er unter den Gefallenen Jeanas Kameraden ausmachen könnte und ob diese irgendwelche Waffen, Ketten oder Ringe dabei hätten, die als Andenken einem Familienangehörigen Trost spenden mochten[2]. Doch sein Blick war noch immer von Tränen verschleiert, die er auch nicht fortzuwischen wagte. Spuren von Jeanas Blut klebten noch immer an seinen Händen. Wer wusste schon, wieviel es brauchte, um sich anzustecken? Und so sah er nichts außer ein paar Schwertern und Emblemen der Stadtwache, aber keinerlei persönliche Dinge. Er nahm die Sachen trotzdem an sich, kramte den leeren Sack hervor und stopfte alles hinein, was ihm unterkam, die Schwerter, soweit möglich, mit ihren Scheiden, ansonsten aber ohne wirklich zu wissen, was er tat.

"Für die Lebenden", sagte er zu Arjen, mehrmals. "Es ist doch für die Lebenden." Dazwischen murmelte er bei sich: "Und dann fort von hier. Endlich fort von hier."

Er klaubte so lange die Besitztümer der Toten zusammen, wie er diesen Ort noch ertragen konnte, dann nahm er den Kristall, stellte ihn auf einen möglichst unbesudelten Platz auf den Boden und wartete auf Arjen.
 1. Im obrigen Beitrag habe ich nur den letzten Absatz gelöscht, weil er nicht zu Jeanas Tod passte; daher hier die Tränen.
 2. perception=6
« Letzte Änderung: 12.04.2015, 18:05:57 von William Marlowe »
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Arjen Bucalo

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« Antwort #188 am: 12.04.2015, 21:34:35 »
Als Will nach dem Schwert griff und seine Handlungen erklärte, nickte Arjen nur, um zu zeigen, dass er einverstanden war. "Du hast recht, ein guter Einfall", sagte er.

Dann stand der Krieger, der so gerne Pferdezüchter war, auf und trat zu seinem Kameraden. "Wie gewohnt - Will. Du denkst weiter, als ich", fügte er hinzu. Er war bereit zur 'Abreise' - ein besseres Wort fiel ihm nicht ein zu dem, was ihnen bevorstand. Er war noch nie durch Magie im Raum gesprungen.
« Letzte Änderung: 12.04.2015, 23:37:03 von Arjen Bucalo »

William Marlowe

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« Antwort #189 am: 12.04.2015, 21:47:49 »
"Ja, ich denke weiter", spottete Will, während er also auch Jeanas Schwert packte und sich dann ein letztes Mal vergewisserte, ob Arjen und er alles beisammen hatten. "Dafür gibt es einen guten Grund. Wenn man nämlich über die Probleme von morgen nachdenkt, braucht man sich nicht über die von heute den Kopf zu zerbrechen. Deshalb denke ich weiter—damit ich nur nicht an das Jetzt denken muss."

Er kniete sich vor den Kristall, legte eine Hand darauf und wartete, bis Arjen es ihm nachtat.

Ob wir wohl je erfahren werden, warum das alles geschehen ist? Ob die Herren Gelehrten es wohl je herausfinden?

"Arith Shezai Eanlith!" rief er trotzig.
« Letzte Änderung: 12.04.2015, 23:31:49 von William Marlowe »
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Sternenblut

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« Antwort #190 am: 13.04.2015, 00:15:37 »
Kaum hatte der Barde die Worte gesprochen, spürten die beiden Männer ein seltsames Kribbeln, das sich durch ihren ganzen Körper zog, und für den Bruchteil einer Sekunde schien die Welt um sie herum von Weiß erfüllt. Ein kurzes Summen erfüllte ihre Köpfe, das aber ebenso schnell verschwunden war, wie es gekommen war.

Im nächsten Moment waren sie auch schon in einer anderen Umgebung. Sie waren in einer Art Eingangs- oder Festhalle. Der Kristall, den sie eben noch berührt hatten, war verschwunden.

Von dem hölzernen Eingangstor in das Gebäude, in dem sie sich befanden, war nicht mehr viel übrig - auch hier hatte das Feuer gewütet. Draußen lag ein mit Kieselsteinen bedeckter Innenhof, auf dem die beiden Männer weitere tote Körper entdeckten. Ein mächtiges, eisernes Tor versperrte den Zugang zur Straße.

Im Inneren des Gebäudes, das irgendwie an eine Festung erinnerte, lagen verbrannte Reste einer großen Tafel auf dem Boden. Durch helle Schatten an den Wänden wurde deutlich, dass hier früher Waffen als Schmuck an den Wänden gehangen hatten, doch davon war jetzt keine einzige mehr übrig. Auch hier lagen weitere Leichen auf dem Boden, die deutliche Verletzungsspuren an den Köpfen aufwiesen - jemand hatte entweder verhindern wollen, dass sie wieder aufstanden, oder sie waren ohnehin bereits wandelnde Tote gewesen.

Eine Wendeltreppe in der hinteren linken Ecke führte nach oben und nach unten. Von der Nachhut aus Jeanas Gruppe war nichts zu sehen - vorausgesetzt, sie befanden sich nicht unter den Toten, was Will und Arjen natürlich nicht hofften.[1]

Hier geht's weiter!
 1. Ihr könnt versuchen, durch Wissenswürfe (möglich sind hier Local und Religion) mehr über den Ort herauszufinden.
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