Autor Thema: [Szene 9] Narben, die das Leben schlägt  (Gelesen 4436 mal)

Beschreibung:

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Tsuyoshi

  • Beiträge: 306
    • Profil anzeigen
[Szene 9] Narben, die das Leben schlägt
« am: 16.02.2019, 14:43:38 »
Heiß brennt die Sonne auf das kleine Dorf in den Bergen nieder. Still und brütend lastet die Luft unten in den Tälern auf dem Land, während hier oben zwar gelegentlich ein Windhauch weht, die glühende Sonne aber Mensch und Tier in jedweden verfügbaren Schatten treibt. Auch Tsuyoshi eilt mit weiten Schritten voran, den Kopf unter einem breitkrempigen Hut aus Reisstroh, um den sengenden Strahlen des gleißenden Auges am Himmel zu entgehen. Sein Daisho an der Seite, marschiert der Ronin zielstrebig auf den bewaldeten Hang zu, in Richtung des Schreins. Weniger als einen Tag ist es nun her, dass der Späher der Banditen aufgetaucht ist, und doch konnte er die Nervosität, das Wispern und Tuscheln von Frauen und Alten im Dorf nicht mehr aushalten! Die Anspannung der Bauern liegt in der Luft.

Um die Ruhe des Geistes und das Gleichgewicht seiner Seele wiederzuerlangen, hat er beschlossen, den Ort aufzusuchen, an dem die Geister der Ahnen mit ihrer abgeklärten Weisheit regieren. Still nähert er sich dem Schrein, bleibt in einiger Entfernung stehen, um sich respektvoll zu verbeugen, und tritt erst dann direkt vor die Andachtsstätte. In ein stilles Gebet versenkt sammelt der Samurai Kraft. Schließlich klatscht er dreimal laut in die Hände, um erneut seinen Respekt zu bekunden. Dann lehnt er seine Klingen gegen einen großen Findling, streift nach kurzem Zögern das Obergewand ab und schlüpft mit den Armen aus dem Kimono. Den einfachen Stoff schiebt er bis zu seinem schmalen Gürtel nach unten.

So tritt er mit freiem Oberkörper aus dem Schatten zurück in die Sonne, lockert seine Muskeln und schiebt einen Fuß schräg vor den anderen. Die Ferse angehoben, steht er locker auf dem Fußballen und geht in den neko-ashi-dachi, die Katzenstellung. Winzige Schweißperlen glitzern bereits auf seiner nackten Haut, kaum dass er die ersten Bewegungen seiner Kata begonnen hat.

Miko Yumi

  • Beiträge: 131
    • Profil anzeigen
[Szene 9] Narben, die das Leben schlägt
« Antwort #1 am: 18.02.2019, 22:24:47 »
Gerade als der junge Krieger das Dorf verließ, konnte er noch eine größere Gruppe besonders junger und alter Dorfbewohner sehen, die sich gerade verstreute. Sie waren wohl gerade vom Schrein heruntergekommen. Die Hitze verhinderte zu seinem Glück, dass ihm die Gruppe allzuviel Aufmerksamkeit schenkte.

Beim Schrein hat Tsuyoshi eine ganze Weile seine Ruhe. Außer seinen eigenen Bewegungen sind nur Insekten zu hören. Zunächst leise, noch unter der Schwelle der Aufmerksamkeit, dann immer lauter mischt sich Lärm in die meditative Szene: Knacken, Rascheln und Scharren. Schließlich bewegt sich das Gestrüpp aus der Richtung des Sees, an dem der Krieger und die Miko das Bogenschießen geübt hatten.

Zuerst schiebt sich ein großer Korb ins Sichtfeld, einer, wie er zum Transport auf dem Rücken geeignet ist. Allerdings ist er nicht mit Holz, sondern mit Pfeilen, Steinen, ein paar Speerschäften und Schlingen gefüllt. Am Korb vorbei werden die weiß-rote Kleidung und das schwarze Haar der jungen Miko Yumi sichtbar. Schließlich stolpert sie, immer noch rückwärst gehend, auf die Lichtung. Sie zieht mehrere Strohsäcke mit sich, die wohl als Ziele für Übungen mit den Fernwaffen herhalten mussten. Möglicherweise handelt es sich dabei eigentlich um ihre Schlafstätte.

