Soldat 7285
Kapitel 1 - ErinnerungenDicke Bluttropfen fielen vor Soldat 7285 auf den Boden und bildeten ein scharlachrotes Rinnsal, welches sich wie ein Fluss zwischen einzelnen, verkohlten Grasbüscheln wand und schließlich in einen Stiefelabdruck floss. Um den knapp zwei Meter großen Ambacti herum tobte der Krieg weiter aber er achtete gar nicht mehr auf die donnernden Geräusche der Gewehre, die von Schmerzensschreien beantwortet wurden. Selbst vor roher Magie knisternde Feuerbälle, die sich in Soldatengruppen gruben und diese brennend durch die Luft schleuderten, ignorierte er. Der Mann stand einfach nur da, fasste sich wie in Zeitlupe an seine Stirn und senkte blutbefleckte Finger vor seine blauen Augen.
Dass es sein Blut war, das vor ihm eine kleine Pfütze in dem Stiefelabdruck bildete, entlockte ihm kaum eine Reaktion. Auch als Mitglieder seines Trupps, mit lautem Geschrei, nach vorne in den Kampf stürmten und er ebenfalls den Drang verspürte, sich in Bewegung zu setzen und sein krampfhaft in der Hand gehaltenes Gewehr zum Einsatz zu bringen, bewegte er sich kein Stück. Er widerstand diesem Drang; dem Befehl, der ihm gegeben wurde. Zum ersten Mal, seitdem er erschaffen worden war, konnte Soldat 7285 etwas anderes tun, als zu gehorchen und zu töten.
Das war neu für ihn. Er kniff seine Augen zusammen, runzelte die Stirn und trat probeweise einen Schritt nach vorne, nur um dann zwei Schritte rückwärts zu gehen. Er hob seinen Arm und fuhr sich mit der Linken über seine haarlose Kopfhaut. Er konnte spüren, wie das Blut seine blasse Haut rot färbte und anfing, darauf zu trocknen.
Erst als keine Zehn Meter neben ihm ein Feuerball in den Boden einschlug und die Hitze der Explosion seine Haut verbrannte, drehte sich der Soldat um. Er sah dabei zu, wie seine Brüder ihre Waffen nachluden und an ihm vorbei, nach vorne in den Krieg stürmten. Dampfbetriebene Stahlkolosse spuckten schwarze Dampfschwaden in den Himmel und bombardierten das Schlachtfeld mit todbringenden Explosionen. Hunderte, ja tausende andere Ambacti hatten sich auf dieser Ebene gesammelt, um gegeneinander in den Krieg zu ziehen und für ihre Meister zu sterben.
Soldat 7285 trat einen Schritt nach vorne. Als er noch vor wenigen Minuten auf das Schlachtfeld gestürmt war, hatte er keinen Gedanken daran verloren, dass er niemals hätte wiederkehren können. Vermutlich wäre er wie seine Brüder einfach von Kugeln zerfetzt oder von roher Magie verkohlt, zersetzt oder völlig aufgelöst worden.
Doch das hatte sich geändert, als ein Fremder auf ihn zugekommen war und ohne zu zögern mit einer Klinge auf seine Stirn gezielt hatte. Er war wie aus dem Nichts vor ihm aufgetaucht. Ein Mensch. In die gleiche, nichtssagende Uniform wie alle anderen Soldaten gehüllt aber abgesehen von dem kleinen Dolch in seinen Händen, war er nicht bewaffnet gewesen. So schnell er aufgetaucht war, so schnell war er auch wieder in dem Kampfgetümmel verschwunden. Er hatte nur drei Worte gesagt und doch würden Soldat 7285 diese Worte für immer verfolgen und sein Leben verändern.
