Mit dem legendären Torben verglichen zu werden, ist einerseits die höchste Ehrbezeugung, die man als Skalde auf den Inseln sich erhoffen kann, was Tristan durchaus so empfindet und ihm entsprechend den Kamm schwillen lässt. Andererseits lässt es ihn auch ein wenig verzweifeln. Torben, soviel meint er aus dessen Schriften herauslesen, die in Olavs Haus, jetzt Tristans, eine ganze Truhe füllen, war ein kompetenter Gesetzessprecher, dagegen bestenfalls ein mittelmäßiger Dichter. Des Mannes Versepen—unerträglich. Die kürzeren Werke sind etwas besser, wenn man auf zotige Geschichten und Spottverse steht. Aber den Leuten hier gilt Torben als Leitstern, als Inbegriff der Sanges-, Dicht- und Erzählkunst, es ist kaum zu fassen! Und doch bleibt einem nichts übrig, als ihnen zuzustimmen und inbrünstig zu seufzen: "Ach, ich wünschte, ich hätte ihn noch erleben dürfen!" Aber da der gute Mann ungefähr zur selben Zeit starb, als Tristan selbst das Licht der Welt erblickte, ist ihm ein Zusammentreffen mit diesem derben Verseklopfer—Gaja sei Dank!—erspart geblieben.
Für Tristan ist es also eine schlechte Belohnung, dass er sich gleich nach seiner so perfekten Inszenierung der Alberich-Saga alte Geschichten von Torben anhören muss, aber er tut es natürlich brav und lacht an den richtigen Stellen oder klatscht sich auf die Schenkel. In Gedanken dagegen kann er nicht anders, als die erzählte Geschichte zu zerpflücken und dabei all die kleinen Unglaubwürdigkeiten bloßzustellen oder einfach nur, durch das ständige Hinterfragen, den Effekt gänzlich zu ruinieren—wie gesagt, für sich selbst, ganz still in seinem Kopf. Um nur ein Beispiel zu nennen: Hätte Torold tatsächlich ein solch schweres Fass auf den Kopf bekommen, wäre er umgefallen, und zwar tot. Oder hat Torben es ihm übergestülpt? Aber diese Bewegung hätte ganz andere Muskeln strapaziert, die einen solchen Kraftakt nicht gewöhnt sind, das hätte auch Torben nicht geschafft. Überhaupt, was Tristan an solchen Geschichten gerne einmal ärgert, sind die Vagheiten. Was hat Torben denn nun wirklich zu Torold, dem Schmied gesagt? Forderte er ihn auf: "Heb' dort einmal das große Fass mit Wasser auf!" oder zeigte er auf das Wasserfass und sagte: "Heb dort einmal das große Fass auf!" Dieser Unterschied ist nichts weniger als entscheidend. Wenn Tristan sich nämlich auf einen solchen Händel mit dem starken Schmied eingelassen hätte, so wären seine Worte letztere gewesen und die Wette, dass er es wohl stemmen wolle, falls Torold es nicht schaffe. Der Schmied hätte darauf vergeblich versucht, das schwere Fass mit dem Wasser hochzuheben. Tristan dagegen hätte das Fass umgekippt, auf dass alles Wasser abfließe, und es dann über den Kopf gehoben, denn: "Niemand hat gesagt, du sollst das Fass mitsamt dem Wasser hochheben! Wenn du dich recht erinnerst, ich sagte bloß: heb das Fass hoch! Wer nicht recht zuhört, ist halt der Dumme!"
Als junger Mann hat Tristan derlei Herausforderungen oder Wetten immer auf Finten in ihrem Wortlaut hin untersucht, rechnete stets mit pfiffigen Fallen—vergebens. Die Inselmänner meinten tatsächlich immer nur das Naheliegendste. Versteckte Bedeutungen, sprachliche Tricks, Doppeldeutigkeiten sind ihnen gänzlich unbekannt. Gewitztheit wird wohl geschätzt, aber wo Tristan sie als dünne, scharfe, wendige Klinge versteht, halten die Inselmänner sie für eine kraftvoll geschwungene Axt—man betrachte Torbens "Witz" in Gisles Erzählung. Mit diesem kann Tristan sich nicht messen, ja, er erkennt nicht einmal, was daran der "Witz" sein soll, was zuzugeben ihm natürlich nicht einfiele.
"Ach, ich wünschte, ich wär' dabei gewesen!" ruft er also und schüttelt betrübt den Kopf.
Dies ist vielleicht der größte Unterschied zwischen Tristan und den Inselmenschen, die Kluft, die sich einfach nicht überwinden lässt: die Bodenständigkeit hier, die Einfachheit im Denken, die kindliche Direktheit, während er die Feinheiten und Spitzfindigkeiten liebt, Finten und Spielerei, Nuancen und Subtilitäten. Wobei... nach sechzehn Jahren auf den Inseln, da er diesen Dingen nicht frönen durfte, da er sein diesbezügliches Interesse und Talent vielmehr verstecken und herunterspielen musste, ist er leider auf dem besten Weg, so stumpf, derb und durchschaubar, so wortwörtlich in der Rede zu werden wie das Inselvolk. Aber warum auch nicht. Er lebt hier, und er lebt hier gut, so muss es also sein, was will man machen.
