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Autor Thema: Akt I - 28 Tage überfällig  (Gelesen 48016 mal)

Beschreibung: Episode 1.1

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Khenubaal

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Akt I - 28 Tage überfällig
« am: 07.06.2015, 21:01:29 »
Die Gesichter von Feldwebel Anton Sarina und Soldat Berthold Schilz blicken gestrengt und regungslos von dem altersschwachen LQ-Monitor in das Zwielicht des Besprechungsraumes. Die Augen der beiden Männer - schwarze Pupillen in einem Meer von Weiß- und Grautönen - mustern die Anwesenden, als würden sie diese wiegen und messen. Ein Defekt - ein Tribut an das Alter des Bildschirms - lässt eine wulstige Welle in regelmäßigen Abständen vom oberen Rand des Displays bis zum unteren laufen. Das Bild verzerrt und wölbt sich unter der Welle, und so entsteht jedes Mal, wenn sie über die Münder der beiden Männer läuft, die Illusion, dass Feldwebel Sarina und Soldat Schilz nicht zufrieden sind mit dem, was sie hier vorfinden - warum sonst sollten sie so skeptisch die Lippen kräuseln?

Natürlich ist das nichts weiter, als eine bizarre Einbildung. Wie die fünf Zuhörer auf ihren Plätzen - zwei Mitglieder des hellvetischen Corps, ein hochgewachsener Epigenetiker aus dem danziger Spital, eine schweigsame Vertreterin der Wiedertäufer aus Franka und eine ungepflegte Gestalt aus den Vorläufen der hiesigen Alpen - eben erfahren haben, sind diese Männer derzeit nicht in der Alpenfestung. Die Augen die sie vom schwarz-weißen Bild des Displays aus anstarren, sind tot, ebenso wie die Gesichter um sie herum. Und nach allem, was Hauptfeldwebel Diego Contini und seine Assistentin eben dargelegt hatten, waren es die Männer, zu denen diese Bilder gehörten, höchstwahrscheinlich auch.

"Das Team Sarina/Schilz ist am 15. August zu einer Kontakt- und Erkundungsmission nach Galle, Heres und Tal aufgebrochen", rezitiert Soldat Tanya Baur. "Die Männer sollten den obligatorischen, quartalichen Check in den genannten Ortschaften durchführen. In den Missionszielen ist die Prüfung der emotionalen und psychischen Stabilität der politischen Führung in Tal besonders hervorgehoben worden."

"Diego Iturba", unterbricht sie Contini. Die rauchige Stimme des Hauptfeldwebels hallt im Raum wider. "Spitzname "Seneca" - er umgibt sich gerne mit voreshatologischen Büchern und studiert die Philosophen der alten Welt. Er ist der selbsternannte Bürgermeister von Tal und regiert dort seit über vierzehn Jahren."

"Alter: 53 Jahre; Kinder: 1 Sohn", ergänzt Baur. "Regierungsweise: Gnädiger Diktator. Einstufung des Oberkommandos: Unkooperativ."

"Er hat eine gute Garnison aufgestellt und das Gesindel aus Tal vertrieben" - wieder Contini. "Alle Kooperationsangebote unsererseits wurden abgelehnt und er ließ die Grauadler-Schar in die Stadt. Sie beliefern das nördliche Gebiet der Kerngebiete mit Burn aus Pollen. Aber er kontrolliert die Mengen und belässt es bei einem Rinnsall, um den Druck vom Kessel zu nehmen. Dadurch kann sich die Fäulnis bei uns nicht ausbreiten."

"Konnte nicht - bis jetzt." Es ist einer der Zuhörer, der den Hauptfeldwebel mit dieser Zwischenbemerkung unterbricht - der hochgewachsene Spitalier.

Contini geht jedoch nicht darauf ein und fährt fort. "Die Grauadler und Iturba kontrollierten die Grenzen im Osten. Sie ließen kein weiteres Burn in die TR 1 einsickern. Sie prügelten die Klanner zurück in ihre Höhlen und sorgten für Sicherheit in ihrem Quadranten. Und damit war das in Ordnung für uns."

Der Hauptfeldwebel macht eine Pause und stützt sich dann mit beiden Händen auf das Redepult vor ihm. Im fahlen Dämmerlicht des unterirdischen Raums – keine Fenster in der Alpenfestung, nur der kalte Grund der Alpen um einen herum – hebt sich der markige Vollbart kontrastreich gegen die helle Haut ab.

Vor ungefähr fünf Monaten ist Iturbas Frau gestorben. Das hat ihn wohl ziemlich mitgenommen. Als unser Kontakt- und Erkundungsteam zum 2Q-Kontakt im Juni in Tal war, war er nicht zu sprechen. Er hat sich in sein Haus zurückgezogen und war angeblich seit Wochen nicht mehr draußen. Sein Sohn hatte die Geschäfte geleitet – er hat unseren Männern die heile Welt vorgegaukelt, aber die Leute in der Stadt redeten. Die Disziplin der Truppen schien nachzulassen und es war wieder die Rede von Klannern – Überfälle der Vulga.

Bei den letzten Worten wendet sich Baur angeekelt ab – die erste emotionale Reaktion der Assistentin, die an diesem Abend zu beobachten ist. Auch durch die Zuhörer ist ein Ruck gegangen. Die Vulga sind ein Stamm von Menschenfressern, bekannt dafür, dass sie lebendes Fleisch bevorzugen. Daher wird die Beute Teil für Teil vertilgt und so lange wie möglich gepflegt und am Leben gehalten. Die Gefangenen der Vulga dürfen manchmal Wochenlang miterleben, wie sie langsam verspeist werden.