Nach wenigen Schritten auf die Lichtung rutscht ihr Griff ab und sie setzt sich unfreiwillig ins Gras. Gerade so kann sie sich halten, nicht weiter zu fallen. Sie hebt ihren Arm und wischt sich etwas aus dem Gesicht, dann seufzt sie und macht Anstalten, aufzustehen. Als sie sich dabei ein wenig wendet, entdeckt sie ihren Besucher und screckt hoch. Schnell streift sie den Korb ab und steht auf, ihre Kleidung und Haare ordnend. Mit gerötetem Gesicht und unruhiger Atmung nimmt sie Haltung an und beobachtet ihren Besuch.

Tsuyoshi

  • Beiträge: 306
    • Profil anzeigen
[Szene 9] Narben, die das Leben schlägt
« Antwort #2 am: 23.02.2019, 13:18:25 »
Der Auftritt der Miko lässt Tsuyoshi in seinen Übungen innehalten. Er macht sich im Gegensatz zu ihr erst gar nicht die Mühe, seinen Schweiß abzuwischen, der ihm in Strömen über die Haut läuft. "Das ist wohl etwas zu schwer für dich, Mädchen" meint er mit einem kurzen Lächeln, nickt anstelle eines Grußes, tritt zu ihr und greift nach dem Korb, um ihn weiter zu schleifen. Dabei wendet er ihr den Rücken zu, und ihr fällt eine lange Narbe auf, die sich schräg über das Schulterblatt bis zur Seite hinzieht. Eine ziemlich ungewöhnliche Stelle für einen Samurai, der einem Gegner dem Bushido gemäß niemals den Rücken zuwenden sollte... Jedenfalls ist die Wunde sichtlich älteren Datums, schon längere Zeit vernarbt. Der Ronin scheint sie auch gar nicht mehr zu spüren. Er bewegt sich so, dass ihr klar wird: Er denkt im Moment nicht im Geringsten daran. Vor dem Schrein angelangt, richtet er sich auf, lässt den Griff des Korbes los und mustert das Mädchen fragend.

Miko Yumi

  • Beiträge: 131
    • Profil anzeigen
[Szene 9] Narben, die das Leben schlägt
« Antwort #3 am: 26.02.2019, 08:22:59 »
Als sich der junge Krieger der jüngeren Miko zuwendet, kann sie seinem Blick nicht standhalten. Sie beeilt sich, eine leichte Verbeugung zur Erwiderung des Nickens zu vollziehen. Dabei betobt sie: "V-Verzeiht, ich-ich wollte euch nicht stören! Hätte ich von eurem Kommen gewusst..." Dann hat Tsuyoshi auch schon den Korb gegriffen und beginnt, ihn weiterzutragen. Yumi hebt abwehrend die Hände: "Danke, aber das wäre doch garnicht notwendig. Ihr seid doch Gast!", spricht sie halblaut. Dabei schaut sie ihn direkt an, was die Röte in ihrem Gesicht nur verstärkt, sodass sie den Blick wieder abwendet.

Was sie auf seinem Rücken gesehen hat, lässt sie zögern. Erst nachdem er schon etwas Abstand gewonnen hat, hastet sie zu den Strohsäcken und schleift diese hinterher. Lautes und keuchendes Atmen kann sie dabei nicht vermeiden. Nachdem der junge Mann den Korb abgestellt hat und die junge Frau beim Aufholen beobachten kann, fällt ihm auf, dass sie noch immer unregelmäßig auftritt - die Verstauchung von der Jagd scheint noch immer ihren Tribut zu fordern. Dank der Anstrengung klebt die Kleidung an der Miko und verrät sowohl ihre zarte Statur als auch ihre Muskeln.

Im Gegensatz zu einer anderen Gelegenheit achtet Yumi darauf, nicht in Tsuyoshi hineinzustolpern. Sie stoppt, wendet sich herum und lächelt schüchtern. Seinen fragenden Blick beantwortet sie mit einem: "Danke, hinten...ist der Platz. Aber..." Und schon trägt der junge Krieger den Korb weiter um die Ecke herum. Auf der Rückseite des Schreins kann man tatsächlich eine niedrige Tür ausmachen, neben dem Raum mit der Rüstung konnte hier aber nur eine kleine Abstellkammer Platz haben. Vermutlich war weiterer Stauraum und ihre Schlafstätte direkt unter dem Dach. Gerade angekommen hört er ihre naive besorgte Stimme nicht weit hinter sich: "Ishida-san, schmerzt diese...Narbe nicht ganz fürchterlich?"
« Letzte Änderung: 26.02.2019, 08:23:15 von Miko Yumi »