"Du bist frei." Der Ambacti lief, seine blutende Stirn völlig ignorierend, noch einen Schritt auf die Armee hinter sich zu. Dann noch einen. Er verfiel in einen recht schnellen Gang und stieg über tote Brüder hinweg, die seinen Weg in die Freiheit pflasterten. Er lief über blutgetränktes Gras immer weiter auf ein neues Leben zu. Ehe er sich versah, rannte er. Er rannte um sein neu gewonnenes Leben. Vorbei an uniformierten, mit Gewehren bewaffneten Ambacti. Vorbei an dampfbetriebenen Belagerungsmaschinen. Weg vom Krieg und hinein in eine Welt, die er nicht kannte und die ihn bis vor wenigen Minuten kein bisschen interessiert hatte. Er rannte so lange, bis er nicht mehr wusste wo er war und die Geräusche der Schlacht verstummt waren. Doch dort stoppte er nicht. Er rannte noch weiter. Hinauf auf steinige Berge und hinab in sumpfige Täler. Durch Wälder und über Steppen. So weit, bis die Haut in seine Stiefeln Blasen warf und ihn seine Beine nicht mehr tragen konnten. Selbst dann kroch der ehemalige Soldat noch über den grasbedeckten Boden. Bis die Erschöpfung ihn umarmte und in die Dunkelheit hinabwarf.
Kapitel 2 - Ein freudiges ErwachenDie Dunkelheit, die sich wie ein Schleier um den ehemaligen Soldaten gelegt hatte, löste sich langsam auf und hinterließ lediglich tiefe Verwirrung und Schmerzen. Ein unangenehmes Stechen im Kopf war das Erste, dass der Ambacti bemerkte, als er erwachte und die Kontrolle über sich selbst zurückerlangte. Doch das war nicht alles. Sein gesamter Körper fühlte sich an, als wäre vor dem Krieg nicht weggerannt, sondern auf dem Schlachtfeld von einem der riesigen Stahlkolosse überrollt worden. Als er sich auf dem Boden zur Seite drehte, bemerkte er auch, warum er sich so fühlte. Er befand sich nicht mehr auf der Wiese, auf der er ohnmächtig geworden war, sondern auf irgendetwas hartem. Zögerlich öffnete er seine verklebten Augen und erkannte, dass er auf einem mit Steinen gepflasterten Weg lag. Einige Zentimeter vor seinem Gesicht hatte jemand seinen Körperinhalt auf dem Boden verteilt. Überall um ihn herum lagen Abfälle und Müll auf dem Boden. Leere Flaschen, Kartons, aufgeweichte Zeitungen, ein altes Hemd, verrottende Essensreste und ein ganzer Haufen Müllsäcke.
"Scheiße." murmelte der Ambacti. Dann erinnerte er sich an das, was passiert war und fasste sich an seine Stirn. Doch als er die Finger vor sein Gesicht hob, sah er kein Blut. Er atmete erleichtert aus aber bemerkte schnell, dass die Schmerzen nicht sein einziges Problem waren. Er konnte kaum einen sinnvollen Gedanken fassen, geschweige denn herausfinden wer und wo er war. Das Letzte, an das er sich erinnerte, war seine Flucht vor dem Krieg. Stundenlang war er gerannt und dann hatten ihn auf einer Wiese seine Kräfte verlassen. War er vielleicht doch noch weiter gelaufen und konnte sich nur nicht daran erinnern? Hatte er sich in eine Stadt gerettet und war in irgendeiner Gasse zusammengebrochen?
Ein quietschendes Geräusch ließ ihn herumfahren, was sein Kopf mit heftigem Stechen beantwortete. Nur wenige Meter entfernt hatte sich eine alte Holztür geöffnet und gab den Blick auf eine imposante Gestalt frei, die einen Müllsack auf einen bereits beachtlichen Haufen Abfälle warf. Wahre Muskelberge spannten sich überall unter der Kleidung dieses über zwei Meter großen Mannes. Trotzdem schien er es nicht darauf angelegt zu haben, mit seinem Aussehen zu protzen, denn ein schlichtes weißes Hemd, eine braune, weite Baumwollhose und Schiebermütze auf seinem sonst kahlen Kopf, ließen ihn nicht besonders gefährlich wirken. Die wenige Haut, die der Mann zeigte, war erstaunlich blass - fast weiß - und vollkommen haarlos. Langsam aber sicher krochen einige Erinnerungen zurück in den benebelten Geist des ehemaligen Soldaten. Der Mann, der gerade aus dem Haus getreten war, musste ein Ambacti sein - so wie er selbst. Der kräftige Körperbau und die weiße, haarlose Haut waren Merkmale, die alle Ambacti gemein hatten. Schließlich erfüllte Körperbehaarung oder eine gebräunte Haut im Krieg keinerlei Zweck.
