Archiv > Ein Königreich für Erastil

Das Abenteuer beginnt

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Blutschwinge:
Die Stadt Macridi liegt inmitten des Palakar-Waldes in Druma. Marci ist eine Holzfällerstadt und die meisten Gebäude sind Werkstätten oder einfach Wohnhäuser. Der Tempel Erastils in der Stadt ist nicht gleich zu entdecken, denn er liegt etwas abseits der Stadt. Aber alle Einheimischen können den ankommenden Abenteurern den Weg weisen.

Der Tempel ist ebenfalls kein sehr beeindruckendes Gebäude sondern ein einfaches dreistöckiges Blockhaus inmitten eines großen Gartens. Als die Ankommenden sich nähern werden sie von den lauten Rufen einiger Eichelhäher begrüßt und angemeldet, denn kurz darauf erscheint ein junger Mann an der Pforte des Tempels und bittet die Gäste hinein. Er führt sie in einem Raum neben dem Andachtsbereich und bittet sie, noch einen Moment zu warten. Erthoran werde bald kommen. Auf einem Tisch stehen Karaffen mit Wasser und Wein, eine schale mit Früchten und eine mit Brot. Dazu Holzbecker und –schalen. In dem Raum stehen mehrere hölzerne Lehnstühle und Holzbänke, aber keine Tische.

Mit der Zeit füllt sich der Raum mit der Zeit, bis acht sehr unterschiedliche Gäste angekommen sind.

Ponzio:
Ponzio rieb sich seinen Allerwertesten, während er sein Pferd Tebaldo durch die Straßen Macridis führte. Nach drei Monaten, in denen er einmal quer durch den Kontinent gereist war und dabei beinahe täglich von früh bis spät geritten war, freute er sich darauf, nun endlich eine Pause einlegen zu können. Eine Reise, die selbst junge Menschen an ihre Grenzen bringen würde - in seinem Alter war sie eine wahre Qual gewesen, und er zweifelte daran, ob sein Rücken je wieder aufhören würde zu schmerzen. Doch zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte er sich einigermaßen sicher: Bis hierhin würden ihm die Häscher des Kastellan sicherlich nicht gefolgt sein, und der Bart, den er sich seit dieser Zeit hatte stehen lassen, hatte inzwischen eine Länge erreicht, die es jedem schwer machen würde, Ponzio als den falschen Freyr Darkwine aus Trollheim zu identifizieren.

Seine Reise - oder besser gesagt seine Flucht - hatte ihn mehr als 1500 Meilen weit aus dem kalten Norden bis zum Encarthansee geführt, und erst als er Kerse erreicht hatte, eine Stadt, in der er als junger Mann bereits einmal einige Monate verbracht hatte, hatte er begonnen, sich über seine unmittelbare Zukunft nähere Gedanken zu machen. Sicher, lange Tage hatte er im Sattel gesessen und sich Vorhaltungen über die zahlreichen schlechten Entscheidungen gemacht, die er in seinem Leben getroffen hatte und die ihn auf die Bahn geführt hatten, von der er nun wieder auf den rechten Pfad abbiegen wollte. Selbst Semiramis hatte ihm die Gefolgschaft verweigert und ihn verlassen; spätestens das hatte ihm die Augen geöffnet, zu was er geworden war. Doch außer dem Vorhaben, ein besserer Mensch zu werden, waren seine Pläne unklar.
Der Aufenthalt in Kerse jedoch und die Rückkehr an Orte aus seiner Jugend hatten seinen Lebensmut zurückgebracht, wobei die Tatsache, dass Ponzios finanzielle Mittel sich langsam erschöpften, wohl ebenfalls einen Beitrag dazu geleistet hatten, sich das Gesuch der Kirche Erastils etwas genauer anzusehen.

Letztendlich hatte die Aussicht, weit weg von größeren Städten zu wirken und damit von den diversen Versuchungen, denen der Magier in der Vergangenheit immer wieder erlegen war, dazu geführt, dass er sich von den Gottesmännern anheuern ließ und so schließlich hier in Macridi gelandet war. Wie zur Bestätigung tasteten seine Finger nach der Flasche Absinth, die in Tücher eingewickelt in seinem Rucksack ruhte. Warum er sie mit sich trug, wusste er selbst nicht genau. War es als Warnung, sich nicht wieder dem Geist des Alkohols hinzugeben, oder zur Beruhigung, dass er im Notfall doch auf die Reserve zurückgreifen konnte? Er hatte sich geschworen, nie wieder Alkohol anzurühren, doch er war sich bewusst, dass es nicht der erste Schwur dieser Art in seinem Leben war. Bisher hatte er noch jeden davon gebrochen - würde es diesmal wirklich anders ausgehen? Die Arbeit im Namen Erastils zumindest sollte ihm dabei helfen.

