Wieder spricht Basilio auf den Gefangenen ein, doch entweder ist die Klinge seiner Drohungen schartig geworden, oder Bosol ob der vielen selbiger in den letzten Tagen abgestumpft. Sein Blick zeugt immer noch mehr von Müdigkeit denn von Angst. Auf Maniks Geste nickt er sogar, als wolle er sagen, dass es ihm ohnehin schon klar sei.
"Wie sein Gott heißt?", antwortet er, als Basilio zu Ende gesprochen hat. "Ich kann die Zunge dieses Mannes nicht verstehen. Das klingt nach Tierlauten, wenn er und seine beiden Diener miteinander reden.
Uzhi, oder
Usi. So ähnlich nennt er ihn. Ich habe ihn mal gefragt, wofür sein Gott steht. Da hat er mich nur angelächelt mit einem Blick, der einem das Blut zu Eis gefrieren lässt. Er hat zwei kleine Schakalreißzähne, eingelassen in seine Wagen, und seltsame Formen, die drumherum in die Haut gestochen sind. Er hat gesagt, sein Herr ist der Bote des ursprünglichsten Gefühls, dass einen Menschen erfüllen kann. Des einzigen Gefühls, das wirklich zählt. Alle anderen Gefühle wären nicht echt - 'nur Masken', hat er gesagt."
Kurz verstummt Bosol, schaut noch einmal von Basilio zu Manik und wieder zurück. "Ach ja - die Masken. Ja - er hat sie hergestellt. Das heißt, wir haben die Haut... besorgt, aber er hat sie dann mit irgendwelchen Kräutern und Suden und was weiß ich noch mit was für einer Teufelei bearbeitet, damit sie so echt aussehen und... naja... nicht zu schnell verrotten. Er trägt auch selbst oft Masken. Von Tieren - am häufigsten eine, die einen Schakal zeigt. Aber seine Masken sind aus Holz und bemalt. Was die Zauberei angeht - ich habe ihn nie einen Feuerball schleudern sehen, oder so, aber ich gehe jede Wette ein, dass der Schatten mit dem Äther verbunden ist."
Wieder hält der Gefangene inne, leckt sich über die Lippen. Noch einmal geht sein Blick zu Manik und er schaut dem Waldläufer in die Augen. "Ich weiß - du hälst mich für einen Feigling und Dieb. Und das bin ich auch. Aber ich habe Helga gut behandelt. Ich hab schon mal Frauen... gezwungen, aber ihr habe ich nie was getan - sie wird es dir sagen, wenn du sie findest.
Es wird sich zeigen, ob ich hier heil rauskomme. Aber ich hoffe, ihr passiert nichts. Hol' sie raus, wenn du kannst. Und wenn sie bei Ruhush ist, dann greif sie dir und lauft so schnell weg, wie ihr könnt, und so lange, bis der Schatten nicht mehr zu sehen ist."
Derweil steht Flannait immer noch draußen Wache. Ihr Geheimruf ist verklungen, doch drinnen sind weiter Stimmen zu hören. Entweder hat Basilio sie nicht gehört, oder er hat den Sinn der Anweisung vergessen. In jedem Fall ist das nicht gut, denn Golo und Sarfin beenden gerade ihren kleinen Umtrunk.
"
Guten Dienst!", ruft der Abgelöste, bevor er zwischen den Zelten verschwindet. "
Feuchte Träume" schmeißt ihm Sarfin anstelle eines 'Guten Schlafs' hinterher. Dann setzt er den Becher mit einem Kichern auf einer Kiste neben dem Lagerfeuer ab.
Der Soldat streckt sich, lässt Arme und Schultern Kreisen und dehnt auch auch den Hals mit leichten Kreisbewegungen. "Na dann wollen wir mal schauen, wie es unserem Gefangenen geht", murmelt er und macht sich ohne Eile auf zum Wagen. Noch ein Dutzend Schritte, dann wird er am selbigen angelangt sein.
* * *
Obekiki hört Jamirs Worten zu. Der Feldscher lächelt - wieder blitzen die strahlend weißen Zähne im Schein des Feuers auf. "
In unseren Landen wird dein Gott Hezhovozh gerufen, aber ich hatte noch nie die Möglichkeit, mit einem Priester des Friedensbringers zu sprechen. Eine ehrenvolle Sache, der ihr euch da widmet, doch ich fürchte, auch eine Aufgabe, die kein Ende kennen kann."