Wir hatten Zweifel, ob Iturba Tal, aber vor allem den Quadranten und die pollnische Grenze noch unter Kontrolle hat. Deswegen war die K- und E-Mission 3Q so wichtig. Die Männer meldeten sich das letzte Mal wie vereinbart in der 37 KW. Soldat Baur?

Die Assistentin übernimmt wieder mit heller, monotoner Stimme. Völlig emotionslos rattert sie die Informationen herunter, als stünde da vorne ein AMSUMO und kein Mensch aus Fleisch und Blut. „Feldwebel Sarina und Soldat Schilz telegraphierten am 12.09. wie vereinbart aus dem Chronisten-Subcluster in Galle. Die Meldung lautete: „Heres und Galle abgeschlossen. KbV. Brechen auf nach Tal.““ Die Assistentin schaut auf – aschblondes, gerades Haar und helle, makellose Haut. Der Blick streift Rahel und den Spitalier und bleibt schließlich bei Dan hängen. Der Schrotter kommt nicht drumrum zu bemerken, dass Soldat Baur vielleicht ein gefühlskaltes, aber dennoch ein ziemlich heißes Gerät ist. „Für die Externen sei erklärt, dass KbV für `Keine besonderen Vorkommnisse‘ steht.

Aber anscheinend gab es besondere Vorkommnisse“, macht wieder Contini weiter. „Die Männer hätten sich bis spätestens 26.09. wieder per Funk aus dem Subcluster melden müssen. Das ist nicht passiert. Wir haben heute den 24.10. Das letzte, was wir von ihnen wissen, ist, dass sie unterwegs waren nach Tal. Und jetzt sind die Männer seit 28 Tagen überfällig.

Als würden sie die Worte des Hauptfeldwebels unterstreichen wollen, schauen die beiden verschollenen Männer hinter seinem Rücken noch immer von der Leinwand herunter. Contini fährt fort: „Der Tod von Iturbas Frau, die Lage im Tal bei der K- und E-Mission 2Q und die verschwundenen Männer sind Warnsignale, die überprüft werden müssen. Wir müssen wissen, was in Tal und an der pollnischen Grenze vor sich geht. Und wir müssen unsere Männer finden.

Der Hauptfeldwebel spricht mit bestimmter Stimme, lässt keinen Zweifel an seinen Feststellungen. Er deutet auf die Zuschauer, während er fortfährt. „Sappeur Wagner und Feldwebel Kyburg sind eingeteilt für den Spezialauftrag S5-17. Es handelt sich um eine S- und R-Mission. Sie stellen Kontakt mit der Führung in Tal her und überprüfen die Lage dort. Und sie suchen nach unseren Männern. Dr. Denis Polanski vom danziger Spital wird sie begleiten. Er will für das Spital die Lage der Burn- und Fäulnisverbreitung im Quadranten überprüfen. Orgiastin Rohal und Dan, ein Ortskundiger, werden ebenfalls mit Ihnen reisen. Sie verstärken unseren Trupp, ohne dass wir weitere Männer aus der Alpenfestung entsenden müssen – damit gewinnen Sie Feuerkraft, ohne das wir provozierend und als Bedrohung auftreten.

Contini lässt seinen Blick über die Anwesenden schweifen: „Haben Sie so weit Fragen?“ 
« Letzte Änderung: 18.06.2015, 15:28:07 von Khenubaal »

Dirty Dan

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Akt I - 28 Tage überfällig
« Antwort #1 am: 07.06.2015, 22:43:45 »
Dan saß mit dem Rücken zur Wand, so es denn so einen Sitzplatz im Besprechungsraum gab. Er hatte diese Erfahrung erst nach und nach in den Spelunken rund um Tal lernen müssen: sitze nie mit dem Rücken zur Tür. Die hagere Gestalt hatte schon bessere Zeiten gesehen, aber vermutlich noch länger keine Dusche. Auffallend war dieser Fakt vor allem an den Haaren, die einen schwachen Glanz hatten, obwohl Dan kein Haargel trug. In der einen Hand hielt er seine Mütze, die sonst schützend über den Haaren lag. Mit der anderen Hand fuhr er sich durch den immer dichter werdenden Vollbart. „Interessanter Verein hier gerade. Komisch nur, dass sie gerade mich als Ortskundigen dabei haben wollen. Bringt ihre ständige Spionage und Präsenz in der Region wohl doch keine Informationsvorteile mit sich. Gut, mir soll‘s Recht sein. Zu ein paar Wechseln mehr in der Tasche sage ich sicher nicht Nein.“

Dann wanderte sein Blick über die Anwesenden und blieb wie von selbst bei den Frauen hängen. Mal mehr, mal weniger. Die feuerroten Haare von Rahel stachen einfach zu sehr ins Auge, um nicht aufzufallen. Dazu der Kalkschädel und dann auch schon so ein verbissenes Weibsstück. Sappeur Wagner, was auch immer zu den Aufgaben eines Sappeurs gehörte. Scharf sein offenbar nicht. Aber diese Tanya gefiel ihm. „Warum konnte sie nicht statt Wagner mitkommen?“ Stattdessen nun doch diese Wagner. Vielleicht konnte er vor der Abreise noch Tanyas Erreichbarkeit abchecken? Doch im Augenblick war erst mal Schnabel halten angebracht. „Vielleicht würde einer der anderen eine wichtige Frage stellen oder seine Meinung mitteilen, damit man darüber reden konnte.“

