Während die beiden Neuankömmlinge redeten und redeten, widmete Fischer sich seinem Eintopf und dem halben Laib Brot, mit ähnlichem Heißhunger (und Tischmanieren) wie der kleine Wolf. Dabei lauschte er durchaus aufmerksam, was die beiden zu erzählen hatten, und kam auch hier zu einem schnellen Urteil: Prahlhanse, alle beide! Während man Fiona nicht viel mehr vorwerfen konnte, als dass sie ihr Abenteuer—welches sich so oder so ähnlich vielleicht sogar zugetragen haben mochte—in prahlerischer Breite vor ihrem Publikum ausbreitet und sich sichtlich in der Aufmerksamkeit sonnt, so ernennt der Halbhohe sich erst zum Agenten, dann zum Drachenreiter und Riesentöter, schließlich zum besten Koch in ganz Faerun. (Ebenso entlarvend: nicht er selbst war schuld daran, sondern andere, dass er sein Restaurant verlor.)
Nun ja. Mit Prahlhansen ließ sich auskommen: einfach reden lassen. Dann waren sie glücklich, und man selbst konnte eigenen Gedanken oder Beschäftigungen nachgehen, ohne das von einem erwartet wurde, etwas zum Gespräch beizutragen, außer einem zustimmenden Brummen hier und da.
Allerdings, ein wenig anstrengend war es doch, so von heut' auf morgen. Nach dreieinhalb Jahren der Stille, sich plötzlich derartigen Wortschwällen ausgesetzen zu sehen. Da durfte es nicht verwundern, dass Fischer sich ein überfordert fühlte von der rasanten Rede, den taumelnden Themenwechseln, der Informationsflut. Immerhin begriff er endlich, dass die beiden hier offenbar Mitglieder jener Agenten der Fürstenallianz waren, die Fischer vor gut vier Zehntagen hier hätte treffen sollen. Nun, sie scheinen ja gut ohne ihn zurecht gekommen zu sein (und hatten offenbar einen weiteren Wildniskundigen zur Seite gehabt).
Echte Sorge dagegen machte Fischer die Schilderung der Begegnung mit dem Tigerstamm. Was trieb Solvigsdottirs Leute dieser Tage nur um? Fischer kannte alle Stämme, die im Eiswindtal unterwegs waren, und hatte bislang keine unüberwindbaren Probleme mit ihnen gehabt. Mit einigen traf er sich, handelte ein wenig, tauschte Neuigkeiten aus, anderen ging er aus dem Weg, aber selbst wenn man doch einmal aufeinander traf: außer abweisenden Blicken, drohend auf ihn gerichteten Speere, vielleicht einmal ein Warnschuss, hatte Fischer noch keine böse Erfahrung gemacht, mit keinem der vier Stämme. Und auch wenn der Tigerstamm der unfreundlichste der vier war: irgendwas musste ihn aufgestachelt haben. Und wie passten Riesen da hinein?
"Haben sie sich mit euch angelegt oder ihr euch mit ihnen?" fragte er Fiona.
"Die Kämpfer vom Tigerstamm, meine ich", stellte er klar, denn das Gespräch war längst mit einem halben Dutzend anderer Themen weiter an ihm vorbeigerauscht.
Darauf hatte er nämlich wenig Lust: Leute durchs Eiswindtal zu führen, die sich mit dem Tigerclan angelegt hatten. In so etwas wollte er nicht hineingezogen werden! Schließlich musste er hinterher noch mit ihnen auskommen, während die beiden Städter wieder abziehen würden. Dieses
Auskommen hatte bislang nämlich nur deshalb geklappt, weil der Tigerclan nie eine Bedrohung in Fischer gesehen hatte und ihn daher seiner Wege ziehen ließ, solange er ihnen nicht zu nahe kam.
Misstrauen beschlich ihn. Hatte man ihn deshalb hierher nach Mirabar bestellt? Weil es Probleme mit den Barbarenstämme gab? Weil Fischer diese besser kannte als die meisten? Dank seiner einsamen Wanderungen kreuz und quer durchs Tal zu jeder Jahreszeit, wann und wie es ihm passte, nirgends dazugehörend, aber überall geduldet, niemandes Feind, niemandes Freund. Wollte der Marquis ihn sprechen, weil er ihre Lebensweise kannte, ihre Gewohnheiten, die Pfade ihre Wanderungen, welche sich so oft mit dem seinen kreuzten. Ihre Rede und Ansichten, soweit sie sich mit einem Fremden austauschen wollte. Und auch, wenn man sich nicht traf: Fischer sah alles, las die Spuren im Schlamm oder Schnee, beobachtete aus der Ferne, notierte sich im Kopf Kampfstärke, Positionierungen, geographische Vor- und Nachteile, braver kleiner Kundschafter...
[1]Wenn man ihn also danach fragen würde, was er über den Tigerstamm wisse: würde er es hergeben, sein Wissen? Oder leugnen? Befehlen konnte es ihm niemand. Die Zeiten waren vorbei. Er war niemandes Kundschafter mehr und Gehorsam schuldete er keinem.