Tsuyoshi

  • Beiträge: 306
    • Profil anzeigen
[Szene 9] Narben, die das Leben schlägt
« Antwort #4 am: 02.03.2019, 14:43:54 »
Stolz winkt der Ronin ab. "Es ist keine Belastung" schneidet er Yumis Einwände ab. Kurz wandert sein Blick über ihren Körper, ehe er sich wohl selbst zur Ordnung ruft und ihr zunickt. Mit einem unterdrückten Gähnen streckt er sich und lässt die Schultern kreisen. Mitten in der Bewegung hält er jedoch bei ihrer Frage inne und wendet sich ihr zu. Unwillkürlich zuckt die Hand über die Schulter zum Rücken, wobei er langsam den Kopf schüttelt. Dann, verwirrend genug, knurrt er: "Sie schmerzt. Aber nicht so, wie du meinst, Mädchen." Sein Blick wird düster und gleitet von ihr ab, zu den Bäumen hin. Seine Fingerspitzen tasten über die Haut, bis er die Narbe berührt. In Zeitlupe zieht er die Hand wieder zurück, ballt sie zur Faust. Die Miko kann sehen, wie er die Zähne zusammenbeißt, bis er mit einem tiefen Durchatmen den Blick senkt. Wortlos streift er den Kimono wieder über die Schultern und verbirgt damit die Narbe vor ihren Blicken. Dabei sieht er sie nicht direkt an. Er wirkt – finster? Bedrückt? Es ist schwer zu sagen...

Miko Yumi

  • Beiträge: 131
    • Profil anzeigen
[Szene 9] Narben, die das Leben schlägt
« Antwort #5 am: 04.03.2019, 17:24:01 »
Die junge Miko deutet mit keiner Reaktion an, dass sie den Blick des jungen Kriegers auf sich gespürt hat oder ihn verstanden hat. Auch wenn sie sich um ein ordentliches Aussehen bemüht, scheint ihr die Wirkung, die sie auf andere macht, nicht bewusst.

Die abwehrende Reaktion Tsuyoshis, als der Wortwechsel auf die Narbe kommt, lässt Yumi ihn nur weiter völlig offen anblicken. Sie entschuldigt sich mit einem ehrlichen: "Es tut mir leid." Seine Beschreibung, die Narbe würde auf andere Art Schmerzen, bringt sie zum verständnisvollen Nicken. Da er sie nicht direkt ansieht, gelingt es ihr, ihren Blick auf ihm zu halten.

Mit Ernst verkündet sie: "Ich verstehe, solche Wunden müssen auf anderem Wege heilen. Ohne Behandlung können sie sich ebenfalls verschlechtern. Wenn ihr nicht mit Sterblichen darüber sprechen könnt - wobei ihr euch sicher sein könnt, dass ich meine Pflicht zur Verschwiegenheit sehr ernst nähme - gebt den Kami eine Chance. Sie sind zu so viel mehr in der Lage, als wir Sterblichen." Ob sie in ihren jungen Jahren wirklich Erfahrung mit seelischen ANliegen hat, mag einen skeptisch stimmen. Ihr froher Mut, der ehrliche Ernst, mit der sie ihre Aufgabe verrichtet, und vermutlich ihre Ausbildung sprechen aus ihr.

Tsuyoshi

  • Beiträge: 306
    • Profil anzeigen
[Szene 9] Narben, die das Leben schlägt
« Antwort #6 am: 06.03.2019, 20:18:59 »
Natürlich fällt der Blick des Ronin beim Gespräch unweigerlich auf die junge Miko. Sie selbst mag es zwar nicht bemerken, doch ihm scheint es nicht angenehm, sie im Moment anzuschauen, obwohl seine Augen immer wieder zu ihr zurückwandern und über die Silhouette des Mädchens gleiten. Eine Hand fährt unter seinen Kimono, tastet über die Schulter nach der Narbe. Unwillkürlich verzieht er den Mund. Eine stumme Zwiesprache mit den Ahnen – als ob die Geister einen anhören würden, der sich vor einem Feind zur Flucht gewandt hat, und sei er noch so jung und unerfahren gewesen! "Ich sage doch, davon verstehst du nichts!" knurrt er unwillig.