Kyburg

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Akt I - 28 Tage überfällig
« Antwort #2 am: 11.06.2015, 10:32:18 »
Schweigend starrt der Soldat den Zivilisten an, sichtlich unbegeistert über seine Anwesenheit. Dreckig. Unzuverlässig. Mehr eine Gefahr als eine Bereicherung. Lässt den Blick schweifen- zur Orgiastin. Über die feuerroten Haare und den gestählten Körper. Ein Schnauben entfährt dem Soldaten- eine religiöse Eiferin. Unberechenbar. Unzuverlässig. Und mit diesem Pack sollen sie eine Rettungsmission durchführen? Unruhig lässt er schließlich den Schleifstein über die bereits zum Rasieren geeignete Klinge des Beils fahren. Er würde es brauchen. Hat es schon oft genug gebraucht. Dieses Beil hat ihm öfter das Leben gerettet als der Wegbereiter- denn wo die Ergebnisse des Wegbereiters ausgelesen werden, so fragt ihn niemand, wie viele Schädel die Axt eingeschlagen hat. Fragend blickt er, ohne sein Schleifwerk zu unterbrechen, zu seiner Vorgesetzten. Fragt sie mit Blicken, was Wagner von dieser Sache hält. Ob sie ebenso unbegeistert über die Präsens von Zivilisten und Fanatikern auf ihrer Mission ist- und er sucht in ihrem Blick irgendetwas beruhigendes.
Die Taktik ist die Lehre vom Gebrauch der Streitkräfte im Gefecht, die Strategie die Lehre vom Gebrauch der Gefechte zum Zwecke des Krieges.

Rahel

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Akt I - 28 Tage überfällig
« Antwort #3 am: 11.06.2015, 17:22:46 »
Orgiastin. Wie sehr hasste Rahel das Wort. Besonders deshalb, weil es zutraf, wenn auch in gewisser Weise. Beim Predigen geschah es zuweilen, dass sie sich in einen besonderen Zustand redete, da jedes Wort glühender, jedes Elend flehentlicher und jede Anklage zorniger wurde. Was in ihren Predigten zum Ausdruck kam, war Menschsein an der Grenze zum Übermensch. Die absolute Selbstüberwindung in einer Welt ohne Gott. Und hätte sie es auf den Punkt bringen müssen, dann hätte sie es als das 'letzte Aufgebot' bezeichnet. Alles oder Nichts. Er musste sie wieder anhören - oder sie waren alle verloren.

Doch davon abgesehen gab es nichts an Rahel, was in irgendeiner Weise orgiastisch war. Tatsächlich hatte sie einen gar schmerzlich nüchternen Blick auf die Dinge. Gott hatte sich verborgen, Wunder waren Vergangenheit und Prophetie eher ein Zeichen übermäßigen Burnkonsums oder Wahnsinns. Selbst die Tinkturen, die sie aus Kräutern und Quellwässern gewann, hatten keine übernatürlichen Eigenschaften, allenfalls natürliche. Doch es war der Glaube, der Berge versetzte, und diese Tinkturen erst wirksam werden ließ. Der menschliche Wille an der Grenze des Möglichen. An der Grenze zur Transzendenz.

Rahel war kein Pontifex - keine Brückenbauerin zu Gott. Alles, was sie tun konnte, war eine halbe Brücke zu bauen. Und die restliche Distanz musste gesprungen werden. Und entweder es reichte oder nicht.

Jetzt, da Rahel in diesem halbdunklen Besprechungsraum saß und das Ende des Militärsprechs abwartete, fühlte sie sich erinnert an ihre Zeit im Spital. Es war kalte Erinnerung, die keine Empfindung in ihr auslöste. Sie kannte diesen sezierenden, technischen Umgang mit Menschen wie auch der Welt an sich. Reparieren, was noch gebraucht werden konnte, abschneiden, was erkrankt war. Insgesamt waren die Spitalier wie auch auch die Hellvetiker sehr effizient. Aber seelenlos. Es hatte Zeiten gegeben, da Rahel leidenschaftliche Wut verspürt hatte. Doch nun spürte sie höchstens Langeweile.



Sie hatten Rahel in einem nahegelegenen Bergdorf aufgegriffen. Irgendetwas mit -wil. Aber egal, fast jedes scheiß Dorf hieß irgendwie -wil: Leutwil, Mooswil, Bechterswil. -wil hatte irgendetwas mit einer geringen Größe zu tun, wobei Rahel nicht sicher zu sagen vermochte, von was die Größe bestimmt wurde.

Sie hatte stumpfen Ernährern und starrsinnigen Militärs gepredigt. Und dann hatte man sie aufgegriffen und in die Basis gebracht und ihr einen Auftrag angeboten, den sie nicht ablehnen konnte. Rahel war natürlich klar, dass man sie diplomatisch geschickt loswerden wollte. Andererseits hatte sie auch nicht übel Lust, sich loswerden zu lassen.



Rahel musterte ihre zukünftigen Kollegen: zwei Hellis, ein Kalkschädel und ein Schrotti. Okay, es würde keine großen Probleme geben, aber wahrscheinlich auch keine besonderen Höhepunkte. Rahel hatte sich entschieden, dass sie den Auftrag annehmen und ausführen würde. Auch wenn sie die Hellis momentan für einigermaßen verloren hielt, würden sie sich vielleicht irgendwann an sie erinnern, wenn die Kacke am dampfen war. Wenn sie irgendwann erkannten, dass die Bergeste zugleich ein Gefängnis war, dass sich die Hellis nicht so hermetisch abriegeln konnten, dass keine Sporen einzudringen vermochte, dann würden sich auch das stoische Bergvolk öffnen müssen. Oder in seinen Stollen ersticken.

Okay, sie würde den Auftrag erledigen, aber dann würde sie sich absetzen, so bald es ging. By the way, es war auch keine schlechte Möglichkeit, von hier wegzukommen. Das Bergvolk war zu starrsinnig, zu bündisch organisiert, als dass sie einer Fremden Gehör schenken wollten. Erst musste die Scheiße über sie kommen. Und dann? Mal gucken.

