Altena nickte, als Kyburg ihr das Zeichen zur Deckung gab. Der Wind hatte so weit nachgelassen, dass der Soldat den Klick hören konnte, mit dem seine Vorgesetzte den Wegbereiter entsicherte. Das milchige Grau der Harnische war die perfekte Tarnung für die Schneelandschaft in der sie sich befanden, und so machten sich die beiden Hellvetiker daran, in schräg versetzter Formation, etwa fünf Meter auseinander und hinter Felsen und Bäumen Deckung suchend, sich der Quelle der Schüsse zu nähern.
Derweil lief Polanski hinter einem Felsen in Deckung, der sich etwa drei Meter schräg vor dem doppelstämmigen Baum befand, hinter dem Dan und Rahel auf der Lauer lagen . Während der Spitalier hinter den Stein schlüpfte, fiel ein weiterer Schuss - lauter, näher. Danach war ein Fauchen zu hören - oder war es das Grunzen eines Menschen? - es ließ sich nicht genau feststellen.
"
Verdammt!", rief der Epigenetiker abgehackt den beiden zu. Der wieder stärker werdende Wind verschluckte seine Worte fast. "
Was immer da los ist, es kommt auf uns zu. Macht euch kampfbereit."
Mit diesen Worten griff er an seinen Rücken und riss den Spreizer aus seiner Halterung.
* * *
Etwa fünfzig Meter weiter vorn erreichten die beiden Hellvetiker die Biegung des kleinen Wäldchens und sahen, was dahinter geschah. Eine Gruppe von vielleicht einem Dutzend zerlumpter Gestalten war gerade dabei, einen Umklammerungskreis um sechs weitere in ihrer Mitte zu ziehen. Drei Körper lagen als schwarze Bündel unbeweglich im hellen Schnee. Anscheinend hatten die Umzingelten in der Mitte zunächst versucht, zu fliehen, doch mittlerweile war ihnen der Rückweg abgeschnitten worden.
Die Angreifer bewegten sich im Gegensatz zu den Umzingelten langsam und ohne Eile, was in Anbetracht der Situation verstörend und beängstigend wirkte. Doch das war es nicht allein. Noch etwas anderes jagte den Hellvetikern einen Schauer der Angst über den beharnischten Rücken. Dario versuchte zu verstehen, was es war, bis eine der Gestalten mit bloßen Händen nach einem der Männer in der Mitte griff. Da fiel es dem Feldwebel wie Schuppen von den Augen.
Der Angegriffene - ein Mann im schweren Mantel und einem schneeverkrusteten Schlapphut - wich dem Hieb aus, hob eine faustgroße Schusswaffe und drückte ab. Der Knall donnerte über die Landschaft und eine schwarze Wolke entstieg der Waffe. Das Projektil traf das Ziel unmittelbar vor sich. Durch die geringe Distanz war der Einschlag der Kugel verheerend; sie riss den Angreifer von den Füßen und schleuderte ihn mehr als einen Meter zurück. Dort krachte der leblose Körper in den Schnee und blieb mit dem Kopf nach hinten geworfen liegen. Die toten Augen der rothaarigen Frau schauten geradewegs in Darios Richtung. Und dem Feldwebel wurde klar, dass ihr Blick schon vor langer Zeit und nicht erst mit diesem Todesschuss gebrochen war.
Altena trat einen Schritt nach hinten und richtete ihren Wegbereiter auf die Gruppe. "
Verdammte Scheiße. Feuern nach eigenem Ermessen, Dario. Das sind Leperos!" Kyburg hatte die Aufforderung nicht gebraucht - er wusste es inzwischen selbst. Weißes Pilzgeflecht spross aus dem Mund der toten Rothaarigen und kroch am Kinn den Hals hinunter.
* * *
Fünfzig Meter weiter hinten sahen Rahel, Dan und Polanski, wie die beiden Hellvetiker die Biegung des Wäldchens erreichten und stehenblieben. Die Rücken ihrer Harnische waren zu erkennen, doch nicht das, was ihre Augen sahen. Dann fiel ein weiterer Schuss und Altena trat einen Schritt zurück und rief etwas zu Dario, doch auf diese Entfernung verschluckte der Wind ihre Worte.
Plötzlich war ein unangenehmes Klicken zu hören. Ein Geräusch, als würde jemand gegen eine Flasche oder Fensterscheibe schlagen. Zunächst dachten Dan und Rahel, sie würden es sich einbilden. Doch dann wiederholte sich das Geräusch noch einmal. Und noch einmal. Und noch einmal. Es war unregelmäßig, doch es wurde definitiv in seinem Auftreten häufiger.
"
Was zum Teufel..." rief plötzlich Polanski und riss seinen Spreizer mit einem Ruck aus der Kampfhaltung wieder nach unten. Die scharfe Spitze mit den gespreizten Klingen fuhr gen Boden und verharrte nur Zentimeter über dem Schnee. Der Epigenetiker schaute auf das andere Ende des Schaftes, wo ein flaschengroßer Glasbehälter aufmontiert war. Die Nährlösung schäumte bereits, während der Mollusk im Inneren immer wieder kontrahierend gegen die Wand stieß.
Der Spitalier ballte die Faust der freien Linken. "
Verdammte Scheiße...", murmelte er.