Den Erklärungen der Einheimischen folgend ließ er den Stadtkern hinter sich und näherte sich schließlich dem Tempel, der für ein Gotteshaus ungewöhnlich schlicht erschien. Ein junger Mann sah sich die Unterlagen an, die man ihm in Kerse ausgehändigt hatte, und war offenbar zufrieden damit, denn er führte Ponzio in einen Warteraum. Wenig überrascht stellte der Magier fest, dass er der erste war, der sich eingefunden hatte - schließlich war er deutlich vor der vereinbarten Uhrzeit erschienen. Er mochte es nicht, in eine Versammlung hereinzuplatzen, bei der die Teilnehmer sich bereits sozialisiert hatten, und so zog er es vor, möglichst immer zu früh zu solchen Terminen zu kommen.

Nachdem der junge Mann sich entschuldigt hatte, musterte Ponzio die Einrichtung, die passend zum Gebäude eher einfacher Natur war. "Wenn sie schon etwas hinstellen, wird es ja auch erlaubt sein, sich zu bedienen." Er füllte einen Becher mit Wasser, nahm sich eine Holzschale, die er mit Brot und Früchten füllte, und begann im Stehen zu essen - gesessen hatte er wahrlich genug - während er darauf wartete, wen es sonst noch hierher verschlagen würde.

Eronomion:
Es traf sich vorzüglich, dass er im Tempel des Erastil in Elidir den Hinweis auf dieses Treffen in Macridi gefunden hatte. Er war so oder so auf der Suche nach einem neuen Ziel gewesen und so hatte er nicht gezögert mit Alec eines der Bote zu besteigen und den Fluss hinab in Richtung Macridi zu fahren. Alec hatte das Ganze nicht wirklich sonderlich gut gefallen. Er war lieber auf festem Grund, aber das hätte zu lange gedauert um rechtzeitig am Ziel zu sein. Also musste er sich mit dem begrenzen Raum zufriedengeben.
Eronomion gab sich Mühe ihn bei Laune zu halten, auch wenn das nicht allzu leicht war, angesichts des doch eher langweiligen Ausblick und der mindestens genauso langweiligen Gesellschaft. Er hoffte, dass er bei diesem Auftrag ein bisschen mehr Unterhaltung bekommen würde, als auf der Reise. Er mochte Alec zwar, aber auf Dauer war es doch etwas anstrengend, dass er nie eine Antwort erhielt. Für gewöhnlich hatte Eronomion nicht allzu viele Probleme damit sich selbst reden zu hören, aber wenn es mehrere Tage dauerte wurde es dann doch langweilig.
Auf seiner Reise nach Macridi war er ziemlich allein auf der kleinen Fähre mit Alec und die wenigen Mitreinsenden waren dann doch eher uninteressant für ihn. Als dann endlich das Ziel erreicht war, war er im ersten Moment ein wenig enttäuscht. Er hatte sich doch sehr an Elidir und die großstädtische Atmosphäre gewöhnt und hier war alles kleiner, auch wenn die Stadt alles andere als ein Dorf war. Aber es würde wohl noch schlimmer werden, wenn er sich an den Ankündigungstext in Elidir erinnerte. In der Wildnis der Flusskönigreiche würde er wohl keine großen Städte finden. Aber was wollte man machen, es gab sicher auch dort interessantes zu erleben und die richtigen Menschen kennen zu lernen.
Wie alles andere in dieser Stadt war auch der Tempel des Erasthil wenig beeindruckend. Eronomion warf dem jungen Tempeldiener eine Goldmünze zu, als er eintrat und sagte dazu: “Kümmert Euch gut um Alec. Und seid nett zu ihm, er mag es nicht, wenn man ihn unfreundlich anspricht.“ Für einen Augenblick war der junge Mann verwirrt, dann erkannte er, dass Eronomion wohl von dem seidenschwarzen Pferd sprechen musste, das der junge Mann, der kaum ein oder zwei Jahre älter als der Tempeldiener, einfach unangebunden im Garten hatte stehen lassen – zwei mit allerlei Zeug beladene Satteltaschen inklusive.
Drinnen sah er sich kurz um, ging dann zielstrebig zu dem Tisch mit dem Essen und den Getränken, goss sich einen Becher Wein ein und sah sich dann um. Und grinste dann den alten Herren an, der dort mit seinem Becher und seiner Schale stand: “Ist ja wahrlich das blühende Leben, dieses Städtchen hier, was?“ Noch immer mit einem Lächeln auf den Lippen nahm er einen Schluck Wein und schaute den anderen Mann erwartungsvoll an.

