Coriolis! Jewel and beating heart of the Horizon, cradle and holy shrine of the
Zenithian civilization. Only the Icons themselves can outshine this, the most
glorious wonder under the stars. O, Coriolis, your palaces are magnificent and
your halls regal – you are my greatest love!
So beschrieb es der Dichter Galbarul -- das Coriolis, das Amir kannte, hatte mit dieser poetischen Verklärung jedoch eher wenig zu tun. Denn auch Coriolis hatte wie jeder Ort seine Gegenden abseits von den Palästen und den glänzenden Raumhäfen - Gegenden, in denen die Garde sich lieber nicht in die Angelegenheiten des Syndikats einmischten; Gegenden wie dem Mulukhad, dem Vergnügungsdistrikt der Station.
Dort war Amir geboren, irgendwann vor etwa 15 Jahren, genau wusste er es nicht. Das Waisenhaus (ausschließlich für Jungen), in dem er aufwuchs, war kein freundlicher Ort, und Houssam, der sich um die Kinder kümmern sollte, hatte sich nie die Mühe gemacht, Fragen des kleinen Jungen nach seiner Herkunft zu beantworten. Größtenteils verbrachte der Vorsteher des Hauses seine Zeit damit, Arrash rauchend zwischen seinen Kissen zu sitzen, während die Jungen sich um sich selbst kümmerten. Ohne Leitlinien und ohne echte Perspektive lungerten die meisten der Kinder in den Straßen um die Casinos herum und bettelten oder bestahlen die Betrunkenen, schlichen sich heimlich in das den Mulukhad überragende Stadion, oder widmeten sich ihrer Lieblingsbeschäftigung: Den schüchternsten, zurückhaltendsten und zartesten von ihnen zu schikanieren - Amir.
Häufig schaffte es der zierliche, aber flinke und vor allem clevere Junge, den anderen ein Schnippchen zu schlagen; er hatte früh gelernt, die Anzeichen zu deuten, dass bald eine Abreibung folgen würde und verschwand dann rechtzeitig. Doch auch zu oft gelang ihm dies nicht, und die Folgen waren meist schmerzhaft: Filigran war keiner seiner "Brüder" und Fäuste die Waffen ihrer Wahl. Trost suchte der kleine Amir im Glauben, und bat die Dame der Tränen in seinen Gebeten um Linderung seiner Schmerzen (und in dunklen Momenten um den endgültigen Frieden). Und tatsächlich, die Gebete schienen ihm Kraft zu geben, die Misshandlungen durch die anderen Kinder leichter zu ertragen.
[1]So gingen die Jahre ins Land, bis Amir zehn Jahre alt war, als er eines Tages einen primitiven Handcomputer herumliegen sah, den Houssam wohl im Rausch liegen hatte lassen. Woher der Mann, der sonst nur wenig technisches Interesse zeigte, ein solches Ding hatte, war Amir schleierhaft, aber letztlich auch egal. Fasziniert schaltete er das Gerät ein - es war ein altmodisches Teil, das mit Wischbewegungen gesteuert wurde. Gesehen hatte er so etwas zwar schonmal, auf der Straße, wo Passanten solche Geräte nutzten; doch selbst hatte er nie eines in der Hand gehalten - Bildung war etwas, was Houssam als überflüssig erachtete ("Aus euch wird sowieso nie etwas werden"). Immerhin konnte er ein wenig lesen - dies hatte er sich heimlich selbst beigebracht - und so dachte er, würde er schon irgendwie mit dem Computer klar kommen.
Und das tat er - in einer Art und Weise, dass kein Beobachter geahnt hätte, dass Amir dies zum ersten Mal tat. Für ihn war es nichts erstaunliches; schließlich konnte er nicht wissen, dass ein solch intuitives Verständnis von Computern nicht normal war. Für ihn fühlte es sich an, als würde er jetzt erst merken, dass er einen zweiten Arm hatte, den er noch nie benutzt hatte. Die Maschine war fast wie eine Verlängerung seiner selbst, und schon nach wenigen Minuten flirrten seine Finger nur so über den Bildschirm und durchforsteten die Netzwerke von Coriolis.
