Kindheit
Geboren auf der Kornkammer, vor fast einem Vierteljahrhundert. Tochter von einfachen Feldarbeitern, von kaum mehr als Sklaven- von Geknechteten, die nicht durch einen Ring aus Eisen um ihren Hals gebunden waren, sondern durch die pure Masse an Abgaben, die von ihnen verlangt wurden. Ein Hundeleben. Und doch ein Leben, dass von so vielen ihrer Art geteilt wurde. Kaum jemand aus dem Katzenvolk wollte viel mit dem Meer zu tun haben- die Meisten hatten eine instinktive Abneigung dagegen. Rubia war anders. Sie liebte das Meer. Liebte es, zu schwimmen, danach ihr Fell in der Sonne trocknen zu lassen. Und so verbrachte sie jede freie Minute ihrer Kindheit an Strand, im Wasser oder im Hafen. Viel Zeit dafür blieb ihr nicht- auch sie musste mit anpacken. Ihren Teil für das Auskommen der Familie beitragen. Für unnütze Esser war kein Platz- weniger aus Strenge, sondern aus purer Notwendigkeit. So half sie, wie sie konnte. War am Abend oft genauso erschöpft wie ihre Eltern. Aber dennoch versuchte sie, jeden Moment den sie konnte am Meer zu verbringen. Besonders angetan hatten es ihr die gigantischen Kriegsschiffe der Gilde. Die schweren Galeonen, die gigantisch und dabei doch so elegant durchs Meer schnitten. Rubia war begeistert.
Jugend und Ausbildung
Weniger begeistert waren ihre Eltern von ihrem Traum, ebenfalls zur See zu fahren. Kaum jemand aus dem Katzenvolk würde in Betracht ziehen, sich aufs Meer zu begeben- nur geschützt durch wenige Zentimeter stabilen Holzes. Sie versuchten ihrer Tochter diesen in ihren Augen unsinnigen Traum auszureden- aber wussten im Kern schon, dass es vergeblich war. Sie hatte ihre Entscheidung schon getroffen. Und ihre Eltern gaben ihr ihren Segen, wenn auch unter Seufzen. Was nicht bedeutete, dass die Probleme dadurch aufhörten. Nein. Erst beim dritten Versuch wurde sie überhaupt zugelassen, es zu versuchen. Wollte man ihr überhaupt die Chance geben, zur Musterung zu kommen. Und als sie diese mit Musterergebnissen bestand, war es keine Anerkennung, die sie in den Gesichtern um sich herum sah. Es war purer Abscheu. Man hatte sie hierher gebracht, um sie zu demütigen- und sie hatte diese Demütigung in einen Sieg verwandelt. Denn sie war dabei. War nun dabei, ausgebildet zu werden, begleitet von den Sticheleien der (zum größten Teil menschlichen) anderen Rekruten. Nichts, was sie nicht zum einen gewohnt war, und zu anderen auch nichts, was sie abhalten konnte, ihren Traum zu verwirklichen. Tag um Tag wurde sie gestählter. Besser in dem, was sie tat, bis nicht einmal ihre Mitsoldaten ihr Anerkennung absprechen konnten. Nein. Sie erfüllte sich ihren Traum mit Bravour- und durfte schließlich zum ersten Mal in ihrem Leben auf eine echte Schiffsreise gehen, nicht die Ausbildungsfahrten, die sie schon kannte. Nein. Eine wirkliche, echte Reise mit einem wirklichen, echten Schiff.
Das Ende eines Traumes, der Beginn eines Nachtmahrs
Von diesem Moment an ging es bergauf mit ihrem Traum. Eine Militärkarriere wie aus dem Bilderbuch. Motiviert, Geschickt, Talentiert. Ihre Vorgesetzten schwärmten in höchsten Tönen von ihr- und sie hatte ununterbrochen den Wind des Meeres, geschwängert von Salz und Freiheit, in der Nase. Der Sold landete Monat für Monat bei ihren Eltern- mehr als sie beide zusammen verdienten. Allen war geholfen. Glaubte sie, Sie arbeitete sich die Ränge hoch- immer weiter. Ignorierte den Umstand, dass sie stellenweise Schiffe versenkte, die ziemlich deutlich keine Piratenflagge trugen- vertraute darauf, dass ihre Vorgesetzten schon das Richtige taten. Dass sie zu den Guten gehörte. Und irgendwann hatte sie selbst ein Kommando- kein großes Schiff. Eine Brig, groß genug um es mit den meisten Piratenschiffen aufzunehmen, klein genug, um es einer unerfahrenen Kommandantin anzuvertrauen. Sie hatte damit trotzdem mehr geschafft als die meisten anderen Katzenmenschen in der Marine je geschafft hatten. Und war noch nie stolzer gewesen. Ein guter Zeitpunkt, ihre Heimat zum ersten Mal seit Jahren wieder anzufahren. Ihre Familie wiederzusehen. Aber schon als sie anlegte, hatte sie kein gutes Gefühl. Man wich ihren Blicken aus. Grüßte sie kaum, schien sie wegen irgendetwas zu meiden. Sie verstand nicht- aber hatte ein komisches Gefühl. Immer schneller ging sie in Richtung jenes Ortes, an dem sie aufgewachsen war. An dem sie ihre Kindheit verbracht hatte, nicht immer schön, aber immer geborgen. Und als sie davor stand, durch die Tür eine andere Familie sah, eine Familie, die hier nicht hingehörte, verschleierte sich ihr Blick. Endlich erklärte es ihr jemand. Endlich schaffte es jemand, die Barriere aus Schweigen, die