Ameiko hörte sich die Erzählung Garridans aufmerksam an, nickte an der ein oder anderen Stelle, ohne jedoch das Gesagte zu kommentieren. Erst nachdem sie sich anschließend auch Rumars Fragen angehört hatte, wanderten ihre Blicke zu Koya und den anderen, bevor sie zu einer Antwort ansetzte.
"Ich kenne deinen Namen, Rumar, und dich ... zumindest gewissermaßen." begann sie lächelnd.
"Ich hatte die gleiche Vision wie ihr auch - zumindest nehme ich das an - aber ich fürchte, auch ich kann nicht viel mehr mit ihr anfangen als ihr.
Ich kann zumindest versuchen, euch etwas über mich zu erzählen, und wie ich in diese Sache geraten bin. Mugin und Garridan haben euch vielleicht schon erzählt, dass sie mich aus Sandspitze bereits kennen, seit ich ein Kind war. Wie leicht zu erkennen ist, komme ich aus einer Familie von Einwanderern, doch das Verhältnis zu meiner Familie, speziell meinem Vater, war nie einfach. Als ich erwachsen wurde, hat mich die Abenteuerlust gepackt und ich streifte durch die Lande, auf der Suche nach Ruhm und Schätzen. Ich habe das Handwerk der Barden gelernt und die halbe Welt bereist, doch irgendwann hat mich das Heimweh nach Sandspitze gepackt. Ich bin also zurückgekehrt, habe das Wirtshaus zum Rostigen Drachen erworben und mich seitdem dort sesshaft gemacht.
Doch das hat alles nichts mit alledem hier zu tun. Vor einige Monaten fanden meine Freunde hier einen alten Brief meines Großvaters, der zu einem Geheimnis der Familie führen sollte. Ich - und mit mir einige meiner engsten Freunde - bin also aufgebrochen, um diesem Geheimnis nachzugehen; und für uns alle wohl überraschend stellte sich heraus, dass das Geheimnis darin bestand, dass ich die letzte Überlebende einer alten Herrscherfamilie aus Tian bin, was mich von allen wohl am meisten überrascht hat. Auch damals hatten wir eine ähnliche Vision erhalten, die uns erst auf den Weg nach Kalsgard geführt hat. Irgendeine Gruppe hat es scheinbar auf den Thron von Minkai abgesehen, systematisch die Herrscherfamilien ausgeschaltet, und übrig bin jetzt noch ich."Ameikos belustigter Gesichtsausdruck vermittelte, wie abstrus sie selbst die Vorstellung fand, der Erbe eines Thrones zu sein, und wie fremd ihr die Geschichten über den Kampf um einen Kaiserthron am anderen Ende der Welt waren - doch irgendwie war sie in diesen Kampf nun selbst hineingeraten, und die Anschläge, die sie in Kalsgard erlebt hatten, bewiesen, dass irgendetwas an der Sache sein musste.
"Aktuell bleibt mir nichts übrig, als mehr über diese Geschichte zu erfahren. Zum einen verlangt das meine Neugierde, aber selbst wenn dem nicht so wäre - spätestens der Angriff auf unser Lager beweist, dass ich mich gar nicht heraushalten könnte, selbst wenn ich wollte. Irgendjemand hat erfahren, dass ich involviert bin, und scheint darauf aus zu sein, mich aufzuhalten. Und das ist es, was uns nun alle zusammengeführt hat. Ihr spürt dem magischen Schwert der Familie hinterher, von dem ich mir weitere Informationen erhoffe: Wer sind unsere Gegner? Was ist dort in Minkai überhaupt los? Dass unsere Feinde bereits hier in Kalsgard derart aktiv sind, lässt auf jeden Fall nichts Gutes ahnen.
Ich verstehe auch nicht wirklich, wie dieses Siegel funktioniert. Offenbar hat es euch auserwählt, weil ihr Tapferkeit und ein gutes Herz gezeigt habt; doch ich kann nichts von euch verlangen, und wenn ihr möchtet und es in meiner Macht steht, werde ich euch von allen Verpflichtungen entbinden, die ihr womöglich wegen des Siegels auf euch genommen habt. Ich kann und will euch nicht zwingen, mir zu helfen. Doch wenn ihr mir freiwillig folgen wollt, so bin ich für eure Hilfe sehr dankbar."~~~
Als Ameiko geendet hatte, wandte sich Mugin an Koya, die die ganze Zeit über neben der Bardin gestanden hatte, und erkundigte sich nach dem Zustand der Verletzten. Zu Cliff musste sie nicht viel sagen, denn der Halbling war ebenfalls anwesend gewesen. Doch es brach Mugin beinahe das Herz, den sonst so fröhlichen Barden in seinem Zustand zu sehen. Sandru hatte eine Art Podest für den kleinen Mann gebaut, damit er nicht auf dem Boden hocken musste, und auf dem er, um nicht herunterzufallen, festgeschnallt war. Doch der früher stets fröhliche und nie um einen Scherz verlegene Cliff starrte nur vor sich hin und schien von den Gesprächen der anderen keine Notiz zu nehmen, in seine eigenen düsteren Gedanken versunken. Garridans Versuch, ein Gespräch mit ihm zu beginnen, endete mit einer einsilbigen und abweisenden Antwort, und Mugin versuchte es gar nicht erst, als er den Cliffs Blick sah.
Stattdessen folgten die beiden Koya zu einem größeren Zelt im Zentrum des Lagers, in dem sie zu ihrer großen Freude Gorog und Shuo vorfanden, beide zwar an ein Krankenlager gefesselt, doch bei Bewusstsein und offenbar auch deutlich besserer Laune als Cliff. Zwar hatten beide erhebliche Verletzungen und diverse Brüche erlitten und konnten ebenfalls noch nicht aufstehen, doch würden beide sich wieder komplett erholen, wenn es auch noch eine Weile dauern würde, bis sie die Alten sein würden. Die beiden lauschten neugierig den Erlebnissen der anderen, die sie sich detailgetreu schildern ließen, und es war ihnen anzumerken, dass sie ihren Freunden am liebsten sofort helfen würden.
~~~
Schließlich traf die Gruppe bei Ameiko wieder aufeinander, um das weitere Vorgehen zu besprechen.
"Ich stimme euren Plänen in allen Punkten zu. Wie schon gesagt, wir müssen das Schwert finden. Wenn diese Uksahkka uns irgendwie unterstützen kann, solltet ihr zu ihr gehen - der Feind meines Feindes ist mein Freund. Und ansonsten denke ich auch, es scheint alles auf diese Reifläufergilde hinzudeuten, was immer deren Motivation ist. Ihr solltet zu ihrem Gildenhaus gehen und so viel wie möglich über die Gilde herausfinden, aber versucht euch nicht in zu große Gefahr zu bringen. Vielleicht kann man ja einen Blick in die Bücher nehmen, ohne dabei gesehen zu werden." Sie blinzelte verschmitzt Garridan zu.