Helga weicht einen Schritt weiter zurück, als der Bahir an ihr vorbei zu seinem Begleiter stürmt. Dann leuchtet schon der Heilzauber an Grimnirs Leib auf. Die Fhokki schaut zu Manik. "
Magi overalt."
[1], murmelt sie verstört.
In diesem Augenblick taucht Flannait aus dem Schacht des Treppenhauses auf, erblickt die Szenerie: Sanjan, immer noch knieend; Grimnir vor ihm; Manik, neben einer hochgewachsenen, blonden Frau; und einen Mann in lumpiger Kleidung, aber einem Langschwert in der Hand. Und der Mann stellt sich bar jeder Rüstung einem Wolf, der doch keiner ist: schwarz, riesig, mit glimmenden, roten Augen voller Hass und Bächen von Blut, die, aus zahlreichen Wunden kommend, sich über seinen Körper ziehen.
Bevor der Waldläufer etwas erwidern oder Flannait noch reagieren kann, reißt Grimnirs wütendes Fauchen die Aufmerksamkeit wieder auf die beiden Raubtiere. Der graue Wolf hat sich wieder aufgerappelt, geift seinen riesigen Artgenossen an. Die Kreatur baut sich vor ihm auf, knurrt. Gelbliche Reißzähne blitzen auf, die Lefzen beben, Blutspuren laufen das schwarze, schweißbedeckte Fell hinab, vermischen sich am Maul mit dem Geifer, so dass dieser sich in rosafarbenen Streifen zum Boden zieht.
Beide Wölfe ducken sich, pressen den Oberkörper an den Boden. Dann springt Grimnir den Schreckenswolf an. Die Kreatur hebt den Vorderkörper, versucht mit den riesigen Pranken nach dem Angreifer zu schlagen, doch etwas knackt und der Schreckenswolf hällt inne und heult vor Schmerz auf. Maniks Pfeil, immer noch in seiner Schulter begraben, ragt nun in einem anderen Winkel aus dem Fleisch. Bei seiner Bewegung muss der Wolf mit dem Pfeil an der Wand geschrammt und diesen gebrochen haben - die Spitze im Inneren hat sich dabei bewegt, seine Muskeln weiter zerrissen und für einen Augenblick seine gesamten Sinne vor Schmerz betäubt.
Und dieser Augenblick reicht Grimnir. Der graue Wolf schlüpft zwischen den Pranken des Schreckenswolfs hindurch und begräbt seine Reißzähne im Hals des Widersachers. Der Schreckenswolf heult auf, versucht sich loszureißen, doch ohne Erfolg. Grimnir klammert sich mit beiden Vorderpranken am Fell des Feindes, krazt, reißt lange Wunden. Blut läuft an seinem Maul hinab, das Fell hinunter, bahnt sich in Bächen seinen Weg über das Grau von Bauch und Rücken.
[2]Dann bricht der Schreckenswolf zusammen; die Hinterbeine geben zuerst nach, der Bauch senkt sich auf den kalten, nassen Stein. Für einen Augenblick sieht es so aus, als würde die Kreatur Grimnir unter sich begraben, doch der graue Wolf kann sich auf seinen angeborenen Instinkt verlassen. In letzter Sekunde, genau im richtigen Moment, löst er den Zangengriff seiner Kiefern und schlüpft unter dem einbrechenden Feind hinaus. Mit einem schwachen Geifern tut der Schreckenswolf seinen letzten Atemzug, dann verglimmt das rote Feuer in seinen Augen und die Nüstern bleiben still. Doch auch als die Pupillen schon komplett ins Schwarze umgeschlagen haben, steht Grimnir noch mit angewinkelten Beinen und aufgerichtetem Fell dar und knurrt den Leichnam weiter bedrohlich an. Sein ganzes Fell ist nass und glänzend von eigenem und fremden Blut und nun ist es sein Geifer, der Spinnweben gleich rosa Schlieren zum Boden lässt.
Malcus tritt schwer atmend neben den grauen Wolf. Ungläubig senkt er sein Schwert. "
Was bei den Göttern war das?", fragt er schnaufend.
Bevor jemand antworten kann, erhebt sich wieder glitzernder, gelber Staub vom Boden. Ist Ruhush wieder da? - noch ein Zauber? Doch der dunkle Priester ist nirgendwo zu sehen. Grimnir beginnt wieder zu knurren und zu bellen, macht einige eilige Schritte und stellt sich zu Sanjan. Auch die anderen Gefährten weichen instinktiv zurück. Die goldenen Staubpartikel steigen immer höher und ordnen sich wieder zu einem runden Wirbel um den Schreckenswolf. Wie bei dessen Ankunft, umhüllen sie ihn wieder. Der sonst goldene Staub glitzert auch abwechselnd in rot, verschwindend kleine Blutstropfen kleben an selbigem. Dann beginnen sich die Partikel wieder zu drehen und erzeugen einen Wirbel der den Blick auf den Leichnam versperrt.