Erst als sich der Mann umdrehte und sich kurz in der Gasse umsah, entdeckte er den auf dem Boden liegenden Ambacti. Er drehte sich zu ihm um und sah ihn aus zwei kleinen, stahlblauen Augen an. Doch was den ehemaligen Soldaten viel mehr interessierte, als die Augen oder das Gesicht des Mannes, war die Narbe auf seiner Stirn. Instinktiv griff er sich ein weiteres Mal an die Stirn und entdeckte eine kleine Erhebung auf der glatten Haut, die er vorher nicht bemerkt hatte. Es gab zwar keinen Spiegel in der Nähe aber er war sich sicher, dass dort ebenfalls eine Narbe prangte. Als ob diese Erkenntnis einen Hebel in seinem malträtierten Geist umgelegt hätte, fegten weitere Erinnerungen und Erkenntnisse wie ein Wirbelsturm über ihn hinweg.
Natürlich! Die Narbe! Der Beweis dafür, dass die magische Rune auf seiner Stirn zerstört worden und damit die Kontrolle über ihn gebrochen worden war. Diese Narbe war überhaupt erst der Grund dafür, dass sich er und der andere Ambacti wo anders als auf dem Feld des Krieges befanden und nicht bereits als Kanonenfutter geendet waren. Er war nicht mehr Soldat 7285 und das schon viele Jahrzehnte lang. Der Krieg war vorbei und auf Prim Ultem, der Welt auf der er lebte, hatte sich eine Zeit des Friedens, des Aufbaus und des Entdeckens entfaltet. Niemand hatte mehr die Kontrolle über ihn. Er war nicht mehr wie die gesichtslosen, für den Krieg gezüchteten Ambacti von damals. Er hatte eine Persönlichkeit. Ein Leben. Einen Namen.
"Was machen sie noch hier? Ich habe ihnen schon vor einer Stunde gesagt, dass sie ihren Rausch woanders ausschlafen sollen, Mister Suprest." ertönte plötzlich die tiefe Stimme des anderen Ambacti und riss Robert damit aus seinen Gedanken. Rausch? Hatte er etwa getrunken? Sein Blick fiel auf das Erbrochene vor ihm auf dem Boden.
"Scheiße." murmelte er abermals. Jetzt wurde ihm auch klar, wieso er in einer dreckigen Gasse neben Abfällen lag und kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Auch seine Verwirrung und die Erinnerungen an den Krieg erklärten sich damit von selbst. Er hatte lediglich von seiner richtigen Geburt geträumt. Nicht von dem Tank, in dem er das erste Mal das chemische Licht einer unterirdischen Anlage gesehen hatte, sondern von dem Moment, an dem er die Kontrolle über sich selbst und damit ein richtiges Leben erlangt hatte. Vorsichtig hob Robert seine Hand und strich sich über sein Gesicht.
"Ist ja schon gut. Nicht so laut." war das Einzige, das er erwidern konnte. Es fühlte sich an, als würden die Worte wie zäher Honig aus seinem Mund tropfen. Das Stechen in seinem Kopf wurde dadurch nur noch stärker. Er stützte sich mit beiden Händen am Boden ab und richtete sich langsam auf. Sofort kamen Schwindelgefühle über ihn und sein Magen fing an zu revoltieren.
"Nicht schon wieder..." Doch er konnte nicht anders und übergab sich ein weiteres Mal - direkt vor den Augen des Wirtes. Mehr als ein lautes Würgen und Husten entrang sich seiner Kehle allerdings nicht, worauf Robert in diesem Moment sogar etwas stolz war. Der Wirt sah das wohl anders und kam stampfend auf ihn zu.