"Nee, keine Fragen. Wann geht's los?", antwortete sie schlicht auf die Frage des Corporals - or whatever he was.
« Letzte Änderung: 12.06.2015, 11:05:44 von Rahel »
Eine Stimme ist in Rama gehört worden, viel Jammern, Weinen und Klagen; Rahel beweint ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen, denn sie sind nicht mehr. - nach Jer 31,15

Altena Wagner

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Akt I - 28 Tage überfällig
« Antwort #4 am: 14.06.2015, 19:33:48 »
Gelassen saß Wagner auf ihrem Platz und lächelte ihrem Kameraden müde zu. 'Wird schon werden' schien ihr Blick auszudrücken. Ohne sonderlich viel von den Außenseitern gesehen zu haben wollte sie sich noch kein Urteil bilden. Im Zweifelsfall würde ihr Überleben von diesen Leuten abhängen. Da war es besser, erst einmal entspannt an die Sache heranzugehen. Die Anwesenheit des Spitaliers konnte sie sich eher erklären als die der Anderen beiden - aber gut, es störte sie auch nicht weiter. Ihrem Kollegen war leicht anzusehen, das er da ein wenig anders dachte. War jetzt auch nichts so Neues. Die junge Frau hob sich in ihrer Erscheinung vor allem durch ihre dunklere Hautfarbe von vielen anderen Kameraden ab. Latino wäre zu einer anderen Zeit vielleicht ein passender Begriff gewesen, der sie grob umreißen konnte. Ihr fehlte die stramme Disziplin, die kühle Distanziertheit die man oft mit Hellvetikern verband. In bunter Vogel in schneeweißer Landschaft, so hatte es einer ihrer Freunde einmal beschrieben. Ob sie unterm Strich wirklich so anders war - keine Ahnung, es kümmerte sie auch nicht. Sie ließ sich ungerne in ein Schema pressen. Starrsinniges Denken war ihr zuwider. Einigermaßen konzentriert verfolgte sie das Briefing und fragte sich wie Tanya wohl privat war. Sie hatte im Laufe ihrer Karriere gelernt, das viele eine Maske während ihrer Dienstzeit trugen. Und außerhalb waren sie dann wie ausgewechselt. Eigentlich interessant, wie gut so etwas funktionieren konnte.

"Weiß man, woran Iturbas Frau gestorben ist?"
Hakte sie zwischendurch nach und bewies trotz ihrer allzu entspannten Sitzhaltung das sie mehr oder weniger bei der Sache war. Wenn seine Frau von Kannibalen gefoltert wurde, war das ein ziemlich guter Grund für sein Verhalten. Es kam selten vor, das sie Menschen als hoffnungslos abstempelte. Sicher steckten irgendwelche abstrusen Rituale dahinter und sie meinten es nicht einmal 'böse'. Aber das konnte ihr praktisch egal sein - wenn sie dieses Volk sah, hieß es Beine in die Hände nehmen oder kämpfen. Nicht jeder ließ mit sich verhandeln. In diesem Fall war sie nicht einmal auf den Versuch sonderlich scharf. Widerlich...

Altena sah sich die Bilder genau an und zählte die Teilnehmer des Teams. Notfalls fragte sie eben noch mal genauer nach. Wie viele Kameraden wurden vermisst? Mit einem leisen Ächzen dachte sie daran, was von ihnen inzwischen übrig sein dürfte. Wie so die Methoden dieser Wilden aussahen, wusste sie ja.

"Feindkontakt ist sehr wahrscheinlich, wenn diese Gerüchte stimmen. Ein ganzes Team verschwindet nicht einfach so. Welche Mittel stehen uns für die Mission zur Verfügung?"


Das alles klang so, als müssten sie schlimmstenfalls gegen ein ganzes Dorf vorgehen. Mit 10 Schuss pro Hell würden sie sich da wohl bald selbst im Kochtopf wiederfinden...Ein Versuch war es jedenfalls wert. Es war ja nicht so, das ihre Soldaten leicht zu ersetzen wären. Im Gegenteil. Ganz zu schweigen von ihrer Ausrüstung. Ob sie diese hinterher bergen sollten? Einfach mal nachfragen.

"Und wie sollen wir vorgehen, wenn das Team nicht transportfähig ist - oder tot?"

Ganz sicher war sie sich ja nicht, ob 5 Mann dafür ausreichen würden...

Khenubaal

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Akt I - 28 Tage überfällig
« Antwort #5 am: 18.06.2015, 16:25:10 »
Contini und Baur sahen sich die Reaktionen der Zuhörer an. Wie üblich überließ es der niederrangigere der beiden Hellvetiker seinem Vorgesetzten, die Fragen zu stellen - so schwieg Kyburg und sprach Wagner. Dass der Schrotter nichts sagte und seine glasigen Augen eher die Rundungen der anwesenden Frauen prüften und weniger die bärtigen Gesichter auf dem Bildschirm, überraschte den Hauptfeldwebel nicht - er kannte Dirty Dan lange genug. Auf die Orgiastin hatte er sich noch keinen Reim machen können, aber ihre lässige Antwort überraschte ihn nicht. Und der Epigenetiker. Auch er schwieg nun - nachdem er ihn zwischendurch unterbrochen hatte - und beobachtete seine zukünftigen Reisegefährten.