Dann wendet der verschwitzte Samurai den Blick wieder ab, schließt die Augen und wirkt mit einem Mal erschöpft. "Es gibt Dinge, die ein Mann sein Leben lang mit sich herumtragen muss, ob er will oder nicht" erklärt er endlich hörbar ruhiger, mit einer fast monotonen Stimme. "Die Ahnen verzeihen keine Fehler. Ein Fleck auf dem Banner der Ehre lässt sich nicht entfernen. Es bleibt nur, mit dem Makel zu leben und dazu zu stehen. Das ist Bushido." In Tsuyoshis Worten, so fest und beherrscht er sie spricht, schwingt ein bitterer Unterton mit.

Miko Yumi

  • Beiträge: 131
    • Profil anzeigen
[Szene 9] Narben, die das Leben schlägt
« Antwort #7 am: 08.03.2019, 22:55:53 »
Das Tsuyoshi das Thema unangenehm ist, er ihrem Blick ausweicht und schließlich unwirsch wird, bestärkt Yumi nur in ihrer Sorge um ihn. Bei den gelegentlichen Momenten, in denen sich ihre Blicke trefffen, weicht sie nicht aus, da er den Blick im Moment nicht lange hält. Langsam verdampft die Feuchtigkeit in der Kleidung der Miko in der Sonne und ihr Aussehen nähert sich wieder einem professionellem. Die Resignation und Bitterkeit in der Haltung und Stimme des jungen Kriegers lässt ihr Herz weiter aufgehen, ihr Blick wird feucht. Hinzu kommt, dass etwas ihr sehr Wichtiges ihrer Meinung nach missverstanden wird.

So fallen ihre nächsten Worte leidenschaftlich, ja regelrecht hitzig aus: "Nun, San, ich verstehe tatsächlich nicht, aber ihr erzählt mir ja auch nicht genug, das es eine Chance zum Verständnis gäbe. Das ist euer Recht und eure Entscheidung. Aber in einem irrt ihr: Weder ist jeder Kami allgegenwärtig und allwissend, noch sind sie alle ungnädig und ohne Verständnis! Man kann überall welche treffen, doch an Orten wie hier ist es ohne Zufall und es sicher, dass man sich Verhör schaffen kann, denn sie besuchen ihn regelmäßig! Euer Ahn mag, da er direkt betroffen ist, sich von euch abgewendet haben, aber es gibt so viel mehr Kami in den Welten und viele sind nie Mensch gewesen, also nicht in gleicher Form gebunden!"

Sie holt kurz Luft und setzt mit gleichem Enthusiasmus fort: "Ihr tragt eine Narbe von einer einzelnen Gelegenheit, womöglich wirklich einem Fehler. Aber nehmt es als Erfahrung, als Ansporn, besser zu sein und zu werden, nicht als Last, die alles andere runterzieht! Ihr geht den Biushido, ihr habt und verteidigt eure Ehre, ihr helft, beschützt, tut Gutes! Das seid ihr und nicht das eine, was ihr als Schande wahrnehmt! Ihr lebt und kämpft weiter, statt den Götterwind[1] zu erzwingen! Das ist es, worauf ihr euren Blick richten solltet und was auch die Kami sehen werden, so ihr es ihnen darbringt! Besänftigt sie, auf das sie an eurer Seite stehen!" Schütteln möchte sie ihn, doch überstimmt ihre angeborene und -erzogene Zurückhaltung gerade in körperlichen Dingen noch diesen Impuls.
 1. Kamikaze ;-)
« Letzte Änderung: 18.03.2019, 06:56:06 von Miko Yumi »

Tsuyoshi

  • Beiträge: 306
    • Profil anzeigen
[Szene 9] Narben, die das Leben schlägt
« Antwort #8 am: 10.03.2019, 12:59:06 »
Verwundert sieht der Ronin auf. Der unerwartet heftige Ausbruch des Mädchens verblüfft ihn wohl ziemlich, denn sogar als sie ausgeredet hat, findet er zunächst keine Erwiderung. Zwar öffnet er direkt den Mund zu einer scharfen Antwort, doch dann sieht er das feuchte Schimmern in ihren Augen und schließt ihn stumm wieder. Einmal mehr fährt seine Hand zur Schulter hoch, verharrt aber kurz vor dem Ziel. Sein Blick wandert zu dem Schrein hinüber. So steht er da wie erstarrt, während ihm der Schweiß – gänzlich unbeachtet – in langen, glitzernden Bahnen über Stirn und Hals rinnt. "Vielleicht..." murmelt er mehr zu sich selbst. Gleich darauf scheint er wieder wankend zu werden. Er wendet sich der Miko zu, und sein Gesicht wird von einer dunkleren Färbung überzogen. Schließlich hat er, der Samurai, diesem jungen Mädchen soeben einen Makel verraten, der ihn in den Augen vieler Lehnsherren zum Seppuku verurteilen würde.