Und außerdem hat er ja jetzt seine Lîf. Mit ihr kann er ganz anders reden. Freier zum einen, zum anderen versteht sie ihn besser. Am Tag nach der Hochzeit hat sie ihn zum Beispiel überrascht, als sie über eine von ihm so hingeworfene Bemerkung lachte. Also erstmal hat es ihn überrascht,
dass sie lachte—es war das erste Mal und er hat sich gleich vorgenommen, sie möglichst oft zum Lachen zu bringen, denn es wärmte ihm das Herz. Als zweites aber hat es ihn erstaunt, dass sie den Scherz verstanden hat.
Niemand auf den Inseln hätte ihn verstanden, allenfalls mit Ausnahme der alten Esja, die durchschaut jeden und weiß also auch, wann jemand scherzt, aber außer ihr hätte jeder, Ole eingeschlossen, es wortwörtlich verstanden und dumm nachgefragt, ob Tristan das jetzt ernst meine, oder aber ihn belehrt, dass was er da sage völliger Quatsch sei, in echt verhielte es sich damit nämlich so und so. Nicht Lîf. Sie sah ihn einen kurzen Moment verblüfft an, dann prustete sie los.
Er reckt den Kopf, um sie an ihrem Weiberfeuer zu erblicken, doch findet er sie so dicht umdrängt mit jungen Frauen ihres Alters, dass er nur hin und wieder ihr rotes Haar aufleuchten sieht zwischen wild gestikulierenden Händen.
Oh, das ist gut, dass sie hier Anschluss an ihresgleichen findet, freut er sich und beglückwunscht sich zu seinem Mut, sie schon zum diesjährigen Disenthing mitzubringen.
Und wie fein sie vorhin mitgespielt hat! Als es nämlich losging mit dem Weiberraub, da bekam er plötzlich einen Schreck und dachte, oh weh, hoffentlich ist das nicht zu viel für sie, hoffentlich sieht sie sich nicht wieder mit ihren Heilerinnenschwestern unterwegs und erlebt unser harmloses Spiel wie den Überfall, der so schrecklich für sie war, keine sechs Monde ist er her.
Oh, was hat ich Angst, dass sie vor Wut platzen würde und womöglich gar auf ihren Häscher einprügeln oder aber echte Furcht bekommt! Gejauchzt hat sie statt dessen... ganz rot vor Aufregung war ihr Gesicht... und wie stolz sie auf der 'Hochzeit' das Jarlsweib gab. Meine tapfere Thordis! Nein, Lîf. Kein anderer Name passt zu ihr. Meine Lîf.Ein Schlag auf die Schulter reißt Tristan aus seinen Betrachtungen. Jarl Gisle hat sich bereits erhoben.
"Ja, dann wollen wir mal. Tristan, auf." Sofort springt Tristan auf und folgt dem Jarl zur Gerichtsstätte.
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Die Augen der Mädchen um Lîf werden immer größer, während sie erzählt.
Junge Frauen, verbessert sie sich. Und die meisten von ihnen, zumindest aber die Hälfte, dürften verheiratet sein, obwohl dieses Mal wohl besonders viele Verlobte dabei sind, wie Tristan daheim stöhnte. Lîf hat nicht ganz begriffen, warum dieser Umstand ihren Mann stöhnen ließ, und daher etwas schnippisches erwidert, doch in ihrer jetzigen Lage kann sie ihm womöglich etwas leichter vergeben, dass er ihre Alters- und Geschlechtsgenossinnen als "eine ganze Horde junger dummer Dinger" bezeichnet hat. Sie selbst kann sich ja noch relativ leicht unter diese "Horde" mischen, als eine der ihren, doch welche Chance hätte ein Mann, sich dagegen durchzusetzen? Noch dazu einer, für den offenbar die Hälfte dieser Dinger schwärmt! Ein entsprechendes Bild drängt sich vor ihr inneres Auge. Armer Tristan!
In ihrer Erzählung ist sie inzwischen auf Jarlsö angekommen, wo ihr kühner Räuber ihr eine Kammer in seinem Haus zuweist, gleich vor der seinen...
[1]Ihre Zuhörerinnen kichern gehorsam und tuscheln wohl auch ein wenig und beugen sich noch ein wenig weiter vor, um auch ja nichts zu verpassen. Nur die Verlobte, die zuvor schon die ängstliche Frage gestellt hat, verliert die Nerven und will vorgreifen:
"Aber wann wusstest du endlich, dass du keine Furcht vor ihm zu haben brauchst?"