Rahel kam es so vor, als blieb der Blick des Mannes an ihr länger hängen, als an den anderen. Der Neoprenanzug - so weit im Sitzen sichtbar - passte wie angegossen; Weiß und Schwarz glänzten in perfekter Sauberkeit. Darin glichen sich Hellvetiker und Spitalier. Der kahle Schädel warf in mattem Weiß die Deckenbeläuchtung zurück - eindeutig eine Wirkung des verriebenen Kalks. Das Gesicht war langgezogen, hohe Stirn, wache, scharfe Augen, Wangen, die sich nach unten hin verjüngten und in einem schmalen Kinn endeten - man nähme ein langgezogenes Dreieck, stelle es mit dem spitzen Ende nach unten auf und stelle auf der oberen, flachen Seite eine Halbkugel auf, so würde wohl ein Chronist eine schematische Darstellung des Gesichts von Denis Polanski liefern. Eine apokalyptische Elster würde eher mit den Fingern das schmale Kinn streicheln und lächelnd darauf hinweisen, dass diese Wangen nach einem Vollbart schreien - ohne unnötig zu betonen, dass damit das allzu schmale Gesicht kaschiert werden solle.

Doch weder der Chronist noch die Apokalyptikerin waren hier im Raum und Baurs Stimme riss Rahels Gedanken zurück in das Hier und Jetzt. "Gemäß der Aussage von Iturbas Sohn - Veloso - starb seine Mutter an einem Geschwür. Sie sei wohl über Monate von innen zerfressen worden."

"Krebs", konstatierte Polanski mit kehligen Bariton. Baur nickte. "Wahrscheinlich - ja. Diese Angaben sind aber nicht überprüft worden."

"In jedem Fall hat Feldwebel Wagner recht", setzte Contini ein. "Die Männer waren - wie bei K- und E-Missionen üblich - zu zweit unterwegs. Wir schätzen die Wahrscheinlichkeit eines Feindkontakts aufgrund der bisherigen Beurteilungen von Team Sarina/Schilz und Fehlfrist von 28 Tagen auf über 85%. Wir sind uns allerdings nicht sicher, dass es sich hierbei um die Vulga handelt - das wäre lediglich eine mögliche Hypothese."

"Die Psychologische Abteilung hat auf Basis des Missionsberichts von K- und E- Q2 ein Profil von Iturba erstellt und mögliche Wahrscheinlichkeiten durchgespielt", fügte Baur hinzu. "Sie kommen sowohl für das Szenario einer feindlichen Reaktion durch Iturba und die aktuelle Führung von Tal, als auch für das Szenario einer inzwischen neuen, feindlichen Macht in Tal jeweils auf Wahrscheinlickeiten von über 20%. Die Wahrscheinlichkeit eines erfolgeichen Angriffs der Vulga wird dagegen auf 7% geschätzt."

Contini übernahm wieder: "In jedem Fall lautet ihr Auftrag zunächst Sondierung der Lage. Konfrontationen sollten möglichst lange vermieden werden und bilden das letzte Mittel. Stoßen sie auf Widerstand, der eine größere Operation der Alpenfestung notwendig macht, kehren sie um. Primäres Ziel ist das Sammeln der Informationen über die aktuelle Lage in Tal, an der pollnischen Grenze und im Quadranten, sowie die Suche nach unseren Männern. Machen sie sich zu früh zu viele Feinde, werden sie diese Ziele nicht erreichen und auch unserer Sache schaden. Verstehen Sie das?"

Der Hauptfeldwebel wartete ab, bis alle Anwesenden genickt hatten. Dann fuhr er fort: "Gut. Die Ihnen zugeteilte Ausrüstung für diesen Auftrag liegt bereits für Sie bereit. Sie verlassen die Alpenfestung durch den Tunnel TR 1 - Q4 - IV - besser bekannt als Ausgang Tiss. Aufbruch ist morgen früh um Null-Sechshundert. Ihr erster Halt ist Galle - sie werden einen Tagesmarsch dafür brauchen; vielleicht lässt sich dort bereits etwas herausfinden. Danach ist Tal dran."[1]

Continis Blick streifte noch einmal über die Externen des Trupps. "Wir haben jetzt Zwanzighundert. Für alle Externen sind Einzelquartiere für die heutige Nacht vorgesehen. Außerdem eine Abendration aus der Kantine der Station. Mein Rat an Sie: stärken Sie sich, lernen Sie einander kennen - besser hier drinnen, als erst später draußen unter Beschuss - und dann: gehen Sie zeitig zu Bett. Wegtreten."[2]
 1. Unter folgendem Link findet ihr eine Umgebungskarte; Santis - Schwebebahn = Ausgang Tiss; St. Gallen = Galle; Herisau = Heres; Thal = Tal; Ich habe die Reisezeit erhöht, da die Umwelt feindlicher und der Weg unbefestigt ist
 2. Das bietet euch nun die Möglichkeit, die SCs sich kennenlernen zu lassen, bzw. ein wenig zu interagieren - z.B. beim gemeinsamen Abendessen in der (überfüllten und riesigen) Kantine. Wer darauf verzichten will, kann seinen SC auch gleich zu Bett schicken! :wink:
« Letzte Änderung: 04.07.2015, 21:28:06 von Khenubaal »

Rahel

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« Antwort #6 am: 22.06.2015, 18:52:52 »
Rahel schnitt dem Spitaler, der sie erkannbar musterte, eine Grimasse, die Missbilligung ausdrückte. 'Glotzt mich an, als wollte er gleich in mich reinkriechen.', dachte sie sich. Für einen Moment überlegte sie, ob der Spitalier etwas von ihr wollte und ob er sie erkannt hatte. Aber sie schüttelte innerlich den Kopf. 'Unmöglich. Damals, das war in der tiefsten provinz Francas. Jetzt sind wir im Kanton. Der kennt mich nicht. Glotzt mich einach an, wahrscheinlich weil er schon lange keine Frau mehr gesehen hat.'

