Talahan, von drei Leuten gleichzeitig angesprochen, weiß gar nicht, auf wen er zuerst antworten soll, da zieht Freydis ihn mit spitzen Fingern am Ärmel Richtung Ausgang zum Hof—er lässt es geschehen, vielleicht weil er denkt, sie wolle ihm etwas wichtiges zeigen—doch statt dessen überschüttet sie ihn auf halbem Weg dorthin mit einem Schwall Wasser.
"Ähm", sagt der Gotteskrieger. Und nach einigen Schreckmomenten dann:
"Danke." Der Blick, den er ihr zuwirft, als er sich umdreht und zu den anderen zurückkehrt, ist allerdings misstrauisch, ein wenig auch missbilligend. Zumindest interpretiert Freydis sein Stirnrunzeln so.
Abdo hat die Ablenkung Talahans genutzt, um einen Blick in das verwüstete Skriptorium zu werfen. Sofort sieht er, was Aeryn mit "die Monster verspritzen dieses widerliches Zeug, wenn sie sterben" meinte: das Wesen, das ihnen als Bruder Edgar präsentiert wurde, schien es regelrecht auseinandergerissen zu haben und in einem Umkreis von zwei Schritt um die Hauptmasse seiner Überreste herum war alles mit einem dunklen, teils ölig glänzenden Schleim bespritzt. Die anderen sechs "Mönche" zeigen dieses Phänomen aber nicht; sie sind lediglich säuberlich in Stücke gehauen worden oder ihnen wurde der Schädel eingeschlagen (ohne, dass sich menschliches Gedärm oder Hirn erkennen ließe) oder von Pfeilen durchbort. Einer zeigt keine äußeren Verletzungen, außer dass ihm eine zähflüssige, orangerote Flüssigkeit aus den Ohren läuft.
"Pilzwesen?" spricht Talahan dann aus, was Abdo denkt, als sie beide zu den anderen zurückkehren.
"Wir kommt Ihr auf Pilzwesen, Aeryn? Aber was Euren Vorschlag angeht... hm, einerseits wären wir im Hof exponiert, andererseits, je nachdem, wie die Lage sich darstellt... einen anderen Fluchtweg haben wir nicht. Ich frage mich, wo die ganzen Mönche hinsind. Ich meine, wieviele davon jetzt... grundgütiger Gott, lass es nicht alle sein! Wenn es alle sind, dann sollten wir schnell hier raus. Sonst sehen wir uns gleich..."—er überschlägt kurz im Kopf, mithilfe einiger Finger—
"von an die hundert Parasiten umstellt."Er überlegt kurz, dann ergänzt er etwas hoffnungsvoller:
"Vielleicht konnten einige Brüder entkommen? Es wirkte doch auf den ersten Blick alles so verlassen hier, vielleicht ist es das auch? Warum hat es dann keiner bis nach Ansdag geschafft? Oder halten sich bloß alle versteckt? Vielleicht macht ihnen das Tageslicht zu schaffen und wir wären draußen sicherer als drinnen. Bis zum Sonnenuntergang. Also gut, aber lasst uns erst einmal zur Krankenstube vor, wie Aeryn vorschlägt. Alles ist besser, als hier herumzustehen, und dann können wir immer noch entscheiden", endet er mit einem Nicken in Richtung Abdo, welcher vorgeschlagen hat, den verräterischen Jarus wie auch den Abt zu suchen.
Lîf derweil hat nur Augen und Ohren für Tristan. Zunächst untersucht sie seine Verletzung. Die vor kurzem erst gerichtete Nase: schon wieder zerschlagen! Der Kiefer auch, gar ein offener Bruch. Das wird wehtun. Doch sie zögert nicht lange. Bevor sie die Große Mutter bitten kann, durch sie hindurch die alles erneuende Kraft der Natur in Tristans Körper fließen zu lassen, müssen die Dinge in die Position gebracht werden, in der sie verheilen sollen: erst die Nase, dann der Kiefer. Tristan bemüht sich sehr, keinen Laut von sich zu geben—was ihm umso besser gelingt, als er nach ungefähr der halben Prozedur das Bewusstsein verliert. So, geschafft, was nun? Ein Zahn locker, der muss nur zurechtgerückt werden, aber zwei rausgeschlagen? Schon will Lîf aufspringen und diese im Nebenraum suchen, da bemerkt sie, dass Tristans Hand zur Faust geschlossen ist. Nachdem sie seine Finger einzeln aufgebogen hat, entdeckt sie tatsächlich die fehlenden Stücke. Nun, es ist ja nicht das erste Mal, dass sie ihm Zähne wieder einsetzen muss; er kennt sich aus. Hurtig eingesetzt und schon begutachtet sie ihr Werk ein letztes Mal, bevor sie dann ihre Göttin um Hilfe bittet.
[1]Tristan kommt wieder zu sich.
"Lîf", murmelt er, während seine Hand die ihre sucht.
"Lîf, du er der... du er ikke ... er ikke.. de fyre har dig ikke..."[2] Die Worte sind kaum zu verstehen, denn er bewegt den Mund nur so wenig wie möglich. Das Sprechen scheint ihm noch wehzutun. Dann weiten sich seine Augen plötzlich und sein Blick zuckt zu Hjálmarr. Lîf erinnert sich, vorhin mit halbem Ohr dessen Vorschlag gehört zu haben, Tristan und sie sollten doch ins Dorf zurückkehren, hier wären eine Schwangere und ein Verletzter nur eine Last für die Gruppe. Nun, dazu ist eigentlich nichts mehr zu sagen, denn sie hat ja wohl gerade das Gegenteil bewiesen: dass sie hier sehr wohl etwas beizutragen hat, und Tristan, nach ihrer Hilfe, auch. Hoffentlich fängt Tristan jetzt keinen Streit an! Sie drückt ihm beruhigend die Hand. Sein Blick kehrt zu ihr zurück, unverändert erschrocken.
"Du musstest dich zur Wehr setzen? Bist du verletzt? Was haben die Schweine dir angetan?"