Seine Wangenmuskeln spielen unter der dunklen Haut, während er sich die Frage stellt, ob das der eigentliche, der ehrenhafte Ausweg wäre – ist er nur zu feige, den Freitod zu wählen? Endlich atmet er langsam aus, lässt den erhobenen Arm wieder sinken. Oder hat das Mädchen vielleicht doch recht..? Sie wirkt jung und naiv, doch sie ist es, die den Ahnen dient – was weiß er dagegen schon davon, wie die Kami wirklich sind? Seine Augen wandern weiter und bleiben an seinem Daisho hängen. Tsuyoshis Hand ballt sich zur Faust, doch er geht nicht, um nach den Klingen zu greifen. Stattdessen schließt er die Augen, kneift sie fest zusammen, als wolle er einen bohrenden Kopfschmerz durch pure Willenskraft vertreiben. Es ist offenkundig, dass er mit sich ringt.

Miko Yumi

  • Beiträge: 131
    • Profil anzeigen
[Szene 9] Narben, die das Leben schlägt
« Antwort #9 am: 18.03.2019, 17:27:47 »
Als es still wird, begreift die junge Miko, wie unangemessen sie aufgetreten ist. Ihr Gesicht wird hochrot und sie muss einige Willenskraft aufwinden, sich nicht sofort zu entschuldigen. Sie möchte mit einer Entschuldigung das Erreichte nicht zunichte machen, gerade weil sie sieht, wie der junge Krieger mit sich ringt. Die Sorge um ihn lässt alles andere kleinlich erscheinen.

Fieberhaft überlegt sie, was sie noch ergänzen könnte, um ihn endgültig zu überzeugen. Eine Geschichte musste her, eine bekannte, geeignete, als Beispiel, denkt sie sich. Doch muss sie lange nachdenken, denn ihre Ausbildung deckte solche Fälle nur sehr theoretisch ab. Kurz ist sie versucht, die 47 Ronin anzuführen, die nach ihrer unverschuldeten Entehrung ihr Ziel, ihre Rache, durchführen, doch ist das Ende bekannt - am Schluss dürfen sie Seppuku begehen.

Die Stille zieht sich und ihr Blick bleibt auf dem wohltrainierten Körper und dn Schweißbächen ihres Gegenübers hängen. Ihr Kopf wird noch wärmer und sie muss blinzeln, ihre Gedanken begannen zu wandern. Ein Blick in die traurigen Augen und sie kommt aus den Träumen zurück. Energisch streicht sie die Tränenflüssigkeit aus ihren Augen und setzt fort: "Bitte, Ishida-san, wähnt euch nicht verloren oder verlassen. Erinnert ihr euch an die Geschichten von Minamoto no Yoshitsune? Der verratene General? Es heißt, er habe immer wieder die Flucht geschafft und wäre schleißlich in Hokkaido gestorben, geehrt und verehrt von seinen Nachbarn." Yumi starrt Tsuyoshi an, sucht jede Regung zu deuten, als sie endet: "Das ist nicht das Schicksal eines Mannes, der bei den Kami in Ungnade gefallen ist aufgrund von Verfehlungen - und immerhin ist er im Angesicht der Niederlage geflohen, statt das von Menschen erwartete zu tun!"

Tsuyoshi

  • Beiträge: 306
    • Profil anzeigen
[Szene 9] Narben, die das Leben schlägt
« Antwort #10 am: 19.03.2019, 19:40:28 »
Der Ronin bewegt sich nicht. Wie eine Statue verharrt er reglos, während die glitzernden Schweißtropfen ganz allmählich herabrinnen. Wenn er die Verlegenheit der Miko spürt, gibt er es nicht zu erkennen. Seine Augen sind nach wie vor geschlossen. Bei ihren ersten Worten spielt ein bitteres Lächeln um seine Lippen, rührt sie doch – wenn auch mit guter Absicht – an einer alten Wunde. Erst als sie weiterredet, hebt er den Kopf, öffnet die Augen und starrt sie an. Ausdruckslos zunächst, dann ungläubig, schließlich zweifelnd. "Der Minamoto? Was weißt du von ihm?!" fragt er, für den Moment von seinen düsteren Gedanken abgelenkt. "Er ist geflohen..." Sein Kinn sinkt auf die Brust, er greift sich an die Stirn. Langsam setzt er sich ins Gras und scheint zu überlegen. "Erzähl mir die Geschichte" verlangt er endlich. Seine Haltung wirkt nicht mehr so niedergeschlagen, als er langer Gewohnheit folgend im Schneidersitz hockend, den Rücken gerade einen Unterarm auf das Knie stützt und sich leicht nach vorn beugt, wobei er das Mädchen auffordernd anblickt.