Sie verfolgte die Besprechung im Weiteren mit mässigem Interesse. Die technische Sprache des Feldwebels stieß sie ab und die vielen Zahlen und Mutmaßungen konnten über eines nicht hinwegtäuschen: Die Männer hatten nicht den blaßesten Dunst, wo ihre Kameraden abgeblieben waren. Rahel überlegte, ob es die Männer nervös machte, das ihre Abläufe durcheinandergerieten. Vermutlich.

Als klar war, dass die Besprechung zu Ende ging, stand sie auf und nickte dem Kommandanten zu. Dann verließ sie den Raum und steckte sich erstmal eine an. Dass das Rauchen hier nicht erlaubt war, juckte sie nicht weiter. Sie inhalierte den kratzigen Rauch und bließ ihn in Ringen wieder aus.

"So'n Wichser!", murmelte sie.
« Letzte Änderung: 22.06.2015, 18:53:41 von Rahel »
Eine Stimme ist in Rama gehört worden, viel Jammern, Weinen und Klagen; Rahel beweint ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen, denn sie sind nicht mehr. - nach Jer 31,15

Kyburg

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Akt I - 28 Tage überfällig
« Antwort #7 am: 23.06.2015, 07:14:17 »
Der Blick des Soldaten kreuzte den des Spitaliers- und dessen Blicke entgingen Kyburg nicht. Einen Moment lang starrte er ihn ebenso an- weniger mit Lust, als mit sichtlicher Abneigung, ehe er wieder dazu überging, sein Beil zu polieren und schweigend zuzuhören. Das Murmeln der Rothaarigen quittierte er mit einem Kopfschütteln. Keine Disziplin. Sowohl Spitalier als auch Täuferin. Ebensowenig wie Zivilist. Wird uns noch in Schwierigkeiten bringen. Schließlich wurden sie entlassen. Stand auf, salutierte zackig, verstaute die Waffe- ehe er sich mit einem fragenden Blick die Erlaubnis Wagners holte, ebenfalls wegzutreten und sich in Richtung der Kantine aufmachte, sich einen Weg durch die Schlangen kämpfte- und schließlich tatsächlich einen kleinen, freien Platz an einem Tisch "eroberte" an dem er nicht nur alleine Platz haben konnte- eigentlich nur, damit Wagner sich ihm anschließen konnte, aber mit etwas Rücken würde es wohl noch für mehr Leute reichen.
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Rahel

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« Antwort #8 am: 01.07.2015, 14:58:57 »
Rahel lies die halb aufgerauchte Kippe zu Boden fallen und trat drauf. Kurz überlegte sie, ob sie sich vielelicht später etwas zu Essen holen sollte oder vielleicht auch ganz darauf verzichten würde. Sie war nicht besonders hungrig. Dann aber entschied sie sich, dass sie doch etwas auf Tuchfühlung gehen sollte mit ihren Kollegen, mit denen sie die nächsten Tage und vielleicht Wochen verbringen würde.

Es kamen ihr kurz Zweifel. Vielleicht sollte sie doch ihre zwei-drei Dinge zusammensammeln und einfach weiterziehen. So die Nummer mit der charisamtischen Wanderpredigerin eben. Das hatte doch bisher auch geklappt. Nun ja, nicht so wirklich. Stures Bergvolk.

"Ach, was soll's?", fasste sie ihre Gedanken missmutig zusammen. "Ich schau mir die Leute wenigstens mal an."

So ging sie dann doch in die Kantine, stapelte sich ein einfaches Gericht, einen Apfel und vor allem zwei Gläser Wasser auf ihr Tablett und bugsierte sich an den Tisch, an dem sie den Soldaten namens Kyburg erblickt hatte.

"Hi!", sagte sie und setzte sich ihm gegenüber. Sie strich das rote Haar aus der Stirn und blickte den Soldaten forsch an. Es würde an ihm sein, das Gespräch zu beginnen und damit ihre Beziehung zu definieren.
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Kyburg

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« Antwort #9 am: 01.07.2015, 18:41:31 »
Lange starrte er die rothaarige Gläubige an. Nickte ihr mehr höflich als wirklich freundlich zu, löffelte weiter die breiige Ration, an die er sich schon seit langem gewöhnt hatte in sich hinein, während er der seltsamen Zivilistin in die Augen sah, sich wunderte, was die Frau hier wollte. Das fragte er sich allgemein seit einer Weile. Was sollte er mit einer Anhängerin eines Kultes anfangen, der einen lange vergessenen und mit ziemlicher Sicherheit toten Gott anbetete, anfangen? Der Bunkerwühler mochte mit seinen Ortskenntnissen und als Kanonenfutter von Nutzen sein, der Arzt schien medizinische Grundausbildungen genossen zu haben- aber eine Priesterin? Nein. Für soetwas konnte er sich bei Weitem keinen Sinn vorstellen. Vielleicht würde sie es ihm ja berichten...? Er blickte sie auffordernd an. Sie musste einen Grund haben, hier zu sein- vielleicht wollte sie ihm ihre wirkliche Mission verraten? Hoffte in ihm auf einen Verbündeten?
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Rahel

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Akt I - 28 Tage überfällig
« Antwort #10 am: 04.07.2015, 17:32:30 »
"Hmm, ihr alle seid nicht besonders gesellig hier, oder?", sagte Rahel vor sich hin. Sie zog die Gabel aus biliger Legierung unter der Serviette hervor und begann damit, ihre Suppe zu löffeln. "Nun gut, ich bin jedenfalls Rahel und bin eine Wiedertäuferin. Es ist reiner Zufall, dass ich hier bin. Aber es ist alles andere als zufällig, dass ich bei der Mission dabei bin. Es ist wohl die diplomatisch geschickteste Weise, mich woanders hinzuschicken. Ganz sicher denkt Dein Kommandant nicht daran, dass mein Gott diese Mission segnen wird. Und ich glaube auch nicht, dass mein Gott das tun wird." Rahel begann seelenruhig, Graubrot in ihre Suppe zu bröseln. "Und zwar hauptsächlich deshalb, weil mein Gott tot ist."
« Letzte Änderung: 04.07.2015, 17:36:20 von Rahel »
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Khenubaal