Kivan:
Kivan hatte sich auf seiner Reise nicht beeilt, sondern die fremden Eindrücke, die er auf seinem Weg aus Taldor nach Druma gesammelt hatte, in aller Ruhe auf sich wirken lassen. Er hatte mit Erfreuen festgestellt, dass die Bewohner Macridis - obwohl sie ihr Auskommen im Wesentlichen mit Holz verdienten - nicht zum Raubbau neigten, sondern offenbar einen nachhaltigeren Ansatz gewählt hatten, der den Wald um die Stadt herum weitestgehend intakt gelassen hatte. Dem Halbelfen gefiel auch, dass der Ort eher schlicht und einfach gebaut war anstatt wertvolle Ressourcen auf unnötigen Prunk aufzuwenden. Trotzdem musste sich Kivan erst einmal an die Menschenmassen gewöhnen - etwas, dass ihm immer wieder schwerfiel, wenn er den Venduranwald länger nicht verlassen hatte.
Als er das Grundstück des Tempels betrat, bemerkte Kivan, dass er wie erwartet nicht der Erste war, der dem Ruf der Kirche des Alten Meisterschützen gefolgt war. Zufrieden lächelnd band er sein Pferd vor dem Gebäude an und grüßte wortlos den jungen Mann an der Pforte des Tempels ehe er sich in das Innere begab. Dort nickte er  den beiden Anwesenden freundlich zu, schenkte sich einen Becher Wein ein und ließ sich auf einer Bank nieder, von der aus er den ganzen Raum im Blick hatte.

Alyssa:
Neugierig betrachtete Alyssa den wirklich sehr schlicht gehaltenen Erastil-Tempel und ritt weiter darauf zu. Bisher hatte sie die Erfahrung gemacht, dass Tempel etwas größer und protziger als dieser waren aber es störte sie nicht weiter und zumindest der Garten war schön anzusehen. Sicherlich konnte sie sich noch ein oder zwei Minuten Zeit nehmen, sich zu entspannen und durch den Garten zu schlendern, bevor sie das Gebäude betrat. Nur wenige Momente später entdeckte sie auch schon drei Pferde und einen junge Mann, der sich um die Tiere kümmerte. Anscheinend war sie nicht die Erste und das, obwohl sie sich eigentlich nicht allzu viel Zeit gelassen hatte, hierher zu kommen. Sie stieg von ihrem Pony, tätschelte es noch einmal und überließ es mit einem dankbaren Nicken dem jungen Mann, der sich ihr genährt hatte.
Anstatt sofort in den Tempel zu gehen, begann die Hexe durch den Garten zu schlendern und ihre Gedanken zu sortieren. Schon sehr bald würde sie ein völlig fremdes Land bereisen. Das letzte Mal, dass sie das in einer größeren Gruppe getan hatte, hatte sie viel dazulernen können und außerdem Freunde gefunden. Unwillkürlich dachte sie an Meleanda, Irana, Bruder Yao und ihre Suche nach der verlorenen Jelenneth zurück. An all die Abenteuer, die sie zusammen erlebt hatten. Ja, sie hatte einige Erfahrungen sammeln können und freute sich darauf, nicht mehr alleine reisen zu müssen und ein neues Ziel im Blick zu haben.
Dennoch behielt sie ihr eigentliches Ziel im Blick - auch wenn sie bezweifelte, es hier in den Flusskönigreichen zu finden. Alyssa fühlte einfach, dass sich ihre Mutter nicht hier aufhielt. Sie konnte noch immer ihren fernen Ruf vernehmen - dieses unerklärliche, magische Gefühl, dass Alyssa zu ihrer Mutter zog - aber in den letzten Monaten war es ihr immer einfacher gefallen, diesem Ruf zu widerstehen und ihren eigenen Weg zu gehen. Wenn sie mit dieser Sache fertig war, konnte sie sich wieder auf die Suche machen. Nach ihrer Mutter und damit nach Antworten auf so viele Fragen. Sie setzte sich hin und öffnete ihren Rucksack. Sofort sprang eine braune Kröte heraus und landete neben ihr im Gras des Gartens. Behutsam nahm die Hexe die Kröte auf die Hand und hob sie hoch. Sofort kroch diese auf Alyssas Schulter und blieb dort stoisch sitzen.
Schließlich wandte sich die Hexe um und betrat nach kurzer Zeit den Tempel. Dass sie gerade einmal sechzehn Jahre alt war, konnte man ihr vermutlich nicht ansehen, da sie für eine Frau mit 1,73m recht groß gewachsen war. Trotz des krassen Gegensatzes, den ihre schwarzen, langen Haare und ihre extrem blasse Haut bildeten, waren es vermutlich ihre Augen, die am ungewöhnlichsten an ihr waren. Ihr rechtes Auge war grün, das linke allerdings blau. Bei einer Changeling wie ihr, war das allerdings völlig normal. Sie trug eine schwarze Tunika, einen schwarzen Rock und feste, dunkelbraune Lederstiefel. Ein dünner Mantel samt Umhang schützte die junge Hexe vor dem Wetter. Sie sah sich kurz im Raum um, warf den anwesenden ein freundliches Lächeln zu und nahm sich schließlich einen Apfel aus der Schale, von dem sie sogleich abbiss. Da zwei der Männer bereits miteinander redeten, wandte sie sich dem jungen Mann mit den blauen Tätowierungen zu. "Seid ihr auch wegen des Auftrags hier?" fragte sie ganz offen. Man konnte ja nie wissen - schließlich war das hier ein Tempel und der Mann konnte durchaus als Erastil-Jünger durchgehen.

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