Der letzte Ton vibrierte noch in Wills Kehle, da trat Arjen schon vor, das Schwert in der Hand. Schneller, als Will begreifen konnte, was geschah, fuhr die Klinge auf Jeana nieder. Vor Schreck machte er einen Satz nach hinten. Tränen, die während der letzten Strophe seine Augen gefüllt hatten
[1], verschleierten gnädigerweise seinen Blick, doch das wenige, was er sah, reichte um ihn würgen zu lassen. Fast hätte er sich die blutigen Hände vor den Mund geschlagen. Sich im letzten Moment eines besseren besinnend, wischte er sie statt dessen hektisch an seiner Hose ab. Neben ihm sank Arjen in die Knie und schrie seinen Zorn den Göttern entgegen. Will wusste nicht, was er sagen sollte. Das war sein Versprechen gewesen, welches Arjen da so selbstverständlich für ihn eingelöst hatte.
Hätte ich das überhaupt geschafft? Er schluckte mehrmals.
"Danke", brachte er schließlich heraus.
"Und ja, lass uns hier verschwinden. Lass uns nur schleunigst hier fort."Er wollte schon nach dem Kristall greifen, da dachte er an die kleine Schwester. Er würde ihr die Nachricht vom Tod der Schwester überbringen müssen. Das wollte er nicht auch noch Arjen aufbürden. Wie würde das Mädchen reagieren? Welche Fragen würde sie stellen, welche Verwünschungen ausstoßen? Würde sie fragen:
"Und ihr habt sie dort zurückgelassen, auf dem Dach, wo die Raben ihr die Augen auspicken, allein, so weit weg von mir, wo ich nicht einmal an ihrem Grab weinen kann?" Oder würde sie schreien:
"Sie ist nicht tot! Ihr lügt, ich glaub euch nicht! Solange ich ihren Leichnam nicht gesehen habe, ist sie nicht tot."Er betrachtete das Schwert, das Arjen auf der Toten bettete wie auf einem Kriegerdenkmal, und zögerte, doch schließlich nahm er seinen Mut zusammen.
"Irithil wird es haben wollen", sagte er.
"Sie wird... etwas von ihrer Schwester haben wollen. Ein Schwert wird doch gern vom Vater auf den Sohn vererbt und von der Mutter auf die Tochter, nicht wahr? Wenn das Mädchen nur halb so viel Mut und Kampfgeist wie die Schwester hat, wird sie das Schwert haben wollen."Auf Arjens Zustimmung wartend—er würde das Schwert nicht ohne seine Zustimmung ergreifen—warf er auch noch einen raschen Blick über das Schlachtfeld, ob er unter den Gefallenen Jeanas Kameraden ausmachen könnte und ob diese irgendwelche Waffen, Ketten oder Ringe dabei hätten, die als Andenken einem Familienangehörigen Trost spenden mochten
[2]. Doch sein Blick war noch immer von Tränen verschleiert, die er auch nicht fortzuwischen wagte. Spuren von Jeanas Blut klebten noch immer an seinen Händen. Wer wusste schon, wieviel es brauchte, um sich anzustecken? Und so sah er nichts außer ein paar Schwertern und Emblemen der Stadtwache, aber keinerlei persönliche Dinge. Er nahm die Sachen trotzdem an sich, kramte den leeren Sack hervor und stopfte alles hinein, was ihm unterkam, die Schwerter, soweit möglich, mit ihren Scheiden, ansonsten aber ohne wirklich zu wissen, was er tat.
"Für die Lebenden", sagte er zu Arjen, mehrmals.
"Es ist doch für die Lebenden." Dazwischen murmelte er bei sich: "Und dann fort von hier. Endlich fort von hier."
Er klaubte so lange die Besitztümer der Toten zusammen, wie er diesen Ort noch ertragen konnte, dann nahm er den Kristall, stellte ihn auf einen möglichst unbesudelten Platz auf den Boden und wartete auf Arjen.