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Akt I - 28 Tage überfällig
« Antwort #11 am: 04.07.2015, 19:54:25 »
"Ich war zwei Jahre lang in Purgare und kenne viele Wiedertäufer. Ich war in einem der Lazarett-Städte hinter der Front in der Adria-Ebene. Manche von deinen Kameraden hatten Fieberträume, als ich sie behandelte. Viele sogar, würde ich sagen. Morphium war knapp und es gab einiges zu nähen und zu sägen."

Der Epigenetiker hatte sich ebenfalls in die Kantine begeben und sich an den Tisch gesellt - zusammen mit Wagner, Kyburg und Rahel teilte sich Dr. Denis Polanski die rechteckige, stählerne Unterlage von 80 mal 1000 cm mit 16 weiteren Männern und Frauen. Allesamt Hellvetiker - die meisten in den charakteristisch grauen (Corps) und blauen (Zivilist) Uniformen für den Innendienst. Zwei trugen die Unterkleidung für den Harnisch. Die Männer trugen ihr Haar allesamt militärisch kurz, die Frauen meist zu strengen Zöpfen zurückgebunden. Dennoch war die Atmosphäre locker - die Tischnachbarn unterhielten sich angeregt, tauschten Neuigkeiten, Tratsch und grobe Witze aus. Es wurde geflucht und gelacht - Soldaten.

Alles zum Trotz dessen, was als "Essen" bezeichnet auf den grauen Tabletten vor ihnen lag. "Kartoffelbrei" und "Fleischeintopf", wobei bei beiden zu vermuten war, dass die Namensgebung weniger mit den eigentlichen Zutaten zu tun, sondern eher rein symbolischen Charakter hatte - Soldatenessen.

Polanski beugte sich weiter vor, um den allgemeinen Gesprächslärm des Tisches, sowie der neunzehn anderen Tische in der Kantine zu übertönen und fuhr fort: "Die haben erzählt, Gott hätte sich von uns abgewandt. Dass wir sühnen müssen, bevor er wieder zu uns zurückkehrt. Die haben gesagt, der Primer ist nicht ein Scheiß-Parasit aus dem Weltall, sondern das Werk des Teufels. Und manche haben gesagt, unsere Welt ist tot. Aber dass euer Gott tot ist, das ist neu."

Der Mann fuhr sich mit den Fingern der Rechten über das schmale Kinn, kniff die Augen ein wenig zusammen, um im Zwielicht der Neonröhren über ihnen seine gerade erkorenen Kameraden besser zu beobachten. Die grünen Pupillen fixierten die Gegenüber.

"Ich bin Epigenetiker - seit inzwischen sechs Jahren im danziger Spital. Ich glaube, der Primer ist ein verdammter Parasit von einem verdammten Kometen, und das Glück - die Hure, die den Kometen bei uns hat abstürzen lassen. Ob ein Gott daran beteiligt war? - ich weiß es nicht. Meinetwegen. Mir geht's darum, die Fäulnis wieder loszuwerden. Ich glaube, dass der Burnfluss an der pollnischen Grenze wieder zunimmt. Wenn das stimmt, könnte die gesamte Region hier" - Polanski nickte Richtung Kyburg und Altena; der kahlgeschorene, gekalkte Schädel spiegelte das blasse Licht der Neonröhre über ihm - "ihr nennt sie Territorialregion I - verseucht werden. Das will ich verhindern."

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Während der Rest der neu gebildeten S- und R-Mission S5-17 in der Kantine über - tatsächlich - Gott und die Welt redete, hatte sich Dan in sein Quartier für diesen einen Tag verzogen. Zwei mal vier Meter - die Abmessungen stammten aus einer anderen Zeit und waren heute purer Luxus für die Alpenfestung, wie er aus Gesprächen mit Contini wusste. Also war das eines der ältesten Quartiertrakte. Die der Tür gegenüberliegende Wand war nur grob geglättet und aus massivem Felsgestein - hier endete also der Tunnel. Die drei anderen Wände waren mit abgewetztem Aluminium und Plastik beschlagen; dahinter vermutete Dan Stahlträger. Ein altersschwaches Neonröhrenpaar geizte mit Licht. Eine Pritschte, ein Stuhl, ein Schrank, ein Tisch. Abort und Waschräume waren am Ende des Gangs, wie er erfahren hatte.

Dan hatte sich gerade eben auf seine Pritsche gesetzt und das Knarzen der durchgelegenen Federung unter seinem Hintern vernommen, da klopfte es an seiner Tür. "Dan - sind Sie da? Ich muss Sie sprechen". Vielleicht spielte sein Hormonspiegel ihm ja einen Streich, aber Dan war sich ziemlich sicher, dass das da die Stimme von Soldat Tanya Baur war.
« Letzte Änderung: 05.07.2015, 23:06:24 von Khenubaal »

Dirty Dan

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Akt I - 28 Tage überfällig
« Antwort #12 am: 04.07.2015, 21:35:34 »
2x4m – da war Dan wirklich anderes gewohnt. Sicher nicht von Behausungen in geschlossenen Gebäuden, aber von seinen Übernachtungen in den Ruinen der alten Welt. Er wollte sich gerade seiner Ausrüstung und den Vorräten widmen, in der Hoffnung noch etwas Destillat zu finden, als er das Klopfen vernahm.