"Jetzt ist aber wirklich genug." rief dieser wütend. Robert konnte gerade noch schützend die Hände vor sein Gesicht halten, als er fest an den Schultern gepackt und anschließend durch die Gasse geschleudert wurde. Die Welt fing an sich um sich selbst zu drehen und zu den Schmerzen und dem Schwindelgefühl, die Robert sowieso schon das Leben erschwerten, gesellte sich jetzt auch noch Orientierungslosigkeit. Hätte er nicht so einen Kater, dann würde er sich verteidigen können aber so blieb ihm nichts anderes übrig, als sich selbst zu schützen und wie ein Spielball durch die Gasse geschleudert zu werden. Er traf auf einen Müllhaufen und verteilte allerlei Abfälle durch seinen Aufprall noch weiter in der kleinen Gasse. Der Gestank von schimmligen Tomaten und Zigarettenstummeln stieg dem ehemaligen Soldaten in die Nase. Dieses Mal konnte er verhindern, sich zu übergeben. Sicherheitshalber blieb er im Dreck liegen. Als sich die schweren Schritte des Wirts langsam entfernten und dieser die quietschende Tür mit voller Kraft in das Schloss warf, atmete Robert erleichtert aus. Er gönnte sich etwas Erholung und richtete sich dann wieder auf. Die Nachricht war überdeutlich angekommen und er hatte keine Lust, dem Wirt später noch einmal zu begegnen.
Robert suchte Halt an der Backsteinwand, in dessen Nähe er im Müll lag und zog sich unter Schmerzen nach oben. Schließlich fing er an, aus der Gasse zu torkeln. Ganz langsam. Jeder Schritt wurde von einem schmatzenden Geräusch begleitet, als er in Unrat und Abfall trat.
Kapitel 3 - Ein unerreichtes ZielSchwankend lief Robert zum Ende der Gasse und schirmte seine Augen vor dem hier einstrahlenden Sonnenlicht ab. Mit tränenden Augen und pochenden Kopfschmerzen versucht er zu erkennen, wo er sich befand. Er wollte einfach nur noch nach Hause und in Ruhe seinen Rausch ausschlafen aber dafür musste er erst einmal den richtigen Weg finden. Die Gasse, in der er sich befand, endete am Rande einer breiten, gepflasterten Straße, die sich, soweit er sehen konnte, links und rechts von ihm, zwischen den Häusern der Stadt erstreckte. Hunderte gleich aussehende Bauten reihten sich am Rande der Straße aneinander und immer wieder waren schmale Seitenstraßen und Gassen zu sehen, die tiefer in die Eingeweide der Stadt führten.
Robert schüttelte langsam den Kopf, als er die Gebäude betrachtete. Gepflegte, mehrstöckige Stuckbauten mit riesigen Schaufenstern, in denen man die neuste Mode, exquisite Lebensmittel oder einzigartige, technische Bauwerke betrachten konnte. Das war nicht seine Welt. Er wusste nicht, was ihn in dieses Viertel getrieben hatte aber fühlte sich hier fehl am Platz. Dieses Gefühl verstärkte sich nur, als er die Personen betrachtete, die an ihm vorbei, die Straße entlang liefen. Dabei war es egal, ob es sich um Menschen, Ambacti, Gezeichnete oder sogar Gilryn handelte - sie alle besaßen ganz offensichtlich etwas, dass Robert nicht hatte. Geld. Man sah es ihnen schon von weitem an, wie sie mit ihren teuren Anzügen oder meterbreiten Kleidern die Straße entlangstolzierten und sich voreinander aufplusterten. Wie sie Pfeife rauchend Interesse an sündhaft teuren Ausstellungsstücken in den Schaufenstern der Geschäfte bekundeten und diese nur kaufen wollten, um sie zu besitzen und damit anzugeben.
Der Ambacti spuckte auf den Boden und trat einige Schritte auf die Straße, wo er auch sogleich von einem zwei Meter großen Gilryn angerempelt und zur Seite gestoßen wurde.
"Pass doch auf." murmelte Robert. Doch der Steinmensch schien ihn nicht zu hören.
"Umso besser für ihn." dachte er sich heimlich. Noch einige Schritte ging er weiter und stellte sich vor das nächstbeste Geschäft, um das Glas als Spiegel zu benutzen. Zwei Favillafrauen liefen kichernd vorbei und zeigten dabei auf ihn. Sollten sie nur. Kein noch so teures Kleid konnte verstecken, dass sie darunter wie eine Brandleiche aussahen. Er hatte noch nie verstanden, wie man diese kleinen magischen Wesen attraktiv finden konnte. Für ihn sahen sie so aus, als wären sie vor kurzem aus einem brennenden Haus gerannt und hätten sich danach ein teures Kleid übergeworfen, um die verbrannte Haut zu verstecken. Favilla wurden nicht umsonst von vielen als Aschemenschen bezeichnet.