Miko Yumi

  • Beiträge: 131
    • Profil anzeigen
[Szene 9] Narben, die das Leben schlägt
« Antwort #11 am: 22.03.2019, 00:22:39 »
Als sich Yumi plötzlich unter dem aufmerksamen, ja fordenden Blick Tsuyoshis wiederfindet, explodiert die rote Farbe regelrecht in ihrem Gesicht und sie muss ihren Blick abwenden. Dabei verschluckt sie sich auch noch und kann das resultierende Husten nicht unterdrücken. Darüber verpasst sie die Gelegenheit, auf seine erste Frage zu antworten. Als sie wieder zu Atem kommt, sitzt er bereits und fordert die Geschichte ein. Sie ist leicht verwirrt und windet sich, hat aber den eigentlichen Grund ihrer Sorge nicht vergessen.

Sie reißt sich zusammen und nimmt Haltung an, blickt aber weiter nur auf die Füße ihres Gegenübers. "Gerne, auch wenn...ähm...seht es mir nach, dass ich keine - nicht die Künste einer Unterhalterin beherrsche.", druckst sie zunächst herum, doch beginnt sie endlich nach einer weiteren auffordernden Geste. Zunächst noch nervös, verliert sie sich bald so sehr in der Geschichte, dass sich ihr Blick irgendwohin fokussiert und sie erzählt, als ob es keinen Zuhörer gäbe.

"Nach dem Ende der Genpei-Kriege, in denen er für seinen Halbbruder Yoritomo eine Schlacht nach der anderen gewonnen hatte und den Taira-Klan zerschlagen hatte, war General Minamoto no Yoshitsune nur ein knappes Jahr Ruhe vergönnt. Kaum wurden ihm diverse Würden verliehen - unter anderem Gouverneur von Iyo - nahm Yoritomo ihm diese wieder, denn er misstraute ihm. Als er sich dann mit imperialer Erlaubnis mit seinem Onkel Yukiie verbündete, versammelte Yoritomo solch starke Kräfte auf seiner Seite, dass ein Kampf aussichtslos war.
Yoshitsune und seine Getreuen verkleideten sich als Priester und überlisteten die Wachen. Seine treue Geliebte musste er mit dem noch nicht geborenen Kind zurücklassen, ihr Schicksal in den Händen von Yoritomos Truppen ist nicht bekannt.
Es gelang ihm, sich zu Fujiwara no Hidehira durchzuschlagen und lebte unter dessen Schutz einige Zeit unbehelligt. Als dieser jedoch verstarb, verriet dessen Sohn seinen Vater, seinen Schwur diesem gegenüber und den General. Er umzingelte Yoshitsune und überrannte dessen Verteidiger mit massiver Übermacht. Yoshitsunes getreuer Gefolgsmann Benkei fiel - er starb stehend - während sein Herr erneut erfolgreich floh.
Diesmal erreichte er Hokkaido und lebte dort unter falschem Namen - Okikurumi oder Oinakamui - bis in ein hohes Alter. Er starb geehrt und geachtet in seiner Kammer. Zu seiner Ehre wurde der Yoshitsune Schrein in Biratori errichtet.
Einige Zeit hielt sich auch die Geschichte, er wäre über Hokkaido hinweg per Schiff aufs Festland geflohen, hätte die mongolischen Stämme geeint und wäre - einem rachsüchtigen Geist gleich - als Ghengis Khan erneut bei uns eingefallen. Dies wird jedoch gemeinhin eher für eine unterhaltsame Geschichte gehalten, und nicht mehr als das."


