Tja, ich schätze meine Story hat nicht viel Humor und ist extrem düster. Vorwarnung an alle, die mit bitterböser Gewaltdarstellung ein Problem haben. Der Text ist nicht dazu da, sie zu zelebrieren, sondern um ein Statement abzugeben. Ich hoffe keiner fühlt sich vor den Kopf gestoßen.
01. März 2075 - Blutmesse
Magische Feuer erhellen den Saal, der von etwa zwei Dutzend Schwestern gefüllt wird. Sie alle tragen ihre rituellen Gewänder sowie die Maske des Abaddon. Es wird die Zeit kommen, wo sie ihre Kleider ablegen und im nackten Tanz ihrem Herrn frönen, zu ihm singen und seine Macht erbitten, doch zuvor müssen sie sich seiner Gunst versichern – ein Ritual, das langer Vorbereitung und exakter Ausführung bedarf. Das erwählte Opfer liegt nackt und gefesselt auf dem kalten Stein des Altars. Drogen halten es ruhig, doch es ist bei Bewusstsein und windet sich verwirrt umher. Keeva fällt auf, dass das Beruhigungsmittel nachlassen muss - an der steigenden Atemfrequenz, dem sich aufklärenden Blick, den Reaktionen auf Schmerz... Es zeigt Zeichen der Angst, doch genau so soll es sein, bevor das Ritual zu seinem Abschluss kommt. Acht der neun Pforten, die den Weg zu ihrem Herrn versperren, sind bereits geöffnet: acht magische Symbole, in exakter Reihenfolge und Platzierung in das Fleisch des Unschuldigen geschnitten. Die Hohepriesterin spricht die notwendigen Worte, als sie das letzte Symbol vollendet, und die Schwestern im Raum folgen ihr im Chor. Blut rinnt in schmalen Fingern die Steinplatte entlang und tropft auf den Boden. Die neunte Pforte ist geöffnet.
Keeva kann den Blick nicht von dem kleinen Jungen lassen. Ihre Miene ist steinern und unter ihrer Maske verborgen, doch das Herz bricht ihr in wilden Schlägen beinahe aus der Brust. Dann verirren sich die Augen des kleinen Geschöpfes zu den ihren und bleiben daran haften – wie so viele Augenpaare es tun, wenn sie sich im tiefen Azurblau verirren. Keevas Herz setzt einen Schlag aus, dann zwei. Die Zeit scheint stillzustehen, doch dann bricht das kleine Menschenkind in Tränen aus. Die Hohepriesterin schneidet die letzten Zeichen der Beschwörung in den zierlichen Körper und die Betäubung scheint nun vollends verschwunden. Der Junge windet sich in seinen Fesseln, schreit in nur halb verständlichen, kehligen Lauten nach einer Mutter, die ihm nicht mehr helfen kann. Die Schwestern im Saal raunen noch immer im Chor, doch Tempo und Lautstärke schwellen rapide an. Keeva kämpft mit ihrer Fassung, doch sie kann den Blick nicht abwenden. Wieder verirren sich die Augen des Jungen zu den ihren – gerötet und nass. Irgendetwas in ihr wird weich und zerbricht. Sie hat schon vielen Opferungen beigewohnt, doch dies ist das erste Kind und der Ausdruck des kleinen Gesichts brennt sich mitten in ihre Seele. Sie sieht sich selbst, wie sie aus ihrer Starre erwacht, ihre Klingen manifestiert und dem barbarischen Treiben mit gleicher Brutalität entgegentritt. Sie sieht ihre Klingen durch ihre Schwestern fahren und zuletzt durch ihre eigene Mutter, die am Fuße des Altars steht, den vom Wahn gezeichneten Blick auf das unschuldige Ding vor ihr gerichtet und den blutigen Dolch zum letzten Stoß erhoben.
Doch es ist nur ein Hirngespinst. Die Realität holt sie ein, als der Dolch tatsächlich niederfährt. Die Augen des Kindes werden glasig und erlöschen. Die Schwestern im Saal kreischen einen letzten Laut der Ekstase und verstummen sogleich wie auf Befehl. Keevas Mutter füllt den Kelch des Blutes mit heraussickerndem Leben. Bis an den Rand gefüllt hebt sie ihn an, spricht zu ihrem grausamen Gott und trinkt zu seinen Ehren. Dann wird der Kelch herumgereicht. Jede Schwester rezitiert Worte der Lobpreisung und nimmt die Lebenskraft des Opfers in sich auf. Schließlich erreicht der Kelch Keeva...
04. März 2075 - Entscheidung
Keeva liegt in ihrem Bett und starrt an die Decke. Das Licht ist aus und die Rollläden halb unten, doch die Stadt schläft nie und so wandern immer wieder kleine Lichtfetzen über die dunklen Wände des Raumes. Die vierte Nacht in Folge findet die Elfe keinen Schlaf. Wenn sie die Augen schließt, sieht sie den Jungen, hört die Gesänge ihrer Schwestern als schmerzende Kakophonie... Und sie sieht sich selbst, schwach und verabscheuungswürdig, wie sie mitten unter ihnen steht. Sie hat viele Menschen im Namen des Zirkels ermordet und vielen Blutmessen beigewohnt, doch warum? Hat sie wirklich geglaubt, dass all diese Tode nötig sind? Dass der Zweck die Mittel heiligt? Dass verlorene Seelen geopfert werden müssen? Eine verlorene Seele... bei einem kleinen Kind?! Nein, es hatte an jenem Abend nur eine einzige Seele gegeben, die nicht verloren war – und sie hatten sie einem Dämon geopfert.
