Nachdem er sich eines Tages genügend Milch, Wein und Weihrauch besorgt hatte, bereitete Hesper am Abend einen ungenutzten Raum des Hauses für das Ritual der Weissagung vor, in dem er die Möbel an die Wand schob und andere Einrichtungsgegenstände entweder in ein anderes Zimmer schaffte oder anderweitig verstaute. Er breitete ein weißes Tuch über eine leere Truhe und stellte zwei Kannen mit Wein und Milch, mehrere Kerzen und ein metallenes Schüsselchen mit dem Weihrauch auf den improvisierten Altar.
Der Kleriker bat die anderen Bewohner, ihn in der folgenden Zeit nicht zu stören, schloß die Tür zum Raum, zündete die Kerzen an und begann, vor dem Altar sitzend zu beten und zu meditieren.
Schließlich, die Kerzen waren schon fast zur Hälfte heruntergebrannt, hatte sich Hesper entschieden, welche zwei Fragen er stellen würde - die zweite davon, das erlaubte er sich, eher privater Natur. Er sprach ein kurzes Gebet, zündete den Weihrauch an und begann, die für den Zauber notwendigen Gesten zu vollführen und die passenden mystischen Worte zu sprechen, während er immer wieder aus den beiden Kannen kleine Mengen Milch und Wein auf das Altartuch goß.
Nach einiger Zeit ließ ihn der seit seiner Kindheit vertraute Geruch des Weihrauchs und der repetitive Rhythmus der Gesten und Worte den Ort, an dem er war, vergessen. Der Priester schloß die Augen und stellte sich einen nachtblauen Himmel vor, der von Selûne in ihrer ganzen Pracht erhellt wurde. Er gleitete sanft durch den Himmel, zu Selûne hin, auf deren Oberfläche er, wie so oft und nicht nur in seiner Vorstellung, ein Gesicht zu sehen glaubte. Diesem zugewandt stellte er seine Frage: "Wo in Selgaunt kann ich die mächtigste Deiner Dienerinnen hier finden?" Eine klare, ihm aufs innigste vertraute Stimme voller Wärme antwortete ihm prompt, und die Lippen des Gesichts-im-Mond bewegten sich dazu: "Vor Deinen Augen und Deinem Blick doch verborgen." Er fühlte, wie sein Gegenüber ihn wortlos ermunterte, seine zweite Frage zu stellen: "Wo in Selgaunt kann ich jemanden finden, der mir etwas über Evendurs Schicksal verraten kann?" Die Antwort - "Hinter hohen Mauern, gehüllt in Schatten" - ließ ihn voller Dankbarkeit sein Haupt verneigen und langsam die Augen öffnen.
Schweißgebadet setzte er sich wieder auf den Boden, blickte verträumt auf das nun von den Flüssigkeiten getränkte und gefärbte Tuch und sann über die - wie nicht anders zu erwarten - kryptischen Antworten nach.
Die zweite Antwort überraschte Hesper letztlich nicht, auch wenn sie ihn entmutigte. Entweder es handelte sich bei den hohen Mauern um eine Feste, in der jemand eingesperrt war, oder um einen Palast, in der ein Feind residierte. Welches Gebäude in Selgaunt hatte die höchsten Mauern? Malark würde so etwas wissen.
Auch die erste Antwort, stellte er fest, hatte er, wenn auch in diesem Fall unbewußt, erwartet, doch hier befeuerte das nur seine Neugierde. Wilde Spekulationen schossen durch seinen Kopf - war es etwa jemand, den er kannte oder zumindest schon getroffen hatte, vielleicht, auch wenn es schwer vorstellbar war, Nebulo? Da kam ein gänzlich anderer Gedanke in seinen Sinn - war es gar ...? Er schüttelte den Kopf - nichts, was sie bisher gemeinsam erlebt hatten, deutete darauf hin. Aber Hesper würde sie von nun an besonders im Auge behalten.