Es heißt in den Karten des Tarots kann ein geübter Augur einen Blick durch die nebelverhangenen Schwaden der Zukunft werfen und hinter diesen Gefilden den göttlichen Willen des Meisters der Menschheit selbst erkennen. Warnung und Weisung sind für denjenigen zu finden, der die Karten zu lesen weiß und sich von Vieldeutigkeit nicht verwirren lässt. Ein solcher Akt erfordert Begabung und Demut in gleichen Maßen. Kraft alleine ist nichts. Ein Blick auf die Schrecken eines gnadenlosen Universums sollte selbst dem größten Narren diese Wahrheit offenbaren. Begabung und Demut, nur wenigen ist es vergönnt diese Eigenschaften in sich zu vereinen, um die größeren Wahrheiten hinter den Karten des Tarots lesen zu können.
Der heilige Ordos unternimmt große Anstrengungen auf der Suche nach diesen Sehern, denn unter Millionen von Seelen, die in Ketten in die lichtlosen Verließe der schwarzen Schiffe gezerrt werden, mag nicht einmal ein Individuum die gesuchten Eigenschaften besitzen. Nein, wahre Seher sind eine Ressource bei deren Erschließung selbst die Bevölkerung einer gesamten Welt ein geringer Preis ist, den es zu zahlen gilt.
Seraphine Thor, Inquisitorin des heiligen Ordo Xenos wird nachgesagt ein beachtliches Talent in der Auslegung der Karten zu besitzen, aber selbst ein Laie hätte bei der letzten Auslegung der Karten die offensichtliche Warnung erkannt...
"Leerendrache" - Vor einem Monat
Astropath Berlacher wie er versucht seine Finger tiefer und tiefer in die ausgebrannten Augenhöhlen zu treiben bis blutige Tränen an seinen ausgemergelten Wangen hinabrinnen. Bergfalk, die zitternd auf dem Boden liegt, während nur noch das Weiße ihrer Augen zu sehen ist und schreckliche Krämpfe davon zeugen, wie sich Synapsen überladen und ein schreckliches, aber dankensweise schnelles, Ende herbeiführen. Und über all dem das vor Anstrengung verzerrte Gesicht von Seraphine Thor, ihre Hände auf die dünnen Kristallscheiben der Tarotkarten gepresst.
All diese Bilder wirken noch wie frisch in den Köpfen der Akolythen, auch wenn der Zwischenfall bereits Wochen zurückliegt. Selbst über den Gestank von Blut und Gerbmitteln hinweg, bleiben die Eindrücke deutlich im Verstand jedes Anwesenden imprägniert. Manche Dinge werden sich wohl nie vergessen lassen und im Gegensatz zu den unendlichen Massen der arglosen Menschen im Imperium, können sich die Mitglieder der Zelle das süße Geschenk des Vergessens nicht leisten. Eine schreckliche Gefahr droht Askellon und die Weisung ihrer Herrin lastet schwer auf ihnen. Keiner von ihnen weiß genau, was ihre Inquisitorin genau gesehen hat, aber jeder wurde noch am selben Abend über die anstehende Aufgabe unterrichtet und es bestehen keine Zweifel an der Wichtigkeit ihrer Mission.
Und so befinden sie sich alle an Bord des "Leerendrachen", eines Transporters von Fleisch und Fellen auf dem Weg nach Port Finis, Traephus XI. Von dem tierischen Gestank, der jeden Korridor des Schiffes zu durchdringen scheint einmal abgesehen, verdient eigentlich nichts am "Leerendrachen" den Vergleich mit dem schrecklichen mytischen Raubtier. Es ist ein klobiges, hässliches Schiff, ein langsames Schiff, aber das einzige Reisemittel, das in absehbarer Zeit die Grenzwelt von Traephus XI ansteuern wird. Unter der Tarnung im Namen eines Freihändlers den Planeten für eine mögliche landwirtschaftliche Ausbeutung erkunden zu wollen, ein Vorhaben das von der Crew des "Leerendrachen" nur mit Gelächter oder Bedauern quittiert wurde, haben sich die Mitglieder der Zelle an Bord begeben und erfreuen sich nun an dem "Luxus", den eine Reise durch die Leere inmitten von ausgeweideten Tierkadavern so mit sich bringt. Die Stimmung ist gedrückt, doch da es nichts zu tun gibt, um die Reise schneller vergehen zu lassen, bietet sich ihnen zumindest die Chance sich gegenseitig etwas besser kennenzulernen und sich mental auf die anstehende Aufgabe vorzubereiten.