Langsam erhebt sich der Svimohzer auf die Beine. "
Wie dem auch sei" - er nickt den drei Gefährten noch einmal zu, zuletzt Sanjan - "
ich danke für die Gastfreundschaft und den Cidre. Wir sehen uns morgen bei Sonnenaufgang wieder. Gute Nacht."
Mit diesen Worten entfernt sich Obekiki vom Lagerfeuer und verschmilzt mit der Dunkelheit. Der Cidre hat die Männer schläfrig gemacht und der Gedanke an die Nachtruhe nimmt im Funkentanz des Lagerfeuers Formen an, doch plötzlich hebt Grimnir den Kopf und knurrt die Schatten an.
Als Sanjan die Unruhe des Wolfs bemerkt, folgt er seinem Blick. Zwischen zwei Zelten erkennt er Umrisse. Zwei Männer scheinen dort zu kauern. Sie machen eben je einen Schritt zurück, offensichtlich eingeschüchtert durch Grimnirs Drohgebärde. "Lass uns gehen", flüstert einer gepresst, aber doch zu laut, als dass es nicht zu hören wäre.
"Nein", entgegnet der andere. "Komm - wir fragen ihn. Er hat uns eh schon gesehen." Der Mann macht zwei Schritte an seinem Kameraden vorbei nach vorn und tritt ins Licht des Lagerfeuers. Grimnir knurrt wieder, was den Neuankömmling ängstigt, aber nicht vertreibt.
Sanjan erkennt den Mann. Es ist einer der Soldaten mit Dejy-Blut, den er im Verlauf des Tages bereits gesehen hatte. Der Mann trägt sein Haar zwar hauptsächlich kurz, hat jedoch hinten zwei dünne, fest geflochtene Zöpfe, die gut drei Handbreit am Rücken herunterhängen. Auch der Bart ist an beiden Seiten zu Zöpfen geflochten - je eine halbe Handbreit lang. In seinem linken Ohr steckt ein kurzer Messingstift mit rundem Kopf Er trägt die Uniform des Heeres, doch diese Insignien, sowie der dunkle Hauttaint und die pechschwarzen Haare weisen ihn als einen Dejy aus. Sanjan überlegt, ob er den Stamm des Mannes anhand der Zeichen benennen kann.
[1] Da spricht ihn dieser auch schon an.
"
Guten Abend, Schamane. Ich und mein Freund hier" - er deutet mit der Hand nach hinten in die Schatten, aus denen sich sein Kamerad gerade zaghaft zu schälen beginnt - "
wir sind auch von Dejy-Blut. Jedenfalls dachten wir... da es eine Schlacht geben wird, da dachten wir..." Der Mann bricht ab, weiß nicht, wie er seinen Satz beenden soll. Da fällt ihm sein Kamerad - eine Halskette und Reif am Handgelenk, beides aus Knochen, sind seine Stammeszeichen - ins Wort: "
Wir dachten, du könntest uns vorbereiten. Segnen oder ein Ritual durchführen. Wie es üblich ist."
Die beiden Männer sind nervös. Den Worten ist zu entnehmen, dass sie nie unter ihren Stämmen gelebt haben. Die Zeichen sind wohl das, was sie sich aus lückenhaften Erzählungen zusammengeklaubt haben. Sanjan kennt viele solcher
Schuheträger. So nannte man in seinem Stamm Dejy, die bereits zu lange unter Dörflingen und Städtern gelebt hatten, um sich an das Stammesleben zu erinnern, oder gar dort geboren worden waren. Die meisten lebten dann auch als Dörflinge und Städter und verstellten sich nicht - so ja auch Jaresh Dorguln zum Beispiel. Doch einige versuchten sich als Dejy aufzuführen, ohne etwas über die wahre Natur ihrer Stämme zu wissen - die
Schuheträger eben, die nie gelernt hatten, barfuß durch die Steppe zu laufen, und es daher auf Sohlen und platten Füßen versuchten.