Louis merkte sofort, dass er sich mit seiner Reaktion keine Freunde unter den Geretteten machte. Und auch wenn es in seiner Kultur undenkbar war, dass eine einfache Frau so mit einem Adligen sprach, spürte er zumindest, dass es hier wohl ein wenig anders war.
Die Frau zuckte kurz zurück, als seine Hand zum Degen ging, und er sah Furcht in ihrem Blick. Doch diese schien nur von kurzer Dauer, und ihr Mut zur Aufmüpfigkeit schien nur noch stärker zu werden.
"Dann sagt mir doch bitte, edler Dschontil-om, warum ich vor irgendeinem Adligen bücken soll? Ich wüsste von keinem, der sich jemals um uns gekümmert hat. Die Schrecken ziehen im Wald umher, ohne dass irgendein Baron etwas dagegen tun würde, die Räuber überfallen uns, ohne dass es jemanden in irgendeiner feinen Burg kümmern würde. Aber wenn man tatsächlich einmal einen zu Gesicht bekommt, dann soll man bücken, das letzte magere Schwein schlachten, damit der werte Herr etwas zu Essen bekommt, während man selbst hungrig zusehen kann. Und wenn er dann noch in Laune ist, dann nimmt er sich eine junge Frau, die sich nicht wehren kann, weil sonst eine der Wachen ihren Mann, Vater, oder wer sonst für sie einstehen will, aufschlitzt.
Also frage ich nochmal: Wieso zum Teufel sollte ich irgendeinen Respekt vor einem hergelaufenen Edelmann" - sie spuckte das Wort nur so aus - "haben, der nichts dafür getan hat, einer zu werden, außer zufällig in die richtige Familie geboren worden zu sein? Der in seinem Leben noch nicht für sein Essen arbeiten musste? Wenn ich könnte, dann würde ich jeden von denen zum Teufel jagen, oder noch weiter. Dann würde es dem Land hier sicherlich nicht schlechter gehen."
Sie hatte sich nun richtig in Rage geredet, und langsam, aber sicher, traten die anderen ehemaligen Gefangenen betreten ein paar Schritte zurück, beobachteten ihre Fußspitzen und machten sich insgesamt so klein und unauffällig wie möglich. Doch selbst Louis musste zugeben, auch wenn er die Unverfrorenheit der Frau sicherlich in keinster Weise goutieren konnte, dass es in dieser Gegend schwer fiel, nicht von kompletter Verwahrlosung zu sprechen.
Die Banditenanführerin nutzte die kurze, betretene Stille, die auf die Rede der jungen Frau folgte, um Don Tristan zu antworten. Vielleicht hatte sie nur gewartet, bis diese fertig war, vielleicht wollte sie auch ein Stück die Spannung aus der Situation nehmen - bevor es nun zu noch mehr Blutvergießen kam.
"Mein Name ist Ingrid, Herr, und es ist die Baronin von Düster, die meine Tochter gefangen hält. Agathe Baderbaasch ist ihr Name, und ich selbst kenne sie nur wenig. Doch was ich weiß ist, dass sie Banditen wie mich dazu benutzt, um unschuldige Menschen wie diese hier gefangenzunehmen. Was sie mit ihnen anstellt, mag ich mir nicht ausmalen. Ich habe Schuld auf mich geladen, das weiß ich, aber solange die Baronin nicht gestoppt wird, wird das hier weitergehen, denn andere werden meine Aufgabe übernehmen.
Wenn Ihr es schaffen solltet, meine Tochter zu befreien, sterbe ich glücklich am Strick, denn dann weiß ich, dass Maria eine Zukunft hat. Bis dahin werde ich alles dafür tun, um dieses Ziel zu erreichen, das gelobe ich hier und jetzt."
An Louis gewandt fuhr sie fort.
"Und ich bitte Euch, edler Herr. Vergebt ihr für ihre Worte, denn Agathe Baderbaasch ist die einzige Baronin, die sie kennt. Sie kann nur ein schlechtes Bild von Adligen haben, doch Ihr habt die Gelegenheit zu beweisen, dass nicht alle so sind wie die Baronin."