"Port Finis" - Gegenwart
Nach der Reise an Bord des "Leerendrachen" sind selbst die schwüle Hitze von Traephus XI und über 90% Luftfeuchtigkeit eine willkommende Abwechslung zu dem bestialischen Gestank von Tierverwertungsanlagen. Der Himmel wirkt, scheinbar ganz der Schwere ihrer Mission zum Trotz, nahezu unbeschwert blau und kaum ein Wölkchen ist am Horizont zu sehen, auch wenn sich dies den Berichten über das wankelmütige Klima des Planeten zu folge wohl jederzeit innerhalb weniger Minuten ändern kann.
Port Finis selbst ist so unbeeindruckend wie es eigentlich jeder erwartet hat. Ein Kaff in jeder Bedeutung dieses abwertenden Wortes, besitzt es die Bezeichnung "Port" vermutlich nur, weil es sich um die einzige dauerhafte Enklave für den Handel von Außerhalb auf dem gesamten Himmelskörper handelt. Eine hohe Mauer aus Rockcrete umgibt die Gebäude der Stadt und hier und dort luken eingelassene Geschütze aus dieser hervor, gezeichnet von Rost und weiteren Spuren der Vernachlässigung. Vor diese Mauer befindet sich eine vegetationslose Zone von gut 500 Metern, bis diese die Ausläufer des allgegenwärtigen Dschungels erreicht. Hier und dort sieht man Arbeitercrews, die, ausgerüstet mit Flammenwerfern und Promethium, den Dschungel auf Abstand halten und dafür sorgen, dass dieser sich nicht zu nahe an die Mauer heranwagen kann.
Neben einer Ansammlung von Hab-Wohnungen, in denen vermutlich der Großteil der Einwohner lebt, gibt es nur wenige größere Gebäude in Port Finis. Selbst der Tempel der Ekklesiarchie wirkt nahezu kümmerlich, beachtet man einmal mit welchem Sinn für das Gewaltige das Ministorum sonst seinen Baustil verfolgt. Dank den Instruktionen ihrer Meisterin wissen die Akolythen, dass es sich bei dem größeren, prunklosen Gebäude gleich nebenan um die Zentrale des Administratum handelt, Unterkunft der örtlichen "Regierung" und des Astropathenchors in einem.
Ihr erstes Ziel führt die Akolythen jedoch zu keinem dieser Gebäude, sondern zu einer Fabrikhalle, in der gebündelte Baumstämme auf ihren Abtransport von Traephus XI warten. Hier sollen sie ihren Kontakt in Port Finis treffen, einen lokalen Führer, der ihnen bei ihrer Aufgabe zur Seite stehen wird und über die wahre Natur ihrer Mission unterrichtet wurde. Dabei wurde ihnen eine Warnung mit auf den Weg gegeben, sich vom äußeren Erscheinungsbild dieses Führers nicht abschrecken zu lassen und ihn stattdessen mit den Worten "Die Sonne vergeht am Horizont von Askellon..." zu begrüßen und als Antwort "...doch sie scheint erneut am nächsten Morgen über Valerius Kindern." zu erwarten.
Im Moment fehlt von ihrem Führer jedoch noch jede Spur und Tiberius Grayson, Æringa Sklárska, Levi Cusatis und Schwester Kayleen Fírinne können förmlich den Schweiß aus jeder Pore ihres Körpers rinnen spüren, während sie in der brütenden Hitze zwischen zwei großen Holzstapeln auf dessen Ankunft warten.