Entspannt lächelnd, noch immer etwas fern der Welt, kehrt ihr Blick auf ihren Zuhörer zurück. "Klingt dies nach einem Mann, dessen Leben nur gesegnet war, da er vollkommen fehlerfrei, in Perfektion und mit uneingeschränkter Ehre durch sein Leben ging?" Dann schreckt sie zusammen, als ihr ihre allzu vertraute Form und belehrende Art bewusst wurde. Diesmal schafft sie es nicht, sich zurückzuhalten. Sie blickt auf den Boden und stammelt: "Verzeiht, das war ungebührlich. Es - es ist mir nur so wichtig!"
« Letzte Änderung: 22.03.2019, 00:23:08 von Miko Yumi »

Tsuyoshi

  • Beiträge: 306
    • Profil anzeigen
[Szene 9] Narben, die das Leben schlägt
« Antwort #12 am: 22.03.2019, 19:24:10 »
Schweigend hört der Ronin der Geschichte zu. Die Entschuldigung der Miko hat er mit einer leichten Handbewegung abgetan – offenkundig erwartet er nicht den Vortrag einer geübten Gesellschafterin, die nach Geisha-Art mit Gesang und Instrumentenspiel zu unterhalten weiß. Nachdem Yumi begonnen hat, verharrt er jedenfalls wieder reglos im Gras. Gelegentlich nickt er mit geschlossenen Augen vor sich hin, als würde sie ihm nur etwas ins Gedächtnis rufen, das ihm bereits bekannt war. Dann, irgendwann, kommt sie zum Ende ihrer Erzählung. Wenige Herzschläge später öffnet er die Augen und meint: "Nein... das tut es nicht." Er wirkt regelrecht erstaunt, während er sich die Frage selbst noch einmal vorlegt und darüber nachsinnt.

Schließlich mustert er sie und stellt kopfschüttelnd fest: "Ein Mädchen, das einen Krieger daran erinnern muss, dass ein Samurai nicht klagt..." Gemessen steht er auf, geht zu seinem Daisho und schließt langsam die Finger um beide Waffen. Er hebt sie mit beiden Händen an, bis das polierte Holz der Schwertscheiden direkt vor seinen Augen in der Sonne glitzert. Dann steckt er sie mit sehr exakten Bewegungen an seiner Seite fest, erst das Wakizashi mit der kürzeren Klinge, dann das Katana. Die Linke ruht locker auf den gekreuzten Klingen, als er sich wieder Yumi umdreht. "Es mag ungebührlich gewesen sein, aber es war wohl auch notwendig." Nachdenklich sieht er sie an, dann stutzt er. Tritt neben sie, legt die Hand unter ihr Kinn und hebt es an, bis sie sich in die Augen sehen. "Es ist dir wichtig? Aus welchem Grund? Sag es mir, Mädchen!" fordert er eindringlich.

Miko Yumi

  • Beiträge: 131
    • Profil anzeigen
[Szene 9] Narben, die das Leben schlägt
« Antwort #13 am: 29.03.2019, 17:54:16 »
Innerlich jubelt Yumi, als Tsuyoshi ihre rhetorische Frage wie erwartet beantwortet. Als er ihr allerdings unterstellt, sie hätte ihn daran erinnern wollen, Samurai hätten nicht zu klagen, will sie protestieren: "Nein, Ishida-san, das - das habe ich nicht...nicht sagen wollen!" Dann beobachtet sie mit Sorge, wie er nun doch zu seinen Klingen geht und diese ergreift. Zu ihrer großen Erleichterung sind seine Gedanken aber nicht darauf aus, diese gegen sich selbst zu richten.

Als er sich zu ihr umdreht und die ihre Entschuldigung wegwischt, weicht ihr Blick wieder aus. Sie murmelt, mehr zu sich selbst: "Es war aber wirklich kein angemessener Ton, ich - wir kennen uns für so eine Einschätzung nicht gut..." Dann steht er plötzlich bei ihr und schiebt ihren Kopf hoch. Ihre Blicke treffen sich und ihr ist die Überraschung anzumerken. Jetzt, wo sie nicht mehr ausweichen kann (und seine Berührung spürt), wird ihr Gesicht so rot und heiß, dass mn förmlich die Dampfschwaden aus den Ohren kommen sieht. Zu einem konsistenten Gedanken, geschweige denn zu einer konsistenten Anwort ist sie nicht mehr in der Lage.

