Die Gesichter von Feldwebel Anton Sarina und Soldat Berthold Schilz blicken gestrengt und regungslos von dem altersschwachen LQ-Monitor in das Zwielicht des Besprechungsraumes. Die Augen der beiden Männer - schwarze Pupillen in einem Meer von Weiß- und Grautönen - mustern die Anwesenden, als würden sie diese wiegen und messen. Ein Defekt - ein Tribut an das Alter des Bildschirms - lässt eine wulstige Welle in regelmäßigen Abständen vom oberen Rand des Displays bis zum unteren laufen. Das Bild verzerrt und wölbt sich unter der Welle, und so entsteht jedes Mal, wenn sie über die Münder der beiden Männer läuft, die Illusion, dass Feldwebel Sarina und Soldat Schilz nicht zufrieden sind mit dem, was sie hier vorfinden - warum sonst sollten sie so skeptisch die Lippen kräuseln?
Natürlich ist das nichts weiter, als eine bizarre Einbildung. Wie die fünf Zuhörer auf ihren Plätzen - zwei Mitglieder des hellvetischen Corps, ein hochgewachsener Epigenetiker aus dem danziger Spital, eine schweigsame Vertreterin der Wiedertäufer aus Franka und eine ungepflegte Gestalt aus den Vorläufen der hiesigen Alpen - eben erfahren haben, sind diese Männer derzeit nicht in der Alpenfestung. Die Augen die sie vom schwarz-weißen Bild des Displays aus anstarren, sind tot, ebenso wie die Gesichter um sie herum. Und nach allem, was Hauptfeldwebel Diego Contini und seine Assistentin eben dargelegt hatten, waren es die Männer, zu denen diese Bilder gehörten, höchstwahrscheinlich auch.
"Das Team Sarina/Schilz ist am 15. August zu einer Kontakt- und Erkundungsmission nach Galle, Heres und Tal aufgebrochen", rezitiert Soldat Tanya Baur. "Die Männer sollten den obligatorischen, quartalichen Check in den genannten Ortschaften durchführen. In den Missionszielen ist die Prüfung der emotionalen und psychischen Stabilität der politischen Führung in Tal besonders hervorgehoben worden."
"Diego Iturba", unterbricht sie Contini. Die rauchige Stimme des Hauptfeldwebels hallt im Raum wider. "Spitzname "Seneca" - er umgibt sich gerne mit voreshatologischen Büchern und studiert die Philosophen der alten Welt. Er ist der selbsternannte Bürgermeister von Tal und regiert dort seit über vierzehn Jahren."
"Alter: 53 Jahre; Kinder: 1 Sohn", ergänzt Baur. "Regierungsweise: Gnädiger Diktator. Einstufung des Oberkommandos: Unkooperativ."
"Er hat eine gute Garnison aufgestellt und das Gesindel aus Tal vertrieben" - wieder Contini. "Alle Kooperationsangebote unsererseits wurden abgelehnt und er ließ die Grauadler-Schar in die Stadt. Sie beliefern das nördliche Gebiet der Kerngebiete mit Burn aus Pollen. Aber er kontrolliert die Mengen und belässt es bei einem Rinnsall, um den Druck vom Kessel zu nehmen. Dadurch kann sich die Fäulnis bei uns nicht ausbreiten."
"Konnte nicht - bis jetzt." Es ist einer der Zuhörer, der den Hauptfeldwebel mit dieser Zwischenbemerkung unterbricht - der hochgewachsene Spitalier.
Contini geht jedoch nicht darauf ein und fährt fort. "Die Grauadler und Iturba kontrollierten die Grenzen im Osten. Sie ließen kein weiteres Burn in die TR 1 einsickern. Sie prügelten die Klanner zurück in ihre Höhlen und sorgten für Sicherheit in ihrem Quadranten. Und damit war das in Ordnung für uns."
Der Hauptfeldwebel macht eine Pause und stützt sich dann mit beiden Händen auf das Redepult vor ihm. Im fahlen Dämmerlicht des unterirdischen Raums – keine Fenster in der Alpenfestung, nur der kalte Grund der Alpen um einen herum – hebt sich der markige Vollbart kontrastreich gegen die helle Haut ab.