Keeva denkt an den Kelch - wie sie mit Fassung versucht ihren Spruch aufzusagen und dann zum Trinken ansetzt, im letzten Moment aber die Lippen verschließt und den anderen etwas vorspielt. Als hätte dieser lächerliche Akt der Verneinung noch irgendeine Bedeutung gehabt...
Sie weint. Das erste Mal ungespielt und ohne es zu kontrollieren. Als sie später die Tränen verlassen, setzt sie sich auf, zieht die Beine heran und umschlingt sie mit den Armen. Noch immer ist ihr Atmen unregelmäßig und zittrige Schauer überkommen ihren Körper. Seit Tagen hadert sie mit sich und es fällt bereits auf. Einige ihrer Schwestern haben sie darauf angesprochen, doch mit gespielter Fröhlichkeit und einer erfundenen Geschichte glaubt sie, sich ein wenig Luft verschafft zu haben. Dennoch, es wird nie mehr so sein wie zuvor – DARF nicht mehr so sein wie zuvor! Schließlich steht sie auf, macht sich mit geübten Handgriffen chic und verlässt die Wohnung. Es ist mitten in der Nacht, doch die Stadt schläft nie und sie hat noch etwas zu erledigen. In einem Club lacht sie sich einen jungen Kerl an. Sie trinken zusammen, küssen sich, fummeln etwas herum. Sie fragt nach seinem Kommlink, sagt sie hat ihren vergessen und muss kurz einen Anruf tätigen. Er zögert nicht und sie entschuldigt sich mit einem Zwinkern kurz nach draußen. Natürlich hat sie nichts vergessen, doch ihr eigenes Gerät zu benutzen ist zu gefährlich. Die Nummer die sie wählt hat sie nirgendwo gespeichert, doch sie kennt sie auswendig – für alle Fälle. Das Telefonat ist kurz aber intensiv. Sie schafft es trotzdem ein Treffen zu arrangieren - morgen. Keeva legt auf. Sie wirft das Gerät in die nächstbeste Mülltonne und macht sich auf den Weg nach Hause...
06. März 2075 - Aufbruch
Keevas Treffen am Vortag war erfolgreich, doch es bedurfte hoher Überredungskunst sowie diverser nachfolgender Treffen, bis sie schließlich vor jemanden steht, der mehr als nur ein Laufbursche ist. Der Mann ist ein Elf, er hat einen direkten Draht zu den Danaan-Familien und wird umringt von einer Meute Leibwächter. Keeva wurde mehrfach gefilzt, doch sie hat alles stillschweigend über sich ergehen lassen. Ein Fehler und sie kommt hier nicht wieder raus, doch das ist ihr egal. Dann beginnt sie zu erzählen – über den Zirkel der Neun, über ihre Schwestern, über das was sie getan haben und das was sie noch gedenken zu tun. Der Mann scheint ungerührt – er glaubt ihr nicht. Dann fängt sie an Namen zu nennen. Sie berichtet von vermeintlichen Unfällen in der Vergangenheit, über verschwundene Leute mit Einfluss und andere Missstände, mit denen sich die Familien herumschlagen mussten. Stück für Stück setzt sie ein Puzzle zusammen, von dem der Mann nicht einmal wusste, dass es existiert. Als sie endet, ist sie sich ihres Lebens nicht mehr sicher, doch ihre Seele fühlt sich leichter an. Was sie will, fordert der Mann zu wissen. 'Einen Weg raus.' antwortet sie ihm, doch in ihren Gedanken ist es 'Einen Weg zurück.'
Etwa eine halbe Stunde später ist Keeva auf der Straße. Sie ist es gewohnt, dass die Leute ihr hinterhersehen, doch nie zuvor hat sie sich so beobachtet gefühlt. Jedes einzelne verlorene Wort über den Zirkel hat den Wert ihres Lebens und sie fragt sich, ob ihre Schwestern bereits nach ihr suchen könnten. Seit der Blutmesse verhält sie sich auffällig, vernachlässigt ihr Pflichten und macht sich allen gegenüber rar. Ihr Kommlink ist seit zwei Tagen ausgeschaltet – als sie daran denkt, kramt sie es aus der Tasche und entsorgt es im nächstbesten Gully. Sie kehrt nicht in ihre Wohnung zurück, sondern fährt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu dem Hotel, in das sie gestern unter falschen Angaben eingecheckt hat. Es ist nur ein kurzer Abstecher, um ihr Gepäck zu holen: ein einsamer Rucksack mit Wechselklamotten und anderem Kleinkram, der für sie von Bedeutung ist. Ihre Foki hat sie in ihrer Wohnung zurückgelassen und nicht mehr angerührt. Sie fühlt sich auf merkwürdige Weise von ihrer Magie abgeschnitten, doch das hat im Moment keine große Bedeutung und ist ein Problem für die Zukunft - sofern sie eine haben sollte. Über die Frau an der Rezeption bestellt sie sich ein Taxi zum Flughafen und einige Stunden später ist sie in der Luft. Als die Maschine abhebt, wirft Keeva einen letzten Blick auf ihre unter den Wolken dahinschwindende Vergangenheit. Sie fragt sich, ob der Hammer bereits gefallen ist und wie es um ihre Mutter steht. Schließlich kommt sie zu dem Schluss, dass sie es niemals erfahren will...