Robert hatte schon einmal die Gelegenheit gehabt, eine Favilla etwas... näher zu betrachten. Ihre Haut war dunkelgrau bis schwarz und sehr uneben und rau gewesen. Er erinnerte sich noch gut an das stetige Glühen, dass von ihren Adern ausgegangen war. Ihre Augen erinnerten ihn immer noch an glühende Kohlen und trotzdem hatte er darin eine feurige Leidenschaft sehen können, die er nie vergessen würde. Es schien fast so, als würde in den Eingeweiden der Favilla ein Feuer wüten. Selbst ihre Haare - meist orangene oder tiefrote, dicke Büschel - erinnerten an diese Tatsache. Doch das war nicht alles. Es war überall bekannt, dass die Aschemenschen eine Affinität zur sientanischen Feuermagie hatten. Um diese kleinen Wesen rankten sich so einige Mysterien und trotz ihrer seltsamen Natur, waren sie in der Gesellschaft akzeptiert. Einige lange Sekunden hing er in seinen Gedanken dem Favillamädchen Scintilla nach aber drehte sich dann schließlich um.
Die kichernden Frauen ignorierend, betrachtete Robert sich selbst im Glas des Geschäftes. Ein Mann mit scharfgeschnittenen Gesichtszügen blickte ihm ernst entgegen. Blutunterlaufene grüne Augen, tiefschwarze Augenringe, ein trockener, rissiger Mund und eine große Narbe auf der breiten Stirn machten keinen freundlichen Eindruck. Keine Haare. Zumindest musste er sich nicht rasieren, das hatte auch Vorteile. Außerdem war er nicht verletzt, also hatte er sich im Suff nicht mit irgendjemandem geprügelt. Noch ein kleiner Erfolg, den er sich zugute schreiben konnte.
Was ihn dagegen viel weniger erfreute, war das dreckige und mit allerlei Flecken und Erbrochenem übersäte Leinenhemd. Nur ungern würde er weiter damit durch die Stadt laufen aber er hatte nicht genug Geld, um sich in einem dieser extravaganten Geschäfte neu einkleiden zu lassen. Also musste er wohl oder übel damit leben.
Neugierde trieb ihn dazu, einen genaueren Blick in das Geschäft vor sich zu werfen. Es musste sich um eine Art Mechomaniker handeln, der hier seine Werke verkaufte. Überall waren Maschinen und allerlei Geräte aus Eisen, Stahl, Messing und Kupfer zu sehen. Einige Stücke wurden noch einmal extra in stahlverstärkten Vitrinen ausgestellt, an deren Decke ein Rohr angebracht war, welches die Abgase des dampfbetriebenen Mechanismus durch ein kompliziertes System in die Luft über die Stadt schleuderte. Es schien hier alles mögliche zu geben aber vor allem Dinge, welche den Alltag einer in Geld schwimmenden aber dennoch gelangweilten Person bereichern konnte.
Von Hobby- und Berufswaffen - wahrscheinlich für die Jagd oder das Schießen auf Wurfscheiben - über Küchengeräte, bis hin zu einem dampfbetriebenen Grammophon war fast alles vorhanden. Sogar ein Roboter, der vermutlich eine Art Butler war, stand fast bewegungslos in einer Ecke des Raumes. Er war eine Masse aus Zahnrädern, Rohren, einem riesigen Kohlekessel und fast einem dutzend verschieden langer Arme, an denen Instrumente und Hände befestigt worden waren. Robert wollte gar nicht wissen, was dieses ganze Zeug kostete - auch wenn es ihn durchaus für einige Augenblicke an das Schaufenster fesselte.