Amir versteckte den Computer an seinem bestgehüteten Geheimversteck, und über die nächsten Wochen verbrachte er fast jeden wachen Moment damit, eine Welt zu erkunden, die ihm vorher verborgen geblieben war. Schnell merkte er, dass sich diese Maschine auch dazu nutzen lassen würde, Birr zu verdienen - wenn auch nicht unbedingt auf legalem Weg. Doch das störte den Jungen weniger, und so reifte nach und nach ein Plan in seinem Kopf: Der Plan seiner Flucht aus Houssams Waisenhaus.
Einige weitere Wochen der Vorbereitung später setzte er seinen Plan schließlich in die Tat um. Er wusste, er musste aus dem Mulukhad verschwinden, und er wusste, dass er Geld brauchte, um überleben zu können. Die Raumstation selbst zu verlassen erschien ihm zu verwegen, doch Coriolis war groß, und dank der Netzwerke kannte er deren Pläne inzwischen fast auswendig. Sein Ziel waren die Plazas im äußeren Ring: Dort herrschte ein reges Treiben, in dem ein kleiner Junge nicht auffallen würde, und genügend Gelegenheiten, um an Geld zu kommen.
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Beinahe fünf Jahre lebte Amir nun im Ring, und mit der Zeit hatte er sich so etwas wie eine Existenz aufgebaut. Zunächst hatte er sich über Wasser gehalten, indem er sich in die Netzwerke der Händler hackte, und kleine Summen von Transaktionen abzweigte - so geringe Mengen, dass kaum jemandem auffallen würde, dass etwas nicht stimmte. Mit der Zeit jedoch verlagerte er sein Geschäft: Inzwischen hatte er bemerkt, dass nur wenige Menschen die Art von Begabung hatten, die er selbst besaß, und was noch wichtiger war: Informationen waren vielen Menschen einiges wert.
Und an Informationen zu kommen, fiel ihm leicht: Die Verschlüsselungen, die viele Organisationen benutzten, um ihre Daten zu schützen, waren oft lächerlich einfach zu knacken. Wenn man wusste, für wen etwas interessant sein würde, konnte man ein gutes Auskommen haben. Wichtig war es nur, sich gut genug zu tarnen. Inzwischen hatte er auch seine Ausrüstung ausgebaut, und mit verschiedenen Sensoren ließen sich zusätzliche Informationen sammeln, die man in Netzwerken nicht finden konnte.
Als Amir am Morgen aufgestanden war, konnte er noch nicht wissen, dass sein Leben heute ein weiteres Mal eine einschneidende Änderung nehmen würde. Die Zeit nach dem Aufstehen verlief wie jeden Tag, als er in den Netzwerken etwas gelangweilt nach interessanten Dingen Ausschau hielt. In der Datenbank einer kleineren unabhängigen Schmugglerorganisation fand er eine Notiz, die seine Aufmerksamkeit erregte: Nichts sonderlich ungewöhnliches - scheinbar war eine der freien Schmugglercrews auf ihrer Shitlist gelandet und sollte nun eine Abreibung bekommen. Kein ungewöhnlicher Vorgang, und Amir hielt sich aus solchen Dingen für gewöhnlich heraus; es war nie eine gute Idee, sich zu offen mit den Organisationen anzulegen. Gelangweilt klickte er dennoch auf das Dossier der Crew ...
... und plötzlich traf ihn der Schlag!Sie war eine Göttin, ein Wesen von solch vollendeter Makellosigkeit, dass sein Atem stockte. Amira Najjar; sie war die Pilotin, so war dem Dossier zu entnehmen. Und in diesem Moment wusste Amir: Er konnte nicht zulassen, dass ihr etwas zustieß!
Der Rest war einfach: Ein paar Nummern in der Belegungsliste des Raumhafens geändert, schon dockte das Schiff der Fremden in einem anderen Hangar an, wo Amir bereits warten würde. Die Organisation konnte sich derweil die Beine in den Hals stehen. Er fertigte ein Log seiner Aktivitäten an, um die Crew später davon überzeugen zu können, dass er ihnen einen Gefallen getan hatte, und würde sich an Bord schleichen, sobald sie das Schiff verlassen hatten. Später, im freien Raum, würde er sich offenbaren - und sie würden ihm so dankbar sein, dass sie ihn nicht wieder zurückschicken würden. Und dann würde er Amiras Herz erobern!
So weit der Plan ...