"Ihr - ich - es ist, es ist wichtig - meine Aufgabe ist, Mittlerin - ähm Vermittlerin für die Kami, zu den Kami zu sein. Es es ist nicht gut, wenn sie missverstanden, von Menschen als Last wahrgenommen sind - äh, werden!", stammelt sie und versucht sich rauszureden. Dann stolpert sie nach hinten und entkommt so zwar dem Griff, schafft es aber nicht, sich von seinem bohrenden Blick abzuwenden. "Ich - mir - ihr seid wichtig! Für das Dorf! Euer Auftrag - ohne euch sind sie schutzlos! Ähm, nein, äh, ihr solltet euer Leben nicht für gering nehmen! Ach, herrjeh, ich... ich weiß nicht." Sie stammelt weiter und steigert ihre Verzweiflung bis zum Schluchzer und einer Träne über ihre Wange: "Bitte bitte, so hört mein Flehen - was immer geschehen ist, ihr seid mir - ihr seid, euer Leben ist wichtig! Für das Dorf, für euch, euren Herrn, eure Familie..." Zum Schluss wird sie immer leiser und beginnt, weniger zu hyperventilieren.

Sie fängt sich und brabbelt doch gleich weiter, da sie merkt, das sie ihrer Sache nicht gerade ausreichend geholfen hat: "Vielleicht, ich meine, ich weiß, dass ihr von einigen - jungen, unvergebenen Frauen sehr - geschätzt werdet...und sie sich...Hoffnungen machen. Es könnte, würde es euch, ich könnte sie euch...ähm." Sie verliert sich erneut in ihren Worten, ihr nicht ganz lauteres Angebot wird ihr selbst unheimlich. Wie war sie nur darauf gekommen, dass so etwas sein Interesse wecken könnte? Der Blick geht zu Boden und die Röte in ihrem Gesicht nimmt wieder zu. Hast du etwa eigene Hoffnungen?!, fragt sich die junge Miko entsetzt.
« Letzte Änderung: 29.03.2019, 17:55:57 von Miko Yumi »

Tsuyoshi

  • Beiträge: 306
    • Profil anzeigen
[Szene 9] Narben, die das Leben schlägt
« Antwort #14 am: 03.04.2019, 20:14:00 »
Forschend blickt der Ronin dem Mädchen ins Gesicht. Er sieht sie erröten, hört sie stottern und spürt die Hitze, die sie ausstrahlt. Dann verhaspelt sie sich und stolpert rückwärts. Unwillkürlich macht er einen raschen Schritt nach vorn und streckt die Hand aus, um sie an ihrem Gewand zu packen und vor dem Sturz zu bewahren, als sie sich auch schon taumelnd selbst wieder fängt. Seine Hand verharrt zwischen ihnen. Ungläubig erst, danach mit einem Ausdruck von Betroffenheit wandern seine Blicke über ihre Züge, da sie sich darauf verlegt, ihn anzuflehen, und endlich gar weint.

Und dann macht sie ihm ein Angebot – ein Angebot, das beleidigend wäre, würde da nicht deutlich die Unerfahrenheit, die Ratlosigkeit und Unschuld der Miko hervorscheinen. Wortlos tritt er auf sie zu, legt einen Arm um sie und zieht sie an sich. Ihren Kopf birgt er an seiner Brust, die freie Hand streicht über ihren wirren Haarschopf. "Still, Mädchen, sei still..." sagt Tsuyoshi beschwichtigend und fühlt das Schluchzen als ein leises Zittern des Körpers in seinen Armen. "Du bist ein tapferes kleines Fräulein, und du hast ein gutes Herz" meint er leise und wird sich dieser Beobachtungen erst in dem Moment recht bewusst, in dem er sie ausspricht.

Ebenso der Tatsache, dass es eine unleugbare Verlockung bedeutet, sich eine der Dorffrauen zu nehmen – oder dieses junge Mädchen hier... Aber auch eine Verantwortung vor sich selbst: Als Samurai könnte er es nicht mit seiner Ehre vereinbaren, mit einer oder vielleicht gar mehreren Frauen des Dorfes das Kopfkissen zu teilen und danach einfach wieder zu verschwinden. Er müsste sich selbst den entsetzlichen Vorwurf der Feigheit machen! Doch obwohl sich dies nun völlig klar seinem geistigen Auge darlegt, fühlt es sich gut an, den weichen, schmalen Mädchenkörper im Arm zu halten. Er tut nichts, um sich zu nehmen, was sie soeben schamhaft verklausuliert anbot – aber er lässt sie auch nicht los. So stehen sie eng umschlungen, und nur das helle Auge der Sonne sieht ihnen zu.