Archiv > Kagematsu: Was zurück bleibt

[Szene 6] Ein tiefer Quell, der dem Felsen entspringt

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Tsuyoshi:
Die Sonne brennt bereits wieder heiß auf das kleine Dorf herunter, als Tsuyoshi von der Jagd mit der Miko zurückkehrt. Der junge Ronin marschiert so grimmig und selbstbewusst zwischen den Hütten hindurch, wie man es von Samurai gewohnt ist. Für die Bauern hat er kaum einen Blick übrig, ihre Verbeugungen nimmt er mit stolzem Gleichmut entgegen. Seine Kleidung allerdings ist staubbedeckt, der Haarknoten sitzt schief, und an seinen Unterarmen finden sich einige Schrammen. Zudem ist sein Kimono mit Schweiß getränkt, denn nach der gefährlichen Begegnung mit dem Wildschwein hat er die Beute auf seinen Schultern durch den Gebirgswald bis zu den Hütten geschleppt, wo ihn einige heißhungrige Bauern sogleich unter tausend Dankesbezeigungen in Empfang nahmen. Jetzt fühlt Tsuyoshi jeden seiner strapazierten Muskeln, auch wenn er sich nichts davon anmerken lässt. Die rasche Reinigung am Schrein war nur notdürftig. Es ist daher ganz natürlich, dass es ihn zu dem Ort zieht, nach dem sein verdreckter, verschwitzter Körper verlangt: zum Badehaus. Vor dem Haus angekommen, schlüpft er aus seinen Zōri und zieht das Daisho aus dem Gürtel, um die Klingen samt Scheiden in der Hand zu tragen, als er sich bückt, um durch die Shoji-Tür einzutreten.

Josei Kimiko:
Noch bevor er hindurchtritt, hört  er im Inneren erregte Stimmen. Josei Kimikos ist einfach zu erkennen, sie spricht in der gleichen verhaltenen Stimmlage wie bei ihrer letzten Begegnung. Die andere Stimme ist deutlich aufgeregter, es dauert, bis diese als die der Badehausbesitzerin erkennbar wird: "Aber er ist weggegangen! Er muss hierbleiben, wie sonst können wir vor den schrecklichen Banditen bewahrt werden!" "Es wurde gesagt, er wäre zum Schrein, dort geht es nicht weiter, er wird zurückkehren.", versucht die ruhigere Stimme zu beruhigen. "Er und die Miko sind verschwunden!" "Dafür wird es eine einfache Erklärung geben. Haltet alles, wie ich es gesagt habe, bereit. Ladet ihn ein und wir werden im Nebenraum warten, sehen und entsprechend handeln.", erinnert Kimikos Stimme an eine Inszenierung. "Warum könnt ihr ihn nicht auf eurem Hof...", beginnt die schrillere Stimme sich in der Wortwahl zu vergreifen. "Weil meine Familie aus dieser Sache herausgehalten wird!", der Ton duldet keine Widerrede, obwohl er weiter fast unirdisch ruhig bleibt.

"IZUMI-SAN! ER...Er ist auf dem Weg...hierher!", poltert es weiter hinten im Gebäude, dann erklingt die keuchende Stimme des Jungen, der Tsuyoshi bereits einmal hergeführt hatte. Die Frauen verstummen sofort.

Tsuyoshi:
Der junge Samurai stutzt, als die Frauenstimmen durch die dünnen Shoji-Wände dringen. Wie es jedermann von Kindesbeinen an lernt, bleibt er stehen und gibt vor, nichts gehört zu haben, bis er bemerkt wurde: Das heißt die Privatsphäre wahren in einem Land, in dem die Menschen dicht an dicht leben, jeder wenig Platz für sich hat. Nach einer angemessenen Pause schiebt er eine der leichten Türen zur Seite und tritt ein. Sein Daisho trägt er in der Linken, während er sich mit dem gewohnten herrischen Blick des Kriegers umsieht. Stolz bleibt er in der Mitte des Raumes stehen, erwartend, dass ihn dienstbare Geister umschwärmen.