Der erste Instinkt war diesen Militärfuzzi vor seiner Tür wegzuschicken. Doch dann erkannte er die Stimme. Sollte es wirklich die scharfe Braut Tanya sein? Das galt es auf jeden Fall rauszufinden. Er schwang sich von der Pritsche hoch und öffnete direkt seine Quartierstür um nachzusehen.

Ja bitte?

Kyburg

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Akt I - 28 Tage überfällig
« Antwort #13 am: 06.07.2015, 17:07:28 »
Mit einiger Mühe unterdrückte Kyburg ein Augenverdrehen. Diese Glaubensspinnerin war noch wahnsinniger als ihre Kameraden. Ein übermenschliches Wesen anbeten- sei geschenkt. Taten viele der schweizer Eidgenossen auch, einige hingen sogar dem Wiedertäuferglauben an. Aber einen Gott verehren, der schon tot ist? Entweder hatte er etwas falsch verstanden, oder die Frau war völlig wahnsinnig- und der Umstand, dass sie offenbar als Strafe bei ihm war machte sie nicht wirklich deutlich vertrauenserweckender... genauso wenig dass ein Gott, an den er zwar nicht glaubte, den er für den unwahrscheinlichen Fall, dass es ihn doch gab nicht verärgern wollte, diese Mission nicht segnete missfiel ihm ebenso...

Noch ehe die rothaarige Kultistin (war es ein Kult- oder nur ein persönlicher Fall von Wahn, wie er seit dem Komentenfall so oft vorkam?) ihm völlig das Essen versauen konnte sprach der Spitalier. Wirkte vernünftiger- die Versporung auszulöschen wirkte deutlich klüger und besser planbar als einen toten, offenbar desinteressierten Gott anzubeten. Als der Spitalier erzählte, nickte Kyburg zustimmend mit dem Kopf. Erst als er berichtet das über Territorialregion etwas geschmuggelt werden soll, verhärtet sich das narbige Gesicht des Soldaten. Schweigend beginnt er wieder Kartoffelbrei in sich zu stopfen. Als ob in Territorial 1 irgendetwas geschmuggelt würde. Wenn es einen Ort gab, der sicher war, dann die Eins. Sollte er sich doch weiter der Paranoia der Spitalier hingeben- viele der Weißkittel trauten der Bruderschaft der Waffen wohl immer noch nicht zu, den Schmuggel durch die Alpen zu unterbinden. Kyburg wusste, dass was der Spitalier behauptete nicht stimmen konnte- also aß er weiter.
Die Taktik ist die Lehre vom Gebrauch der Streitkräfte im Gefecht, die Strategie die Lehre vom Gebrauch der Gefechte zum Zwecke des Krieges.

Rahel

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« Antwort #14 am: 10.07.2015, 16:01:32 »
Rahel lächelte. Endlich mal jemand, der sich ernsthaft mit ihr unterhalten wollte. Es war der Situation anzurechnen, dass der Sanitäter Rahel sympathsicher wurde, vielleicht war der Typ aber auch tatsächlich ganz in Ordnung. Das würde sich später zeigen. Die meisten Sptitaler, die Rahel kennengelernt hatte waren halb Zahlendreher und halb Karrieretypen und in jedem Fall ganz Arschloch.

"Ich glaube, dass der Zug abgefahren ist. Über dreitausend Jahre lang hat der Mensch dieses Spiel gespielt. Er hat Gottes Gebote übertreten, seine Tempel entweiht und seinem Namen gelästert. Und Gott wendete sich ab und eine große Katastrophe zog über die Menschen. Und sie schriehen sich die Seele aus dem Leib und wimmerten, dass sie in Zukunft alles gut machen würden, wenn er nur die Plage von ihnen nähme. Und Gott erbarmte sich ihnen. Kaum jedoch wussten sich die Menschen in Sicherheit, fielen sie von Neuem ab."

"Und ich glaube, ich glaube wirklich, dass der Alte die Schnauze jetzt gestrichen voll hat. Er hat seine Hand von uns gezogen und seine Ohren verschlossen. Vielleicht sieht er nicht ein einziges Mal hin, wenn diese teuflische Seuche die Menschheit ausmerzt. Und weißt Du was? Ich kann es verstehen, ehrlich, ich würde sogar sagen, dass er verdammt Recht hat und die Menschheit dieses Schicksal verdient hat. Die Engel werden nicht fertig damit, die ganzen Morde, Zuhälterei, Umweltverschmutzungen und Gotteslästerungen aufzuzählen. Nichts wird mehr vergeben, nichts wird mehr vergessen, bevor nicht der letzte von diesem Erdboden getilgt wurde."

Rahel hatte sich heiß geredet. Sie war nicht besonders laut geworden, aber ihr Ton war scharf und ihr Blick war durchdringend und intensiv geworden, ohne jemanden im Speziellen azusehen. Nun lehnte sie sich in ihrem Sitz zurück und atmete einmal tief durch, bevor sie ruhiger weitersprach. "Ich würde sagen, er hat verdammt recht damit. Aber leider geht es auch um mich und um die Menschen, die ich liebe. Ich kann es nicht akzeptieren. Meine ganze Kraft gilt der unmöglichen Aufgabe, ein glühendes Epizentrum der Gerechtigkeit aufzubauen. Und vielleicht und auch nur vielleicht wird er sich wieder für uns interessieren. Wir sind alle Kinder Hiobs. Nur eben nicht unschuldig."
« Letzte Änderung: 10.07.2015, 16:21:13 von Rahel »
Eine Stimme ist in Rama gehört worden, viel Jammern, Weinen und Klagen; Rahel beweint ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen, denn sie sind nicht mehr. - nach Jer 31,15

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