ihr jeder entgegen gebracht hatte, zu durchbrechen. Vor Jahren waren sie gestorben. Bei einem Brand auf den Feldern ums Leben gekommen. Seit Jahren landeten ihre Soldzahlungen nur im Kontor, wurden für ihre Rückkehr aufgehoben. Und die Handelsmarine, jener Ort, an dem sie sich so geborgen gefühlt hatte, der ihr endlich gezeigt hatte, wie schön das Meer wirklich war, die hatte es nichtmal für nötig gehalten, ihr zu sagen dass ihre Eltern tot waren. Sie drehte durch. Benahm sich zwei Tage und ebenso viele Nächte alles andere als so, wie es einem Offizier gebührte. Trank. Prügelte sich. Verletzte einen Zivilisten sogar vergleichsweise schwer, als sie sich nicht gut genug unter Kontrolle hatte, die Krallen eingefahren zu lassen. Alles um sie herum lag in Trümmern. Alles, für dass sie gearbeitet hatte, war auf einmal nicht mehr auch nur irgendetwas wert. Und als ob der Verlust ihrer Familie nicht schon Rückschlag genug war, kam die zweite Hiobsbotschaft. Ihre zweite Familie, die Handelsgilde, hatte keinen Bedarf an Soldaten, die sich nicht unter Kontrolle hatten. Setzte sie ebenso vor die Tür. Sie hatte nichts mehr- ein kleines Vermögen an Sold, den sie im Kontor abholen konnte, und nichts, für den es sich lohnen würde diesen Sold auszugeben. Sie war gebrochen, einsam und verlassen. Am Tiefpunkt ihres Lebens angekommen- ohne eine Perspektive, dort jemals wieder herauszukommen. Eine Ausgestoßene. Eine Fremde. Sie gehörte nirgendwo mehr dazu- stach in ihrer feinen Uniform aus der Masse der Arbeiter heraus.
Für Tage und Nächte tat sie nichts, als sich ihren Frust von der Seele zu saufen und in einem dreckigen wie kleinen Zimmer über der Schenke, in der sie soff, zu schlafen bis sie weitertrinken konnte. Ihre Ersparnisse flossen dahin. Gingen für Kost, Logis und Alkohol drauf, bis sie nicht mehr wusste, wie sie ihre nächste Eskapade finanzierne sollte- oder auch nur das Zimmer für eine weitere Nacht. Ihre letzte Freude (wenn man es denn so nennen konnte) war dahin. Und sie stand wieder auf der Straße. Der Schmerz in ihrem Inneren tobte immer noch. Unverändert. Aber sie konnte nicht mehr vor sich hinleben. Brauchte eine Aufgabe. Etwas, dass sie ablenkte. Was konnte sie? Auf den Feldern aushelfen? Nein. Das würde sie nur jeden Tag wieder an ihre Eltern erinnern. Segeln. Zur See fahren. Das konnte sie. Und einen Job auf einem der Kähne, die im Hafen lagen, war auch keine Schwierigkeit- niemand würde freiwillig anheuern, wenn er nicht musste, oder er süchtig nach dem Geruch der See war. Sie heuerte auf einem Handelsschiff an- eine einfache, aber umso befriedigendere Tätigkeit. Sich einfach in der harten körperlichen Arbeit aufgehen lassen. Nicht mehr nachdenken. Am Abend in die Koje fallen und schlafen. Über Monate wiederholte sich dieses Muster- ging Rubia nicht einmal auf Landurlaub vom Schiff, verbrachte die Pausen lieber damit, das Schiff zu schrubben und andere Arbeiten zu verrichten, die man auf See nicht schaffte. Hauptsache nicht runterkommen. Nicht zum Nachdenken kommen. Es half. Der Schmerz wurde immer weniger schlimm. Und langsam kam sie herunter. Gewöhnte sich an dieses neue Leben. Bis auch dieses wieder umgeworfen war. Sie hatten an diesem Tag schwer geladen- die Laderäume waren zum Bersten voll mit Rohstoffen für den Berg. Eine ganz normale Lieferung. Ein nicht normaler Tag. Schon von Weitem hatte ihr Ausguck die Segel gesehen- schwarz, ein leichtes, schnelles Schiff, dass auf sie zuhielt. Sie waren zu langsam um es auszumanövrieren. Und vermutlich waren sie zu wenige um den Angriff abzuwehren- nicht dass ihnen eine Wahl blieb. Also bewaffneten sie sich. Bemannten die wenigen Kanonen. Machten sich auf den Aufprall bereit. Und es war ein schmerzhafter Aufprall. Ihre Geschütze schafften es nichteinmal, das fremde Schiff zu beschädigen- und im nächsten Moment schwangen schon die ersten Piraten auf Deck. Für die Meisten Seeleute unüberwindbare Gegner. Für Rubia nicht. Sie brauchte keine Waffen. Sie war eine Waffe. Wie eine Furie wütete sie zwischen den Piraten- war nicht bereit, sich ihr neues Leben wieder wegnehmen zu lassen. Einer nach dem Anderen wich vor ihr zurück, vor ihren zuschlagenden Krallen, vor ihrem wütenden Fauchen. Aber schließlich erlahmten auch ihre Kräfte. Es waren zu viele für sie. Und sie war bei Weitem nicht unbeschadet aus der Sache gekommen. Nein. Ihr Kampf endete mit einem schmerzhaften Schnitt an ihrem Bein, der es entgültig wegrutschen ließ, und einer Klinge an ihrer Kehle, die sie bedrohte. Dieser Kampf war für sie zuende- und so wie es aussah, für den Rest der Besatzung auch. Sie hatten verloren.
Ein erneuter Krieg?