„Vor ungefähr fünf Monaten ist Iturbas Frau gestorben. Das hat ihn wohl ziemlich mitgenommen. Als unser Kontakt- und Erkundungsteam zum 2Q-Kontakt im Juni in Tal war, war er nicht zu sprechen. Er hat sich in sein Haus zurückgezogen und war angeblich seit Wochen nicht mehr draußen. Sein Sohn hatte die Geschäfte geleitet – er hat unseren Männern die heile Welt vorgegaukelt, aber die Leute in der Stadt redeten. Die Disziplin der Truppen schien nachzulassen und es war wieder die Rede von Klannern – Überfälle der Vulga.“
Bei den letzten Worten wendet sich Baur angeekelt ab – die erste emotionale Reaktion der Assistentin, die an diesem Abend zu beobachten ist. Auch durch die Zuhörer ist ein Ruck gegangen. Die Vulga sind ein Stamm von Menschenfressern, bekannt dafür, dass sie lebendes Fleisch bevorzugen. Daher wird die Beute Teil für Teil vertilgt und so lange wie möglich gepflegt und am Leben gehalten. Die Gefangenen der Vulga dürfen manchmal Wochenlang miterleben, wie sie langsam verspeist werden.
„Wir hatten Zweifel, ob Iturba Tal, aber vor allem den Quadranten und die pollnische Grenze noch unter Kontrolle hat. Deswegen war die K- und E-Mission 3Q so wichtig. Die Männer meldeten sich das letzte Mal wie vereinbart in der 37 KW. Soldat Baur?“
Die Assistentin übernimmt wieder mit heller, monotoner Stimme. Völlig emotionslos rattert sie die Informationen herunter, als stünde da vorne ein AMSUMO und kein Mensch aus Fleisch und Blut. „Feldwebel Sarina und Soldat Schilz telegraphierten am 12.09. wie vereinbart aus dem Chronisten-Subcluster in Galle. Die Meldung lautete: „Heres und Galle abgeschlossen. KbV. Brechen auf nach Tal.““ Die Assistentin schaut auf – aschblondes, gerades Haar und helle, makellose Haut. Der Blick streift Rahel und den Spitalier und bleibt schließlich bei Dan hängen. Der Schrotter kommt nicht drumrum zu bemerken, dass Soldat Baur vielleicht ein gefühlskaltes, aber dennoch ein ziemlich heißes Gerät ist. „Für die Externen sei erklärt, dass KbV für `Keine besonderen Vorkommnisse‘ steht.“
„Aber anscheinend gab es besondere Vorkommnisse“, macht wieder Contini weiter. „Die Männer hätten sich bis spätestens 26.09. wieder per Funk aus dem Subcluster melden müssen. Das ist nicht passiert. Wir haben heute den 24.10. Das letzte, was wir von ihnen wissen, ist, dass sie unterwegs waren nach Tal. Und jetzt sind die Männer seit 28 Tagen überfällig.“
Als würden sie die Worte des Hauptfeldwebels unterstreichen wollen, schauen die beiden verschollenen Männer hinter seinem Rücken noch immer von der Leinwand herunter. Contini fährt fort: „Der Tod von Iturbas Frau, die Lage im Tal bei der K- und E-Mission 2Q und die verschwundenen Männer sind Warnsignale, die überprüft werden müssen. Wir müssen wissen, was in Tal und an der pollnischen Grenze vor sich geht. Und wir müssen unsere Männer finden.“
Der Hauptfeldwebel spricht mit bestimmter Stimme, lässt keinen Zweifel an seinen Feststellungen. Er deutet auf die Zuschauer, während er fortfährt. „Sappeur Wagner und Feldwebel Kyburg sind eingeteilt für den Spezialauftrag S5-17. Es handelt sich um eine S- und R-Mission. Sie stellen Kontakt mit der Führung in Tal her und überprüfen die Lage dort. Und sie suchen nach unseren Männern. Dr. Denis Polanski vom danziger Spital wird sie begleiten. Er will für das Spital die Lage der Burn- und Fäulnisverbreitung im Quadranten überprüfen. Orgiastin Rohal und Dan, ein Ortskundiger, werden ebenfalls mit Ihnen reisen. Sie verstärken unseren Trupp, ohne dass wir weitere Männer aus der Alpenfestung entsenden müssen – damit gewinnen Sie Feuerkraft, ohne das wir provozierend und als Bedrohung auftreten.“
Contini lässt seinen Blick über die Anwesenden schweifen: „Haben Sie so weit Fragen?“