Tsuyoshis Gesicht bleibt dabei unbewegt, während es hinter seiner Stirn arbeitet. Banditen also... hier wie andernorts. Kein Wunder, dass die Frauen im Dorf eingeschüchtert sind – und die Generäle des verstorbenen Kriegsherrn hatten nichts besseres zu tun, als die Männer zur Bewachung dieser Gegend abzuziehen! Wahrscheinlich, um ihren Sold zu sparen und ihn darauf zu verwenden, noch ein letztes Aufgebot für eine weitere Schlacht zusammenzukratzen, die weder den Leuten noch dem Land dient. Der Griff um die beiden Schwerter verstärkt sich, bis seine Knöchel leicht hervortreten.

Josei Kimiko:
Schlagartig ist es still geworden im Empfangsraum. Tsuyoshi sieht sich den Damen Izumi und Kimiko sowie im Hintergrund dem jungen Dienermädchen sowie drei neuen Gestalten gegenüber: Eine recht dralle junge Frau mit einfachen Gesichtszügen (und großen Augen) sowie zwei hagere jugendliche Männer. Obwohl, letztere wirken verhärmt und daher wahrscheinlich älter, als sie sind.

Josei Kimiko ist wie erstarrt und starrt ihn an. Sie trägt einen anderen, einfachen, aber wertvollen Kimono mit dem gleichen Schmuck wie am Vortag. Izumi wirft sich sofort hernieder und beginnt, ihre gestammelte, anscheinend angstvolle Begrüßung mit irgendwelchen Entschuldigungen zu spicken. Hinten poltert der Junge heran, der ihn angekündigt hat und stoppt, als er den Krieger entdeckt.
Immerhin scheint die Edeldame dadurch ihre Gedanken wiedergefunden zu haben (oder hat sie zuende gedacht?), und knickt ihre Beine leicht ein. Zusammen mit dem aus dem Ärmel gezogenen und aufgeklappten Fächer kehrt sie in eine kunstvolle Haltung zurück. Mit leicht geneigtem Kopf taucht ihr Gesicht bis zur Nasenspitze hinter den Fächer und ein kurzes Klappen des Fußes lässt die andere verstummen.

"Seht es uns nach, ehrenwerter Tsuyoshi-san, eure Ankunft hat uns überrascht. Ihr habt sicherlich en Anliegen, dem will ich nicht im Wege stehen. Solltet ihr auf mein Angebot zurückkommen wollen, hat dies Zeit.", spricht sie mit ihrer zurückhaltenden und ruhigen Art. Sollte es eine Gelegenheit, zum Beispiel eine Entlassung aus seiner Gegenwart, geben, würde sie sich mit den drei neuen Gesichtern zunächst zurückziehen.

Tsuyoshi:
Tsuyoshis Züge sind unbewegt. Er tut so, als habe er nicht bemerkt, wie sein Eintreten die Anwesenden durcheinander geraten lässt. Dennoch entgeht ihm nicht, dass sich die übrigen nach Kimiko zu richten scheinen. Er neigt den Kopf stolz zur Bestätigung ihrer Worte und erwidert: "Ich nehme das Angebot an. Wir werden reden, wenn ich mich erfrischt habe." Eine sehr würdevolle Umschreibung dafür, dass er von der Jagd um vom Schleppen der schweren Beute bei dem heißen Wetter völlig durchgeschwitzt ist und ein Bad dringend nötig hat. Ohne Kimikos Begleitern einen Blick zu schenken, bleibt er stehen, die Arme leicht zur Seite gestreckt, als sei er schon bereit dafür, sich von dem Dienstmädchen aus dem Kimono helfen zu lassen. Das Daisho ruht dabei fest in der Linken, denn einen Schwertständer sucht man hier wohl vergeblich. Er wird als Krieger seine Waffen demnach erst ablegen, wenn er sich niedersetzt, um sich vor dem Bad reinigen zu lassen.

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