Schließlich wandte er sich von dem Geschäft ab und lief ein Stück die Straße entlang. Sein Blick streifte die Bar, in der er sich zur Besinnungslosigkeit besoffen hatte. Edle Holztäfelungen verzierten die Front des Gebäudes, während dicke, gelbliche Milchglasfenster einen Blick in das Innere versperrten. Als er den Namen des Gasthauses las, durchzuckte ihn die Erkenntnis wie ein Blitz. Natürlich! Er hatte hier eine Person treffen wollen, die versprochen hatte, ihm einige Fragen zu beantworten und Informationen zu liefern. Ein Gezeichneter Namens Aláru, der niemals aufgetaucht war. Entweder hatte ihn diese Tatsache derart deprimiert, dass er zu trinken angefangen hatte oder er hatte die Situation nutzen und sich einige der edlen Tropfen dieses Etablissements gönnen wollen. Letzteres war eher unwahrscheinlich, da er gar nicht das Geld hatte, um feinen Brandy aus Yechos Weiten oder Vorkriegsrum aus dem Inselkönigreich Rho'tis zu trinken. Wahrscheinlich hatte er einfach das billigste Bier getrunken, dass sie dort verkauft hatten.
Das hatte er also davon, wenn er Fremden vertraute. Einen Kater und vollgekotzte Kleidung. Er hätte es besser wissen müssen.
Die ihm zugeworfenen, angewiderten Blicke ignorierend, überlegte Robert wie es nun weiter gehen sollte. Entweder er konnte jetzt nach Hause gehen und morgen noch einmal einen Versuch starten oder er machte sich noch jetzt auf die Suche nach diesem Aláru. Wenn er an sich heruntersah, war zumindest ein kurzer Besuch in seiner Wohnung angebracht, um die Kleidung zu wechseln und zu duschen. Ja, das wäre jetzt genau das Richtige.
Kapitel 4 - Begegnung des SchicksalsDas hörte sich endlich mal nach einem Plan an. Robert hatte genug davon, sinnlos in der Gegend herumzustehen, ausgelacht zu werden und sich selbst in einem Schaufenster zu bemitleiden. Kater hin oder her - er musste etwas tun und eine Dusche in Verbindung mit neuer Kleidung, würden einen neuen Menschen aus ihm machen. Allein bei der Vorstellung seufzte er entspannt. Er wandte sich also von der Bar ab und machte sich auf den Weg.
Zuerst musste er herausfinden, wo genau er gerade war. Den reichen Personen, exotischen Waren in den Schaufenstern und luxuriösen Gebäuden nach zu urteilen, musste er sich im Handelsviertel von Vorendal befinden. Dort, wo jeder ehrgeizige Geschäftsmann irgendwann landen wollte. Ein Stadtteil von der Oberschicht, für die Oberschicht. Hier waren die blaublütigen Geldsäcke unter sich und waren von dem Einfluss der normalen Bevölkerung geschützt. Normalerweise zumindest. Wie er es hierher geschafft hatte, war ihm immer noch ein Rätsel. Die Wachen hätten ihn niemals durch die Tore gelassen. Das war allerdings etwas, um das er sich später Gedanken machen musste. Erst einmal, musste er wieder hier herauskommen. Da er nicht wusste, wie er es überhaupt hierher geschafft hatte, würde das sich durchaus als schwer erweisen. Eine echte Herausforderung also. Genau das Richtige, nachdem man sich bis zur Besinnungslosigkeit besoffen hatte.
Dumm herumzustehen und blöd angeglotzt zu werden, brachte ihn allerdings auch nicht weiter. Vielleicht brachte ihn ein bisschen Bewegung auf neue Ideen und verscheuchte den Kater. So wandte sich Robert schließlich einer Gasse zu, die gegenüber der Bar lag und weiter in die Stadt führen musste. Ungeachtet der vielen Personen und der ein oder anderen dampfbetriebenen Kutsche, die sich hier anscheinend größter Beliebtheit erfreuten, lief er quer über die Straße auf die Gasse zu. Er ignorierte dabei die Blicke, die ihm zugeworfen wurde, so gut es ging. Doch immer mehr Leute drehten sich zu ihm um und sahen ihn an. Nein, das stimmte nicht wirklich. Sie sahen an ihm vorbei. Die Straße hinauf. Als sich Robert umdrehte und in die gleiche Richtung blickte, erkannte er auch den Grund dafür. Ein beklemmendes Gefühl machte sich in dem Ambacti breit und den Gesichtern der anderen Personen, um ihn herum zu urteilen, war er mit diesem Gefühl nicht alleine.