Drehte sich der Wirbel bei der Ankunft des Schreckenswolfs von rechts nach links, so ist es nun genau umgekehrt. Doch die Gefährten haben keine Zeit, sich auf solche Feinheiten zu konzentrieren. Mit einem spitzen Schrei hebt Helga den freien Arm und bedeckt Augen, Mund und Nase. Angewidert dreht sie sich weg. Als der Wirbel immer mehr Fahrt aufnimmt, reißt die Fliehkraft die Blutstropfen in alle vier Himmelsrichtungen. Boden, Decke, die beiden Seitenwände werden mit feinem Sprühregen aus Blut bedeckt. Und ebenso die Gefährten. Nur Flannait steht noch weit genug weg, um keine Tropfen abzubekommen - sie kann sich glücklich schätzen.
Als die Gefährten wieder die Augen öffnen, ist der Wirbel verschwunden. Und ebenso der Leichnam des Schreckenswolfs. Dort, wo der Kadaver der Kreatur lag, ist nunmehr nur die riesige Blutlache zu sehen, die sich unter ihm ausbreitete.
* * *
Als Basilio weitere Nachfragen stellt und dann auch noch Aragast mitteilt, er wäre vertrauenswürdiger, wenn er eine Grünhaut wäre, schüttelt der nur den Kopf. Pietor schaut zu Aragast: "
Kargi - vertrauenswürdig? Was redet der Mann, Hauptmann. Ich will nicht gegen Sildan kämpfen. Er bringt uns alle um."
"
Halt den Mund, du Schwachkopf! Willst du lieber gegen eine Übermacht aus Kargi kämpfen, was meinst du, was die mit dir machen?", unterbricht ihn Aragast. "
Ich bin dein Hauptmann, du kämpfst, gegen wen ich es dir befehle. Ansonsten bringe ich dich noch viel schneller um, als Sildan oder die Kargi - verstanden? Verstanden?"
Der Söldner zögert nur kurz, sein Adamsapfel zuckt. Dann nickt er und bleibt still. Daraufhin wendet sich Aragast wieder an Basilio: "
Ich werde meine Leute unter Kontrolle haben, keine Sorge. Pietor ist durcheinander, die meisten anderen sind... nicht so leicht zu erschüttern. Was die Zellen angeht, die liegen unten im Kerker - dort, wohin eure Freundin gerade entschwunden ist. Und: in entgegengesetzter Richtung zu Sildan. Und was den Beweis angeht, dass die beiden unschädlich gemacht wurden: Ich denke, einer der Hyänenzähne, die Ruhush in seine Wangen eingelassen hat und Sildans Schwert werden Beweis genug sein, dass die beiden festgenommen sind. Aber nun müsst ihr endlich auf mich hören, die Zeit drängt..."
* * *
Mehrere laute Hornstöße schallen durch die Luft. Sowohl im Kerker bei der großen Gruppe der Gefährten, als auch oben bei Basilio und Tarqetik sind sie zu vernehmen. Diese Hornstöße heben sich klar gegen den Kampfeslärm draußen ab - sie wurden innerhalb des Bergfrieds abgegeben, nicht draußen.
Malcus erinnert sich plötzlich daran, wie der zweite von Ruhushs Schergen durch die entgegengesetzte Tür des großen Raumes geflüchtet ist. Der Chevallier schaut zu Helga und Manik. "
Er muss Hilfe gerufen haben! Die Wissen, dass wir Ruhush angegriffen haben. In wenigen Augenblicken wird es hier von Sildans Männern nur so wimmeln!"
Die Fhokki nickt. Dann schaut sie zu Manik. "
Ich bin schon einmal im Bergfried gewesen. Im dritten und vierten Obergeschoss gibt es nicht nur Schießscharten, sondern auch große Balustraden. Von dort kann man in den Wassergraben springen."
Dann geht ihr Blick wieder zu Malcus, danach zu Sanjan und Grimnir. "
Wir können hier rauskommen, wenn wir es bis dahin schaffen!"
* * *
Aragast verzieht den Mund, als er die Hornsignale vernimmt. "
Tja - zu viel Zeit vertrödelt", murmelt er. Dann geht sein Blick wieder zu Basilio: "
Also - die Alternative mit dem Rausgehen auf den Burgplatz ist gerade weggefallen. Das klingt nach mindestens einem Dutzend an Männern, die da gerade Kerker und diese Ebene fluten, eher mehr. Entweder, ihr folgt jetzt meinem Plan und wir gehen nach oben und holen diesen Bastard, oder...", nun dreht sich der Hauptmann zu Tarqetik, "
du gönnst dir endlich ein wenig Spaß und bringst uns beide um. Was auch immer ihr machen wollt, ich schätze, euch bleiben für die Entscheidung nicht mehr als ein Paar Lidschläge."