Tigara grollt Askwin nur stumm mit aufgerissenen Augen an, doch Tiani legt ihm eine Hand auf die Schulter. "Lass bitte gut sein. Wenn wir eines jetzt nicht gebrauchen können, dann ist es Streit. Sie hat ihre Entscheidung getroffen - zum Guten oder zum Schlechten."
Egal was Askwin ihr antwortet, schlussendlich muss er sich geschlagen geben, denn Tigara geht nicht von ihrer Haltung ab. Nur kurze Zeit verstreicht, dann ruft Kallian alle zu den finalen Vorbereitungen ihrer Abreise zusammen. Bevor sie aufbrechen, gilt es noch letzte Gepäckstücke umzuschichten sowie grob das weitere Vorgehen darzulegen. Bei ersterem helfen alle mit, letzteres verläuft in aller gebotener Eile, denn jede Minute und Stunde bedeutet vergeudetes Wasser. Kallian unterrichtet alle über ihren Vorrat sowie die angepeilte Wegstrecke, die vor ihnen liegt: Mindestens Zehn Tage durch die trockene Wüste, bei normaler Geschwindigkeit und ohne eingerechnete Hindernisse, doch bei der Anzahl an Köpfen reicht ihnen das Wasser für maximal acht, sofern sie sich an eine strenge Rationierung halten. Die Kamele zu besonderer Eile anzutreiben kann die zurückgelegte Wegstrecke pro Tag verdoppeln, doch wenn die Tiere der Überlastung erliegen und sie dadurch zum Fußmarsch gezwungen werden, könnte dies ihr Schicksal besiegeln. Kallian will die Reise daher zunächst normal angehen, um abzusehen, wie gut oder schlecht sie vorankommen. Sie müssen die Situation bei jedem Zwischenfall neu abschätzen und können nur hoffen, dass ihnen die Wüste keine Sandstürme schickt...
So geht es schließlich los. Auf jedes der drei Reitkamele kommen zwei Personen: Kallian und Brynja auf dem vordersten, dahinter Askwin und Seth, gefolgt von Amani und Tigara. Tiani reitet allein auf dem vierten Kamel, welches den Großteil an Vorräten und Ausrüstung - allen voran ihr Wasser - transportiert. Der erste Tagesabschnitt verläuft glücklicherweise ohne irgendwelche Zwischenfälle und sie reiten sogar bis in die Nacht hinein - zum einen da Kallian eine möglichst weite Strecke zwischen sich und die Opferstätte bringen will, zum anderen um die fehlenden Morgenstunden aufzuholen. Die Überlegung, generell bei Dämmerung und Nacht zu reisen, wenn es kühler und somit für Mensch und Tier erträglicher ist, muss schnell fallengelassen werden, denn es gibt nur ein 2-Mann Zelt (das sich Kallian und Tiani teilen) und ohne jeglichen Schutz vor der knallenden Sonne ist an ein Ausruhen bei Tag nicht zu denken. Da sie sich nicht den kleinsten Umweg erlauben, spenden ihnen auch die gelegentlich gesichteten Ruinen keinen Schatten. Immer wenn sie mit Beginn der Dämmerung rasten, verlässt sie Kallian für ein bis zwei Stunden und weist alle scharf darauf hin, ihn auf keinen Fall zu stören. Manchmal sehen sie ihn, wie er still auf einer fernen Düne sitzt - der untergehenden Sonne zugewandt - und weiß der Henker was tut. Wenn er später zurückkehrt, betritt er stumm sein Zelt und redet mit niemandem über den Sinn und Zweck seiner Ausflüge. Das Wetter hält sich erstaunlich stabil und kein Sturm behindert ihr Unterfangen, dafür manifestiert sich jedoch ein anderes Problem: Tigara erkrankt und zeigt die typischen Symptome eines starken Hitzschlags. Trotz der allgegenwärtigen Sonne schwitzt sie kaum, erbricht sich dafür gelegentlich und leidet an allgemeiner Schlappheit. Am dritten Tag müssen sie den Ritt wegen ihr mehrfach unterbrechen und als sie sich gegen Abend zur Rast niederlassen, opfert Tiani ihre halbe Wasserration, um sie der Zarfari-Frau zu geben. Auch der heilkundige Askwin wirft einen Blick auf die Kranke, kann ihr aber nicht wirklich helfen.
Tag 5
An jenem dritten Tag seit Aufbruch - am frühen Abend - sitzen Brynja, Askwin, Seth und Amani gemeinsam in nachdenklicher Runde. Die Sonne hat sich beinahe vollständig zurückgezogen und macht Platz für den Mond, welcher seit Beginn ihrer Reise Nacht für Nacht weiter abnimmt und nun fast bis zur Hälfte in Dunkelheit liegt. Tiani kümmert sich im Zelt noch immer um Tigara und Kallian ist noch nicht wieder von seinem allabendlichen Ausflug zurück. Brynja erinnert sich an seinen harten Gesichtsausdruck, bevor er wortlos an ihr vorbeimarschierte. Die Nordfrau weiß genau, was sein Blick zu ihr bedeutete und so denkt sie an das Gespräch zurück, das sie mit Kallian am Tag ihrer Abreise geführt hat...