Ein ganzer Trupp uniformierter Menschen marschierte die Straße herunter. Es mussten ungefähr ein Dutzend Soldaten sein, die im Gleichschritt und in Zweierreihen vor einer dampfbetriebenen Kutsche herliefen. Als sie ein Stück näher kamen, erspähte Robert auch noch mindestens ein weiteres Dutzend, dass hinter der Kutsche zu marschieren schien. Jetzt war der Ambacti neugierig geworden und wartete, bis er diese Prozession genauer in Augenschein nehmen konnte. Alle Menschen waren in eine dunkelblaue Uniform gekleidet, die aus einer Baumwollhose, festen, schwarzen Stiefeln und einem Mantel bestand. Auf dem Mantel befanden sich außerdem drei weiße Striche, die sich von etwa unterhalb des Herzens, bis oberhalb der Knie zogen. Auch die Bewaffnung war nicht zu übersehen - wenn sie auch etwas seltsam anmutete. Robert kannte sich aufgrund seiner Vergangenheit recht gut mit Waffen aller Art aus aber diese hier hatte er noch nie gesehen. Die Gewehre der Soldaten wiesen zwei Besonderheiten auf. Zum Einen war da eine Art Draht oder Schlauch, der direkt mit dem Verschluss der Waffe verbunden war und irgendwo hinter den jeweiligen Soldaten führte und zum Anderen waren um den Lauf des Gewehrs zahllose Spulen gewunden. Konnte es sein, dass es sich hier um modifizierte Vorkriegstechnologie handelte? Robert hielt den Atem an und blickte jetzt angestrengt auf die dampfbetriebene Kutsche. Leider wurde ihm der Blick auf in das Führerhaus durch dicke Stahlwände versperrt. Fenster besaß diese Kutsche auch nicht. Bei genauerer Betrachtung erinnerte sie eher an eine rollende Festung, denn an eine normale Kutsche.
Das alles konnte nur eines bedeuten: Hinter diesen Stahlwänden saß ein Qua'kal-Fürst. Einer der mächtigsten Menschen dieser Welt. So nah war Robert einem Qua'kal noch nie gekommen, was vermutlich daran liegen mochte, dass sie normalerweise unter sich und in ihren Enklaven auf den fliegenden Inseln blieben. Der Blick des Ambacti ging unwillkürlich in die Höhe. Dort konnte er mehrere dieser schwebenden Felsbrocken sehen, die über die Länder flogen und das Land unter sich für eine Weile in Dunkelheit tauchten. Nur ein kleiner Teil dieser - teilweise kilometergroßen - Inseln war tatsächlich bewohnt. Man wusste allgemein nicht besonders viel darüber und Robert noch weniger, was daran lag, dass die Qua'kal jegliche Versuche, die Inseln zu erforschen, verhinderten. Sie waren die unangefochtenen Herrscher des Himmels, was vor allem daran lag, dass sie Vorkriegstechnologie besaßen und das sie zu den mächtigsten und talentiertesten Hexern und Magiern auf ganz Prim Ultem gehörten. Die Qua'kal waren Überlebende des Krieges, die die Gunst der Stunde genutzt hatten, um einen Vorteil aus dem Leid anderer zu ziehen. Heute kontrollieren sie den Großteil der bekannten Welt. Für sie sind die Menschen, Gilryn, Favilla, Ambacti und Gezeichneten auf dem Erdboden nicht viel mehr als ein Haufen jämmerlicher Sklaven. Robert spuckte auf den Boden. Er hasste diese Menschen. Mit dieser Einstellung war er nicht allein aber gerade hier, unter erfolgreichen Geschäftsleuten und Männern und Frauen des edlen Geblüts, gab es viele, die den Qua'kal nicht nur Respekt und Ehre entgegenbrachten, sondern ihnen regelrecht in den Arsch krochen, um ihre Position noch weiter zu verbessern.
Robert wandte sich ab und verließ die Straße. Er hatte keine Lust, sich jetzt auch noch mit Qua'kal anzulegen. Es gab genug zu tun und wenn er mehr erfahren wollte, durfte er sich nicht mehr ablenken lassen. Mit einigen schnellen Schritten verschwand er in einer Gasse der Stadt und begann damit, seine Pläne in die Tat umzusetzen.